TE Vwgh Erkenntnis 2006/6/27 2006/18/0138

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.06.2006
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
E3L E02100000;
E3L E05100000;
E3L E19100000;
E6J;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

32004L0038 Unionsbürger-RL Art27 Abs2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art28 Abs3 Za;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art30;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art31;
32004L0038 Unionsbürger-RL Kap4;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
62003CJ0136 Dörr VORAB;
62003CJ0383 Dogan VORAB;
ARB1/80 Art14 Abs1;
ARB1/80 Art6 Abs1;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
B-VG Art130 Abs2;
EURallg;
FrPolG 2005 §125 Abs1;
FrPolG 2005 §55 Abs3;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §9 Abs1;
VwRallg;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):2006/21/0217 E 21. November 2006 2006/21/0230 E 30. Jänner 2007 2006/21/0234 E 30. Jänner 2007 2006/21/0235 E 30. Jänner 2007

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des A, geboren 1964, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2/1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 8. März 2006, Zl. uvs- 2006/30/0198-7, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol (der belangten Behörde) vom 8. März 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß §§ 60 Abs. 1, 61, 63, 66 und 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen und ihm gemäß § 86 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt.

Die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck habe mit Bescheid vom 11. August 2003 gegen den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen. Der daraufhin ergangene Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 21. Oktober 2003 sei mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. November 2005, Zl. 2003/18/0343, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben worden. Der Verwaltungsakt sei von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol mit Schreiben vom 20. Jänner 2006 gemäß § 6 Abs. 1 AVG iVm § 9 Abs. 1 Z. 1 FPG zuständigkeitshalber an die belangte Behörde zur Entscheidung weitergeleitet worden.

Der Beschwerdeführer sei im Jahr 1989 im Alter von 25 Jahren als Gastarbeiter nach Österreich gekommen und habe bis auf kleine Unterbrechungen immer gearbeitet. Seine Eltern und sonstigen nahen Verwandten, insbesondere seine Geschwister, seien nach 1992 nach Schweden ausgewandert. In Österreich würden weitschichtige Verwandte, zum Beispiel die Kinder seiner Cousine wohnen. Er sei kinderlos und zum Zeitpunkt der Einreise nach Österreich verheiratet gewesen. Seine türkische Frau habe weiterhin in der Türkei gelebt. Im Jahr 1995 oder 1996 habe sich der Beschwerdeführer scheiden lassen. Im März 2005 sei seine frühere Ehefrau nach Österreich gekommen und habe um Asyl angesucht. Seither lebe er in Lebensgemeinschaft mit seiner geschiedenen Frau und komme für ihren Lebensunterhalt auf. Nach seiner Entlassung aus der Haft sei er nunmehr seit 24. März 2004 durchgehend bei der Firma P. in Innsbruck als Arbeiter beschäftigt und verdiene ca. EUR 1.200,-- netto pro Monat. Er habe die Türkei seit ca. viereinhalb Jahren nicht besucht und habe dort keine nahen Verwandten; diese würden sich in Schweden aufhalten. Die persönlichen und sozialen Kontakte und das diesbezügliche Umfeld bezögen sich aber stark und überwiegend auf Österreich.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Schwaz vom 24. November 1997 sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Verstrickungsbruches nach § 271 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt worden, weil er zwischen dem 9. Juni und dem 18. Juli 1997 in Schwaz einen anlässlich einer Zwangsvollstreckung gepfändeten Pkw nach Kundl verbracht und dadurch eine behördlich gepfändete Sache der Verstrickung entzogen habe. Mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 6. Mai 1998 sei er zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung verurteilt worden, weil er am 10. April 1998 bei einem Verkehrsunfall seinen Mitfahrer fahrlässig am Körper verletzt hatte. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Telfs vom 14. Februar 2002 sei er wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 50 Tagssätzen verurteilt worden, weil er am 14. September 2001 in Telfs bei einem Verkehrsunfall zwei Personen leicht am Körper verletzt habe. Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 19. September 2002 sei der Beschwerdeführer wegen des versuchten Verbrechens nach § 15 StGB und § 28 Abs. 2 und Abs. 4 Z. 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt worden.

Dieser Verurteilung sei folgender Schuldspruch zu Grunde gelegen:

"Die Angeklagten L. , B. und (der Beschwerdeführer) sind schuldig, es haben den bestehenden Vorschriften zuwider ein Suchtgift in einer großen Menge (Abs. 6), nämlich insgesamt 2.001,95 Gramm Heroin, aus- und eingeführt bzw. in Verkehr zu setzen versucht, wobei sie die Taten mit Beziehung auf ein Suchtgift begingen, dessen Menge zumindest das 25fache der Grenzmenge (Abs. 6) ausmachte und zwar:

1. L. und B. im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) durch den Schmuggel von 2.001,95 Gramm Heroin von der Bundesrepublik Deutschland nach Österreich am 15.04.2002 und

2. B. und (der Beschwerdeführer) im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) durch die versuchte Weitergabe des zu 1. angeführten Suchtgiftes an einen oder mehrere namentlich nicht bekannte Abnehmer am 16.04.2002."

Mit Abwesenheitsurteil vom 12. April 2005 sei der Beschwerdeführer schließlich zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Monat wegen des Vergehens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 StGB verurteilt worden, weil er am 31. August 2004 in Innsbruck den Revierinspektor Robert K. dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt habe, dass er im Rahmen der bei der Bundespolizeidirektion Innsbruck am 2. September 2004 eingelangten Maßnahmenbeschwerde behauptet habe, K. habe Serdar G. einen Faustschlag versetzt, ihn am Hals gepackt und gegen einen Baum gedrückt, wodurch er Kontusionen im Bereich des Brustkorbes erlitten hätte, ihn mithin von Amts wegen zu verfolgender, mit Strafe bedrohter Handlungen, nämlich der Verletzung einer Amts- oder Standespflicht sowie einer von Amts wegen zu verfolgenden, mit Strafe bedrohten Handlung, nämlich des Vergehens der Körperverletzung und der Ausnützung einer Amtsstellung gemäß § 83 Abs. 2 und § 313 StGB, falsch verdächtigt, obwohl er gewusst habe, dass die Verdächtigung falsch war.

Der Beschwerdeführer sei türkischer Staatsangehöriger, der unter Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 falle. Für diesen Personenkreis sei § 9 Abs. 1 Z. 1 FPG anzuwenden. Daraus ergebe sich die Zuständigkeit der belangten Behörde.

Die vom Beschwerdeführer gezeigten Verhaltensweisen, die zu den angeführten Verurteilungen geführt hätten, würden zeigen, dass er entweder nicht in der Lage oder nicht gewillt sei, sich an die in Österreich geltenden Gesetze zu halten. Dadurch gefährde er die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Sein persönliches Verhalten stelle eine tatsächliche und gegenwärtige erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Besonders die Verurteilung nach dem Suchtmittelgesetz sei als besonders schwerwiegend im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität anzusehen. Als besonders nachteilig sei zu werten, dass der Beschwerdeführer nach Erlassung des erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotsbescheides, also im Wissen um die persönlichen schwerwiegenden Folgen eines Aufenthaltsverbotsverfahrens und trotz gegenteiliger Beteuerungen in der Berufung vom 27. August 2003, nach der Verbüßung der Strafhaft neuerlich eine gerichtlich strafbare Handlung begangen habe. Eine Verleumdung nach § 297 Abs. 1 StGB eines im öffentlichen Dienst stehenden Polizeibeamten könne nicht als geringfügig und unbedeutend angesehen werden, weil eine solche für einen Polizeibeamten schwerwiegende strafrechtliche und sogar existenzgefährdende Folgen nach sich ziehen könne. Dass die rechtskräftige Verurteilung durch ein Abwesenheitsurteil erfolgt sei, könne diese Einschätzung nicht schmälern. Auch die Ausführungen des Beschwerdeführers über das Zustandekommen des Abwesenheitsurteiles könnten die rechtskräftige Verurteilung nicht entkräften. Der Beschwerdeführer halte sich bereits länger als zehn Jahre ununterbrochen mit Hauptwohnsitz in Österreich auf. Auf Grund der gezeigten persönlichen Verhaltensweisen sei davon auszugehen, dass die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würden. Trotz einer längeren Haftverbüßung und im Wissen um das drohende Aufenthaltsverbotsverfahren sei innerhalb kurzer Zeit neuerlich ein gerichtlich strafbares Verhalten gesetzt worden. Es sei davon auszugehen, dass bei einem weiteren Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet mit weiteren gerichtlich strafbaren Handlungen und den damit verbundenen Gefährdungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechnet werden müsse.

Mit dem Aufenthaltsverbot werde in das Familien- aber vor allem in das Privatleben des Beschwerdeführers massiv eingegriffen. Das Aufenthaltsverbot sei jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, zur Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer, notwendig und geboten. Das Aufenthaltsverbot sei auch gemäß § 61 FPG zulässig, weil die diesbezüglich angeführten "Aufenthaltsverbot-Verbote" gemäß Z. 1 bis Z. 4 leg. cit. nicht vorliegen würden. Das Aufenthaltsverbot sei weder nach § 60 Abs. 2 Z. 8 FPG erlassen worden, noch sei eine Ausweisung gemäß § 54 Abs. 1 FPG unzulässig. Unabhängig davon, ob eine Staatsbürgerschaftsverleihung vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Grund der bereits aufscheinenden gerichtlichen Verurteilungen überhaupt möglich gewesen wäre, sei im gegenständlichen Fall eine Verurteilung wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung zu einer mehr als einjährigen (unbedingt verhängten) Freiheitsstrafe vorgelegen. Weiters sei der erst als 25-Jähriger nach Österreich zugewanderte Beschwerdeführer nicht von klein auf im Inland aufgewachsen. Die fünfjährige Dauer des Aufenthaltsverbotes sei gemäß § 63 Abs. 2 FPG angemessen und unter Bedachtnahme auf die für die Erlassung maßgeblichen und persönlichen Umstände notwendig und erforderlich, um den angeführten Schutzinteressen bestmöglich entsprechen zu können.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, er sei weder EWR-Bürger noch Schweizer Bürger noch begünstigter Drittstaatsangehöriger noch habe sich die Berufung gegen eine "Entscheidung nach diesem Bundesgesetz" gerichtet. Über die Berufung hätte daher gemäß § 9 Abs. 1 Z. 2 FPG die Sicherheitsdirektion entscheiden müssen. Da eine unzuständige Berufungsbehörde mit der Sache befasst gewesen sei, sei der angefochtene Bescheid inhaltlich rechtswidrig. Wäre die Auffassung der belangten Behörde richtig, so müssten auch die Familienangehörigen türkischer Staatsbürger vor einem Tribunal gehört werden. Angehörige von türkischen Staatsbürgern hätten damit stärkere Rechtsgarantien in Österreich als Angehörige von Österreichern, was dem aus dem Diskriminierungsverbot abgeleiteten Gleichheitsgebot widerspreche. Überdies könne der Beschwerdeführer als türkischer Staatsbürger, der eine 18-monatige Freiheitsstrafe tatsächlich verbüßt habe, nicht weiterhin Rechte aus Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 (im Folgenden: ARB) in Anspruch nehmen, weil er nicht (mehr) dem regulären Arbeitsmarkt angehöre.

1.2. § 9 Abs. 1 FPG idF BGBl. I Nr. 157/2005 lautet:

"(1) (Verfassungsbestimmung) Über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz entscheiden, sofern nicht anderes bestimmt ist,

1. im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und

2. in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz."

Die Art. 3, 15, 27 bis 33 und 35 der Richtlinie 2004/38/EG

vom 29. April 2004 lauten:

"Artikel 3

Berechtigte

(1) Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.

(2) Unbeschadet eines etwaigen persönlichen Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt der Betroffenen erleichtert der Aufnahmemitgliedstaat nach Maßgabe seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Einreise und den Aufenthalt der folgenden Personen:

a) jedes nicht unter die Definition in Artikel 2 Nummer 2 fallenden Familienangehörigen ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit, dem der primär aufenthaltsberechtigte Unionsbürger im Herkunftsland Unterhalt gewährt oder der mit ihm im Herkunftsland in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, oder wenn schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege des Familienangehörigen durch den Unionsbürger zwingend erforderlich machen;

b) des Lebenspartners, mit dem der Unionsbürger eine ordnungsgemäß bescheinigte dauerhafte Beziehung eingegangen ist.

Der Aufnahmemitgliedstaat führt eine eingehende Untersuchung der persönlichen Umstände durch und begründet eine etwaige Verweigerung der Einreise oder des Aufenthalts dieser Personen.

(...)

Artikel 15

Verfahrensgarantien

(1) Die Verfahren der Artikel 30 und 31 finden sinngemäß auf jede Entscheidung Anwendung, die die Freizügigkeit von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen beschränkt und nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit erlassen wird.

(2) Wird der Personalausweis oder Reisepass, der die Einreise des Betroffenen in den Aufnahmemitgliedstaat sowie die Ausstellung der Anmeldebescheinigung oder der Aufenthaltskarte ermöglicht hat, ungültig, so rechtfertigt dies keine Ausweisung aus dem Aufnahmemitgliedstaat.

(3) Eine Entscheidung gemäß Absatz 1, mit der die Ausweisung verfügt wird, darf nicht mit einem Einreiseverbot des Aufnahmemitgliedstaats einhergehen.

(...)

Artikel 27

Allgemeine Grundsätze

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Kapitels dürfen die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers oder seiner Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränken. Diese Gründe dürfen nicht zu wirtschaftlichen Zwecken geltend gemacht werden.

(2) Bei Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und darf ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein. Strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne Weiteres diese Maßnahmen nicht begründen. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

(3) Um festzustellen, ob der Betroffene eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt, kann der Aufnahmemitgliedstaat bei der Ausstellung der Anmeldebescheinigung oder - wenn es kein Anmeldesystem gibt - spätestens drei Monate nach dem Zeitpunkt der Einreise des Betroffenen in das Hoheitsgebiet oder nach dem Zeitpunkt, zu dem der Betroffene seine Anwesenheit im Hoheitsgebiet gemäß Artikel 5 Absatz 5 gemeldet hat, oder bei Ausstellung der Aufenthaltskarte den Herkunftsmitgliedstaat und erforderlichenfalls andere Mitgliedstaaten um Auskünfte über das Vorleben des Betroffenen in strafrechtlicher Hinsicht ersuchen, wenn er dies für unerlässlich hält. Diese Anfragen dürfen nicht systematisch erfolgen. Der ersuchte Mitgliedstaat muss seine Antwort binnen zwei Monaten erteilen.

(4) Der Mitgliedstaat, der den Reisepass oder Personalausweis ausgestellt hat, lässt den Inhaber des Dokuments, der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit aus einem anderen Mitgliedstaat ausgewiesen wurde, ohne jegliche Formalitäten wieder einreisen, selbst wenn der Personalausweis oder Reisepass ungültig geworden ist oder die Staatsangehörigkeit des Inhabers bestritten wird.

Artikel 28

Schutz vor Ausweisung

(1) Bevor der Aufnahmemitgliedstaat eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt, berücksichtigt er insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat.

(2) Der Aufnahmemitgliedstaat darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen.

(3) Gegen Unionsbürger darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie

a) ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder

b) minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

Artikel 29

Öffentliche Gesundheit

(1) Als Krankheiten, die eine die Freizügigkeit beschränkende Maßnahme rechtfertigen, gelten ausschließlich die Krankheiten mit epidemischem Potenzial im Sinne der einschlägigen Rechtsinstrumente der Weltgesundheitsorganisation und sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten, sofern gegen diese Krankheiten Maßnahmen zum Schutz der Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats getroffen werden.

(2) Krankheiten, die nach Ablauf einer Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Einreise auftreten, stellen keinen Ausweisungsgrund dar.

(3) Wenn ernsthafte Anhaltspunkte dies rechtfertigen, können die Mitgliedstaaten für die Personen, die zum Aufenthalt berechtigt sind, binnen drei Monaten nach der Einreise eine kostenlose ärztliche Untersuchung anordnen, um feststellen zu lassen, dass sie nicht an einer Krankheit im Sinne von Absatz 1 leiden. Diese ärztlichen Untersuchungen dürfen nicht systematisch angeordnet werden.

Artikel 30

Mitteilung der Entscheidungen

(1) Entscheidungen nach Artikel 27 Absatz 1 müssen dem Betroffenen schriftlich in einer Weise mitgeteilt werden, dass er deren Inhalt und Wirkung nachvollziehen kann.

(2) Dem Betroffenen sind die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, die der ihn betreffenden Entscheidung zugrunde liegen, genau und umfassend mitzuteilen, es sei denn, dass Gründe der Sicherheit des Staates dieser Mitteilung entgegenstehen.

(3) In der Mitteilung ist anzugeben, bei welchem Gericht oder bei welcher Verwaltungsbehörde der Betroffene einen Rechtsbehelf einlegen kann, innerhalb welcher Frist der Rechtsbehelf einzulegen ist und gegebenenfalls binnen welcher Frist er das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats zu verlassen hat. Außer in ordnungsgemäß begründeten dringenden Fällen muss die Frist zum Verlassen des Hoheitsgebiets mindestens einen Monat, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Mitteilung, betragen.

Artikel 31

Verfahrensgarantien

(1) Gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit müssen die Betroffenen einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können.

(2) Wird neben dem Rechtsbehelf gegen die Entscheidung, mit der die Ausweisung verfügt wurde, auch ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, um die Vollstreckung dieser Entscheidung auszusetzen, so darf die Abschiebung aus dem Hoheitsgebiet nicht erfolgen, solange nicht über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz entschieden wurde, es sei denn,

-

die Entscheidung, mit der die Ausweisung verfügt wird, stützt sich auf eine frühere gerichtliche Entscheidung, oder

-

die Betroffenen hatten bereits früher die Möglichkeit, eine gerichtliche Überprüfung zu beantragen, oder

-

die Entscheidung, mit der die Ausweisung verfügt wird, beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit nach

Artikel 28 Absatz 3.

(3) Im Rechtsbehelfsverfahren sind die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Es gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß

Artikel 28 nicht unverhältnismäßig ist.

(4) Die Mitgliedstaaten können dem Betroffenen verbieten, sich während des anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens in ihrem Hoheitsgebiet aufzuhalten, dürfen ihn jedoch nicht daran hindern, sein Verfahren selbst zu führen, es sei denn, die öffentliche Ordnung oder Sicherheit können durch sein persönliches Erscheinen ernsthaft gestört werden oder der Rechtsbehelf richtet sich gegen die Verweigerung der Einreise in das Hoheitsgebiet.

Artikel 32

Zeitliche Wirkung eines Aufenthaltsverbots

(1) Personen, gegen die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ein Aufenthaltsverbot verhängt worden ist, können nach einem entsprechend den Umständen angemessenen Zeitraum, in jedem Fall aber drei Jahre nach Vollstreckung des nach dem Gemeinschaftsrecht ordnungsgemäß erlassenen endgültigen Aufenthaltsverbots einen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots unter Hinweis darauf einreichen, dass eine materielle Änderung der Umstände eingetreten ist, die das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt haben. Der betreffende Mitgliedstaat muss binnen sechs Monaten nach Einreichung des Antrags eine Entscheidung treffen.

(2) Die Personen gemäß Absatz 1 sind nicht berechtigt, während der Prüfung ihres Antrags in das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats einzureisen.

Artikel 33

Ausweisung als Strafe oder Nebenstrafe

(1) Der Aufnahmemitgliedstaat kann eine Ausweisungsverfügung als Strafe oder Nebenstrafe zu einer Freiheitsstrafe nur erlassen, wenn die Voraussetzungen der Artikel 27, 28 und 29 eingehalten werden.

(2) Wird eine Ausweisungsverfügung nach Absatz 1 mehr als zwei Jahre nach ihrem Erlass vollstreckt, so muss der Mitgliedstaat überprüfen, ob von dem Betroffenen eine gegenwärtige und tatsächliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ausgeht, und beurteilen, ob seit dem Erlass der Ausweisungsverfügung eine materielle Änderung der Umstände eingetreten ist.

(...)

Artikel 35

Rechtsmissbrauch

Die Mitgliedstaaten können die Maßnahmen erlassen, die notwendig sind, um die durch diese Richtlinie verliehenen Rechte im Falle von Rechtsmissbrauch oder Betrug - wie z.B. durch Eingehung von Scheinehen - zu verweigern, aufzuheben oder zu widerrufen. Solche Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein und unterliegen den Verfahrensgarantien nach den Artikeln 30 und 31."

1.3. Mit Urteil vom 2. Juni 2005, Rs C-136/03 (Dörr und Ünal), hat der Europäische Gerichtshof über ein die Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 betreffendes Vorabentscheidungsersuchen ausgesprochen, dass die Rechtsschutzgarantien der genannten Art. 8 und 9 für türkische Staatsangehörige gelten, denen die Rechtstellung nach Art. 6 und 7 des Beschlusses Nr. 1/80 zukommt. Begründend führte der Europäische Gerichtshof aus, dass Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 den zuständigen nationalen Behörden Grenzen setze, die jenen entsprächen, die für eine gegenüber einem Angehörigen eines Mitgliedstaates getroffene Ausweisungsmaßnahme gelten würden, und dass die im Rahmen von Art. 3 der Richtlinie 64/221/EWG aufgestellten Grundsätze auf türkische Arbeitnehmer, die die durch den Beschluss Nr. 1/80 eingeräumten Rechte in Anspruch nehmen könnten, übertragbar seien. Die nationalen Gerichte hätten daher diese Grundsätze bei der Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer gegenüber einem türkischen Arbeitnehmer angeordneten Maßnahme der Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zu berücksichtigen. Es sei geboten, dass die in den Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG niedergelegten Grundsätze als auf türkische Arbeitnehmer, die die im Beschluss Nr. 1/80 eingeräumten Rechte besäßen, übertragbar angesehen würden. Eine solche Auslegung sei durch das in Art. 12 des Assoziierungsabkommens genannte Ziel gerechtfertigt, schrittweise die Freizügigkeit der türkischen Arbeitnehmer herzustellen. Insbesondere verleihe Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 den türkischen Wanderarbeitnehmern, die seine Bedingungen erfüllen, präzise Rechte auf dem Gebiet der Ausübung einer Beschäftigung. Diese Bestimmung, der unmittelbare Wirkung zuerkannt worden sei, verleihe ein individuelles Recht im Bereich der Beschäftigung und ein damit einhergehendes Aufenthaltsrecht. Um effektiv zu sein, müssten diese individuellen Rechte von den türkischen Arbeitnehmern vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden können. Damit die Wirksamkeit dieses gerichtlichen Rechtsschutzes gewährleistet sei, sei es unabdingbar, diesen Arbeitnehmern die Verfahrensgarantien zuzuerkennen, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet würden, und es müsse ihnen somit ermöglicht werden, sich auf die durch Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG vorgesehenen Garantien zu berufen. Diese Garantien seien untrennbar mit den Rechten verbunden, auf die sie sich bezögen. Diese Auslegung würde nicht nur für die türkischen Staatsangehörigen, denen die Rechtstellung nach Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 zukomme, sondern auch für ihre Familienangehörigen gelten, deren Stellung sich nach Art. 7 dieses Beschlusses richten würde. Es sei durch nichts gerechtfertigt, für diese Staatangehörigen, die sich legal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates aufhalten würden, in Bezug auf die ihnen mit dem Beschluss Nr. 1/80 zuerkannten Rechte ein eigenständiges Schutzniveau vorzusehen, das hinter dem der Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG zurückbleibe. Denn wenn Art. 14 Abs. 1 dieses Beschlusses den zuständigen nationalen Behörden nicht Verfahrensgrenzen setzen würde, die denen entsprächen, die für eine gegenüber einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates getroffene Ausweisungsmaßnahme gelten würden, dann würde es den Mitgliedsstaaten frei stehen, die Ausübung der Rechte unmöglich zu machen, auf die sich türkische Staatsangehörige, die ein im Beschluss Nr. 1/80 eingeräumtes Recht besäßen, berufen könnten.

1.4. Damit ist auch für den Geltungsbereich der für die Verfahrensgarantien nunmehr maßgebenden Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 klargestellt, dass die Rechtsschutzgarantien ihrer Art. 30 und 31 für türkische Staatsangehörige gelten, denen die Rechtstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB zukommt.

1.5. Gemäß § 125 Abs. 1 FPG sind Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung, die bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes (1. Jänner 2006) anhängig sind, nach dessen Bestimmungen weiterzuführen. Der erstinstanzliche Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 11. August 2003 ist im Licht dieser Übergangsbestimmung als "Entscheidung nach diesem Bundesgesetz" im Sinn des § 9 Abs. 1 FPG anzusehen. In Anbetracht des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechtes (vgl. etwa von der Gröben/Schwarze, Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Rz 1 ff zu Art. 249 EG; Griller, Der Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung nach dem EU-Beitritt, JRP 2000, 273) ist es geboten, für türkische Staatsangehörige, denen - wie dem Beschwerdeführer - die Rechtstellung nach Art. 6 oder 7 ARB zukommt, den Instanzenzug zu einem Tribunal einzurichten und § 9 Abs. 1 Z. 1 FPG anzuwenden. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe in Österreich von April 2001 bis Oktober 2003 eine 18-monatige Freiheitsstrafe verbüßt, er gehöre nicht (mehr) dem regulären Arbeitsmarkt an und er stehe dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, ist entgegenzuhalten, dass ein türkischer Staatsangehöriger seine aus Art. 6 Abs. 1 ARB abgeleiteten Rechte nicht deswegen verliert, weil er während seiner - auch mehrjährigen - Inhaftierung keine Beschäftigung ausübt, wenn seine Abwesenheit vom regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaates nur vorübergehend ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. November 2005, Zl. 2005/21/0286).

1.6. Über die gegenständliche Berufung hatte daher die belangte Behörde zu entscheiden. Die behauptete Schlechterstellung von Angehörigen österreichischer Staatsangehöriger gegenüber Angehörigen türkischer Staatsangehöriger kann den Beschwerdeführer nicht in seinen Rechten verletzen.

2.1. Die Beschwerde bestreitet nicht die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen über die vom Beschwerdeführer verübten Straftaten und seine deswegen erfolgten Verurteilungen. Sie bringt indes vor, die belangte Behörde habe sich nicht "lückenlos" an § 86 FPG gehalten. Gegen den Beschwerdeführer hätte nur dann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden dürfen, wenn die Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen weiteren Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würden. Die Nachhaltigkeit und Maßgeblichkeit einer Gefährdung könne sich nicht bloß auf Grund einer Verurteilung ergeben. Die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung hätte im Einzelfall gesondert begründet werden müssen.

2.2. Der Abschnitt 1 des Kapitels II. des ARB, der die Beschäftigung und die Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer regelnden Bestimmungen enthält, gilt nach dessen Art. 14 Abs. 1 "vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind". Bei der Bestimmung des Umfanges der in Art. 14 Abs. 1 ARB vorgesehenen Ausnahme der öffentlichen Ordnung ist darauf abzustellen, wie die gleiche Ausnahme im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Angehörige der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sind, ausgelegt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. März 2001, Zl. 2000/18/0105). Die Beschränkungen des Einreise- und Aufenthaltsrechts von Unionsbürgern und ihrer Familienangehörigen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit sind im Kapitel VI der Richtlinie 2004/38/EG, insbesondere in den oben (1.2.) zitierten Art. 27 Abs. 2 und Art. 28 Abs. 3 Z. a, geregelt. Für türkische Staatsangehörige, denen die Rechtstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB zukommt, ist daher die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Bei dieser Beurteilung kann auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2001, Zl. 2000/18/0162). Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen türkische Staatsangehörige, denen die Rechtstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB zukommt, die vor Verwirklichung des maßgebenden Sachverhaltes ihren Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde (vgl. § 86 Abs. 1 FPG, mit dem die erwähnte Richtlinie für freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige umgesetzt wurde).

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid hinsichtlich der Verurteilungen des Beschwerdeführers nicht nur den Tatbestand des Strafgesetzbuches und die Höhe der verhängten Strafe, sondern die vom Beschwerdeführer konkret begangenen strafbaren Handlungen festgestellt. Demnach hat der Beschwerdeführer zwischen dem 9. Juni und dem 18. Juli 1997 einen anlässlich einer Zwangsvollstreckung gepfändeten Pkw nach Kundl verbracht und dadurch eine behördlich gepfändete Sache der Verstrickung entzogen. Infolge fahrlässigen Verhaltens hat der Beschwerdeführer am 10. April 1998 und am 14. September 2001 andere Personen am Körper verletzt. Den bestehenden Vorschriften zuwider hat der Beschwerdeführer ein Suchtgift in einer großen Menge, nämlich insgesamt ca. 2 kg Heroin in Verkehr zu setzen versucht, wobei er die Taten mit Beziehung auf ein Suchtgift begangen hat, dessen Menge zumindest das 25-fache der Grenzmenge (§ 28 Abs. 6 SMG) ausmachte, und zwar im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem Mittäter durch die versuchte Weitergabe des genannten Suchtgiftes an einen oder mehrere namentlich nicht bekannte Abnehmer am 16. April 2002. Schließlich hat der Beschwerdeführer am 31. August 2004 in Innsbruck einen Polizeibeamten dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er in einer am 2. September 2004 eingelangten Maßnahmebeschwerde behauptet hat, der Polizeibeamte habe einem Dritten einen Faustschlag versetzt, ihn am Hals gepackt und gegen den Baum gedrückt, wodurch er Verletzungen erlitten habe. Er hat den genannten Polizeibeamten damit von Amts wegen zu verfolgender, mit Strafe bedrohter Handlungen falsch verdächtigt, obwohl der Beschwerdeführer wusste, dass die Verdächtigung falsch war. Wenn auch darüber hinaus keine detaillierten Feststellungen zu den Straftaten des Beschwerdeführers getroffen wurden, so steht doch das tatbestandsmäßige Verhalten des Beschwerdeführers im Sinn der oben (I. 1.) genannten strafgesetzlichen Bestimmungen auf Grund der genannten Verurteilungen in bindender Weise fest (vgl. zur Aussagekraft von Feststellungen über ein konkretes tatbestandsgemäßes Verhalten die hg. Erkenntnisse vom 14. April 2000, Zl. 99/18/0389, und vom 18. März 2003, Zl. 98/18/0364 und Zl. 99/18/0051). Gerade bei der Suchtgiftkriminalität handelt es sich um eine besonders gefährliche Kriminalitätsform, bei der die Wiederholungsgefahr besonders groß ist und der eine große Sozialschädlichkeit anhaftet, wozu noch kommt, dass die strafbare Handlung des Beschwerdeführers in Bezug auf eine die Grenzmenge nach § 28 Abs. 6 SMG um das 25-fache überschreitende Menge begangen wurde. Der Beschwerdeführer hat sich auch durch das am 11. August 2003 erlassene erstinstanzliche Aufenthaltsverbot nicht davon abhalten lassen, eine weitere schwerwiegende strafbare Handlung, nämlich das Vergehen der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 StGB, zu begehen. Im vorliegenden Fall ist daher eine ausreichende Grundlage dafür vorhanden, aus dem Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers den Schluss zu ziehen, dass von ihm eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr ausgeht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und dass ein Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung der Republik Österreich nachhaltig und maßgeblich gefährden würde.

3. Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid auch im Grund des § 66 FPG. Unbestritten steht fest, dass sich der Beschwerdeführer seit 1989 im Bundesgebiet aufhält und seit März 2005 mit seiner zu diesem Zeitpunkt als Asylwerberin von der Türkei nach Österreich gekommenen früheren Ehefrau, die selbst keiner Beschäftigung nachgeht und für deren Lebensunterhalt er aufkommt, in Lebensgemeinschaft lebt. Nach seiner Haftentlassung arbeitet er nunmehr seit 24. März 2004 durchgehend bei einem Gebäudeserviceunternehmen. Seine Eltern und Geschwister befinden sich in Schweden. Entferntere Verwandte wohnen in Österreich. Im Hinblick auf diese Umstände hat die belangte Behörde zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG angenommen. Wenn sie dennoch angesichts der wiederholten Straftaten des Beschwerdeführers (vgl. I.1.) die Erlassung dieser Maßnahme im Licht dieser Gesetzesbestimmung für zulässig, weil dringend geboten, erachtet hat, so ist dies in Ansehung des in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Verhinderung strafbarer Handlungen und am Schutz der Rechte anderer nicht als rechtswidrig zu erkennen.

Unter Zugrundelegung dieses großen öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers erweist sich auch das Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 66 Abs. 2 FPG vorgenommenen Abwägung als unbedenklich. Die aus der Aufenthaltsdauer ableitbare Integration des Beschwerdeführers hat in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch sein wiederholtes strafbares Verhalten, insbesondere durch sein Suchtgiftdelikt und das sogar noch nach Verhängung des erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotes verübte Delikt der Verleumdung eine ganz erhebliche Beeinträchtigung erfahren. Aber auch die familiäre Situation des Beschwerdeführers vermag seine Interessen nicht zu stärken: Seine frühere Ehefrau und jetzige Lebensgefährtin, die bis dahin in der Türkei gelebt hat, ist erst im Jahr 2005 nach Österreich gekommen, wo ihr bloß ein asylrechtliches vorläufiges Aufenthaltsrecht zukommt; seine nächsten Angehörigen (Eltern, Geschwister) leben in Schweden; lediglich entfernte Verwandte halten sich in Österreich auf. Von daher gesehen hat die belangte Behörde zu Recht der durch die Straftaten des Beschwerdeführers in Österreich bewirkten Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen und damit den nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbots kein geringeres Gewicht beigemessen als den Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und die seiner Angehörigen.

4. In Ansehung der Verurteilung des Beschwerdeführers vom 19. September 2002 wegen des versuchten Verbrechens nach § 15 StGB, § 28 Abs. 2 und 4 Z. 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren steht der Maßnahme auch kein Aufenthaltverbot-Verbotsgrund im Sinn des § 61 Z. 2 oder 3 FPG entgegen.

5. Auf Grund der Verurteilung des Beschwerdeführers i.S.d.

§ 55 Abs. 3 FPG kommt eine auf einer Ermessenserwägung beruhende Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbots aus den im hg. Erkenntnis vom 15. März 2006, Zl. 2006/18/0066, dargelegten Gründen nicht in Betracht.

6. Die Beschwerde war gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

7. Im Hinblick auf die Erledigung der Beschwerde erübrigt sich eine Entscheidung über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Wien, am 13. Juni 2006

Gerichtsentscheidung

EuGH 62003J0383 Dogan VORAB
EuGH 62003J0136 Dörr VORAB

Schlagworte

Ermessen besondere RechtsgebieteGemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Ermessen VwRallg8Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006180138.X00

Im RIS seit

26.07.2006

Zuletzt aktualisiert am

24.10.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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