TE OGH 1992/9/30 2Ob31/92

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Veröffentlicht am 30.09.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber, Dr.Kropfitsch, Dr.Zehetner und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Pamela F*****, vertreten durch Dr.Gottfried Lindner, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei ********** Versicherungs-AG, *****, vertreten durch Dr.Gerald Gfrerer, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 1,000.000,-- s.A. und Feststellung, infolge Revision und Rekurses der klagenden Partei gegen das Teilurteil und den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 27.Februar 1992, GZ 12 R 5/92-50, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 12.April 1991, GZ 3 Cg 7/90-39, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

1. Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Teilurteil wird aufgehoben. Zugleich wird auch der Punkt 2. des Ersturteils (Entscheidung über das Feststellungsbegehren) aufgehoben und die Sache insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Revisionsverfahrens gleich weiteren Verfahrenskosten Bedacht zu nehmen haben wird.

2. Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin erlitt am 20.10.1984 bei einem Verkehrsunfall in Ungarn schwere Verletzungen, die eine Querschnittlähmung zur Folge hatten.

Die Klägerin begehrt die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle künftigen Schäden im Rahmen des Versicherungsvertrages zum Unfallszeitpunkt, außerdem fordert sie die Zahlung eines Betrages von S 1,000.000,--. Dieses Leistungsbegehren gründete sie zunächst auf § 1325 ABGB (Schmerzengeld), stützte es letztlich aber auf § 354 des Ungarischen Zivilgesetzbuches, nach welchem ein sogenannter Nichtvermögensschaden zugesprochen werden könne. Da der Klägerin aufgrund ihrer Querschnittlähmung jedwede Teilnahme am gesellschaftlichen Leben unmöglich sei und ihr auch eine Heirat äußerst erschwert bzw. nahezu unmöglich sei, stehe ihr der begehrte Entschädigungsbetrag zu. Dieser sei nicht nach ungarischen, sondern nach österreichischen wirtschaftlichen Verhältnissen zu bemessen.

Die Beklagte bestritt ihre Haftung nicht, wendete aber ein, der begehrte Entschädigungsbetrag sei nach ungarischem Recht um ein Vielfaches überhöht, nach ungarischem Recht sei auch das Feststellungsbegehren nicht gerechtfertigt.

Das Erstgericht gab im ersten Rechtsgang dem Leistungsbegehren mit S 800.000,-- und dem Feststellungsbegehren zur Gänze statt. Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf, der Oberste Gerichtshof gab dem gegen den Beschluß des Berufungsgerichtes gerichteten Rekurs mit Beschluß vom 20.6.1989, 2 Ob 68/89, nicht Folge. Er teilte die Ansicht des Berufungsgerichtes, auf den Unfall sei ungarisches Recht anzuwenden, und führte zum Feststellungsbegehren aus, dessen prozessualen Voraussetzungen, insbesondere auch das rechtliche Interesse, seien nach österreichischem Recht zu beurteilen. Ohne Rechtsirrtum habe das Berufungsgericht aber darauf verwiesen, daß die materiellrechtliche Grundlage des Feststellungsbegehrens, nämlich, ob das ungarische Recht aufgrund des geltend gemachten anspruchsbegründenden Sachverhaltes im Zusammenhang mit den der geschädigten Klägerin zustehenden Ansprüchen eine Haftung des Schädigers für alle künftige Schäden kenne, noch zu prüfen sein werde.

Im zweiten Rechtsgang gab das Erstgericht dem Feststellungs- und dem Leistungsbegehren zur Gänze statt. Es führte im wesentlichen aus, nach den §§ 354 ff des Ungarischen Zivilgesetzbuches sei vollständiger Schadenersatz zu leisten, der eine Entschädigung für Nichtvermögensnachteile beinhalte. Der Nichtvermögensschaden sei mit dem Schmerzengeld nicht identisch, maßgeblich für die Beurteilung des Nichtvermögensschadens sei lediglich, ob durch die Schadenszufügung dem Geschädigten die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben oder sonst das Leben anhaltend oder erheblich erschwert werde bzw. ob die Teilnahme am Wirtschaftsverkehr nachteilig beeinflußt werde. Für die Klägerin ergebe sich die Erschwernis der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben schon daraus, daß sie ihr zukünftiges Leben im Rollstuhl verbringen müsse. Sie benötige zur Lebensführung nicht nur einen Rollstuhl, sondern auch besondere Vorrichtungen im Haushalt, um nicht vollständig auf andere Personen angewiesen zu sein. Es seien Aufwendungen erforderlich, um ihren Lebensraum behindertengerecht zu gestalten. Die Klägerin sei auch in ihrer Berufswahl stark eingeschränkt, da sie ihren Beruf weniger nach ihren Neigungen als vielmehr nach den für Behinderte offenstehenden Möglichkeiten wählen müsse. Für diese Nichtvermögensnachteile der Klägerin sei ein Ersatzbetrag von S 1,000.000,-- angemessen, wobei die Ausmessung in ungarischer Währung nicht geboten erscheine, da die Klägerin in Österreich lebe und eine Beurteilung nach ungarischen Gegebenheiten nicht zu einem angemessenen Ausgleich führen würde. Die Erwirkung eines Feststellungsurteiles, das grundsätzlich auch zulässig sei, wenn dies im Tatortrecht nicht vorgesehen sei, hänge eng mit der Durchsetzung des nach dem materiellen Recht gebührenden Anspruchs zusammen, weshalb die Feststellung der künftigen Haftung mit der grundsätzlichen Anwendung des Tatortrechtes nicht im Widerspruch stehe, da die Wirkung des Feststellungsurteiles in einem künftigen Prozeß vor dem österreichischem Gericht auf die nach dem Tatortrecht gebührenden materiellrechtlichen Ansprüche beschränkt sei.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil mit Teilurteil dahin ab, daß das Feststellungsbegehren abgewiesen wurde. Hinsichtlich des Leistungsbegehrens sowie der Verfahrenskosten hob das Berufungsgericht das Ersturteil auf und verwies die Sache zur Verfahrensergänzung an das Gericht erster Instanz zurück. Die Revision und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurden für zulässig erklärt.

Das Berufungsgericht führte aus, das Erstgericht mißverstehe die vom Obersten Gerichtshof überbundene Rechtsansicht, daß die inhaltliche Berechtigung einer Feststellungsklage nach dem anzuwendenden ausländischen Recht zu beurteilen sei, wenn es meine, aus der prozessualen Zulässigkeit einer Feststellungsklage sei wegen der engen Verknüpfung mit der Durchsetzung des nach materiellem Recht zustehenden Anspruches auf die inhaltliche Berechtigung zu schließen, da es genüge, daß auf das anzuwendende ausländische Recht bei der tatsächlichen Durchsetzung der festgestellten Ansprüche Bedacht genommen werde. Dies widerspreche der Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes, der bezüglich der materiellrechtlichen Grundlage des Feststellungsbegehrens darauf abstelle, ob die anzuwendende Rechtsordnung überhaupt eine Haftung des Schädigers für künftige Schäden kenne. Da aufgrund der Auskunft des ungarischen Justizministeriums feststehe, daß nach ungarischem Zivilrecht keine Möglichkeit bestehe, im vorhinein die Verantwortung des Schädigers für den gesamten in der Zukunft entstehenden, durch den Unfall verursachten Schaden festzustellen, da es sich dabei um nicht existente, nicht entstandene Forderungen handle, komme dem Feststellungsbegehren keine materielle Berechtigung zu. Beim Leistungsbegehren sei hingegen eine abschließende Beurteilung noch nicht möglich. Die Bemessung der Höhe des Nichtvermögensschadens nach österreichischen Verhältnissen entspreche den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen. Es bedürfe ergänzender Beweisaufnahmen über die ungarische Spruchpraxis, weil bei Anwendung ausländischen Rechts nicht nur der Wortlaut der Norm, sondern auch die dazu vorliegende Lehre und Rechtsprechung im ausländischen Staat zu berücksichtigen seien. Die Nichtermittlung der Anwendungspraxis der ausländischen Norm unter Bedachtnahme auf die im ausländischen Staat bestehende Rechtsentwicklung stelle einen Verfahrensmangel dar. Das Erstgericht werde daher im Wege der dafür vorgesehenen Behelfe (Anfrage an das Bundesministerium für Justiz und die von diesem allenfalls genannten Stellen, allfällige Bestellung eines Sachverständigen udgl.) die Lehre und Spruchpraxis zur Anwendung der maßgeblichen Rechtsvorschrift in Ungarn ermitteln müssen. Erst wenn feststehe, in welchem Umfang Nichtvermögensschäden in vergleichbaren Fällen in Ungarn als ersatzfähig erkannt werden, lasse sich der Leistungsanspruch beurteilen.

Die Klägerin bekämpft das Teilurteil des Berufungsgerichtes mit Revision und den Aufhebungsbeschluß mit Rekurs, macht den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt die Wiederherstellung des Ersturteils.

Die Beklagte beantragt, den Rechtsmitteln nicht Folge zu geben.

Zur Revision:

Dieses Rechtsmittel ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach der bisher erfolgten Ermittlung des ungarischen Rechts (ON 38) sieht dieses keine Möglichkeit vor, im vorhinein die Verantwortung des Schädigers für den gesamten in der Zukunft entstehenden, durch den Unfall verursachten Schaden festzustellen, da es sich dabei um eine nicht existente, nicht entstandene Forderung handle. Aus dieser Mitteilung des Bundesministeriums für Justiz ergibt sich lediglich, daß das ungarische Recht eine urteilsmäßige Feststellung der Haftung für künftige Schäden nicht kennt. Dies reicht aber für eine Entscheidung über das Feststellungsbegehren nicht aus.

Wie der Oberste Gerichtshof in seiner im ersten Rechtsgang ergangenen Entscheidung ausführte, sind die prozessualen Voraussetzungen des Feststellungsbegehrens, insbesondere auch das rechtliche Interesse, nach österreichischem Recht zu beurteilen. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung (SZ 47/10; 6 Ob 693/86; 2 Ob 611/88; 2 Ob 2/92; siehe auch Fasching, Zivilprozeßrecht2, Rz 2400; vgl. zum deutschen Recht Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht, Rz 1986 und Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rz 523). Es kommt also nicht darauf an, ob das ungarische Recht eine Feststellungsklage kennt. Maßgebend ist vielmehr - wie in 2 Ob 68/89 ausgeführt wurde - ob das ungarische Recht eine Haftung des Schädigers für alle künftigen Schäden kennt, nicht aber, ob dies noch vor Entstehen derartiger Ansprüche mit Urteil ausgesprochen werden kann. Entscheidend ist somit, ob derjenige, der einen Verkehrsunfall verschuldete, nach ungarischem Recht auch für Unfallsfolgen, die erst später entstehen, haftet. Ist dies der Fall, dann ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 228 ZPO das Feststellungsbegehren berechtigt. Im Sinne der ständigen Rechtsprechung ist nach dieser Vorschrift die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden zulässig. Eine solche Klage dient nicht nur dem Ausschluß der Gefahr der Verjährung, sondern auch der Vermeidung späterer Beweisschwierigkeiten und der Klarstellung der Haftungsfrage dem Grunde nach (SZ 56/38 mwN uva). Die Voraussetzungen des § 228 ZPO liegen daher vor. Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, daß die Beklagte in diesem Verfahren ihre Haftung dem Grunde nach nicht bestritt, weil sie in einem späteren Verfahren daran nicht gebunden wäre.

Aus diesen Gründen war der Ausspruch über das Feststellungsbegehren aufzuheben. Im fortgesetzten Verfahren wird zu ermitteln sein, ob der Schädiger nach ungarischem Recht auch Schäden, die erst später auftreten, zu ersetzen hat.

2. Zum Rekurs:

Dieses Rechtsmittel ist nicht berechtigt.

Daß auf den Verkehrsunfall, bei dem die Klägerin schwer verletzt wurde, ungarisches Recht anzuwenden ist, wurde - wie bereits ausgeführt - in der Entscheidung 2 Ob 68/89 klargestellt. Auf die Revisionsausführungen, die Frage, welches Recht anzuwenden sei, hänge von einer Reihe von Zufälligkeiten ab, die Anwendung ausländischen Rechts könne den Geschädigten unbillig gegenüber dem Schädiger belasten, ist daher nicht einzugehen.

Gemäß § 3 IPRG ist fremdes Recht wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden. Es kommt in erster Linie auf die im Ursprungsland durch die herrschende Rechtsprechung geprägte Anwendungspraxis an (Schwimann in Rummel, ABGB, Rz 3 zu § 3 IPRG; ZfRV 1987, 68; ZVR 1992/14; 7 Ob 637/90 ua). Zutreffend hat daher das Berufungsgericht dem Erstgericht eine Verfahrensergänzung hinsichtlich der ungarischen Spruchpraxis aufgetragen. Eine Bemessung des aufgrund des ungarischen Rechtes zustehenden Nichtvermögensschadens nach österreichischen Wertvorstellungen, wie sie die Rekurswerberin anstrebt, käme nur in Frage, wenn ungarische Gerichte bei der Verletzung von Ausländern auf die Verhältnisse und die Wertvorstellungen in deren Heimatland Rücksicht nehmen würden. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren auch zu ermitteln haben, ob und allenfalls auf welche Weise ungarische Gerichte bei Zusprüchen von Nichtvermögensschäden darauf Rücksicht nehmen, daß ein Geschädigter Ausländer ist. Wird zwischen Inländern und Ausländern nicht unterschieden, dann können auch die österreichischen Gerichte darauf nicht Bedacht nehmen. Entgegen der Ansicht der Klägerin widerspricht dies nicht dem "ordre public".

Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E30586

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0020OB00031.92.0930.000

Dokumentnummer

JJT_19920930_OGH0002_0020OB00031_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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