TE OGH 1992/2/5 2Ob551/91

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Veröffentlicht am 05.02.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Martina R*****, geboren *****1975 wegen Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG infolge Revisionsrekurses des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 27.Juni 1991, GZ 43 R 326/91-33, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 26.April 1991, GZ 17 P 132/90-22, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die am *****1975 geborene Martina R***** ist die eheliche Tochter des Franz und der Sylvia R*****, deren Ehe am 13.12.1989 gemäß § 55a EheG geschieden wurde. Die Minderjährige blieb in der alleinigen Obsorge ihrer Mutter. Zuletzt (4.2.1991) wurde die Unterhaltsverpflichtung des Vaters in Änderung des von ihm auf Grund des Scheidungsvergleiches vom 13.12.1989 zu bezahlenden monatlichen Betrages von 1.500 S ua beginnend mit 1.9.1990 um den weiteren monatlichen Betrag von 1.000 S auf 2.500 S monatlich erhöht (ON 20 dA). Mit Beschluß vom 26.4.1991 (ON 22 dA) gewährte das Erstgericht der Minderjährigen unter Berufung auf die §§ 3, 4 Z 1 UVG und Bedachtnahme auf das von der Minderjährigen im ersten Lehrjahr bezogene monatliche Nettoeinkommen einschließlich Sonderzahlungen von durchschnittlich 3.400 S für die Zeit vom 1.3.1991 bis 31.8.1992 titelmäßige Unterhaltsvorschüsse in der Höhe von monatlich 2.100 S, weil die zu 11 E 1908/91 des Bezirksgerichtes Floridsdorf geführte Exekution auf das Arbeitseinkommen des Unterhaltspflichtigen auch unter Anrechnung hereingebrachter Rückstände auf den laufenden Unterhalt, diesen für die letzten sechs Monate vor Antragstellung nicht gedeckt habe und der Unterhaltsschuldner beim Drittschuldner bereits wieder ausgetreten war.

Das Gericht zweiter Instanz gab dem auf Abänderung des erstgerichtlichen Beschlusses im Sinne der Abweisung des Vorschußbegehrens und hilfsweise auf Gewährung von Vorschüssen nur in der Höhe von monatlich 1.000 S gerichteten Rekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien nicht Folge, wobei es aussprach, daß der ordentliche Revisionsrekurs zugelassen werde. In Erledigung der im Rekurs unter Hinweis auf die "jüngste" Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (7 Ob 519/91) erhobenen Rechtsrüge, wonach der Zweck des UVG nur darauf gerichtet sei, den Unterhalt bis zur Höhe des Richtsatzes nach § 6 UVG zu sichern und für den Fall, daß dieser Richtsatzbetrag in etwa durch die Lehrlingsentschädigung gedeckt sei, für eine weitere Bevorschussung kein Anlaß bestehe, so daß selbst dann, wenn der Minderjährigen als Lehrling pauschal etwa 1.000 S an zusätzlichem Mehraufwand für Berufsausbildungskosten zugebilligt würden, höchstens noch ein Vorschußbetrag von 1.000 S, nicht aber 2.100 S angemessen sei, brachte das Rekursgericht vorerst den wesentlichen Inhalt der Entscheidungen 7 Ob 519/91, 6 Ob 598/90 einerseits sowie jenen der Entscheidungen 8 Ob 504/91 und 1 Ob 521/91 zur Darstellung. Es erklärte sodann, sich den Entscheidungen der Senate 1 und 8 des Obersten Gerichtshofes aus folgenden weiteren Erwägungen anzuschließen:

Gegenstand der Bevorschussung sei grundsätzlich der gesetzliche Unterhalt, soweit er ungedeckt sei. Seien nur Teile des gesetzlichen Unterhaltes gedeckt, so bestehe ein Anspruch auf Bevorschussung hinsichtlich des ungedeckten Teiles (vgl JAB 199,

14. GP, 5 und Judikatur, wiedergegeben bei Knoll, Kommentar zum UVG Rz 6 zu § 5). Der gesetzliche Unterhalt sei ein in den §§ 140, 672 vorgegebener Begriff, der durch das UVG nicht verändert oder beeinflußt worden sei. Das UVG setze ihn vielmehr voraus. Weiters ergäbe sich aus den §§ 1, 3 Z 1, 7 Abs 1 Z 1 UVG, daß das UVG selbst den gesetzlichen Unterhalt in keiner Weise limitiere, sondern ihn prinzipiell in allen seinen Teilen dem Grunde nach für bevorschußungsfähig halte. Folgerichtig bestimme auch § 6 Abs 1 UVG nicht, daß der zu bevorschussende Unterhalt die dort näher definierte Grenze für pensionsberechtigte Halbwaisen nicht übersteigen dürfe, sondern nur die einzelnen Vorschüsse an diese Grenze gebunden seien. Die hier abgelehnte Rechtsansicht limitiere aber den zu bevorschussenden Unterhalt. Die Grenze sei aus budgetären Gründen gesetzt worden, weil der Staat aus finanziellen Gründen eben nur beschränkte Hilfe zum gesetzlichen Unterhalt leisten könne. Zur Bewältigung des Problems der Begrenzung seien in der Phase der Gesetzeswerdung verschiedene Modelle diskutiert worden (s. Lehner, Familie-Recht-Politik, 399 f); erörtert und abgelehnt worden seien ua einheitliche Vorschußfixbeträge und Mindestvorschüsse. Aus all dem ergäbe sich, daß wohl der zu gewährende Unterhaltsvorschuß der Beschränkung des § 6 UVG unterliege, nicht aber auch der Unterhalt selbst. Welcher Unterhalt bzw Unterhaltsteil zu bevorschussen sei, sei keine Frage, die dem § 6 Abs 1 UVG zu unterstellen sei. Ein weiteres Argument sei, daß bei Hereinbringung exekutiver Unterhaltsbeiträge nicht der Vorschußbetrag geschmälert werde, sondern gemäß § 27 Abs 1 und Abs 2 UVG vielmehr die Rückzahlung der geleisteten Vorschüsse an den Bund zu erfolgen habe. Der Auffassung von 6 Ob 598/90, es sei eine Ungleichheit gegenüber Kindern gegeben, die über keine Einkünfte verfügten, weil ihnen zugemutet werde, ihren Unterhalt innerhalb der Grenze des § 6 Abs 1 UVG zu bestreiten, könne nicht beigetreten werden, weil nicht die absolute Höhe des Unterhaltsvorschusses, sondern die Ausgleichung nicht bezahlter Teile des gesetzlichen Unterhaltes entscheidend sei. So gesehen könne die Entscheidung des Senates 6 eine Ungleichheit eher zugunsten des Kindes ergeben, das anrechenbare Einkünfte nach § 140 Abs 3 ABGB beziehe. Der Richtsatz nach § 6 Abs 1 UVG betrage derzeit 3.980 S. Habe ein Kind, das über keine anrechenbaren Einkünfte verfüge, einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch von 3.980 S und dementsprechend einen Titel, so sei sein gesetzlicher Unterhalt durch Vorschüsse gedeckt. Habe ein Lehrling einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch von 5.500 S, einen dementsprechenden Titel und eine anrechenbare Lehrlingsentschädigung von 3.980 S, so bliebe sein gesetzlicher Unterhaltsanspruch nach den Entscheidungen 6 Ob 598/90 und 7 Ob 519/91 in einer Höhe von monatlich 1.520 S ungedeckt. Das Ergebnis sei, daß in einem Falle der gesetzliche Unterhaltsanspruch des Kindes voll befriedigt sei (nur darauf kommt es an, und nicht auf die vereinnahmte Höhe) und im anderen Fall ein Unterhaltsdefizit von monatlich 1.520 S verbleibe. Nach der wiedergegebenen Rechtsprechung des Senates 1 des Obersten Gerichtshofes (1 Ob 521/91, 1 Ob 594/90) sei auch dieser Unterhaltsteil gedeckt. Ungeachtet dessen, daß es notwendig gewesen sei und der Klarstellung erheblich gedient habe, die Berücksichtigung von Eigeneinkünften der Minderjährigen in eigenen gesetzlichen Bestimmungen festzulegen (§ 140 Abs 3 ABGB und § 7 Abs 1 Z 2 UVG) um eben jene Unklarheit zu vermeiden, dürfe nicht übersehen werden, daß die Einkünfte ihrer Qualität nach inhaltlich einer der vielen Bestimmungsgründe (Komponenten) seien, deren resultierende das Unterhaltsbemessungsergebnis sei. Die Frage könne aber immer nur die sein, welches Unterhaltsbemessungsergebnis vorliege. Die Herausnahme und Überbetonung einer Einzelkomponente über das Ergebnis, welches ihr im Kräfteverhältnis zugekommen sei, könne im Rahmen des UVG nicht zu einer Schmälerung von Unterhaltsansprüchen führen. Ausgehend vor allem von der - inhaltlich auch kurz dargestellten - Entscheidung 1 Ob 594/90 sei zu betonen, daß die Unterhaltsvorschüsse von monatlich 2.500 S und die Lehrlingsentschädigung von 3.400 S die Mindestpension nach § 293 Abs 1 lit a, bb ASVG nicht überstiegen. Es könne daher dahingestellt bleiben, inwieweit von der Lehrlingsentschädigung noch Berufsausbildungskosten abzuziehen seien. Letztlich sei auch anzuführen, daß die Lehrlingsentschädigung keneswegs so berücksichtigt werden könne, daß sie vom Unterhalt einfach abgezogen werde (EF 59.563), sie auch eine Berücksichtigung gegenüber dem betreuenden Elternteil und nicht nur gegenüber dem zur Geldalimentation Verpflichteten zu finden habe, die besondere Situation des Lehrlings, die vor allem auch dadurch gekennzeichnet sei, daß er, obwohl noch in Ausbildung stehend, doch teilweise im beruflichen Leben stehe, und in diesem Zusammenhang besondere Auslagen gegeben seien, weshalb auch sonst die "Ablieferung" des gesamten Eigenverdienstes zwecks Anrechnung auf den Unterhalt schwer zu fordern sei. All das könne nur im Rahmen eines Bemessungsvorganges berücksichtigt werden, der den Kognitionsbereich des § 7 Abs 1 Z 1 UVG übersteige. Solange nach dieser Gesetzesstelle keine Einwände zu erheben seien, sei der Titel maßgebend (EB RV 5 BeilNR 14.GP, 17).

Gegen diese Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Revisionsrekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien, mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Gewährung von Vorschüssen in der Zeit vom 1.3.1991 bis 31.8.1992 in der Höhe von bloß 1.000 S monatlich abzuändern.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat in den Entscheidungen 6 Ob 598/90 (31.5.1990), 7 Ob 519/91 (21.3.1991) und 7 Ob 568/91 (4.9.1991) die Ansicht vertreten, Unterhaltsvorschüsse seien zu versagen, wenn das Eigeneinkommen des Kindes den in § 6 Abs.1 UVG angeführten Richtsatz überschreitet. Diese Ansicht entspricht aber nicht mehr der herrschenden Judikatur des Obersten Gerichtshofes. Sie steht im Ergebnis mit den Entscheidungen 8 Ob 550/90 (29.3.1990), 8 Ob 504/91 (31.1.1991) und 1 Ob 521/91 (29.3.1991) im Widerspruch und wurde in der eingehend begründeten Entscheidung 4 Ob 549/91 (8.10.1991) ausdrücklich abgelehnt. In der zuletzt angeführten Entscheidung wurde ausgeführt, die starre Grenze des § 6 UVG lasse sich am ehesten als bloß fiskalische Auszahlungsgrenze erklären, mangels jeglicher Anhaltspunkte im Gesetz sei sie aber nicht als Unterhaltsgrenze zu verstehen. Eine Einstellung der Vorschüsse komme nicht schon dann in Betracht, wenn das Eigeneinkommen des Kindes den im § 6 Abs.1 UVG genannten Richtsatz überschreite, sondern erst dann, wenn das Eigeneinkommen des Kindes so hoch sei, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht nicht mehr bestehe. Die gleiche Ansicht wurde auch in den Entscheidungen 3 Ob 558/91 (23.10.1991) und 8 Ob 649/91 (16.1.1992) vertreten; auch der erkennende Senat schließt sich ihr an.

Entscheidend ist daher, ob Martina R***** gegenüber ihrem Vater noch einen Unterhaltsanspruch hat, und bejahendenfalls in welcher Höhe. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist die zur Unterhaltsbefreiung des nicht betreuenden Elternteiles führende Selbsterhaltungsfähigkeit eines Kindes bei einfachen Lebensverhältnissen unter Berücksichtigung des Umstandes, daß außer dem Geldunterhalt auch noch die Betreuung benötigt wird, erst bei einem Einkommen anzunehmen, das dem Richtsatz für die Gewährung von Ausgleichszulagen nach § 293 Abs 1 lit a/bb und lit b ASVG (ab 1.1.1991 6.000 S 14mal jährlich, daher im Monatsdurchschnitt 7.000 S) entspricht (ÖAV 1991,77 und 78; 2 Ob 534/91; 5 Ob 513/91; 8 Ob 649/91 ua).

Im vorliegenden Fall stehen der Minderjährigen zur Deckung ihrer Unterhaltsbedürfnisse 3.400 S zur Verfügung. Geht man von Unterhaltsbedürfnissen von 7.000 S aus, so verbleibt ein nicht durch Eigeneinkommen gedeckter Unterhaltsbedarf von 3.600 S (mehr als 51 % des Gesamtbedarfes), der durch Geldunterhalt und Betreuungsleistungen abzudecken ist. Da der geschuldete Betreuungsaufwand für einen 16-jährigen Minderjährigen mit erheblich geringerem Geldwert zu veranschlagen ist als der zur Deckung der anderen Bedürfnisse erforderliche Geldbetrag und ohne Verletzung der Rechte des Geldunterhaltspflichtigen von einem Verhältnis von 2 : 1 zu seinen Lasten ausgegangen werden kann (vgl 5 Ob 513/91 und 8 Ob 649/91), errechnet sich unter Anwendung der in der Entscheidung 6 Ob 624/90 dargelegten Grundsätze (Ermittlung der Quote des durch Eigeneinkommen nicht gedeckten Unterhaltes, Feststellung des nicht durch Naturalleistungen gedeckten Unterhaltsbedarfes und Multiplikation dieses Betrages mit der vorgenannten Quote) ein Geldunterhaltsanspruch von 2.399,60 S (7.000 S x 51,42 = 3.599,40 S (durch Geld- und Naturalunterhalt zu deckender Fehlbetrag) x 2/3 = 2.933,60 S). Der Revisionsrekurswerber hat zudem auch gar nicht geltend gemacht, daß die gesetzliche Unterhaltspflicht des Vaters der Minderjährigen nicht einmal im Umfang von monatlich 2.100 S noch bestünde. In der Zuerkennung eines Unterhaltsvorschusses in dieser Höhe durch die Vorinstanzen kann daher kein Rechtsirrtum erblickt werden.

Dem Revisionsrekurs konnte somit kein Erfolg beschieden sein.

Anmerkung

E28625

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0020OB00551.91.0205.000

Dokumentnummer

JJT_19920205_OGH0002_0020OB00551_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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