TE Vwgh Erkenntnis 2006/1/24 2003/08/0230

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Veröffentlicht am 24.01.2006
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Index

E2D Assoziierung Türkei;
E2D E05204000;
E3R E05204020;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art67 Abs3;
AlVG 1977 §14 Abs5 Z1 idF 1992/416;
AlVG 1977 §14 Abs5 Z2 idF 1992/416;
AlVG 1977 §35 Abs1;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §7 Abs1 Z2;
ARB3/80 Art3 Abs1;
AVG §66 Abs4;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der H in S, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Salzburg vom 30. September 2003, Zl. LGS SBG/2/1218/2003, betreffend Ablehnung des Antrages auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, stellte am 24. Juni 2003 bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Salzburg einen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld. Zu den Beschäftigungszeiten gab sie an, vom 1. Jänner 2001 bis 4. April 2003 bei einem Unternehmen in Deutschland beschäftigt gewesen zu sein. Innerhalb der Frist für die Rückgabe des Antrages legte die Beschwerdeführerin ein Formular E 301 vom 8. Juli 2003 - ausgestellt vom Arbeitsamt Göppingen in Deutschland - vor, in welchem bescheinigt wurde, dass sie im angegebenen Zeitraum als Mitarbeiterin in der Fertigung in einem deutschen Unternehmen tätig gewesen sei, das Arbeitsverhältnis selbst gekündigt und mangels Anspruchs auf Leistungen nach dem Recht des die Bescheinigung ausstellenden Trägers keinen Anspruch "auf Leistungen nach Art. 69 VO 1408/71" habe.

Im Zuge des Ermittlungsverfahrens wurde eine Niederschrift mit der Beschwerdeführerin aufgenommen, in welcher sie erklärte, bis einschließlich 4. April 2003 in Deutschland beschäftigt gewesen zu sein und anschließend zwei Tage Urlaub gehabt zu haben. Sie habe sich zwar bereits am 26. März 2003 in Salzburg polizeilich angemeldet, sei jedoch erst nach Beendigung ihres Dienstverhältnisses am 5. April 2003 in die Salzburger Wohnung eingezogen. Sie sei von ca. 1994 (bis zu ihrer Übersiedlung nach Österreich) in Deutschland wohnhaft gewesen. Ihr Ehemann habe seit 6. August 2001 die österreichische Staatsbürgerschaft. Er sei laut Meldebestätigung seit 30. Juni 1989 in Österreich polizeilich gemeldet. Vorher habe er in der Türkei gelebt. Sie sei seit 1. Dezember 2001 verheiratet. Seither habe sie ihren Ehemann nur am Wochenende in Österreich oder in Deutschland gesehen.

Ein aktenkundiger Auszug aus dem lokalen Melderegister bezüglich des Ehemannes der Beschwerdeführerin bestätigte ihre Angabe, dass dieser seit 30. Juni 1989 in Salzburg wohnhaft war.

Mit Bescheid vom 2. September 2003 wies das Arbeitsmarktservice Salzburg den Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Arbeitslosengeld vom 24. Juni 2003 gemäß § 7 Abs. 1 Z. 2 i.V.m. § 14 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG) "in geltender Fassung" mangels Erfüllung der Anwartschaft ab. In der Begründung führte die Behörde an, dass die Beschwerdeführerin vor Antragstellung nicht einen Tag in Österreich beschäftigt gewesen sei und daher die Zeiten in Deutschland nicht herangezogen werden könnten.

Gegen diesen Bescheid legte die Beschwerdeführerin fristgerecht Berufung ein, in welcher sie im Wesentlichen ausführte, das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und deren Familienangehörige für sich in Anspruch nehmen zu können. Vom Europäischen Gerichtshof sei in der Rechtssache Sürül ausgesprochen worden, dass diese Bestimmungen unmittelbar anwendbar seien. Art. 4 des zitierten Beschlusses bestimme dessen sachlichen Anwendungsbereich, wonach Leistungen bei Arbeitslosigkeit vom Diskriminierungsverbot umfasst seien. Es seien somit die Beschäftigungszeiten der Beschwerdeführerin in Deutschland bei der Prüfung der Frage, ob der Beschwerdeführerin Arbeitslosengeld zuzuerkennen sei, zu berücksichtigen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. In der Begründung zitierte die belangte Behörde als anzuwendende Rechtsvorschriften u.a. § 14 Abs. 5 AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 71/2003, wonach ausländische Beschäftigungs- oder Versicherungszeiten auf die Anwartschaft anzurechnen sind, soweit dies durch zwischenstaatliche Abkommen oder internationale Verträge geregelt ist. In der Folge stimmte die belangte Behörde der Ansicht der Beschwerdeführerin zu, dass diese als türkische Staatsangehörige die Anwendung der Bestimmungen über die soziale Sicherheit in der EG in Anspruch nehmen könne. So seien in ihrem Fall auch der Art. 67 der Verordnung Nr. 1408/71 über die Zusammenrechnung der Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten anzuwenden. Gemäß Art. 67 Abs. 3 leg. cit. gälten die Bestimmungen über die Zusammenrechnung von Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten, abgesehen von den für Grenzgänger speziell getroffenen Regelungen, nur unter der Voraussetzung, dass die betreffende Person unmittelbar zuvor im Fall des Abs. 1 Versicherungszeiten, im Fall des Abs. 2 Beschäftigungszeiten nach den Rechtsvorschriften zurückgelegt habe, nach denen die Leistungen beantragt würden. Wie jedoch aus der Abfrage beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger vom 22. September 2003 hervorgehe, lägen keinerlei Versicherungszeiten der Beschwerdeführerin in Österreich vor. Da sie das Erfordernis der Mindestbeschäftigungsdauer für die Berücksichtigung ihrer Versicherungszeiten in Deutschland nicht erfülle, sei ihr Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld vom 24. Juni 2003 zu Recht abgewiesen worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Durch den angefochtenen Bescheid erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht, dass ihrem Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld vom 24. Juni 2003 stattgegeben werde, verletzt. Der belangten Behörde sei bekannt gewesen, dass die Beschwerdeführerin in Deutschland gekündigt hatte, um zu ihrem Ehemann, einem österreichischen Staatsangehörigen, zu ziehen. Gemäß Art. 69 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 behalte ein vollarbeitsloser Arbeitnehmer, der die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates erfüllt und sich in einen oder mehrere andere Mitgliedstaaten begibt, um dort eine Beschäftigung zu suchen, den Anspruch auf diese Leistungen unter folgenden Voraussetzungen innerhalb der folgenden Grenzen:

"lit. a) Der Arbeitslose muß vor seiner Abreise während mindestens vier Wochen nach Beginn der Arbeitslosigkeit bei der Arbeitsverwaltung des zuständigen Staates als Arbeitsuchender gemeldet gewesen sein und dieser zur Verfügung gestanden haben. Die zuständige Arbeitsverwaltung oder der zuständige Träger kann jedoch seine Abreise vor Ablauf dieser Frist genehmigen; ..."

Da das Arbeitsmarktservice die Beschwerdeführerin nicht dahingehend informiert habe, dass sie eine derartige Genehmigung des Arbeitsamtes in Deutschland vorzuweisen habe, habe es die Beschwerdeführerin verabsäumt, eine derartige Genehmigung beizubringen. Der Wechsel der Beschwerdeführerin von einem Mitgliedstaat in einen anderen zum Zwecke der Aufnahme einer Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann wäre vom deutschen Arbeitsamt genehmigt worden, der Beschwerdeführerin hätte sodann Arbeitslosengeld zugesprochen werden müssen. Die Beschwerdeführerin hätte von der Behörde diesbezüglich angeleitet werden müssen.

Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerdeführerin nicht im Recht.

Die belangte Behörde hat zutreffend erkannt, dass sich die Beschwerdeführerin auf das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und deren Familienangehörige (im Folgenden: ARB Nr. 3/80) berufen kann (vgl. hiezu den hg. Beschluss vom 31. Mai 2000, Zl. 98/08/0359).

Artikel 2 ARB Nr. 3/80, der die Überschrift "Persönlicher Geltungsbereich" trägt, lautet:

"Dieser Beschluss gilt:

-

für Arbeitnehmer, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, und die türkische Staatsangehörige sind;

-

für die Familienangehörigen dieser Arbeitnehmer, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen;

-

für Hinterbliebene dieser Arbeitnehmer."

Artikel 3 Abs. 1 ARB Nr. 3/80, der die Überschrift "Gleichbehandlung" trägt und Artikel 3 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 entspricht, lautet:

"Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die dieser Beschluss gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit dieser Beschluss nichts anderes bestimmt."

Artikel 4 ARB Nr. 3/80, der die Überschrift "Sachlicher Geltungsbereich" trägt, bestimmt in Absatz 1:

"(1) Dieser Beschluss gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen:

...

g) Leistungen bei Arbeitslosigkeit;

..."

Der hier zu beurteilende Sachverhalt ist daher von dem persönlichen und sachlichen Geltungsbereich des ARB Nr. 3/80 erfasst, womit das Diskriminierungsverbot dessen Artikel 3 Abs. 1 zur Anwendung kommt.

Die Beschwerdeführerin hat jedoch im Verwaltungsverfahren nicht vorgebracht, bereits vor ihrer Abreise aus Deutschland während mindestens vier Wochen nach Beginn der Arbeitslosigkeit bei der Arbeitsverwaltung des zuständigen Staates als Arbeitsuchende gemeldet gewesen zu sein und dieser zur Verfügung gestanden zu sein. Sie hat im Verwaltungsverfahren - in dem sie sich auch nicht auf Art. 69, sondern ausschließlich auf Art. 67 der VO 1408/71 stützte - vielmehr vorgebracht, bis einschließlich 4. April 2003 in Deutschland beschäftigt gewesen und am 5. April 2003 in die Salzburger Ehewohnung eingezogen zu sein. Auf Grund dieser Angaben war die belangte Behörde nicht gehalten, weitere Ermittlungen darüber zu führen, ob die Beschwerdeführerin - entgegen ihrem eigenen Vorbringen - allenfalls die Voraussetzungen des Art. 69 VO 1408/71 erfüllte.

Dass die Beschwerdeführerin der Arbeitsverwaltung in Deutschland zur Verfügung gestanden wäre, wird auch im Beschwerdevorbringen nicht behauptet. Die Beschwerdeführerin stützt sich ausschließlich darauf, dass sie bei entsprechender Information seitens des österreichischen Arbeitsmarktservice eine Genehmigung der Arbeitsmarktverwaltung in Deutschland hätte beibringen können, dass sie vor Ablauf von vier Wochen nach Beginn ihrer Arbeitslosigkeit abreisen könne. Eine derartige Anleitung hätte die Behörde allerdings schon angesichts der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin ihren Antrag in Österreich erst nach Ablauf dieser vier Wochen - nämlich in der 12. Woche nach ihrer Abreise - stellte, nicht mehr erteilen können.

Schon im Hinblick auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren sowie den Zeitpunkt der Antragstellung vermag der Verwaltungsgerichtshof daher in der Unterlassung einer Belehrung der Beschwerdeführerin über die Möglichkeit einer Genehmigung der vorzeitigen Abreise im Sinne des Art. 69 Abs. 1 lit. a letzter Satz der VO 1408/71 keine Verletzung der Manuduktionspflicht durch die Behörde zu erkennen.

2. Auch auf Art. 67 Abs. 1 VO 1408/71 kann sich die Beschwerdeführerin nicht mit Erfolg berufen. Nach dieser Bestimmung berücksichtigt der zuständige Träger eines Mitgliedstaates, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Leistungsanspruches (wegen Arbeitslosigkeit) von der Zurücklegung von Versicherungs- bzw. Beschäftigungszeiten abhängig ist, soweit erforderlich die Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten, die als Arbeitnehmer nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates zurückgelegt wurden, als handle es sich um Versicherungs- bzw. Beschäftigungszeiten, die nach den eigenen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sind. Art. 67 Abs. 3 VO 1408/71 sieht vor, dass diese Zusammenrechnung (außer in den hier nicht vorliegenden Fällen des Art. 71 Abs. 1 lit. a Z. ii und lit. b Z. ii) nur unter der Voraussetzung zu erfolgen hat, dass die betreffende Person unmittelbar zuvor Versicherungs- bzw. Beschäftigungszeiten nach den Rechtsvorschriften zurückgelegt hat, nach denen die Leistungen beantragt werden.

Die letztgenannte Voraussetzung liegt im Beschwerdefall unstrittig nicht vor, da die Beschwerdeführerin in Österreich zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung noch keine Versicherungszeiten erworben bzw. Beschäftigungszeiten zurückgelegt hatte.

3. Die Beschwerde beruft sich unter dem Titel der inhaltlichen Rechtswidrigkeit auch allgemein auf das (gemeinschaftsrechtliche) Diskriminierungsverbot. Sie macht geltend, in Deutschland ihr Dienstverhältnis gekündigt zu haben, um in Salzburg mit ihrem Ehemann die Haushalts- und Lebensgemeinschaft aufzunehmen.

Die belangte Behörde stützte sich im angefochtenen Bescheid u. a. auf § 14 Abs. 5 AlVG i.d.F. BGBl. I Nr. 71/2003, wonach ausländische Beschäftigungs- oder Versicherungszeiten auf die Anwartschaft anzurechnen sind, soweit dies durch zwischenstaatliche Abkommen oder internationale Verträge geregelt ist. Wie bereits dargelegt, würde diese Bestimmung allein zu keiner Anrechnung der Versicherungszeiten der Beschwerdeführerin in Deutschland führen, da auch nach der VO 1408/71 eine Mindestbeschäftigungszeit bzw. der Erwerb von Versicherungszeiten im Inland unmittelbar vor der Antragstellung für den Leistungsanspruch erforderlich wäre.

Nach der ständigen, auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, Slg. Nr. 9315/A, gestützten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 23. Juni 1998, Zl. 97/08/0553, mit weiteren Nachweisen) ist der geltend gemachte Anspruch auf Arbeitslosengeld, sofern das Gesetz nichts Gegenteiliges bestimmt, zeitraumbezogen zu beurteilen. Daraus folgt aber, dass die in den jeweiligen - frühestens mit der Antragstellung beginnenden - Zeiträumen, für welche Arbeitslosengeld beantragt wurde, gegebene Sach- und Rechtslage maßgebend ist. Dies bedeutet im Beschwerdefall, dass die belangte Behörde bei Beurteilung der Erfüllung der Anwartschaft auf den Zeitpunkt der Antragstellung der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Arbeitslosengeld abzustellen hatte. Da die Beschwerdeführerin das am 24. Juni 2003 ausgegebene Formular im Sinne des § 46 AlVG innerhalb der (wenngleich verlängerten) Rückgabefrist bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice abgegeben hatte, ist für die anzuwendende Rechtslage der 24. Juni 2003 als Datum der Geltendmachung des Anspruchs entscheidend.

Die im Antragszeitpunkt somit maßgebende Bestimmung ist § 14 Abs. 5 AlVG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 416/1992; diese lautet:

"(5) Ausländische Beschäftigungs- oder Versicherungszeiten sind auf die Anwartschaft anzurechnen, soweit dies durch zwischenstaatliche Abkommen oder internationale Verträge geregelt ist. Bei dieser Berücksichtigung ausländischer Beschäftigungs- oder Versicherungszeiten ist die Zurücklegung einer Mindestbeschäftigungszeit im Inland vor der Geltendmachung des Arbeitslosengeldes nicht erforderlich, wenn der Arbeitslose

1. vor seiner letzten Beschäftigung im Ausland insgesamt mindestens 15 Jahre seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich gehabt hat oder

2. zwecks Familienzusammenführung nach Österreich übersiedelt ist und sein hier lebender Ehegatte insgesamt mindestens 15 Jahre seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat und

in beiden Fällen innerhalb von drei Monaten nach dem Ende der Beschäftigung oder der Versicherungspflicht im Ausland sich in Österreich arbeitslos meldet."

Mit Beschluss vom 29. Juni 1999, Zl. 97/08/0003, hat der Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften u.a. folgende Frage zu § 14 Abs. 5 zweiter Satz Z. 1 AlVG in der Fassung BGBl. Nr. 416/1992 mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt:

"Ist es unter dem Gesichtspunkt des Diskriminierungsverbotes des Art. 39 (vorm. 42) EGV iVm Art. 3 Abs. 1 VO (EWG) 1408/71 zulässig, wenn ein Mitgliedstaat für die Berücksichtigung von Versicherungszeiten, die in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegt wurden, in seiner Rechtsordnung zwar eine gegenüber der VO (EWG) 1408/71 günstigere Regelung vorsieht (hier: Verzicht auf das Erfordernis einer unmittelbar vorangehenden Versicherung iS des Art. 67 Abs. 3 VO (EWG) 1408/71), deren Anwendung jedoch - abgesehen vom Fall der Familienzusammenführung - von einem 15- jährigem Wohnsitz im Inland vor dem Erwerb der Versicherungszeiten in dem anderen Mitgliedstaat abhängig macht?"

Mit Urteil vom 5. Februar 2002, C-277/99 (Kaske), hat der Europäische Gerichtshof auf diese ihm vorgelegte Frage für Recht erkannt:

"3. Ein nationales Recht darf gegenüber dem Gemeinschaftsrecht günstigere Vorschriften vorsehen, sofern diese die Grundsätze des Gemeinschaftsrechts wahren. Artikel 48 EG-Vertrag (nunmehr Art. 39 EG) steht einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, wonach Arbeitnehmer, die sich vor ihrer letzten Beschäftigung im Ausland mindestens 15 Jahre in diesem Mitgliedstaat aufgehalten haben, hinsichtlich der Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld eine Sonderstellung haben."

In dem nach Zustellung dieses EuGH-Erkenntnisses fortgesetzten Verfahren hat der Verwaltungsgerichtshof wie folgt erwogen (Erkenntnis vom 5. Juni 2002, Zl. 2002/08/0078):

"Nach dem Urteil des EuGH vom 5. Februar 2002, C-277/99 (Kaske), steht Art. 48 EGV einer Regelung eines Mitgliedstaates entgegen, wonach Arbeitnehmer, die sich vor ihrer letzten Beschäftigung im Ausland mindestens 15 Jahre in diesem Mitgliedstaat aufgehalten haben, hinsichtlich der Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld eine Sonderstellung haben. Die Voraussetzung einer 15-jährigen Aufenthaltsdauer in § 14 Abs. 5 zweiter Satz Z. 1 AlVG ist deshalb gemeinschaftsrechtswidrig und daher unangewendet zu lassen ....

§ 14 Abs. 5 Z. 1 AlVG ist daher so zu lesen, dass es auf die Aufenthaltsdauer nicht ankommt. Als gegenüber der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 günstigere Voraussetzung für die Anrechnung deutscher Versicherungszeiten bleibt somit, dass die betreffende Person vor ihrer letzten Beschäftigung im Ausland ihren gewöhnlichen Wohnsitz oder Aufenthalt in Österreich gehabt hat. Damit besteht nach der - gemeinschaftsrechtskonform gelesenen - Regelung eine Erleichterung gegenüber der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 für jene Personen, die vor Inanspruchnahme der Freizügigkeit in Österreich einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatten, also in gewissem Sinne 'zurückgekehrt' sind."

Die Voraussetzung eines Wohnsitzes bzw. gewöhnlichen Aufenthaltes in Österreich vor ihrer letzten Beschäftigung wird von der Beschwerdeführerin unbestrittenermaßen nicht erfüllt. Jedoch beruft sich die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde auf den - auch im Verwaltungsverfahren bereits angesprochenen - Umstand, dass sie zwecks Familienzusammenführung mit ihrem hier lebenden Ehemann nach Österreich übersiedelt ist.

Von Familienzusammenführung wird im Allgemeinen nur dann gesprochen, wenn eine erstmalige oder eine - durch Umstände, welche die Eheleute nicht beeinflussen können - unfreiwillige Trennung der Familie beendet werden soll. Das erstmalige Zusammenziehen mit einem bis dahin in einem anderen Staat wohnenden ausländischen Partner z.B. im Zuge einer Eheschließung stellt zweifelsfrei eine Familienzusammenführung in diesem Zusammenhang dar (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2002, Zl. 2002/08/0077).

Es kann daher kein Zweifel vorliegen, dass die Beschwerdeführerin nach ihrem Vorbringen zwecks Familienzusammenführung nach Österreich übersiedelt ist, auch wenn das erstmalige Zusammenziehen im vorliegenden Fall nicht unmittelbar im Zuge der Eheschließung, sondern erst nach Aufgabe des Arbeitsplatzes im Ausland erfolgte, sodass grundsätzlich die Anwendung des § 14 Abs. 5 zweiter Satz Z. 2 AlVG in der Fassung BGBl. Nr. 416/1992 in Betracht zu ziehen ist.

Allerdings hatte der in Österreich lebende Ehemann der Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung auf Gewährung von Arbeitslosengeld noch nicht insgesamt mindestens 15 Jahre seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich gehabt, wie dies § 14 Abs. 5 zweiter Satz Z. 2 AlVG in der Fassung BGBl. Nr. 416/1992 vorsieht. Aktenkundig ist, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Antragstellung seit knapp 14 Jahren, nämlich seit 30. Juni 1989, seinen Hauptwohnsitz in der Stadt Salzburg hatte. Nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren hatte ihr Ehemann zuvor auch keinen Hauptwohnsitz in einer anderen Gemeinde in Österreich, sondern in der Türkei.

Ein auf § 14 Abs. 5 zweiter Satz Z. 2 AlVG in der Fassung BGBl. Nr. 416/1992 gestützter Anspruch der Beschwerdeführerin käme daher nur dann in Betracht, wenn die Voraussetzung einer fünfzehnjährigen Aufenthaltsdauer des Ehepartners nach § 14 Abs. 5 zweiter Satz Z. 2 AlVG in der Fassung BGBl. Nr. 416/1992 - in gleicher Weise wie die Voraussetzung der fünfzehnjährigen Aufenthaltsdauer des Arbeitslosen nach § 14 Abs. 5 zweiter Satz Z. 1 AlVG in der Fassung BGBl. Nr. 416/1992 - als mittelbare Diskriminierung anzusehen wäre und daher unangewendet zu bleiben hätte.

Dies ist jedoch nicht der Fall: Anders als die Vergünstigung nach § 14 Abs. 5 zweiter Satz Z. 1 AlVG in der Fassung BGBl. Nr. 416/1992 kommt jene nach Z. 2 dieser Bestimmung nicht hauptsächlich den beständig im Inland erwerbstätigen österreichischen Staatsangehörigen zugute, sondern begünstigt unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit jene Arbeitslosen, die aus Gründen der Familienzusammenführung ihren Wohnsitz verlegen. Dass diese Begünstigung nur dann eintritt, wenn der Ehepartner bereits längere Zeit hindurch seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat, führt nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung von Arbeitslosen anderer Staatsangehörigkeit, da nicht davon auszugehen ist, dass überwiegend Arbeitslose österreichischer Staatsangehörigkeit in den Genuss dieser aus Gründen der Förderung der Familienzusammenführung geschaffenen Regelung kommen. Vielmehr werden dadurch in der Regel ausländische Staatsangehörige begünstigt, die abweichend von den sonst anwendbaren Rechtsvorschriften - insbesondere des Art. 67 Abs. 3 VO 1408/71 - nach § 14 Abs. 5 Z. 2 AlVG in der (mittlerweile nicht mehr in Geltung stehenden) Fassung BGBl. Nr. 416/1992 im Fall der Familienzusammenführung Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung in Österreich auch dann geltend machen können, wenn sie im Inland keine Beschäftigungs- bzw. Versicherungszeiten zurückgelegt haben. Diese Bestimmung zielt darauf ab, die Familienzusammenführung in Österreich in jenen Fällen zu fördern, in denen auf Grund des langjährigen Aufenthaltes eines Ehepartners von einer besonderen Nahebeziehung zu Österreich ausgegangen werden kann, und sie geht damit in Verfolgung eines sozialpolitischen Zieles über das gemeinschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgebot hinaus.

Anders als die Bestimmung des nach § 14 Abs. 5 zweiter Satz Z. 1 AlVG in der Fassung BGBl. Nr. 416/1992 benachteiligt diese Regelung damit nicht diejenigen österreichischen Staatsangehörigen und die Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 24. Jänner 2006

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2003080230.X00

Im RIS seit

03.03.2006

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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