TE OGH 1992/5/12 10ObS100/92

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Veröffentlicht am 12.05.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Stefan Seper (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Monika Fischer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef B*****, ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Steflitsch, Rechtsanwalt in Oberwart, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5.Februar 1992, GZ 32 Rs 205/91-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 3.September 1991, GZ 16 Cgs 3/91-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Soweit sich die Revision gegen die im angefochtenen Urteil enthaltene Kostenentscheidung richtet, wird sie zurückgewiesen. Im übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 15.11.1990 wurde der Antrag des Klägers vom 5.9.1990 auf Zuerkennung einer Invaliditätspension abgewiesen.

Das Erstgericht wies das dagegen auf Gewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.10.1990 gerichtete Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß der am 9.7.1942 geborene Kläger trotz verschiedener Leidenszustände noch leichte und mittelschwere Arbeiten verrichten kann; lediglich Arbeiten in ständig gebückter Haltung sind auf die Hälfte der Tagesarbeitszeit zu reduzieren und gleichmäßig über den Tag zu verteilen. Akkordarbeiten sind nicht mehr zumutbar. Es besteht eine erschwerte Anpassungsfähigkeit an andere als bisherige Berufsbereiche, wobei Anpassungsstörungen in einem fremden Milieu vor allem bei Verlegung des Wohnortes zu erwarten sind. Der Kläger ist jedoch anlernbar. Die Umschulbarkeit und die Lernfähigkeit sind dagegen stark eingeschränkt. Der Kläger war in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend als Hilfsarbeiter beschäftigt und in keinem erlernten oder angelernten Beruf tätig. Er kann nach wie vor z.B. Verpackungsarbeiten in der Spielwarenindustrie ohne Akkord sowie Arbeiten als Garderobier verrichten. Die offenkundigen Berufsanforderungen in diesen Verweisungstätigkeiten übersteigen das Leistungskalkül des Klägers nicht. Entsprechende Stellen sind in ausreichender Anzahl auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorhanden.

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, daß der noch nicht 55 Jahre alte Kläger weder eine erlernte noch eine angelernte Tätigkeit ausgeübt habe und sein Anspruch auf Invaliditätspension nach § 255 Abs.3 ASVG zu prüfen sei. Bei der Prüfung der Frage, ob eine dem Leistungszustand des Versicherten entsprechende Tätigkeit (Verweisungstätigkeit) noch vorhanden sei, sei das Tätigkeitsfeld des gesamten Arbeitsmarktes heranzuziehen. Das seien alle Tätigkeiten, die der Versicherte, sei es nach einer kurzen Anlernung, sei es nach einer Umschulung, noch ausüben könne. Die Verweisung erfolge ohne Rücksicht darauf, ob es überhaupt freie Arbeitsplätze dieser Art gebe. Es genüge, daß diese Tätigkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeübt werden. Da dort noch genügend Tätigkeiten vorhanden seien, die dem Leistungszustand des Klägers entsprächen und ihm auch noch zumutbar seien, gelte er noch nicht als invalid.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens macht der Kläger geltend, daß die negativen Auswirkungen der von ihm einzunehmenden Medikamente nicht überprüft worden seien. Das interne Gutachten sei insofern unvollständig, als mögliche Dauerfolgen und die ständige Verschlechterung seines Gesundheitszustandes nicht überprüft worden sei. Er lege deshalb eine aktuelle Bestätigung eines Facharztes für interne Medizin vor, aus der sich die Anzahl der internistischen Erkrankungen ergebe; nach Ansicht dieses Facharztes sei eine Arbeitsfähigkeit nicht gegeben. Auch die vom Kläger vorgelegten Fachgutachten seien unberücksichtigt geblieben.

Mit diesen Ausführungen werden keine Mängel des Berufungsverfahrens, sondern Umstände der freien richterlichen Beweiswürdigung geltend gemacht, zu denen im Revisionsverfahren nicht Stellung genommen werden kann. Der Einwand, der Kläger habe im erstinstanzlichen Verfahren keine Möglichkeit gehabt, seine Bedenken gegen die Untersuchung durch die Sachverständigen zu äußern, ist unverständlich: Der Kläger war in erster Instanz qualifiziert vertreten, stellte jedoch keinen Antrag auf Erörterung der zahlreich eingeholten medizinischen Fachgutachten. Soweit der Kläger in seiner Berufung Stoffsammlungsmängel behauptete, wurde ihr vom Berufungsgericht nicht Folge gegeben. Verfahrensmängel erster Instanz, die vom Berufungsgericht verneint wurden, können aber nicht mehr den Gegenstand der Revision bilden (SSV-NF 1/32 uva). Die Nichteinholung eines arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachtens wurde in der Berufung nicht gerügt; Mängel des Verfahrens erster Instanz, die in der Berufung nicht geltend gemacht wurden, können auch in Sozialrechtssachen nicht den Gegenstand der Revision bilden (SSV-NF 1/68 uva; zuletzt 10 Ob S 275/91 = SSV-NF 5/120 - in Druck). Dasselbe gilt für den erstmals in der Revision erhobenen Vorwurf, das Erstgericht sei diesbezüglich seiner Manuduktionspflicht nicht nachgekommen.

Auch der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt nicht vor. Ein diesem Revisionsgrund zuzuordnender Widerspruch zwischen dem Akteninhalt und der darauf beruhenden wesentlichen Tatsachenfeststellung im Urteil liegt zwar auch dann vor, wenn das Urteil unter Berufung auf die Prozeßakten Tatsachenfeststellungen trifft, die dort gar keine Grundlage haben (Fasching ZPR2 Rz 1771; MGA ZPO14 § 503 E 87; 10 Ob S 281/91), nicht aber bei der Gewinnung tatsächlicher Feststellungen durch Schlußfolgerungen, mögen diese auch unrichtig sein. Beruhen sie auf einem mangelhaften Verfahren oder auf einer unlogischen Gedankentätigkeit, so kann dies allerdings einen Verfahrensmangel oder eine unrichtige rechtliche Beurteilung begründen (Fasching aaO; MGA ZPO14 § 503 E 85, 86; SSV-NF 3/86). Die Vorinstanzen haben nicht festgestellt, daß der Kläger bettlägerig in dem Sinne ist, daß er krankheits- oder leidensbedingt das Bett hüten müsse. Das Berufungsgericht meinte, das Anführen der Bettlägerigkeit des Klägers im Gutachten des Unfallchirurgen ON 10 stelle lediglich die Wiedergabe der Angaben des Klägers dar. Darin ist eine Schlußfolgerung zu erblicken, aber keine Aktenwidrigkeit. In dem genannten Gutachten werden dem Kläger leichte und mittelschwere Arbeiten zugemutet und dann darauf verwiesen, daß der Kläger selbst fast den ganzen Tag bettlägerig sei, da er sich in dieser Stellung beschwerdefrei fühle. Der vom Berufungsgericht daraus gezogene Schluß, der Kläger habe dem Sachverständigen angegeben, er liege fast den ganzen Tag im Bett, ohne daß freilich hiezu eine Notwendigkeit bestehe, beruht nicht auf einer unlogischen Gedankentätigkeit, sondern ist ein Ergebnis irrevisibler Beweiswürdigung.

Schließlich rügt der Revisionswerber, daß das Berufungsgericht auf die in der Berufung enthaltene Rechtsrüge nicht eingegangen sei. Es trifft zu, daß es einen Mangel des Berufungsverfahrens begründen würde, hätte sich das Berufungsgericht mit einer gehörig ausgeführten Rechtsrüge nicht auseinandergesetzt (8 Ob 670/86 = JUS 1987, 30, 12; 10 Ob S 330/91 ua). Im vorliegenden Fall hat jedoch das Berufungsgericht die Mängelrüge hinsichtlich der Unterlassung von Feststellungen über die Dauer zu erwartender Krankenstände zutreffend der Rechtsrüge zugeordnet und diese dahin erledigt, daß der Kläger in erster Instanz den Ausschluß vom Arbeitsmarkt infolge längerer Krankenstände nicht behauptet habe. Dieser Umstand wird auch in der nunmehr erhobenen Rechtsrüge geltend gemacht, der jedoch kein Erfolg beschieden sein kann. Im Verfahren über den Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit ist das Gericht nicht verpflichtet, sämtliche aus den Sachverständigengutachten sich ergebenden Leiden im einzelnen festzustellen, weil es nur darauf ankommt, inwieweit dadurch die Fähigkeit des Versicherten zur Ausübung einer Berufstätigkeit eingeschränkt wird (SSV-NF 3/135). Im Ersturteil ist ein zusammenfassendes medizinisches Leistungskalkül festgestellt, in dem Einschränkungen hinsichtlich zu erwartender Krankenstände nicht enthalten sind. Der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, hat von diesem Leistungskalkül auszugehen. Es trifft zu, daß das medizinische Leistungskalkül von Amts wegen vollständig zu erheben ist und daß es eines Vorbringens des Klägers bezüglich konkreter Einschränkungen nicht bedarf (SSV-NF 5/62). Bestehen nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens Anhaltspunkte für länger andauernde Krankenstände, dann sind auch diese von Amts wegen festzustellen. Dennoch ist im Ergebnis für den Kläger nichts zu gewinnen. Das Berufungsgericht wies nämlich weiters darauf hin, daß den im Akt befindlichen Urkunden und eingeholten Sachverständigengutachten keine Hinweise auf solche länger dauernden Krankenstände zu entnehmen gewesen seien; damit im Zusammenhang stehende Fragen der Stoffsammlung und der Beweiswürdigung können aber nicht den Gegenstand der Revision bilden. Der rechtlichen Beurteilung zuzuordnende Feststellungsmängel sind nicht gegeben.

Geht man vom festgestellten Leistungskalkül aus, dann ist offenkundig, daß der noch nicht 55 Jahre alte Kläger mangels Berufsschutzes auf eine Reihe von Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden kann und daher nicht invalid iS des § 255 Abs.3 ASVG ist. Das Erstgericht hat solche Verweisungstätigkeiten beispielsweise genannt. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats und herrschender Lehre, daß das Verweisungsfeld für gemindert erwerbsfähige Hilfsarbeiter mit dem gesamten Arbeitsmarkt ident ist und daß daher die konkrete Arbeitsmarktsituation, insbesondere die Frage, ob der Versicherte tatsächlich einen Dienstposten finden werde, ohne Bedeutung ist (SSV-NF 4/140 mwN). Entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung brauchte daher nicht festgestellt werden, wie viele freie Arbeitsplätze ("offene Stellen") es derzeit auf dem Arbeitsmarkt gibt.

Was schließlich die Kostenrüge betrifft, so kann auch in einer Sozialrechtssache die im Urteil des Berufungsgerichtes enthaltene Entscheidung über den Kostenpunkt weder - wie hier - im Rahmen der Revision, noch mit Rekurs bekämpft werden (SSV-NF 2/82, 3/146, 10 Ob S 89/91, 10 Ob S 6/92). Deshalb war die Revision insoweit als unzulässig zurückzuweisen. Im übrigen war ihr nicht Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs.1 Z 2 lit.b ASGG. Für einen Kostenzuspruch an den gänzlich unterlegenen Kläger nach Billigkeit besteht keine wie immer geartete Veranlassung, insbesondere war im vorliegenden Rechtsstreit keine Rechtsfrage iS des § 46 Abs.1 Z 1 ASGG zu beantworten.

Anmerkung

E28990

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00100.92.0512.000

Dokumentnummer

JJT_19920512_OGH0002_010OBS00100_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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