TE Vwgh Erkenntnis 2002/2/20 2002/08/0077

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.02.2002
beobachten
merken

Index

E1E;
E3R E05204020;
E6J;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
19/05 Menschenrechte;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;
69/03 Soziale Sicherheit;

Norm

11957E048 EWGV Art48;
11957E051 EWGV Art51;
31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art67;
31971R1408 WanderarbeitnehmerV;
61989CJ0227 Rönfeldt VORAB;
61993CJ0475 Thevenon VORAB;
61999CJ0277 Kaske VORAB;
AlVG 1977 §14 Abs5 idF 1992/416;
AlVG 1977 §14 Abs5 Z2 idF 1992/416;
ArbeitslosenVersAbk BRD 1979;
B-VG Art7 Abs1;
MRK Art8 Abs1;
VwRallg;

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren:* Vorabentscheidungsantrag:97/08/0003 B 29. Juni 1999 * EuGH-Entscheidung: EuGH 61999CJ0277 5. Februar 2002

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der D in W, vertreten durch Dr. Franz-Christian Sladek und Dr. Michael Meyenburg, Rechtsanwälte in 1070 Wien, Neustiftgasse 3, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 28. November 1996, Zl. 12/1218/1996, betreffend Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß § 14 Abs. 5 AlVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I. Am 12. Juni 1996 stellte die Beschwerdeführerin bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice einen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld. Nach der Aktenlage war die Beschwerdeführerin zuletzt vom 15. Februar 1996 bis 31. Mai 1996 in Frankfurt am Main und davor von 1983 bis 1995 an der Universitätsklinik Marburg beschäftigt gewesen. Von 1971 bis 1983 sei sie - so ihre Angaben im Antragsformular - in Österreich als Dienstnehmerin versichert gewesen.

Mit Bescheid vom 28. August 1996 hat die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice den Antrag der Beschwerdeführerin abgewiesen. Nach Hinweis auf die von ihr angewendeten Gesetzesbestimmungen und Art. 67 Abs. 1 der EG-Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 begründet die Behörde erster Instanz ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführerin unmittelbar vor der Geltendmachung ihres Anspruches keine österreichischen Versicherungszeiten zurückgelegt habe. Eine Zusammenrechnung ihrer ausländischen Versicherungs- bzw. Beschäftigungszeiten könne auf Grund der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 nicht erfolgen. Da keine Anrechnung der ausländischen Versicherungszeiten möglich sei, fehlten der Beschwerdeführerin somit 364 Tage arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigungszeiten.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Darin brachte sie - in Wiederholung ihres Vorbringens in erster Instanz - vor, dass sie von 1983 bis 1995 sowie vom 15. Februar 1996 bis 31. Mai 1996 in Deutschland beschäftigt gewesen sei. Im Juni 1996 sei sie nach Österreich übersiedelt. Unter Hinweis auf § 14 Abs. 5 AlVG räumt die Beschwerdeführerin ein, dass sie die Voraussetzungen des § 14 Abs. 5 zweiter Satz Z. 1 AlVG nicht erfülle, doch stütze sie ihr Begehren auf den zweiten Ausnahmetatbestand der Z. 2, dessen Erfüllung von der Behörde ohne Durchführung weiterer zweckdienlicher Erhebungen und ohne jegliche nähere Begründung verneint worden sei. Es sei daher nicht nachvollziehbar, ob der Ablehnungsgrund im gemeinsamen und nicht im zeitlich verschobenen Übersiedeln liege oder ob nach Meinung der Arbeitsmarktverwaltung vorher ein getrennter Haushalt vorliegen müsse, um die Regelung des § 14 Abs. 5 zweiter Satz Z. 2 AlVG anwenden zu können. Zur rechtlichen Beurteilung sei jedenfalls anzumerken, dass der Begriff der Familienzusammenführung nach § 14 Abs. 5 AlVG nicht "formal im rein grammatikalischen Sinn" verstanden werden dürfe. Ziel der Regelung sei es sicher auch, die Trennung von Familien zu verhindern. Eine solche Interpretation gebiete das aus Art. 7 B-VG abgeleitete Sachlichkeitsgebot. Es sei arbeitslosenversicherungsrechtlich irrelevant, wann die Verlegung des Wohnsitzes nach Österreich oder die Ummeldung nach den Meldevorschriften erfolge. Wichtig sei nach § 14 Abs. 5 AlVG vielmehr, dass der Ehegatte in Österreich lebe, die im Gesetz geforderten Voraussetzungen erfülle und die Meldung beim AMS innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erfolgt sei.

In einer mit der Beschwerdeführerin aufgenommenen Niederschrift vom 5. November 1996 gab diese an, deutsche Staatsbürgerin zu sein und durch ihre Heirat im Jahr 1968 auch die österreichische Staatsbürgerschaft zu besitzen. Sie habe von 1970 bis 1980 in Wien gearbeitet. Von 1983 bis 1996 sei sie (gemeint offenbar: mit ihrem Ehegatten) in Deutschland gewesen. Nach ihrer Rückkehr nach Österreich habe sie hier nicht mehr gearbeitet.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin als unbegründet ab: Da die Beschwerdeführerin weder 15 Jahre hindurch ihren Wohnsitz in Österreich gehabt habe, noch zwecks Familienzusammenführung nach Österreich übersiedelt sei, sei die Zurücklegung einer Mindestbeschäftigungszeit (gemeint offenbar:

für die Anwendung des Art. 67 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71) erforderlich. In Österreich hätte vor Geltendmachung des Anspruches keine Arbeitslosenversicherungspflicht in Beschäftigungszeiten (gemeint: im Rahmenzeitraum) nachgewiesen werden können, weshalb die ausländischen Beschäftigungszeiten nicht auf die Anwartschaft angerechnet werden könnten. Es fehlten daher noch 364 Tage arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigungzeiten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Mit Beschluss vom 19. Februar 1999 hat der Senat die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gem. § 41 Abs. 1 zweiter Satz VwGG zur Äußerung zu folgender, bisher von keiner Seite erörterten Rechtsfrage aufgefordert:

"1. Zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland wurde ein Abkommen über Arbeitslosenversicherung geschlossen, welches - als gesetzesändernd und -ergänzend - vom Nationalrat gem. Art. 50 Abs. 1 B-VG genehmigt und in BGBl. Nr. 392/1979 kundgemacht wurde und am 1. Oktober 1979 in Kraft getreten ist. Der sachliche Geltungsbereich dieses Abkommens umfasst auch die Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung (Art. 2 Abs. 1 lit. a und b) und enthält in Art. 6 und 7 folgende Regelungen:

'Artikel 6

Allgemeiner Grundsatz

Der Anspruch auf die in Artikel 2 Absatz  1 angeführten Leistungen und das Verfahren richten sich nach den Rechtsvorschriften des Vertragsstaates, in dessen Gebiet der Anspruch geltend gemacht wird, soweit die folgenden Bestimmungen nicht anderes festlegen.

Artikel 7

Berücksichtigung von Zeiten einer beitragspflichtigen Beschäftigung, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates zurückgelegt worden sind

(1) Zeiten einer beitragspflichtigen Beschäftigung, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates zurückgelegt worden sind, werden bei der Beurteilung, ob die Anwartschaftszeit erfüllt ist, und bei der Festsetzung der Bezugsdauer (Anspruchsdauer) berücksichtigt, sofern der Antragsteller die Staatsangehörigkeit des Vertragsstaates besitzt, in dem der Anspruch geltend gemacht wird, und sich im Gebiet dieses Vertragsstaates gewöhnlich aufhält. Das gleiche gilt, wenn der Antragsteller zwecks Familienzusammenführung in den Vertragsstaat, in dem der Anspruch geltend gemacht wird, übersiedelt ist und sein bereits dort lebender Ehegatte die Staatsangehörigkeit dieses Vertragsstaates besitzt.

(2) Bei anderen Arbeitslosen werden Zeiten einer beitragspflichtigen Beschäftigung, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates zurückgelegt worden sind, nur dann berücksichtigt, wenn der Arbeitslose nach seiner letzten Einreise in das Gebiet des Vertragsstaates, in dem er den Anspruch geltend macht, dort mindestens vier Wochen ohne Verletzung der Vorschriften über die Beschäftigung von Ausländern als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen ist.'

2. Wäre das Übereinkommen auf den Beschwerdefall anzuwenden, so wären die deutschen Beschäftigungszeiten der Beschwerdeführerin nach dessen Art. 7 Abs. 1 erster Fall ohne weiteres für die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld heranzuziehen, sofern es zutrifft, dass die Beschwerdeführerin österreichische Staatsangehörige ist, wie sie zwar behauptet, die belangte Behörde allerdings nicht geprüft hat.

3. Nun ist zwar mit dem Beitritt Österreichs zum EWR am 1. Jänner 1994 die VO (EWG) 1408/71 in Kraft getreten, deren Art. 6 lit. a vorsieht, dass die Bestimmungen dieser Verordnung - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - im Rahmen ihres persönlichen und sachlichen Geltungsbereiches an die Stelle von Abkommen über die soziale Sicherheit treten, die ausschließlich zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten in Kraft sind.

3.1. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat zum Verhältnis der VO (EWG) 1408/71 zu bi- oder multilateralen Abkommen über soziale Sicherheit, die zwischen den Mitgliedstaaten bestehen und für den Versicherten günstigere Regelungen enthalten als die VO (EWG) 1408/71, wiederholt Stellung genommen und in diesem Zusammenhang ausgesprochen, dass Art. 48 Abs. 2 und Art. 51 EGV es nicht zuließen, dass Arbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, Vergünstigungen der sozialen Sicherheit verlieren, weil in das nationale Recht eingeführte Abkommen zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten auf Grund des Inkrafttretens der VO (EWG) 1408/71 unanwendbar geworden sind. Der Grundsatz, dass die VO (EWG) 1408/71 an die Stelle der Abkommen über die soziale Sicherheit tritt, sei zwar zwingend, dürfe aber nicht zur Folge haben, dass der Zweck der Art. 48 bis 51 EWG-Vertrag verfehlt werde; das wäre aber dann der Fall, wenn die Arbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, Vergünstigungen der sozialen Sicherheit verlören, die ihnen früher das nationale Recht als solches oder in Verbindung mit Sozialversicherungsabkommen zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten sicherte (Urteil v. 7. Februar 1991, C-227/89 (Roenfeldt), Slg. 1991, I-323).

Der EuGH hat damit den Grundsatz, dass Wanderarbeitnehmer nicht dadurch, dass sie von dem ihnen vom EG-Vertrag verliehene Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, Vergünstigungen der sozialen Sicherheit, die ihnen nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates zustehen, verlieren dürfen ('Petroni - Prinzip' vgl. die Urteile v. 24. Oktober 1975, Rs 24/75 (Petroni), Slg. 1975,1149, Rnr. 13 und - aus jüngerer Zeit - vom 9. August 1994, C-406/93 (Reichling), Slg. 1994, I-4061 ua) auf das Verhältnis der VO (EWG) 1408/71 zu zwischenstaatlichen Verträgen übertragen; er hat aber auch die Grundsätze der 'Roenfeldt-Rechtsprechung' in der Folge präzisiert und weiterentwickelt (vgl. die Urteile vom 9. Oktober 1997, verbundene Rechtssachen C-31/96, C-32/96 und C-33/96 (Arjona, Mateos und Lazaro); Slg. 1997, I-5501; vom 7. Mai 1998, C-113/96 (Rodriguez gg LVA Rheinprovinz), Slg. 1998, I-2461, und vom 17. Dezember 1998, C-153/97 (Rodriguez gg. INSS und TGSS)). Im zuletzt genannten Urteil ging es u.a. um die Frage, ob der zuständige Träger bei Berechnung einer Pensionsleistung nach Art. 46ff VO (EWG) 1408/71 vorzugehen oder die für den Betroffenen günstigeren Regelungen des zwischen Deutschland und Spanien geschlossenen Sozialversicherungsübereinkommens vom 4. Dezember 1973 (in Kraft getreten am 1. November 1977) anzuwenden hätte. Der EuGH hat letzteres für den Fall, dass diese Regelungen günstiger wären als jene der VO (EWG) 1408/71, unter Hinweis auf die "Roenfeldt-Rechtsprechung" mit der Begründung bejaht, dass der Betroffene seine Arbeitnehmertätigkeit in Deutschland schon vor dem Inkrafttreten der VO (EWG) 1408/71 ausgeübt hätte und ihm daher durch das Inkrafttreten der Verordnung nicht Rechte und Vergünstigungen genommen werden dürften, die ihm nach dem Übereinkommen zustehen (Rz 28f).

3.2. Andererseits hat der EuGH in einem Fall, in welchem der Betroffene erstmals nach dem Inkraftteten der VO (EWG) 1408/71 Versicherungszeiten in einem anderen Mitgliedstaat erworben hat, die uneingeschränkte Geltung der Verordnung mit der Begründung bejaht, dass in einem so gelagerten Fall nicht behauptet werden könne, dass der Betroffene Vergünstigungen aus der sozialen Sicherheit verloren habe (Urteil vom 9. November 1995, C-475/93 (Thevenon) = ARD 4716/16/96).

3.3. Nach der 'Roenfeldt'- und der 'Thevenon'-Rechtsprechung kommt es daher darauf an, ob von der Freizügigkeit vor oder nach dem Inkrafttreten der VO (EWG) 1408/71 Gebrauch gemacht wurde und ob - im erstgenannten Fall - damit auf Grund zwischenstaatlicher Abkommen über soziale Sicherheit soziale Vergünstigungen erworben wurden, die über die Rechte hinausgehen, die seit ihrem Inkrafttreten die VO (EWG) 1408/71gewährt. Dabei schadet es nichts - wie der spanische Fall 'Rodriguez gg INSS und TGSS' zeigt - wenn die eine solche Vergünstigung verleihenden Versicherungszeiten im anderen Mitgliedsstaat schon vor dem Beitritt des 'Heimatstaates' zur Europäischen Gemeinschaft (und damit vor dem Gelten des Regimes des Art. 51 EGV in beiden betroffenen Staaten) erworben worden sind.

4. Ein der 'Roenfeldt'-Judikatur entsprechender Fall scheint hier vorzuliegen: die Beschwerdeführerin hat - wie sie vorgebracht hat, jedoch auf Grund der Rechtsauffassung der belangten Behörde ungeprüft geblieben ist - schon von 1973 bis 1982 in Österreich Versicherungszeiten erworben und hat - anders als der Betroffene im Falle 'Thevenon' - noch vor dem Inkrafttreten der VO (EWG) 1408/71 in Österreich am 1.1.1994 von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht. Sie hätte daher als österrreichische Staatsangehörige auf Grund des zwischen Österreich und Deutschland bestehenden Abkommens über die Arbeitslosenversicherung, BGBl. Nr. 392/1979, Anwartschaften auf Arbeitslosengeld iS des Art. 7 Abs. 1 erster Fall erworben, welche sie - würde man die VO (EWG) 1408/71 auf sie anwenden - auf Grund des Art. 67 dieser Verordnung verlieren würde. Dies wäre aber gerade nach der Rönfeldt-Judikatur des EuGH im Lichte der Art. 48-51 EGV nicht zulässig.

5. Die Beschwerdeführerin dürfte daher - wie der erkennende Senat vorläufig annimmt - ihren Anspruch auch auf das genannte, nach wie vor in Geltung stehende Abkommen stützen können.

Der Anwendung des Art. 7 Abs. 1 des Abkommens steht auch § 14 Abs. 5 AlVG nicht entgegen, weil die in dieser Bestimmung normierten - auf die Beschwerdeführerin nicht zutreffenden - Voraussetzungen lediglich in jenen Fällen von Bedeutung sind, in denen ansonsten in zwischenstaatlichen Abkommen oder internationalen Verträgen eine Mindestversicherungs- oder Beschäftigungsdauer für die Anrechnung ausländischer Versicherungszeiten vorgesehen ist (wie dies für Art. 67 der VO (EWG) 1408/71, aber auch für Art. 7 Abs. 2 des österreichischdeutschen Arbeitslosenversicherungsübereinkommens gilt).

6. Der Senat hält vorerst die gemeinschaftsrechtliche Rechtslage durch die erwähnte Rechtsprechung des EuGH für geklärt, sodass er eine Vorlage gemäß Art. 177 EGV derzeit nicht in Erwägung zieht."

Die belangte Behörde hat in ihrer Stellungnahme dazu die Auffassung vertreten, dass das Abkommen zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über die Arbeitslosenversicherung, BGBl. Nr. 392/1979, mit Ausnahme der in Anhang III zur VO (EWG) Nr. 1408/71 aufgeführten Teile "außer Kraft getreten" sei, darunter auch Art. 7 und Art. 9 des Abkommens. Die Anwartschaftszeiten der Beschwerdeführerin lägen in einem Rahmenzeitraum nach "Außerkrafttreten" des Abkommens, nämlich im Zeitraum ab 12. Juni 1994 (Antragstellung am 12. Juni 1996). Die vom Verwaltungsgerichtshof dargestellte "Roenfeldt"-Rechtsprechung sei daher auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden, wohl hingegen das "Thevenon"-Urteil. Auch wenn man die Anwartschaft als erfüllt ansähe, sei zu beachten, dass die Beschwerdeführerin nach Beendigung ihres Dienstverhältnisses in Deutschland vom 1. Mai 1995 bis 14. Februar 1996 durch 290 Tage Arbeitslosengeld bezogen habe. Ihr österreichischer Anspruch habe 273 Tage betragen; gem. Art. 9 des Abkommens seien jedoch ausländische Bezugszeiten nur innerhalb der letzten 12 Monate vor Antragstellung als bezugsdauermindernd heranzuziehen, jedoch gelange diese Bestimmung, da auch sie außer Kraft getreten sei, nicht zur Anwendung.

Die Beschwerdeführerin erstattete zu der Anfrage des Verwaltungsgerichtshofes inhaltlich keine Äußerung, legte jedoch ihren österreichischen Staatsbürgerschaftsnachweis vor und erklärte, ihren Anspruch nunmehr ausdrücklich auch auf das mehrfach genannte Abkommen zu stützen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sodann im Hinblick auf ein einschlägiges, mittlerweile anhängig gewordenes Vorlageverfahren des Bundessozialgerichtes (vgl. das auf diese Vorlage bereits ergangene Urteil des EuGH vom 9. November 2000, C-75/99- "Thelen") mit Beschluss vom 29. Juni 1999 dem Gerichtshof der europäischen Gemeinschaften (Europäischer Gerichtshof - EuGH) gem. Art. 234 EGV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Ist die sog. 'Roenfeldt-Rechtsprechung' des Europäischen Gerichtshofes auch auf einen Fall anzuwenden, in dem eine Wanderarbeitnehmerin von der 'Freizügigkeit' (genauer: in deren Vorwegnahme) zwar noch vor Inkrafttreten der VO (EWG) 1408/71, aber auch vor dem Wirksamwerden des EGV in ihrem Heimatstaat, also zu einem Zeitpunkt Gebrauch gemacht hat, zu dem sie sich im Beschäftigungsstaat noch nicht auf Art. 39ff (vorm. 48ff) EGV berufen konnte?

2. Für den Fall der Bejahung der ersten Frage :

Bedeutet die Anwendung der Roenfeldt-Rechtsprechung auf den Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit, dass sich eine Wanderarbeitnehmerin auf eine gegenüber der VO (EWG) 1408/71 günstigere Rechtslage, welche sich aus einem bilateralen Abkommen zwischen zwei Mitgliedstaaten der Europäischen Union (hier aus dem österreichisch-deutschen Abkommen über Arbeitslosenversicherung) ergibt, jeweils für die weitere Dauer der Inanspruchnahme der Freizügigkeit iS der Art. 39ff (vorm. 48ff) EGV, insbesondere daher auch noch bei Ansprüchen, die nach der Rückkehr vom Beschäftigungsstaat im Heimatstaat geltend gemacht werden, berufen kann?

3. Für den Fall der Bejahung der zweiten Frage: Müssen solche Ansprüche nur insoweit nach dem - günstigeren - Abkommen beurteilt werden, als sie sich auf Versicherungszeiten der Arbeitslosenversicherungspflicht gründen, die bis zum Inkrafttreten der VO (EWG) 1408/71 (hier also: bis zum 1.1.1994) im Beschäftigungsstaat erworben wurden?

4. Für den Fall der Verneinung einer der beiden ersten Fragen bzw. der Bejahung der dritten Frage:

Ist es unter dem Gesichtspunkt des Diskriminierungsverbotes des Art. 39 (vorm. 42) EGV iVm Art. 3 Abs. 1 VO (EWG) 1408/71 zulässig, wenn ein Mitgliedstaat für die Berücksichtigung von Versicherungszeiten, die in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegt wurden, in seiner Rechtsordnung zwar eine gegenüber der VO (EWG) 1408/71 günstigere Regelung vorsieht (hier: Verzicht auf das Erfordernis einer unmittelbar vorangehenden Versicherung iS des Art. 67 Abs. 3 VO (EWG) 1408/71), deren Anwendung jedoch - abgesehen vom Fall der Familienzusammenführung - von einem 15- jährigem Wohnsitz im Inland vor dem Erwerb der Versicherungszeiten in dem anderen Mitgliedstaat abhängig macht?"

Mit Urteil vom 5. Feburar 2002, C-277/99, hat der Gerichtshof der europäischen Gemeinschaften (Sechste Kammer) auf die ihm vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 29. Juni 1999 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

"1. Die vom Gerichtshof im Urteil vom 7. Februar 1991 in der Rechtssache C-227/89 (Rönfeldt) aufgestellten Grundsätze, wonach die Vorschriften der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, unangewendet bleiben können und auf den einem Mitgliedstaat angehörenden Arbeitnehmer weiterhin ein bilaterales Abkommen angewandt werden kann, an dessen Stelle diese Verordnung eigentlich getreten ist, gelten auch dann, wenn der betreffende Arbeitnehmer von der Freizügigkeit noch vor Inkrafttreten dieser Verordnung und vor dem Wirksamwerden des Vertrages in seinem Heimatmitgliedstaat Gebrauch gemacht hat.

2. Die Situation des einem Mitgliedstaat angehörenden Arbeitnehmers ist, sofern die Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten, auf Grund deren er Anspruch auf das von ihm begehrte Arbeitslosengeld hat, vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 begonnen haben, für die gesamte Zeit, in der er von der Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, nach den Bestimmungen des bilateralen Abkommens zu beurteilen, wobei sämtliche von ihm zurückgelegten Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen sind, ohne dass danach unterschieden wird, ob diese Zeiten vor oder nach dem Inkrafttreten des Vertrages und der Verordnung Nr. 1408/71 im Heimatmitgliedstaat des Arbeitnehmers liegen. Macht der Betreffende dagegen nach Erschöpfung aller seiner Rechte aus dem Abkommen erneut von der Freizügigkeit Gebrauch und legt neue Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten zurück, die ausschließlich nach dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 liegen, so bestimmt sich seine neue Situation nach dieser Verordnung.

3. Ein nationales Recht darf gegenüber dem Gemeinschaftsrecht günstigere Vorschriften vorsehen, sofern diese die Grundsätze des Gemeinschaftsrechts wahren. Artikel 48 EG-Vertrag steht einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, wonach Arbeitnehmer, die sich vor ihrer letzten Beschäftigung im Ausland mindestens 15 Jahre in diesem Mitgliedstaat aufgehalten haben, hinsichtlich der Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld eine Sonderstellung haben."

II. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerdeführerin beruft sich in ihrer Beschwerde zu Recht nicht auf Art. 67 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71:

In dieser Bestimmung ist angeordnet, dass der zuständige Träger eines Mitgliedstaates, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Leistungsanspruches (wegen Arbeitslosigkeit) von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig ist, soweit erforderlich die Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten, die als Arbeitnehmer nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates zurückgelegt wurden, berücksichtigt, als handle es sich um Versicherungszeiten, die nach den eigenen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sind. Art. 67 Abs. 3 erster Gedankenstrich dieser Verordnung sieht vor, dass diese Zusammenrechnung (außer in einem hier nicht vorliegenden Fall eines Grenzgängers) nur unter der Voraussetzung zu erfolgen hat, dass die betreffende Person unmittelbar zuvor Versicherungszeiten nach den Rechtsvorschriften zurückgelegt hat, nach denen die Leistungen beantragt werden.

Die letztgenannte Voraussetzung liegt im Beschwerdefall unstrittigerweise nicht vor, da die letzten Versicherungszeiten der Beschwerdeführerin in Österreich viele Jahre zurückliegen.

2. Die im Beschwerdefall ferner maßgebenden Bestimmungen des § 14 AlVG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 416/1992 lauten auszugsweise:

"Anwartschaft

§ 14. (1) Bei der erstmaligen Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes ist die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 52 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war. Handelt es sich jedoch um einen Arbeitslosen, der das Arbeitslosengeld vor Vollendung des 25. Lebensjahres beantragt, ist die Anwartschaft erfüllt, wenn 1. der Arbeitslose in den letzten zwölf Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 26 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war, wobei höchstens 16 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtige Zeiten nach § 35 Abs. 2 des Arbeitsmarktservicegesetzes, BGBl. Nr. 313/1994, herangezogen werden dürfen, und 2. ihm das Arbeitsmarktservice auch unter weitestmöglichem Einsatz von Förderungsmaßnahmen keine zumutbare Beschäftigung vermitteln kann, wobei diesbezüglich der Regionalbeirat anzuhören ist.

...

(5) Ausländische Beschäftigungs- oder Versicherungszeiten sind auf die Anwartschaft anzurechnen, soweit dies durch zwischenstaatliche Abkommen oder internationale Verträge geregelt ist. Bei dieser Berücksichtigung ausländischer Beschäftigungs- und Versicherungszeiten ist die Zurücklegung einer Mindestbeschäftigungszeit im Inland vor der Geltendmachung des Arbeitslosengeldes nicht erforderlich, wenn der Arbeitslose

1. vor seiner letzten Beschäftigung im Ausland insgesamt 15 Jahre seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich gehabt hat oder

2. zwecks Familienzusammenführung nach Österreich übersiedelt ist und sein hier lebender Ehegatte insgesamt mindestens 15 Jahre seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat

und in beiden Fällen innerhalb von drei Monaten nach dem Ende der Beschäftigung oder der Versicherungspflicht im Ausland sich in Österreich arbeitslos meldet.

..."

Die Beschwerdeführerin argumentiert in ihrer Beschwerde - wie auch schon im Verwaltungsverfahren - , dass sie im hier maßgebenden Rahmenzeitraum gemeinsam mit ihrem Ehegatten in Deutschland gewesen sei, dieser mit 1. Juni 1996 nach Österreich versetzt worden und die Beschwerdeführerin dadurch gezwungen worden sei, ihr Dienstverhältnis in der Bundesrepublik Deutschland zu lösen, "um eine Familientrennung hintanzuhalten und dem Grundsatz der Familienzusammenführung zu entsprechen". Daraus leitet die Beschwerdeführerin (unter anderem auch gestützt auf Art. 8 Abs. 1 MRK) ab, dass der hier vorliegende Fall dem § 14 Abs. 5 Z. 2 AlVG gleichzuhalten wäre.

Dieser Auffassung vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht beizupflichten:

Die Anrechnung ausländischer Beschäftigungszeiten nach § 14 Abs. 5 AlVG ist - anders als nach Art. 67 VO (EWG) Nr. 1408/1971 - von der Zurücklegung von Versicherungszeiten im Inland unmittelbar vor der Antragstellung nicht abhängig. Damit ist aber für die Beschwerdeführerin nichts gewonnen: § 14 Abs. 5 Z. 1 und 2 AlVG normieren statt dessen zwei voneinander zu unterscheidende

Voraussetzungen: Der erstgenannte Fall betrifft den im Ausland beschäftigt gewesenen Arbeitslosen, der nach Beendigung seiner

Beschäftigung wieder nach Österreich zurückkehrt: Ihm werden Versicherungszeiten (im Rahmen zwischenstaatlicher Abkommen oder internationaler Verträge, d.h. jedenfalls Versicherungszeiten aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union) dann ohne Mindestversicherungsdauer im Inland unmittelbar auf die Anwartschaft angerechnet, wenn er vor seiner letzten Beschäftigung im Ausland insgesamt mindestens 15 Jahre seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich gehabt hat.

Der zweite Fall betrifft Arbeitslose, die "zwecks Familienzusammenführung" nach Österreich übersiedelt sind und der hier lebende Ehegatte die Voraussetzung eines mindestens 15- jährigen Aufenthaltes in Österreich erfüllt. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist der Begriff "Familienzusammenführung" in erster Linie nach seiner Wortbedeutung auszulegen: Danach setzt eine Familienzusammenführung voraus, dass (1.) eine Familie vorliegt und diese (2.) getrennt ist. Der Begriff der Familienzusammenführung - in dem vom Gesetz selbst eingeschränkten Sinne in Beziehung ausschließlich zum anderen Ehegatten - umfasst jedoch nicht jede "Wiedervereinigung" von Ehepartnern nach einer vorübergehenden Trennung; von Familienzusammenführung wird im Allgemeinen nur dann gesprochen, wenn eine erstmalige oder wenn eine - durch Umstände, welche die Eheleute nicht beeinflussen können - unfreiwillige Trennung der Familie beendet werden soll. Das erstmalige Zusammenziehen mit einem bis dahin in seinem Heimatland wohnenden ausländischen Partner zB im Zuge einer Eheschließung stellt zweifelsfrei eine Familienzusammenführung in diesem Zusammenhang dar; ein solcher Sachverhalt liegt aber hier nicht vor.

Auch eine unfreiwillige Trennung, nach deren Beendigung man von einer Familienzusammenführung sprechen könnte, liegt nach Auffassung des erkennenden Senates jedenfalls dann nicht vor, wenn sie durch die Lebensplanung der Ehepartner bedingt ist. Dies ist hier der Fall, da die Trennung ausschließlich dadurch bedingt wäre, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin aus beruflichen Gründen von Deutschland nach Österreich übersiedelte. Weder eine zeitverschobene noch eine zeitgleiche Übersiedlung der Eheleute nach Österreich könnte daher - wie die belangte Behörde im Ergebnis mit Recht erkannt hat - unter den Tatbestand der Familienzusammenführung subsumiert werden.

Die entsprechend ihrem Wortlaut verstandene Regelung verstößt aber auch nicht gegen den Gleichheitssatz und ebensowenig gegen Art. 8 Abs. 1 MRK: Sie ist nämlich eine Ausnahmeregelung, die erkennbar auf den Fall zugeschnitten ist, dass die Aufgabe der Beschäftigung im Ausland und die Übersiedlung ins Inland (und die dadurch herbeigeführte Arbeitslosigkeit) ausschließlich ihre Ursache in der angestrebten Familienzusammenführung im genannten Sinne hat. Der von der Beschwerdeführerin in den Vordergrund gestellte Vergleich zum ähnlichen Sachverhalt einer nur geringfügig zeitverschobenen Rückkehr würde daher zu keinem anderen Ergebnis führen. Ebensowenig kann dem in Art. 8 EMRK geregelten Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens eine Verpflichtung des Gesetzgebers entnommen werden, aus persönlichen Gründen und freiwillig vorgenommene Gestaltungen dieses zu achtenden Privat- und Familienlebens durch gesetzliche Begleitmaßnahmen in jeder Hinsicht zu begünstigen; insbesondere ist der Gesetzgeber durch Art. 8 EMRK nicht zu Gleichstellungen im Bereich der Sozialversicherung verhalten.

3. Es kann auf sich beruhen, ob die sich aus Punkt 3 des vorerwähnten Urteils des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren ergebende Gemeinschaftsechtswidrigkeit der Bestimmung des § 14 Abs. 5 Z. 1 AlVG zur Folge hat, dass diese begünstigende Vorschrift nunmehr ohne die Voraussetzung des 15-jährigen Wohnsitzes in Österreich zugunsten der Beschwerdeführerin anzuwenden wäre, weil die Beschwerde sich aus den - oben wiedergegebenen - Gründen der Anfrage des erkennenden Senates an die Parteien, deren vorläufige gemeinschaftsrechtliche Beurteilung sich im Vorabentscheidungsverfahren als zutreffend herausgestellt hat, als begründet erweist:

Das zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland geschlossene Abkommen über Arbeitslosenversicherung, welches - als gesetzesändernd und -ergänzend vom Nationalrat gem. Art. 50 Abs. 1 B-VG genehmigt - in BGBl. Nr. 392/1979 kundgemacht wurde und am 1. Oktober 1979 in Kraft getreten ist, umfasst auch die hier in Rede stehenden Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung (Art. 2 Abs. 1 lit a und b). Entgegen der Auffassung der belangten Behörde ist dieses Abkommen auf Grund des Wirksamwerdens der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 mit 1. Jänner 1994 (Beitritt Österreichs zum EWR) nicht "außer Kraft getreten", da kein diesbezüglicher Aufhebungsakt des österreichischen Gesetzgebers existiert und dem Gemeinschaftsrecht eine derogierende Wirkung nicht zukommt.

Nun sieht zwar die mit dem Beitritt Österreichs zum EWR am 1. Jänner 1994 in Kraft getretene VO (EWG) Nr. 1408/71 in Art. 6 lit. a vor, dass die Bestimmungen dieser Verordnung - von hier nicht in Betracht kommen den Ausnahmen abgesehen - im Rahmen ihres persönlichen und sachlichen Geltungsbereiches an die Stelle von Abkommen über die soziale Sicherheit treten, die ausschließlich zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten in Kraft sind.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat aber zu der sich daraus ergebenden Frage des Verhältnisses der VO (EWG) Nr. 1408/71 zu bi- oder multilateralen Abkommen über soziale Sicherheit, die zwischen den Mitgliedstaaten bestehen und für den Versicherten günstigere Regelungen enthalten als die VO (EWG) Nr. 1408/71, im Vorabentscheidungsurteil Stellung genommen und in diesem Zusammenhang ausgesprochen, dass Art. 48 Abs. 2 und Art. 51 EGV es auch auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung nicht zuließen, dass Arbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, Vergünstigungen der sozialen Sicherheit verlieren, weil in das nationale Recht eingeführte Abkommen zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten auf Grund des Inkrafttretens der VO (EWG) Nr. 1408/71 unanwendbar geworden sind. Der EuGH hat damit den in Art. 6 lit. a VO (EWG) Nr. 1408/71 enthaltenen Grundsatz, den die belangte Behörde als Außerkraftsetzung entgegenstehender Abkommen deutet, in der geschilderten Weise eingeschränkt.

Das zwischenstaatliche Abkommen wurde durch einen innerstaatlichen Gesetzgebungsakt umgesetzt, welcher auch der ausschließliche Geltungsgrund für das Abkommen und damit für die Ansprüche der Beschwerdeführerin ist. Insoweit gleicht die Rechtsgrundlage rein innerstaatlich motivierten Gesetzgebungsakten. Die Rechtsprechung des EuGH stellt lediglich sicher, dass solche "wohlerworbene Ansprüche" aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der VO (EWG) Nr. 1408/71 aus Gründen des Vertrauensschutzes durch das Inkrafttreten der Verordnung nicht eingeschränkt oder beseitigt werden. Dieses Problem kann sich dann nicht stellen, wenn erst während der Geltung der VO (EWG) Nr. 1408/71 von der Freizügigkeit Gebrauch gemacht wurde. Dies hat der EuGH im zuvor genannten Fall Thevenon (Urteil vom 9. November 1995, C-475/93 (Thevenon) = ARD 4716/16/96) und für den Bereich der Arbeitslosenversicherung mit dem oben erwähnten Vorabentscheidungsurteil klargestellt.

Der Verwaltungsgerichtshof hält daher an seiner schon vorläufig vertretenen Auffassung fest, dass aus der "Roenfeldt"- und aus der "Thevenon"-Rechtsprechung die Grundsätze abzuleiten sind, dass es darauf ankommt, ob von der Freizügigkeit vor oder nach dem Inkrafttreten der VO (EWG) Nr. 1408/71 Gebrauch gemacht wurde und ob im erstgenannten Fall damit auf Grund zwischenstaatlicher Abkommen über soziale Sicherheit soziale Vergünstigungen erworben wurden, die über die Rechte hinausgehen, die die VO (EWG) Nr. 1408/71 seit ihrem Inkrafttreten gewährt. Dabei schadet es weder, wenn die eine solche Vergünstigung verleihenden Versicherungszeiten im anderen Mitgliedstaat schon vor dem Beitritt des "Heimatstaates" zur Europäischen Gemeinschaft (und damit vor der Geltung des Regimes des Art. 51 EGV in beiden betroffenen Staaten) erworben worden sind, noch dass der Anspruch im unmittelbaren Anschluss an den vor dem Wirksamwerden der VO (EWG) Nr. 1408/71 begonnenen Auslandsaufenthalt erst zu einem Zeitpunkt geltend gemacht wird, zu welchem er sich ausschließlich auf solche Versicherungszeiten zu stützen vermag, die nach dem 1. Jänner 1994 erworben worden sind.

Die Beschwerdeführerin hat - wie sie vorgebracht hat und die belangte Behörde in ihrer Äußerung einräumt - schon von 1973 bis 1982 in Österreich Versicherungszeiten erworben und hat - anders als der Betroffene im Falle "Thevenon" - noch vor dem Inkrafttreten der VO (EWG) Nr. 1408/71 in Österreich am 1. Jänner 1994 von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht. Sie hat als österrreichische Staatsangehörige auf Grund des zwischen Österreich und Deutschland bestehenden Abkommens über die Arbeitslosenversicherung, BGBl. Nr. 392/1979, Anwartschaften auf Arbeitslosengeld iS des Art. 7 Abs. 1 erster Fall erworben. Die Beschwerdeführerin kann daher ihren Anspruch auch auf das genannte nach wie vor in Geltung stehende Abkommen stützen, wobei sie aber nicht besser zu stellen ist, als dies nach dem Abkommen der Fall wäre. Soweit daher das Abkommen die Berücksichtigung weiterer Umstände, wie zB die Anrechnung der Inanspruchnahme von Geldleistungen aus der deutschen Arbeitslosenversicherung aus diesem Versicherungsfall anordnet, sind auch die diesbezüglichen Bestimmungen (hier insbesondere Art. 9 des Abkommens) anzuwenden.

Der Anwendung des Abkommens steht auch § 14 Abs. 5 AlVG - wie immer man ihn gemeinschaftsrechtskonform deuten mag - nicht entgegen, weil die in dieser Bestimmung normierten - auf die Beschwerdeführerin nicht zutreffenden - Voraussetzungen lediglich in jenen Fällen von Bedeutung sind, in denen ansonsten in zwischenstaatlichen Abkommen eine Mindestversicherungs- oder Beschäftigungsdauer für die Anrechnung ausländischer Versicherungszeiten vorgesehen ist, wie dies für Art. 67 der VO (EWG) Nr. 1408/71, aber auch für Art. 7 Abs. 2 des österreichisch-deutschen Arbeitslosenversicherungsübereinkommens, nicht aber für den hier anzuwendenden Art. 7 Abs. 1 des Abkommens gilt.

Im Hinblick auf das Vorbringen in der Stellungnahme der belangten Behörde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bzw. in der Stellungnahme der Republik Österreich im Vorabentscheidungsverfahren, die Beschwerdeführerin hätte - aus näher genannten Gründen - auch unter Berücksichtigung des erwähnten Abkommens keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, sieht sich der Verwaltungsgerichtshof zu dem Hinweis veranlasst, dass er gem. § 41 Abs. 1 VwGG den angefochtenen Bescheid auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu prüfen hat und insoweit auch für die belangte Behörde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Neuerungsverbot besteht. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid keine Feststellungen dazu getroffen, in welchem Ausmaß die Beschwerdeführerin Anwartschaftszeiten bei Anwendung des Abkommens erworben hätte; sie war vielmehr der Auffassung, dass das Abkommen nicht anwendbar sei und die Voraussetzungen des § 14 Abs. 5 AlVG nicht vorlägen. Der Verwaltungsgerichtshof hatte daher in erster Linie das Zutreffen dieser Rechtsauffassung, insbesondere ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht zu prüfen. Es trifft zwar zu, dass der Verwaltungsgerichtshof den ihm vorliegenden Sachverhalt rechtlich in jeder Richtung überprüfen kann, insbesondere auch dahin, ob der mit der Beschwerde verfolgte Anspruch nicht aus anderen rechtlichen Gründen nicht besteht, worauf die belangte Behörde und die Republik Österreich mit ihren Vorbringen offenbar hinauswollen. Für die Vornahme einer derartigen Prüfung durch den Verwaltungsgerichtshof wäre es aber erforderlich, dass der entsprechende Sachverhalt entweder von der belangten Behörde in der Begründung ihres Bescheides bereits festgestellt wäre oder sich zumindest aus den Beschwerdebehauptungen (als gleichsam unstrittig) ergäbe. Beides liegt im Beschwerdefall aber nicht vor, weshalb sich der Verwaltungsgerichtshof auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ausschließlich unter dem Blickwinkel der ihn tragenden rechtlichen Gründe zu beschränken (zu diesem Zweck aber auch das Vorabentscheidungsverfahren zu veranlassen) hatte.

Da die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides aber die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gem. § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 20. Februar 2002

Gerichtsentscheidung

EuGH 61989CJ0227 Rönfeldt VORAB
EuGH 61993CJ0475 Thevenon VORAB
EuGH 61999CJ0277 Kaske VORAB

Schlagworte

Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 FamilienzusammenführungDefinition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 unfreiwillige Trennung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002080077.X00

Im RIS seit

24.06.2002

Zuletzt aktualisiert am

05.12.2016
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten