TE OGH 1993/3/22 1Ob36/92

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Veröffentlicht am 22.03.1993
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin Franz O***** Kommanditgesellschaft, ***** vertreten durch Dr. Stefan Gloß und Dr. Hans Pucher, Rechtsanwälte in St. Pölten, wider die Antragsgegnerin Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 7,220.509,08 S sA, infolge Revisionsrekurses der Antragstellerin gegen den Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgerichtes vom 26. August 1992, GZ R 360/92-25, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Neulengbach vom 31. März 1992, GZ Nc 120/91-14, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Am 3. April 1991 lenkte ein Dienstnehmer der Antragstellerin einen von dieser gehaltenen Tankwagenzug, bestehend aus dem mit etwa 17.000 Liter Dieseltreibstoff, Normal- und Superbenzin beladenen Zugfahrzeug und dem mit etwa 16.000 Liter Superbenzin beladenen Anhänger auf der Westautobahn in Richtung Salzburg. Um etwa 23.00 Uhr stürzte im Gemeindegebiet von Neustift-Innermanzing der Anhänger um und begann zu brennen. Das Feuer griff auf das Zugfahrzeug über und beide Fahrzeuge brannten vollständig aus. Ein Löschen war trotz raschem Feuerwehreinsatz nicht möglich. Unverbranntes Benzin gelangte über die naheliegende Regenwasserkanalisation in die Große Tulln (Laabenbach), wodurch akute Explosionsgefahr bestand. Große Mengen von Treibstoff sickerten in die Fahrbahndecke, den Mittelstreifen und in den nördlich der Richtungsfahrbahn Salzburg der Westautobahn gelegenen Böschungs- und ebenen Geländebereich. Infolge der akuten Gefahr einer Boden-, Grundwasser- und Tagwasserverunreinigung ordnete die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten als Wasserrechtsbehörde Maßnahmen zur Beseitigung der Gewässerverunreinigung an, wodurch Kosten von insgesamt 7,220.509,08 S entstanden. Die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten schrieb der Antragstellerin mit Bescheiden vom 24. Juni 1991 und 1. August 1991, Zl. 9-W-9143, Beträge von 7,077.021,38 S und 143.487,70 S als Kosten der vom 4.April bis einschließlich 7. Mai 1991 unmittelbar angeordneten und durch dritte Unternehmen, die NÖ Bundesstraßenverwaltung und verschiedene freiwillige Feuerwehren durchgeführten Wasserschutzmaßnahmen gemäß § 31 Abs 3 WRG zur Bezahlung vor. Weder der Lenker noch der Zulassungsbesitzer des Tankwagenzuges seien in der Lage gewesen, durch geeignete Maßnahmen eine Boden-, Grundwasser- und Tagwasserverunreinigung zu verhindern. Das Ausmaß der Verunreinigungen sei so groß gewesen, daß sofort die nötigen Arbeiten und Leistungen anzuordnen gewesen seien. Der Vertreter der Wasserrechtsbehörde habe diese unter Beiziehung von Amtssachverständigen unmittelbar angeordnet, wobei sowohl der Zulassungsbesitzer als auch dessen (Haft)Pflichtversicherer informiert und teilweise an Ort und Stelle anwesend gewesen seien. Alle angeordneten Maßnahmen seien prompt und mustergültig durchgeführt worden, sodaß eine nachhaltige Boden-, Grundwasser- und Tagwasserverunreinigung verhindert werden konnte.

Die Antragstellerin beantragte gemäß § 117 Abs 4 WRG 1959 idF der WRG-Novelle 1988, BGBl 1988/693, bei dem nach § 117 Abs 6 WRG zuständigen Erstgericht die gerichtliche Entscheidung und vertrat dazu im wesentlichen die Auffassung, für den Schaden nicht zu haften, weil den Lenker des Tankwagenzuges wegen eines Reifenplatzers bei einem Überholmanöver kein Verschulden treffe. Im Falle der Haftung sei diese nach § 16 Abs 1 Z 2 EKHG betraglich mit 1,110.000 S begrenzt, die Forderungen sämtlicher Anspruchswerber müßten quotenmäßig aufgeteilt werden. Die Höhe der aufgewendeten Kosten werde nicht bestritten.

Die Antragsgegnerin vertrat die Auffassung, daß die Antragstellerin unabhängig von einem Verschulden als Verursacherin hafte, sie beantragte den Zuspruch von 7,220.509,08 S als Kosten der Sanierungsmaßnahmen.

Das Erstgericht sprach aus, daß die Bescheide der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 24. Juni 1991 und 1. August 1991 gemäß § 117 Abs 4 (zweiter Satz) WRG außer Kraft getreten seien (Punkt 1.) und verhielt die Antragstellerin zur Zahlung von 7,077.021,38 S samt 4 % Zinsen seit 1. August 1991 und von 143.487,70 S samt 4 % Zinsen seit 26. August 1991 an die Antragsgegnerin (Punkt 2.).

Über Rekurse beider Parteien änderte die zweite Instanz den erstgerichtlichen, in seinem Punkt 1. unangefochten gebliebenen Beschluß in seinem Punkt 2. lediglich im Zinsen- und Kostenpunkt dahingehend ab, daß die Antragstellerin nach § 117 Abs 6 WRG iVm § 33 Abs 2 EisbEG zur Zahlung von Verzugszinsen ab 2.April 1992 (Tag der Zustellung der erstgerichtlichen Entscheidung) und zur Zahlung von Verfahrenskosten an die Antragsgegnerin verhalten wurde. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist gemäß § 117 Abs 4 und 6 WRG iVm § 24 Abs 1 EisbEG und § 14 Abs 1 AußStrG zulässig, aber nicht berechtigt.

Schutzzweck der Vorschriften der §§ 30 ff WRG 1959 ist die Reinhaltung und der Schutz der Gewässer einschließlich des Grundwassers. Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist § 31 WRG idF der WRG-Novelle 1969, BGBl 1969/207. § 31 Abs 1 WRG als Schutznorm iS des § 1311 ABGB (JBl 1991, 580 mit Anm von Kerschner; JBl 1991, 247 mit Anm von Rummel ua) verpflichtet jedermann mit der nach § 1297 bzw § 1299 ABGB gebotenen Sorgfalt zur Reinhaltung der Gewässer und begründet unabhängig von öffentlich-rechtlichen und verwaltungsstrafrechtlichen (§ 137 Abs 2 lit f WRG) Sanktionen eine Schadenersatzpflicht des Schädigers bei Übertretung der Schutznorm, es sei denn, er vermag den Beweis zu erbringen, daß ihn an der Übertretung des Schutzgesetzes kein Verschulden traf (SZ 57/134 = JBl 1985, 355). Die Bestimmung soll künftige Gewässerverunreinigungen hintanhalten. Sie bezieht sich in erster Linie auf Anlagen und Maßnahmen, bei denen eine Einwirkung auf Gewässer zwar nicht vorgesehen, erfahrungsgemäß aber möglich ist. Dagegen bezweckt § 31 Abs 2 WRG die Beseitigung einer bereits konkretisierten Gefahr: Wenn trotz Einhaltung der nach Abs 1 leg.cit. gebotenen Sorgfalt die Gefahr einer Gewässerverunreinigung eintritt, so hat der nach Abs 1 Verpflichtete unverzüglich die zur Vermeidung einer Verunreinigung erforderlichen Maßnahmen zu treffen und die im Gesetz näher bezeichneten Behörden zu verständigen. Bei Tankfahrzeugunfällen hat der Lenker, sofern dieser hiezu nicht oder nicht allein in der Lage ist, auch der Beifahrer, die erforderlichen Sofortmaßnahmen im Sinne der Betriebsanweisung für Tankfahrzeuge zu treffen. Sind außer den Sofortmaßnahmen weitere Maßnahmen zur Vermeidung einer Gewässerverunreinigung erforderlich, so ist zu ihrer Durchführung der Halter des Tankfahrzeuges verpflichtet. Die neben der Verständigungspflicht bestehende Handlungspflicht des Verursachers umfaßt alle Vorkehrungen, die ein weiteres Auslaufen von wassergefährdenden Stoffen verhindern, aber auch die Verpflichtung, bereits ausgelaufene Stoffe zu lokalisieren, einzusammeln und schadlos zu beseitigen (RV zur WRG-Novelle 1969, 1217 BlgNR XI. GP, 7). Werden diese Maßnahmen vom Verpflichteten nicht oder nicht rechtzeitig getroffen, so hat ihm nach § 31 Abs 3 WRG die Wasserrechtsbehörde die entsprechenden Maßnahmen aufzutragen oder bei Gefahr im Verzuge unmittelbar anzuordnen und gegen Ersatz der Kosten durch den Verpflichteten nötigenfalls unverzüglich durchführen zu lassen. Gefahr im Verzug ist jedenfalls gegeben, wenn eine Wasserversorgung gefährdet ist (§ 31 Abs 3 letzter Satz WRG). Die Behörde kann den gesetzmäßigen Zustand durch eigene Organe herstellen oder sich dazu Dritter bedienen (SZ 62/130, SZ 59/140 mwN).

Daß die Voraussetzungen für ein Einschreiten der Wasserrechtsbehörde nach § 31 Abs 3 WRG (Gefahr im Verzug) vorlagen, wird im Rechtsmittel mit dem Hinweis, daß die Gewässerverunreinigung der Großen Tulln durch unverbranntes Benzin bereits eingetreten gewesen sei, zugestanden. Die Handlungspflicht der nach § 31 Abs 2 WRG Verpflichteten endet aber nicht mit der eingetretenen Gewässerverunreinigung, da ja auch eine Verhinderung der weiteren Ausbreitung derselben und das Beiseitigen von wassergefährdenden Stoffen zu den vom Gesetz geforderten Abwehrmaßnahmen zählt (vgl. dazu auch den in der RV zur WRG-Novelle 1969, 1217 BlgNR XI. GP 6 f und bei Grabmayr-Rossmann, Wasserrecht2 157 auszugsweise abgedruckten Erlaß des BMLF vom 19. Februar 1964, Zl 960006/471-105377 über Sofortmaßnahmen zum Schutz des Wassers bei Auslaufen von Mineralöl.

Anders als nach § 31 Abs 1 WRG geht es bei der Verpflichtung des Verursachers nach § 31 Abs 2 und 3 WRG nicht um (verschuldensabhängige) Schadenersatzpflichten, sondern primär um Schadensverhütungs- oder doch Schadensbegrenzungs- oder um Sanierungsmaßnahmen, die auch ohne Verschulden und ohne in der Eile vielfach gar nicht mögliche Verschuldensprüfung unverzüglich zu setzen sind. Für sie gilt - anders als nach Abs 1 leg.cit. - das Verursacherprinzip (SZ 60/235, SZ 57/16; Rossmann, Wasserrechtsgesetz 1959 idF der Wasserrechtsgesetz-Novelle 1990, Anm 5 zu § 31 mwN aus der Rechtsprechung des VwGH; Grabmayr-Rossmann, Das österr. Wasserrecht2 157; Kaan, Wasserrechtsgesetz 19592 143 mwN). Wird durch einen Tankwagenunfall die Gefahr einer Gewässerverunreinigung hervorgehoben, so ist nach § 31 Abs 2 letzter Satz WRG der Fahrzeughalter zur Durchführung der Maßnahmen verpflichtet. Darauf, ob er bzw. der Lenker des Fahrzeugs die in § 31 Abs 1 WRG normierten Vorsorgen schuldhaft unterlassen hat, kommt es nicht an, sondern nur darauf, ob durch das Tankfahrzeug objektiv die Gefahr einer Gewässerverunreinigung eingetreten ist (VwGH VwSlg 8269; ZfVB 1978/3/1358). Die Antragstellerin als Fahrzeughalterin war infolge des Austretens von Benzin und Dieselöl aus ihrem Tankwagenzug nach einem Unfall somit auch ohne eigenes Verschulden verpflichtet, zur Vermeidung von Gewässerverunreinigungen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Dies hat sie als Verpflichtete nicht getan und hat daher die der Höhe nach unbestrittenen, somit notwendigen und zweckmäßigen (Rossmann aaO, Anm 7 zu § 31) Kosten der erforderlichen, von der Wasserrechtsbehörde veranlaßten Sanierungsmaßnahmen zu tragen. Der Hinweis im Rechtsmittel auf eine durch die WRG-Novelle 1990, BGBl 1990/252, mit § 31 Abs 4 WRG begründete subsidiäre Haftung des Grundeigentümers, der „zumutbare“ Abwehrmaßnahmen unterläßt, geht wegen der anderslautenden Bestimmung nach § 31 Abs 3 WRG und des gänzlich anderen Regelungszweckes fehl.

Daß die Haftung des Verursachers einer Gewässerverunreinigung für die Kosten der Sanierungsmaßnahmen nach § 31 Abs 3 WRG betraglich mit den Haftungshöchstgrenzen des EKHG begrenzt wäre, ergibt sich dem Gesetz nicht. In der RV zur WRG-Novelle 1969 (aaO, 7) wird im Zusammenhang mit Tankwagenunfällen und dem Austritt von Mineralölen ausgeführt: „Die Haftungs- und Kostenfrage ist im übrigen im Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz bzw. in den einschlägigen versicherungsrechtlichen Bestimmungen geregelt.“ Erkennbar bezieht sich dies darauf, daß neben der speziellen Haftung des Verpflichteten nach § 31 Abs 3 WRG auch die nach dem EKHG bestehen kann, besagt aber nicht, daß damit Haftungshöchstgrenzen eines Gesetzes mit ganz anderen Regelungsinhalten ins WRG Eingang finden sollten. Der Hinweis in der RV zur WRG-Novelle 1969 (aaO, 7), wonach durch die Sofortmaßnahmen iS der Betriebsanweisung für Tankfahrzeuge kaum Kosten entstehen können, da die Sofortmaßnahmen einfache Tätigkeiten umfassen, die eine Verhinderung weiteren Auslaufens aus dem Behälter, die Lokalisierung des Auslaufbereiches sowie die Bindung des ausgelaufenen Öles zum Ziele haben, bezieht sich auf die vom Lenker oder Beifahrer vorzunehmenden Sofortmaßnahmen und nicht auf die dem Halter des Tankfahrzeuges obliegenden weiteren Maßnahmen zur Vermeidung einer Gewässerverunreinigung nach § 31 Abs 3 letzter Satz WRG. Tatsächlich bleiben nach § 19 Abs 1 EKHG die Vorschriften des ABGB und andere Vorschriften, nach denen der Betriebsunternehmer oder Halter für den verursachten Schaden in weiterem Umfang als nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes haftet oder nach denen ein anderer für den Schaden verantwortlich ist, unberührt. Als solche „andere Vorschriften“ kommt nicht nur das Amtshaftungsgesetz (Veit, EKHG5 Anm 1 zu § 19) in Frage, sondern auch die Bestimmung des § 31 Abs 3 WRG, die eben eine verschuldensunabhängige Haftung „im weiteren Umfang“ vorsieht. Daß der Gesetzgeber den Verursacher einer beim Betrieb eines Tankfahrzeuges eingetretenen Gewässerverunreinigung besser stellen wollte als andere zur Kostentragung Verpflichtete iS des § 31 Abs 3 WRG, kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden. Grundlage der Haftung ist auch nicht das EKHG, sondern § 31 Abs 3 WRG. Die Haftung des Halters eines Tankfahrzeuges, der zugleich Verpflichteter iS des § 31 Abs 2 und 3 WRG ist, für die Kosten der wegen Gefahr im Verzug von der Behörde veranlaßten, erforderlichen Maßnahmen zur Vermeidung einer Gewässerverunreinigung ist verschuldensunabhängig und betraglich durch die Haftungshöchstbeträge für Schäden an Sachen nach § 16 EKHG nicht beschränkt.

Dem Revisionsrekurs ist nicht Folge zu geben. Ein Kostenersatz an die Antragsgegnerin für ihre nach § 117 Abs 6 WRG iVm § 30 Abs 4 und 5 EisbEG zulässige Äußerung ON 32 muß an der Einseitigkeit der Kostenersatzpflicht nach § 117 Abs 6 WRG iVm § 44 EisbEG scheitern (vgl. SZ 60/269, SZ 60/17, je mwN; 1 Ob 581/90).

Textnummer

E34004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:0010OB00036.92.0322.000

Im RIS seit

15.06.1997

Zuletzt aktualisiert am

22.02.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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