TE Vwgh Erkenntnis 2006/9/20 2006/08/0125

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Veröffentlicht am 20.09.2006
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §24 Abs2;
AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §44;
AlVG 1977 §46 Abs1;
AVG §1;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):2006/08/0126 E 4. Juli 2007

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des P in E, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl, Kommandit-Partnerschaft in 1010 Wien, Ebendorfer Straße 7, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 22. Februar 2006, Zl. LGSW/Abt. 3-AlV/1218/56/2005-6969, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 22. April 2005 gab der Beschwerdeführer vor der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien - Schönbrunner Straße niederschriftlich zu Protokoll, dass seine aktuelle Anschrift M-Straße 3/23 laute. Warum ein Poststück des Arbeitsmarktservice mit dem Vermerk "Empfänger unbekannt" an das Arbeitsmarktservice retourniert worden sei, wisse er nicht. Er habe keinen Nachsendeauftrag erteilt und werde diesbezüglich beim zuständigen Postamt vorsprechen.

Nach einem im Akt befindlichen Erhebungsbericht vom 25. April 2005 seien an der Wohnungstüre M-Straße 3/23 eine Aufschrift "Büro" und der Name "D.R." an der Türklingel ersichtlich. Die Nachbarin von Tür Nr. 21 (Frau S.) sei vorerst verdeckt zur Person des D.I. und infolge zu weiteren acht männlichen Personen befragt worden (darunter offenbar auch der Beschwerdeführer). Weder die "PA" (gemeint offenbar: D.I.) noch die anderen gemeldeten Personen seien persönlich oder namentlich bekannt; in der gegenständlichen Wohnung wohne nur ein älterer Herr mit einem kleinen Hund. Die Nachbarin sei als Zeugin nach Wahrheitsermahnung einvernommen worden. Auch der ehemalige Hausbesorger R.B., Tür Nr. 15, sei zum Sachverhalt als Zeuge befragt worden, habe seine Aussage aber nicht niederschriftlich bestätigen wollen. Er sei 33 Jahre Hausbesorger dieses Hauses gewesen (bis Februar 2005) und kenne ebenfalls nur die ehemalige Hauptmieterin der Wohnung, Frau D.R., und ihren Mann bzw. Lebensgefährten, einen älteren Herren, der etwa 50 bis 60 Jahre alt und ungarischer Staatsbürger sein solle und einen kleinen Hund besitze. Frau D.R. sei vor etwa eineinhalb Monaten verstorben. Dass in der Wohnung insgesamt neun Männer wohnten, allesamt ungarischer Herkunft, habe R.B. eindeutig ausgeschlossen, weder die "PA" (gemeint offenbar: D.I.) noch weitere Mitbewohner seien namentlich bekannt. Eine telefonische Rücksprache mit Herrn S.R., Hauptmieter der Wohnung Nr. 21, habe eine gleichlautende Aussage wie "LG" und Hausbesorger ergeben, er kenne ebenfalls weder die "PA" (gemeint offenbar: D.I.) noch die neun Nachbarn namentlich; dass dort überhaupt neun männliche Personen wohnten, sei ihm unbekannt, er kenne und sehe ebenfalls nur den älteren Herrn mit Hund.

In einem Aktenvermerk der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien - Schönbrunner Straße vom 28. April 2005 ist festgehalten, dass der Beschwerdeführer laut Melderegister seit 22. Jänner 2001 an der Adresse M-Straße 3/23 gemeldet sei. Laut Hausumfrage bei den Nachbarn auf Tür Nr. 21 sowie beim Hausbesorger Tür Nr. 15 sei er dort unbekannt. An der obigen Adresse lebe seit dem Tod der Hauptmieterin D.R. im Februar 2005 ein älterer Herr mit einem kleinen Hund. Weitere Personen, die an dieser Adresse gemeldet seien, seien unbekannt.

Aus dem Akt ergibt sich weiters, dass Briefsendungen des Arbeitsmarktservice Wien-Schönbrunnerstraße an den Beschwerdeführer vom 14. Februar 2005 und vom 28. April 2005 mit dem Vermerk "Empfänger unbekannt" retourniert wurden, ebenso eine RSb-Briefsendung vom 20. Mai 2005, sämtliche gerichtet an die Anschrift M-Straße 3/23.

Die letztgenannte Briefsendung wurde dem Beschwerdeführer daraufhin an die Adresse B-Straße 22 in E. mit RSa-Schreiben zugestellt, dort am 25. Mai 2005 hinterlegt und hat den Beschwerdeführer offenbar erreicht.

Am 31. Mai 2005 gab der Beschwerdeführer vor der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien - Schönbrunner Straße niederschriftlich zu Protokoll, dass die Wohnung (gemeint offenbar jene in der M-Straße) ca. 100 m2 habe. Außer ihm hätten noch ca. fünf bis sechs Personen in dieser Wohnung geschlafen. Die Miete habe der Beschwerdeführer an Frau D.R. bezahlt. Bei spätem Arbeitsende schlafe er am Lagerplatz.

Gleichfalls am 31. Mai 2005 gab der Beschwerdeführer niederschriftlich vor der regionalen Geschäftstelle des Arbeitsmarktservice Wien - Schönbrunner Straße zur Protokoll, er bitte um Zusendung von Poststücken an die Adresse B-Straße 22 in E.

Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien - Schönbrunner Straße vom 2. Juni 2005 wurde der Bezug des Arbeitslosengeldes des Beschwerdeführers für die Zeit vom 22. Jänner 2001 bis 8. April 2001, vom 14. Jänner 2002 bis 28. April 2002, vom 13. Jänner 2003 bis 17. Februar 2003, vom 17. Jänner 2004 bis 5. April 2004 und vom 15. Jänner 2005 bis 28. März 2005 gemäß §§ 7 Abs. 1, 16 Abs. 1 lit. g, 24 Abs. 1, 25 Abs. 1, 44 Abs. 1 Z. 2 lit. b und 46 Abs. 1 AlVG widerrufen und das bezogene Arbeitslosengeld in der Höhe von EUR 11.040,91 zum Rückersatz vorgeschrieben. Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe bei seinem ersten Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld die Adresse M-Straße 3/23 als seinen ordentlichen Wohsitz angegeben und mit Meldezettel belegt. Im Zuge der Erhebung vor Ort an dieser Adresse sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer in dieser Wohnung nie einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe. Bei seiner Vorsprache am 31. Mai 2005 habe der Beschwerdeführer im Wesentlichen angegeben, an obiger Adresse teilweise geschlafen zu haben. Sollte jedoch die Arbeit spät geendet haben, habe er am Lagerplatz seines Dienstgebers in E. übernachtet. Die Angaben zu dem Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthaltsort während der Arbeitslosigkeit erschienen unglaubwürdig. Der Beschwerdeführer habe weder einen Beleg über die Zahlung der Miete vorlegen noch eine Begründung für die noch immer aufrechte Meldung an obiger Adresse am Tag der Befragung angeben können, obwohl die Unterkunftsgeberin im Februar 2005 (laut Angaben des Beschwerdeführers im März 2005) verstorben sei. Die Vermutung, dass der Beschwerdeführer an der gegenständlichen Adresse nie wohnhaft gewesen sei, würde durch die Vermerke der Postzusteller auf den rückgemittelten Briefsendungen bestärkt. Diese hätten immer "Empfänger unbekannt" gelautet. Die Rückforderung stütze sich darauf, dass der Beschwerdeführer anlässlich seiner Antragstellungen falsche Angaben über seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt gemacht und dadurch den unberechtigten Bezug verursacht bzw. verschuldet habe.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, er sei im Jänner 2001 in die Wohnung M-Straße 3/23 eingezogen. In dieser Wohnung hätten mehrere Arbeiter gewohnt. Bis zum März 2004 habe er die monatliche Miete von EUR 75,-- bar bezahlt. Ab April 2004 habe er den Betrag auf das Konto der D.R. einbezahlt. Meldezettel und Einzahlungsbelege waren der Berufung in Kopie beigeschlossen. Ab März 2005 habe der Beschwerdeführer die Miete P.W. bezahlt, der sich als Freund der verstorbenen D.R. ausgegeben habe. Der Beschwerdeführer habe eine andere Kontonummer haben wollen, aber P.W. habe darauf bestanden, dass er bar bezahle. Warum die Briefe mit dem Vermerk "Empfänger unbekannt" an das Arbeitsmarktservice retourniert worden seien, wisse der Beschwerdeführer nicht.

Laut einem im Akt befindlichen Erhebungsbericht vom 5. Jänner 2005 (richtig offenbar: 2006) sei mit einer Sachbearbeiterin des Unternehmens W. gesprochen worden, bei dem der Beschwerdeführer immer wieder beschäftigt gewesen sei. Während ihrer Dienstverhältnisse seien die Mitarbeiter demnach auf dem Lagerplatz des Unternehmens wohnhaft. An die Adresse in Wien 12 sei Post geschickt worden, und es habe "eigentlich keine Probleme" gegeben. Eine telefonische Rücksprache mit einer Mitarbeiterin der Hausverwaltung habe ergeben, dass die gegenständliche Wohnung erst im August 2005 geräumt worden sei. Hauptmieterin sei D.R. gewesen, ihr Lebensgefährte P.W. sei sowohl namentlich als auch persönlich bekannt. Eine Untervermietung der Wohnung sei grundsätzlich untersagt gewesen; dass dort zusätzlich zu den beiden Mietern noch neun ungarische Staatsbürger gewohnt hätten, sei ausgeschlossen worden, die Hausbesorgerin (offenbar die Gattin des zunächst befragten "ehemaligen Hausbesorgers" R.B.) hätte dies mit Sicherheit gemeldet. Bei einer persönlichen Vorsprache in der Hausverwaltung habe sich weiters ergeben, dass die Wohnung eigentlich zu gewerblichen Zwecken (Büro für Versicherungsagentur) angemietet worden sei. Die Hausverwalterin selbst sei vor ca. zwei Jahren in der Wohnung gewesen und habe ebenfalls keine Anzeichen für einen Wohnungsbelag von insgesamt elf Personen erkannt. Die Hausbesorgerin sei als besonders sorgfältig und aufmerksam beschrieben worden, sie wäre sicher ihrer Meldepflicht gegenüber dem Dienstgeber nachgekommen. Da die Wohnung ursprünglich eigentlich zu gewerblichen Zwecken genutzt worden sei, sei die Miete mit 20 % Umsatzsteuer belegt gewesen. D.R. selbst habe sich erst im Jänner 2004 angemeldet, um Umsatzsteuer zu sparen (nur mehr 10 %). Im Erhebungsbericht wird weiter fortgefahren, laut Auskunft der Hausverwaltung und der Nachbarn habe P.W. jahrelang mit D.R. zusammen gelebt. P.W. habe seit 1989 bis zur Pension ab 1. Dezember 2004 durchgehend Leistungen des Arbeitsmarktservice bezogen, zeitgleich mit dem Beginn der Arbeitslosigkeit sei die Wohnung in der M-Straße durch D.R. als Versicherungsbüro angemietet worden.

Im Akt befindet sich weiters ein Schreiben offenbar des Unternehmens W. an das Arbeitsmarktservice vom 7. Dezember 2005. Aus diesem geht hervor, dass der Beschwerdeführer seit 9. September 1996 mit Unterbrechungen bei diesem Unternehmen beschäftigt sei. Die Unterberechungen würden sich jeweils auf die Winterzeit beziehen. In der Zeit der Beschäftigung des Beschwerdeführers (und eines weiteren Mitarbeiters) hätte dieser auch auf weiter entfernten Baustellen gearbeitet, wo ihm dann seitens des Unternehmens ein Quartier in einem Gasthof zur Verfügung gestellt worden sei. Bei Arbeiten auf nicht so weit entfernten Baustellen hätte der Beschwerdeführer am Lagerplatz des Unternehmens oder an seiner Adresse in der M-Straße 3/23 genächtigt. Auf dem Lagerplatz habe das Unternehmen Zimmer, Sanitärräume und eine Küche eingerichtet, die den Dienstnehmern während der Woche zur Verfügung stünden. Sehr oft wären Krankenscheine oder Arbeitspapiere am Ende der jeweiligen Beschäftigung an den Beschwerdeführer an die Adresse M-Straße 3/23 gesandt worden, so viel erinnerlich sei, habe das keine Schwierigkeiten bereitet. Seit 22. Juli 2005 sei der Beschwerdeführer am Lagerplatz fix gemeldet.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben. Begründend wurde im Wesentlichen dargelegt, die Überprüfungen durch die Berufungsbehörde hätten ergeben, dass der Beschwerdeführer anlässlich seiner Antragstellung am 22. Jänner 2001 als aktuelle Wohnadresse ebenso wie bei sämtlichen darauffolgenden Antragstellungen M-Straße 3/23 angegeben habe. Dort sei der Beschwerdeführer ab 22. Jänner 2001 auch gemeldet gewesen. Da nach der Antragstellung im Jahr 2005 sämtliche Poststücke des Arbeitsmarktservice mit dem Vermerk "Empfänger unbekannt" retourniert worden seien, seien nähere Ermittlungen durchgeführt worden. Die Ermittlungen hätten zu dem Ergebnis geführt, dass der Beschwerdeführer in der M-Straße 3/23 nie einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe. Seine diesbezüglichen Angaben seien nicht glaubwürdig. Es entspreche nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass man mehr als fünf Jahre in einer Mietwohnung lebe, ohne dass die Nachbarn oder die Hausbesorgerin einen zumindest gesehen haben. Bei der Meldung handle es sich daher nur um eine Scheinmeldung, und es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Beschwerdeführer während des Bezuges von Arbeitslosengeld in seinem Heimatland aufgehalten habe. Die nachgewiesenen EUR 75,--, die der Beschwerdeführer D.R. überwiesen habe, ohne einen Verwendungszweck anzugeben, stellten nach Auffassung der Berufungsbehörde ein "Entgelt für eine Meldeadresse" dar, da auch die Untervermietung der Wohnung ausdrücklich untersagt gewesen sei. Die Voraussetzungen für einen Widerruf des Arbeitslosengeldes und dessen Rückforderung seien daher gegeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Arbeitslosengeldes als gesetzlich nicht begründet herausstellt, ist gemäß § 24 Abs. 2 AlVG die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen.

Gemäß § 25 Abs. 1 AlVG ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.

Gemäß § 46 Abs. 1 erster Satz AlVG in den hier maßgebenden Fassungen BGBl. I Nr. 139/1997 und BGBl. I Nr. 77/2004 ist der Anspruch auf Arbeitslosengeld bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich geltend zu machen.

§ 44 AlVG in der hier maßgebenden Fassung

BGBl. I Nr. 179/1999 hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren

Zuständigkeit

§ 44. (1) Die Zuständigkeit der regionalen Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice (in den übrigen Bestimmungen „regionale Geschäftsstellen'' genannt) und der Landesgeschäftsstellen des Arbeitsmarktservice (in den übrigen Bestimmungen „Landesgeschäftsstellen'' genannt) richtet sich

1. soweit Rechte und Pflichten des Arbeitgebers betroffen sind, nach dem Sitz des Betriebes;

2. soweit Rechte und Pflichten des Arbeitnehmers betroffen sind,

a) in Angelegenheiten der Sondernotstandshilfe nach dem Hauptwohnsitz (§ 1 Abs. 7 des Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992, in der Fassung des Hauptwohnsitzgesetzes, BGBl. Nr. 505/1994) und

b) in den übrigen Angelegenheiten nach dessen Wohnsitz, mangels eines solchen nach dessen gewöhnlichem Aufenthaltsort.

(2) Ist auf Grund internationaler Verträge bei einem Wohnsitz im Ausland der Bezug von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe im Inland zulässig, so ist die regionale Geschäftsstelle zuständig, in deren Bezirk der Arbeitslose zuletzt beschäftigt war. Dies gilt auch für die Geltendmachung des Anspruches (§ 46), die Einhaltung der Kontrollmeldungen (§ 49) und die Erfüllung der Meldepflicht (§ 50). Das gleiche gilt für den Bezug eines Pensionsvorschusses gemäß § 23. Für die Krankenversicherung des Leistungsbeziehers (§ 40 Abs. 1) ist die nach dem Sitz der regionalen Geschäftsstelle örtlich zuständige Gebietskrankenkasse zuständig."

Die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes durch eine unzuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice ist gesetzlich nicht begründet, und es kann deshalb der Widerruf gemäß § 24 Abs. 2 AlVG auch in diesem Fall erfolgen (vgl. bereits das hg. Erkenntnis vom 8. März 1984, Slg. Nr. 11.351/A, und das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 1995, Zl. 95/08/0155).

Der Beschwerdeführer rügt insbesondere, dass der angefochtene Bescheid mangelhaft begründet sei. Damit ist der Beschwerdeführer im Ergebnis im Recht.

Die belangte Behörde kam beweiswürdigend zu dem Ergebnis, dass keine Zuständigkeit der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien - Schönbrunner Straße im Sinne des § 44 AlVG für die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gegeben war. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung der belangten Behörde (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht, dass der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt jedoch eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Schlüssig sind solche Erwägungen nur dann, wenn sie u.a. den Denkgesetzen, somit auch dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut, entsprechen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2004, Zl. 2002/08/0214).

Im vorliegenden Fall kam die belangte Behörde zur Annahme, dass die Ermittlungen ergeben hätten, dass dem Beschwerdeführer das Arbeitslosengeld jeweils von einer unzuständigen regionalen Geschäftsstelle zuerkannt worden wäre. Dabei ist zunächst zu beachten, dass es für die Zuständigkeit der regionalen Geschäftsstelle im Sinne des § 46 Abs. 1 AlVG bezüglich der Antragstellung auf die Zuerkennung von Arbeitslosengeld auf den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort im Zeitpunkt der Antragstellung ankommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Februar 1997, Zl. 96/08/0303). Die Ermittlungsergebnisse, auf die sich die belangte Behörde gestützt hat, führen aber aus folgenden Gründen nicht zu dem Schluss, dass in den somit maßgeblichen Zeitpunkten keine Zuständigkeit der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice im Sinne des § 44 AlVG, ausgehend von der Adresse M-Straße 3/23, gegeben gewesen ist:

Die belangte Behörde hat bei ihrer Beweiswürdigung weder berücksichtigt, dass das Arbeitsmarktservice bis zum Jahr 2005 dem Beschwerdeführer an die Adresse M-Straße 3/23 Schriftstücke offenbar problemlos zustellen konnte, noch, dass solche Zustellungen auch nach den Angaben des Dienstgebers des Beschwerdeführers problemlos an dieser Adresse möglich waren. Des Weiteren geht es nicht darum, dass der Beschwerdeführer mehr als fünf Jahre in einer Mietwohnung gelebt hat, ohne dass dies Nachbarn oder die Hausbesorgerin gesehen hätten, sondern nur darum, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der jeweiligen Antragstellung auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes dort einen Wohnsitz oder zumindest einen gewöhnlichen Aufenthaltsort gehabt hat (hinsichtlich der Rechtsfolgen einer allfälligen Übersiedlung nach der Antragstellung, die im vorliegenden Fall vor dem Jahr 2005 - siehe dazu unten - von der belangten Behörde nicht festgestellt worden ist, vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. März 2003, Zl. 98/08/0031).

Die belangte Behörde hat sich auf die zeugenschaftliche Aussage der Nachbarin Frau S. gestützt. Nach der im Akt befindlichen Niederschrift vom 21. April 2005 hat Frau S. aber angegeben, dass sie erst seit etwa September 2004 mindestens drei bis vier Tage pro Woche bei ihrem Freund an der gegenständlichen Adresse auf Tür Nr. 21 wohne und lebe. Diese Aussage kann daher jedenfalls nicht dafür herangezogen werden, dass auch hinsichtlich der früheren Antragstellungen des Beschwerdeführers auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld, die vor dem Jahr 2005 gelegen sind, eine Unzuständigkeit der betroffenen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gegeben gewesen wäre.

Die belangte Behörde hat weiters nicht begründet, weshalb unter Berücksichtigung der Aufenthaltsfrequenz der Zeugin und angesichts der Angaben des Beschwerdeführers zu seiner tatsächlichen Aufenthaltsfrequenz an der gegenständlichen Anschrift die Zeugenaussage dazu führt, dass sich der Beschwerdeführer nicht im Sinne des § 44 AlVG an dieser Adresse aufgehalten bzw. dort gewohnt hat. Dazu und auch zur Befragung des Hausbesorgers (die im Übrigen nicht niederschriftlich festgehalten worden ist) bzw. die telephonische Auskünfte des S.R. und die Angaben der Hausverwaltung ist ferner darauf hinzuweisen, dass von der belangten Behörde der Grundsatz einer möglichst vollständigen Beweisführung zu beachten gewesen wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. November 1990, Zl. 90/18/0169). Dies bedeutet, dass möglichst an einem Sachverhalt unmittelbar Beteiligte als Zeugen niederschriftlich einzuvernehmen sind und es nicht gleichgültig ist, aus welchen Gründen ein Zeuge nicht direkt befragt werden kann (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 20. November 1990 und das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 1991, Zl. 90/02/0151). Nachdem D.R. verstorben ist, wäre sowohl auf Grund der Angaben der Nachbarn als auch der Hausverwaltung hinsichtlich der Frage, ob der Beschwerdeführer in der gegenständlichen Wohnung einen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Aufenthaltsort im Sinne des § 44 AlVG gehabt hat, P.W. einzuvernehmen gewesen. Denn dieser hat nach der Aktenlage schon längere Zeit mit D.R. in der betreffenden Wohnung gelebt und der Beschwerdeführer hat an ihn nach eigenen Angaben auch Mietzahlungen geleistet. Weshalb eine derartige Einvernahme nicht stattgefunden hat, kann den vorgelegten Verwaltungsakten nicht entnommen werden, und die belangte Behörde hat dies in ihrem Bescheid auch nicht begründet.

Im vorliegenden Fall geht es schließlich auch nicht darum, ob außer dem Beschwerdeführer noch weitere Personen in der gegenständlichen Wohnung genächtigt haben, sodass der Umstand, dass die Bewohnung durch mehrere Männer nicht aufgefallen ist bzw. die Überlegung, ob sie gegebenenfalls aufgefallen wäre, alleine keine ausschlaggebende Bedeutung haben kann.

Hätte die belangte Behörde daher im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ihren Bescheid schlüssig nachvollziehbar begründet und insbesondere P.W. zeugenschaftlich einvernommen, wäre ein anderes Ergebnis möglich gewesen. Die belangte Behörde belastete daher ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben war.

Bemerkt wird, dass die belangte Behörde in der Gegenschrift selbst einräumt, dass der Widerruf und die Rückforderung des Arbeitslosengeldes nicht mit einem Ruhen wegen Auslandsaufenthalts begründet worden seien, sondern dass dieser Hinweis zwar in die Bescheidbegründung aufgenommen wurde, es aber keinerlei Feststellungen zu einem Auslandsaufenthalt oder Grenzübertritt des Beschwerdeführers gegeben habe.

Abschließend wird darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer laut der Niederschrift vom 31. Mai 2005 ersucht hat, Sendungen nach E. zuzustellen. In der Beschwerde bringt er vor, im Laufe des Jahres 2005 aus der Wohnung in der M-Straße ausgezogen zu sein. Der Bescheid der Behörde erster Instanz datiert vom 2. Juni 2005 und ist dem Beschwerdeführer bereits nach E. zugestellt worden. Im angefochtenen Bescheid sind keine Ausführungen dazu enthalten, weshalb die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien - Schönbrunner Straße bei dieser Aktenlage noch für den Ausspruch der Verpflichtung zur Rückzahlung des Arbeitslosengeldes zuständig gewesen sein soll (vgl. dazu, dass hinsichtlich dieses Ausspruches mit einer Übersiedlung eine andere erstinstanzliche regionale Geschäftsstelle zuständig wird, die hg. Erkenntnisse vom 23. Juni 1998, Zl. 95/08/0132, und vom 31. Mai 2000, Zl. 97/08/0519). Entsprechende Feststellungen und Begründungen werden im fortgesetzten Verfahren zu treffen sein. Der Vollständigkeit halber wird angemerkt, dass eine tatsächliche Übersiedlung erst während des Berufungsverfahrens in den örtlichen Zuständigkeitsbereich einer anderen Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice keine Änderung der Zuständigkeit der Berufungsbehörde bewirkt hätte; diese würde sich nach wie vor nach dem Sprengel jener regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice richten, welche zuständigerweise den erstinstanzlichen Bescheid erlassen hat (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 11. April 1984, Zl. 82/11/0358, vom 30. Mai 1995, Zl. 95/18/0120, und vom 26. Juni 2001, Zl. 2000/04/0202). Im Hinblick darauf, dass der angefochtene Bescheid bereits hinsichtlich des Ausspruches des Widerrufes der Zuerkennung des Arbeitslosengeldes wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war, erübrigt es sich jedoch, im vorliegenden Zusammenhang auf die angesprochene Problematik näher einzugehen.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG Abstand genommen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 20. September 2006

Schlagworte

Änderung der ZuständigkeitSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel ZeugenbeweisInstanzenzugörtliche Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006080125.X00

Im RIS seit

31.10.2006

Zuletzt aktualisiert am

04.12.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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