TE OGH 1992/12/22 8Ob654/92

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Veröffentlicht am 22.12.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber, Dr.Graf, Dr.Jelinek und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W**********gesmbH, *****, vertreten durch Dr.Thomas Prader und Dr.Werner Goeritz, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Dr.Jutta S*****, vertreten durch Dr.Friedrich Doschek, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtsachen Wien als Rekursgerichtes vom 23. Juni 1992, GZ 41 R 284/92-5, womit infolge Rekurses der beklagten Partei der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 11. März 1992, GZ 53 C 42/92 f-3 aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Nach einem erfolglosen ersten Zustellversuch am 12.2.1992, bei dem die Ankündigung eines zweiten Zustellversuches in das Hausbrieffach eingelegt wurde, und einem zweiten erfolglosen Zustellversuch am 13.2.1992 wurde die erstgerichtlich bewilligte Aufkündigung der gekündigten Partei durch postamtliche Hinterlegung zugestellt; die Abholfrist begann am 14.2.1992.

In ihrem am 6.3.1992 zur Post gegebenen Schriftsatz beantragte die gekündigte Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung von Einwendungen gegen die Aufkündigung und holte diese Einwendungen unter einem nach. Weiters brachte sie vor, sie habe sich in der Zeit vom 8.2.1992 bis zum 15.2.1992 in Kärnten auf Urlaub befunden und daher von der Einbringung der Kündigung keine Kenntnis gehabt. Nach ihrer Rückkehr vom Urlaub sei sie als Ärztin beruflich derart in Anspruch genommen worden, daß es ihr erst am 25.2.1992 möglich gewesen sei, den Rückscheinbrief mit der Kündigung zu übernehmen.

Das Erstgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag ohne Durchführung eines Bescheinigungsverfahrens ab und die Einwendungen als verspätet zurück, weil der Umstand, daß die gekündigte Partei die im Zeitpunkt des von ihr angegebenen Datums der Behebung der Gerichtsendung noch nicht abgelaufene Einwendungsfrist ungenützt habe verstreichen lassen, ihr als Verschulden im Sinne des § 146 Abs 1 ZPO anzulasten sei.

Das Rekursgericht hob den erstgerichtlichen Beschluß auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteigt und daß der Rekurs zulässig sei. Zur Begründung führte es aus:

Aufkündigungen seien gemäß den §§ 564 Abs 1, 106 ZPO zu eigenen Handen im Sinne des § 21 ZustG zuzustellen. § 21 Abs 2 letzter Satz ZustG ordne für den Fall, daß auch der zweite Zustellversuch ergebnislos geblieben sei, die Hinterlegung nach § 17 ZustG an. Nach Absatz 3, 4.Satz der letztgenannten Gesetzesstelle gälten hinterlegte Sendungen nicht als zugestellt, wenn sich ergebe, daß der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang habe Kenntnis erlangen können, doch werde die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte. Das mit 1.3.1983 in Kraft getretene Zustellgesetz habe gegenüber der bisherigen Rechtslage somit insofern eine Änderung gebracht, als bei den Erfordernissen für die Wirksamkeit einer Zustellung durch Hinterlegung die rechtzeitige Kenntnis vom Zustellvorgang angeführt worden sei. Die zweckgerichtete Auslegung der Bestimmungen des § 21 Abs 2 letzter Satz ZustG und des § 17 Abs 3 ZustG führe hinsichtlich Zustellungen zu eigenen Handen zur Unterscheidung, ob sich die nicht nur vorübergehende Ortsabwesenheit auf beide Zustellversuche oder nur auf den zweiten Zustellversuch erstreckte. Im ersten Falle sei keine spätere Sanierung möglich, dagegen wohl aber im zweiten Falle, denn der Empfänger werde hier von der angekündigten Hinterlegung nicht überrascht. Die Ortsanwesenheit des Empfängers beim ersten Zustellversuch sei somit Voraussetzung für ein wirksames Ersuchen im Sinne des § 21 Abs 2 erster Satz ZustG. Demgemäß sei im vorliegenden Falle das Vorbringen der gekündigten Partei über die behauptete, nicht nur vorübergehende Ortsabwesenheit bei beiden Zustellversuchen zu überprüfen und bei dessen Verifizierung die Zustellung als unwirksam anzusehen. Wann der gekündigten Partei die Aufkündigung tatsächlich zugekommen und somit eine Sanierung gemäß § 7 ZustG erfolgt sei, werde in dem durchzuführenden Bescheinigungsverfahren zu klären sein. Sollten sich die Behauptungen der gekündigten Partei als zutreffend erweisen, wäre der unwirksame Zustellvorgang durch die tatsächliche Empfangnahme am 25.2.1992 gemäß § 7 ZustG saniert worden.

Gegen den rekursgerichtlichen Beschluß erhebt die kündigende Partei Revisionsrekurs mit dem sinngemäßen Antrag auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses. Sie verweist auf die Entscheidung SZ 57/34 und vertritt den Standpunkt, für den bei beiden oder nur beim zweiten Zustellversuch ortsanwesenden Empfänger gälten die hinterlegten Schriftstücke als nicht zugestellt, wenn sich ergebe (§ 17 Abs 3 4.Satz ZustG), daß der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. Die vom Rekursgericht vorgenommene Differenzierung würde zu unerträglichen Verfahrensverzögerungen führen, die nicht mehr im Interesse des Schutzes einer an der mangelhaften Zustellung nicht schuldigen Person lägen.

Der Revisionrekurs ist gemäß § 519 Abs 2, § 502 Abs 1 ZPO zulässig, im Ergebnis aber nicht gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

In der vom Rekursgericht und von der Rechtsmittelwerberin zitierten Entscheidung SZ 57/34 wurde bereits ausgeführt, die bisherige Rechtslage habe durch das Zustellgesetz insoweit eine Änderung erfahren, als bei den Erfordernissen für die Wirksamkeit einer Zustellung durch Hinterlegung die "rechtzeitige" Kenntnis vom Zustellvorgang angeführt (§ 17 Abs 3 ZustG) wurde. Bei der Auslegung dieser Bestimmung müsse davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber die bisherige Rechtslage zumindest nicht iS einer Verschlechterung der Möglichkeit der Hinterlegung habe ändern wollen. Die bisherige, eher schematische Regelung habe dazu geführt, daß über den angestrebten Zweck hinaus auch Verfahrensverzögerungen bewirkt worden seien, die nicht mehr im Interesse des Schutzes einer an der mangelhaften Zustellung nicht schuldigen Partei lagen. Diese nicht gewünschten Nebenwirkungen der bisherigen Zustellregelungen sollten durch die Neufassung möglichst behoben werden, wie schon der jeweilige Schlußsatz der Bestimmungen der §§ 16 Abs 5 und 17 Abs 3 ZustG zeige, wonach eine Sanierung mangelhafter Zustellungen nicht mehr vom tatsächlichen Zukommen der Sendung abhängig sei. Der Gesetzgeber wolle dem Empfänger nur jenen Schutz zukommen lassen, der notwendig erscheine, um ihn nicht schlechter zu stellen als jene Empfänger, denen ordnungsgemäß zugestellt wurde. Somit sei § 17 Abs 3 ZustG dahin auszulegen, daß der Empfänger von der Zustellung dann nicht rechtzeitig Kenntnis erlangt habe, wenn er nicht in der Lage war, auf die Sendung zum selben Zeitpunkt zu reagieren, zu dem ein Empfänger üblicherweise reagieren hätte können, dem gesetzmäßig durch Hinterlegung zugestellt werden durfte. Wenn daher der Empfänger durch den Zustellvorgang nicht erst später die Möglichkeit erlangt habe, in den Besitz der Sendung zu kommen, als dies bei einem Großteil der Bevölkerung infolge ihrer Berufstätigkeit der Fall gewesen wäre, so müsse die Zustellung durch Hinterlegung als ordnungsgemäß angesehen werden. Dies sei z.B. bei einer bloß eintägigen Ortsabwesenheit der Fall.

Im Sinne der vorgenannten Entscheidung wurde in der weiters zitierten Entscheidung 5 Ob 599/90 betreffend die eigenhändige Zustellung einer Klage ausgesprochen, eine Hinterlegung sei dann unwirksam, wenn der Empfänger zufolge Ortsabwesenheit von der Aufforderung, beim zweiten Zustellversuch anwesend zu sein, nicht rechtzeitig Kenntnis erlangen habe können oder wenn ihm zufolge Ortsabwesenheit für die Erstattung eines befristeten Schriftsatzes nicht ein gleicher Zeitraum zur Verfügung stand, wie einem ortsanwesenden Empfänger, an den nur wegen Abwesenheit von der Abgabestelle durch Hinterlegung zugestellt wurde.

Die - wie hier - die Zustellung einer Kündigung betreffende Entscheidung 7 Ob 519/92 wiederholte die Ausführungen der SZ 57/34 über die Auslegung des § 17 Abs 3 ZustG und verwies darauf, nach § 17 Abs 3, 4.Satz ZustG gelten Sendungen daher nicht als zugestellt, wenn sich ergebe, daß der Empfänger nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. Wenn der Empfänger durch den Zustellvorgang nicht erst später die Möglichkeit erlangte, in den Besitz der Sendung zu kommen, als dies bei einem Großteil der Bevölkerung infolge ihrer Berufstätigkeit der Fall wäre, so müsse die Zustellung durch Hinterlegung als ordnungsgemäß angesehen werden. Bei der im gegebenen Falle ab dem Hinterlegungstag vorliegenden sechstägigen Ortsabwesenheit komme eine Gleichstellung mit den Fällen einer bloß üblichen berufsbedingten Abwesenheit nicht in Frage.

Durch diese vorstehende Rechtssprechung ist somit aber grundsätzlich für alle Fälle, also auch für jenen der Zustellung zu eigenen Handen gemäß § 21 ZustG, klargestellt, daß nicht nur, wie schon bisher, durch das tatsächliche Zukommen der Sendung an den Empfänger Zustellungsmängel saniert werden (§ 7 ZustG), sondern im Sinne der neuen Regelung des § 17 Abs 3 letzter Satz ZustG auch dadurch, daß der Empfänger so rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangte, daß er in gleicher Weise wie ein von der Abgabestelle lediglich aus berufsbedingten Gründen tagsüber Abwesender die Möglichkeit hatte, in den Besitz der Sendung zu gelangen. Ob der Empfänger bei beiden oder lediglich beim zweiten Zustellversuch nicht nur vorübergehend ortsabwesend war ist daher insoweit entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes ohne Bedeutung.

Im vorliegenden Falle erfolgte der erste Zustellversuch am Mittwoch, dem 12.2.1992. Ein bloß tagsüber aus berufsbedingten Gründen von der Abgabestelle Abwesender hätte somit normalerweise die Möglichkeit gehabt, am nächsten Tag oder jedenfalls am übernächsten Tag, also spätestens am Freitag, dem 14.2.1992, die Sendung zu übernehmen. Diese Gelegenheit hätte die gekündigte Partei nach ihrem Vorbringen hier aber nicht gehabt, wenn sie, wie von ihr behauptet wurde, noch am 15.2.1992 in Kärnten auf Urlaub war. Träfe dies zu, so wäre die Zustellung durch Hinterlegung somit aber gemäß § 17 Abs 3 ZustG und im Sinne der vorstehenden Ausführungen mangels rechtzeitiger Kenntnis vom Zustellvorgang unwirksam geblieben. In diesem Falle hätte erst das tatsächliche Zukommen der Sendung (§ 7 ZustG) angeblich am 25.2.1992 den Lauf der Einwendungsfrist ausgelöst und die von der gekündigten Partei am 6.3.1992 erhobenen Einwendungen erschienen sodann rechtzeitig.

Demgemäß hat es hier im Ergebnis beim rekursgerichtlichen Ausspruch der Zurückweisung der Rechtssache an das Erstgericht zur Prüfung der behauptetermaßen bis einschließlich 15.2.1992 gegebenen Ortsabwesenheit der gekündigten Partei und allenfalls des Zeitpunktes der tatsächlichen Ausfolgung der Sendung an sie zu verbleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 50 ZPO.

Anmerkung

E30954

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0080OB00654.92.1222.000

Dokumentnummer

JJT_19921222_OGH0002_0080OB00654_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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