TE OGH 1992/6/4 15Os38/92

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Veröffentlicht am 04.06.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.Juni 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner, Dr.Lachner, Dr.Kuch und Dr.Hager als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag.Windisch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Otto M***** und einen anderen wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen über Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Otto M***** gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Schöffengericht vom 14.November 1991, GZ 15 Vr 62/89-190, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Wasserbauer, und des Verteidiger Dr. Wegrostek, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten Otto M***** auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Otto M***** wurde mit dem angefochtenen Urteil - das auch unbekämpft gebliebene Freisprüche dieses und eines weiteren Angeklagten sowie eine gleichfalls unbekämpfte Verurteilung des Mitangeklagten enthält - der Verbrechen (I/4) der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 2 StGB, (I/2) des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB, (I/1) der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB sowie (I/6/a) nach § 12 Abs. 1 SGG und der Vergehen (I/3) der sittlichen Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren nach § 208 StGB, (I/5) des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 StGB, (III/1 und 2) "der teils versuchten, teils vollendeten Bestimmung zur falschen Beweisaussage vor Gericht nach §§ 12, 288 Abs. 1 und 15, 12, 288 Abs. 1 StGB (richtig: der teils vollendeten, teils versuchten falschen Beweisaussage vor Gericht nach § 288 Abs. 1 und § 15 StGB als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB), (II/) "der Bestimmung zur Unterdrückung eines Beweismittels nach §§ 12, 295 StGB" (richtig: der Unterdrückung eines Beweismittels nach § 295 StGB als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB) und (I/6/b) nach § 16 Abs. 1 SGG schuldig erkannt.

Inhaltlich der vom Angeklagten M***** allein bekämpften Schuldsprüche hat er

(zu I/4) am 15.März 1988 in El Cabrito außer dem Fall des § 201 Abs. 1 StGB Olivia V***** (zu ergänzen: mit Gewalt) zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sie gewaltsam vom Boden hochzog, ihr sodann einen Stoß versetzte, sodaß sie dadurch auf ein Bett fiel, und in der Folge an ihr einen Geschlechtsverkehr vollzog,

(zu I/6/a) in der Zeit von Anfang 1981 bis Ende Mai 1989 in Friedrichshof, El Cabrito und La Gomera den bestehenden Vorschriften zuwider Haschisch, sohin ein Suchtgift, in einer insgesamt großen, im einzelnen nicht mehr feststellbaren, jedoch 1 kg jedenfalls übersteigenden Menge, deren Weitergabe geeignet wäre, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen entstehen zu lassen, durch wiederholte Weitergabe von kleineren Mengen an im Urteilsspruch namentlich angeführte und zahlreiche weitere namentlich nicht bekannte Personen in Verkehr gesetzt.

Rechtliche Beurteilung

Der (nur) gegen diese beiden Schuldsprüche gerichteten, auf § 281 Abs. 1 Z "9 a" (richtig: 9 lit. a) StPO gestützten, der Sache nach indes zu beiden Fakten eine Subsumtionsrüge nach Z 10 dieser Gesetzesstelle ausführenden Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten M***** kommt keine Berechtigung zu.

Soweit der Beschwerdeführer zum Urteilsfaktum I/4 einen Feststellungsmangel in bezug auf den Umstand moniert, daß die Zeugin V***** das Schlafzimmer des Beschwerdeführers während dessen Aufenthaltes im Badezimmer hätte verlassen können, weil der Schlüssel der Schlafzimmertür innen gesteckt sei, geht er daran vorbei, daß ihm eine Nötigung zum Beischlaf durch Entziehung der persönlichen Freiheit (§ 201 Abs. 2 zweiter Fall StGB) gar nicht zur Last gelegt wird, sondern eine Nötigung mit Gewalt (§ 201 Abs. 2 erster Fall StGB).

Der gegen die Feststellung einer Nötigung mit Gewalt (S 56 iVm S 31 der Urteilsausfertigung) erhobene Einwand hinwieder, die Zeugin V***** habe durch Ausziehen ihrer Shorts und ihrer Unterhose "eindeutig ihre nunmehr gegebene Bereitwilligkeit zum Geschlechtsverkehr" bekundet und der Angeklagte habe "diese Entschlossenheit schlüssig aus dem Verhalten" der Zeugin annehmen können, negiert die gegenteiligen Urteilsfeststellungen, wonach die Zeugin keine geschlechtlichen Kontakte mit ihm wollte und er dies erkannte, desgleichen jene Tatsachenfeststellungen, die das Merkmal der Gewalt, also des Einsatzes einer nicht ganz unerheblichen physischen Kraft zur Überwindung eines erkannten Widerstandes, begründen (S 31 der Urteilsausfertigung). Er führt somit die Rechtsrüge, die ein Festhalten am konstatierten Sachverhalt und dessen Vergleich mit dem angewendeten Strafgesetz erfordert, nicht prozeßordnungsgemäß aus.

Zu dem (auch) zu diesem Schuldspruchfaktum gestellten Rechtsmittelantrag auf Freispruch sei im übrigen angemerkt, daß dieses Begehren auch auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens verfehlt wäre, weil die in Rede stehende Tathandlung - insoweit unbekämpft - auch von der Verurteilung des Beschwerdeführers wegen des Vergehens des Mißbrauches eins Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 StGB umfaßt ist (I/5/j des Schuldspruchs).

Die Unterstellung dieser Tathandlung sowohl unter den Tatbestand der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 2 StGB als auch unter jenen des Vergehens des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 StGB erfolgte - wie beigefügt sei - zu Recht, weil im vorliegenden Fall die Anwendung von Gewalt als Mittel zum sexuellen Mißbrauch bloß eine Beugung und keine Brechung des entgegenstehenden Willens des Tatopfers herbeiführte; bei dieser Fallkonstellation ist ein eintätiges Zusammentreffen beider Delikte möglich (Pallin im WK ErgH Rz 17 a zu § 212 mwN; Mayerhofer-Rieder StGB3 § 212 E 36; NRsp 1989/100; sowie jüngst 13 Os 134/91).

Auch die gegen den Schuldspruch nach § 12 Abs. 1 SGG erhobene Rechtsrüge, mit dem Vorbringen, eine sich über einen jahrelangen Zeitraum erstreckende Weitergabe von Suchtgift an einen "genau umgrenzten Personenkreis" sei nicht geeignet, die im § 12 Abs. 1 SGG bezeichnete Gefahr entstehen zu lassen, und diese Art der Weitergabe stehe der Annahme eines Vorsatzes in Richtung der Eignung, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen entstehen zu lassen, entgegen, wobei außerdem nicht festgestellt sei, daß im "Kommunenbereich" des Angeklagten auch nur ein einziger Suchtgiftfall aufgetreten sei, versagt.

Im Hinblick darauf, daß die Suchtgiftweitergabe den Urteilsfeststellungen zufolge teils vor Inkrafttreten der Suchtgiftnovelle 1985 lag, sei vorerst festgehalten, daß die Tathandlung insgesamt nach § 12 Abs. 1 SGG nF zu beurteilen ist, weil das neue Recht nach den Gesamtauswirkungen günstiger im Sinn des § 61 StGB ist (ÖJZ-LSK 1986/85 uam); abgesehen davon stellte das Erstgericht (auch) den - für die frühere Rechtslage maßgebenden - vom Vorsatz des Beschwerdeführers umfaßten "Additionseffekt" fest (S 37 der Urteilsausfertigung), was vom Angeklagten M***** nicht bekämpft wird.

Die Bestimmung des § 12 Abs. 1 SGG nF ist als abstraktes Gefährdungsdelikt gestaltet (15 Os 144/90 ua). Für die Tatbildlichkeit ist demnach die (konkrete) Art der Weitergabe einer großen Suchtgiftmenge nicht mehr entscheidend (ÖJZ-LSK 1986/84 ua). Demnach reicht auch in subjektiver Hinsicht (bedingter) Vorsatz dahin aus, daß die Suchtgiftmenge als groß anzusehen ist, also im (gedachten) Fall ihrer Weitergabe geeignet wäre, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen entstehen zu lassen (erneut ÖJZ-LSK 1986/84 ua). Für die Verwirklichung des in Rede stehenden Tatbestandes ist nicht erforderlich, daß die Suchtgiftmenge nach dem Vorsatz des Täters an einen größeren Personenkreis gelangen und solcherart ein Streueffekt erzielt werden soll; es ist daher beispielsweise unerheblich, ob und inwieweit das Suchtgift nach der Vorstellung des Täters für den Eigenbedarf eines bereits süchtigen Empfängers bestimmt ist (SSt. 57/29 ua). Gleichermaßen ist vorliegend auch unerheblich, ob das vom Angeklagten weitergegebene Suchtgift im "Kommunenbereich" verblieb; genug daran, daß die Quantität der sogenannten Grenzmenge (bei weitem) überschritten wurde.

Dem Schuldspruch nach § 12 Abs. 1 SGG nF haftet demnach ein Rechtsirrtum nicht an.

Soweit der Beschwerdeführer außerdem die Behauptung aufstellt, im "Kommunenbereich" sei kein einziger Suchtgiftfall aufgetreten, entfernt er sich im übrigen - im Rahmen einer Rechtsrüge unzulässigerweise - von den erstgerichtlichen Urteilsfeststellungen, wonach es dem Angeklagten vielfach gelang, Jugendliche an den Suchtgiftkonsum zu gewöhnen (S 34 und 35 der Urteilsausfertigung).

Auch zum zuletzt behandelten Teil der Nichtigkeitsbeschwerde sei vermerkt, daß der auf Freispruch abzielende Rechtsmittelantrag verfehlt wäre, weil selbst bei Zutreffen der Rechtsansicht des Beschwerdeführers die Tat nicht als straflos, sondern als Vergehen nach § 16 SGG zu werten wäre.

Die Nichtigkeitsbeschwerde ist somit in keinem Punkt berechtigt, sodaß sie zu verwerfen war.

Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten Otto M***** nach §§ 28 Abs. 1, 206 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Jahren.

Es wertete bei der Strafbemessung als erschwerend das Zusammentreffen einer Vielzahl von strafbaren Handlungen, die überaus häufige Wiederholung der Sexualdelikte während eines langen Zeitraumes, den Umstand, daß die minderjährigen, teils auch unmündigen Opfer aufgrund des vom Angeklagten herbeigeführten psychischen Druckes zu einer Gegenwehr nicht fähig waren oder daran nicht dachten oder die deliktische Vorgangsweise wegen der ihnen vom Angeklagten übermittelten Wertvorstellungen nicht erkannten, die Weitergabe von Suchtgift auch an Jugendliche, teilweise auch, um deren Hemmungen vor geschlechtlichen Beziehungen mit dem Angeklagten zu überwinden oder sie für sexuelle Willfährigkeiten zu belohnen, den Umstand, daß der Angeklagte eine Vielzahl der Opfer dem Einfluß der Erziehungsberechtigten entzog, um sie für seine Taten ausnützen zu können, die Vielzahl der Personen, die zu falschen Beweisaussagen - wenngleich teilweise nur erfolglos - bestimmt wurden, sowie die Tatsache, daß diese Personen zum Zeitpunkt ihrer Einvernahme vor Gericht überwiegend noch unter dem unmittelbaren Einfluß des Angeklagten M***** standen; als mildernd wertete das Erstgericht ein weitgehendes Geständnis dieses Angeklagten, seinen ordentlichen Lebenswandel vor den Taten und den Umstand, daß es in Ansehung der Bestimmung von Zeugen zur falschen Beweisaussage teilweise beim Versuch blieb.

Der eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe anstrebenden Berufung des Angeklagten M***** kommt keine Berechtigung zu.

Soweit der Berufungswerber ein Mitverschulden von Eltern und Erziehungsberechtigten der Opfer der Sexualdelikte und den Umstand, daß letztere (teilweise) sexuelle Kontakte mit ihm als erstrebenswert hielten, zu einen Gunsten ins Treffen führt, so kann all dem vorliegend keine ins Gewicht fallende mildernde Bedeutung beigemessen werden. Denn es war der Berufungswerber, der als einziger "kompetenter Entscheidungsträger" an der Spitze der streng hierarchischen Kommune (S 16 f der Urteilsausfertigung) stand, dessen Willen für sämtliche Lebensbereiche maßgeblich war (ebendort S 18), und der auf Meinungen oder Verhaltensweisen, die seinen Vorstellungen nicht entsprachen, mit schweren psychologischem Druck reagierte (ebendort S 17) und solcherart das nun reklamierte Einverständnis und Entgegenkommen erzielte. Gleichermaßen kann er sich auch nicht auf eine "treibhauseffektmäßige erotische Atmosphäre" berufen, weil diese in erster Linie und maßgeblich von ihm geschaffen wurde (S 19 ff der Urteilsausfertigung).

Auch dem Umstand, daß die unmündigen Opfer "alle nahezu das Alter von 14 Jahren bereits erreicht" hatten, kommt keine mildernde Bedeutung zu. Verfehlungen an noch jüngeren Unmündigen wären als erschwerend ins Gewicht gefallen; der Umstand, daß ein solcher Erschwerungsgrund nicht anzunehmen war, stellt sich nicht bereits als Milderungsgrund dar.

"Idealistische Motive", auf die im Gerichtstag verwiesen wurde, dürfen nicht auf kriminelle Weise und an Unmündigen umgesetzt werden; sie lassen die gegenständlichen Straftaten schon deshalb nicht in einem milderen Licht erscheinen, weil es der Berufungswerber geradezu darauf angelegt hat, Personen, die noch nicht die volle Entscheidungsfreiheit haben, auszunutzen.

Das Teilgeständnis des Angeklagten M***** und sein ordentlicher Wandel vor Einsetzen der jahrelang währenden Delinquenz wurden vom Erstgericht ohnedies als mildernd gewertet. Entgegen der Ansicht des Berufungswerbers wurden diese Umstände vom Schöffengericht auch zutreffend gewichtet.

Insgesamt gesehen entspricht die vom Erstgericht ausgemessene, wenngleich strenge Freiheitsstrafe durchaus der schweren personalen Täterschuld und dem hohen Unwert der verschuldeten Taten, wobei vornehmlich die vielfache Wiederholung des strafsatzbestimmenden Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB ins Gewicht fällt.

Auch der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

Anmerkung

E30063

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0150OS00038.9200009.0604.000

Dokumentnummer

JJT_19920604_OGH0002_0150OS00038_9200009_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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