TE Vwgh Erkenntnis 2003/3/19 98/08/0031

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.03.2003
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §24;
AlVG 1977 §36 Abs6 idF 1996/201;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §44 Abs1;
AlVG 1977 §47;
AlVG 1977 §50 Abs1;
AVG §69;
NotstandshilfeV §1 Abs2 idF 1996/240;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Dipl.Ing. H in W, vertreten durch Dr. Heinz Mildner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Templstraße 6, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom 6. September 1996, Zl. LGSTi/V/1216/5098 12 03 44-709/1996, betreffend Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der seit dem 10. Jänner 1994 Arbeitslosengeld bzw. seit dem 30. Mai 1994 Notstandshilfe beziehende Beschwerdeführer beantragte beim Arbeitsmarktservice Voitsberg am 13. März 1996 neuerlich die Zuerkennung von Notstandshilfe. Die ihm ab dem 15. März 1996 formlos zuerkannte Leistung - die Mitteilung darüber findet sich in den vorgelegten Akten nicht - sollte nach dem "Zahlungs- und Verrechnungsauftrag" für weitere 364 Tage zustehen.

Nach der Übersiedlung des Beschwerdeführers von Voitsberg nach Weer kam der Beschwerdeführer einer Anleitung der nunmehr zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Schwaz nach und beantragte am 10. Mai 1996 noch einmal die Zuerkennung der Notstandshilfe. Auf Grund dieser Antragstellung setzte das Arbeitsmarktservice Schwaz die Auszahlung der laufenden Notstandshilfe, die der Beschwerdeführer bis zum 9. Mai 1996 im Ausmaß von täglich S 304,10 erhalten hatte, beginnend mit 10. Mai 1996 auf täglich S 262,90 herab. Nachdem der Beschwerdeführer darüber einen "Zuerkennungsbescheid" begehrt hatte, sprach das Arbeitsmarktservice Schwaz mit Bescheid vom 16. Juli 1996 aus, es werde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer Notstandshilfe ab dem 10. Mai 1996 gebühre. Das Ermittlungsverfahren habe ergeben: "Auf Grund Ihrer Antragstellung am 100596 erfolgte die Anspruchsbeurteilung der Notstandshilfe mit 100596".

In der dagegen erhobenen Berufung vom 29. Juli 1996 machte der Beschwerdeführer geltend, dass ein laufender Bezug (von Notstandshilfe) bis 13. März 1997 aufrecht sei. Die ausschließlich wegen eines Wohnortwechsels notwendige Antragstellung habe keine Veränderung der Voraussetzung für die Gewährung zur Folge und könne nicht zu einer Verringerung des Bezuges führen. Es handle sich lediglich um die Fortsetzung eines laufenden Bezuges und nicht um einen Neuantrag.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dieser Berufung mit der Begründung keine Folge, der auf Grund des Strukturanpassungsgesetzes 1996 novellierte § 36 Abs. 6 AlVG sehe nunmehr vor, dass die Höhe des Notstandshilfebezuges von der Dauer des dem Notstandshilfebezug vorangegangenen Arbeitslosengeldbezuges abhänge. Diese Änderung betreffe nicht nur Neuanträge auf Zuerkennung der Notstandshilfe, sondern auch Anträge auf deren Verlängerung, sofern der Zuerkennungstag nach dem 1. Mai 1996 liege. Der Beschwerdeführer habe die Zuerkennung der Notstandshilfe am 10. Mai 1996 geltend gemacht und vor seinem Notstandshilfebezug 20 Wochen Arbeitslosengeld bezogen. Daher habe er nur mehr einen Anspruch auf eine Notstandshilfe in der Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes im Sinne des § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG in der Höhe von S 262,90 täglich.

Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben. Dieser hat mit Beschluss vom 10. Dezember 1997, B 3510/96, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

In der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften des angefochtenen Bescheides geltend gemacht. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe durch die Antragstellung bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice in Voitsberg einen Anspruch auf Leistung erworben, wobei mit Mitteilung vom 11. April bzw. 30. April 1996 bindend über die Höhe des Tagsatzes (S 304,10) entschieden worden sei. Sowohl das angegebene voraussichtliche Leistungsende als auch die Höhe des zuerkannten Leistungsanspruches würden bis zum Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen gelten. Es seien keine Umstände eingetreten, die zu einer Beendigung der Zuerkennung führten. Bei der gegebenen Sachlage sei ein allenfalls in Schwaz irrtümlich eingebrachter Neuantrag als bloße Erfüllung der Anzeigepflicht (gemäß § 50 AlVG) zu werten.

Die belangte Behörde erwiderte in ihrer Gegenschrift, die vom Beschwerdeführer genannte Mitteilung sei kein Bescheid. Bei Leistungsgewährung und Ausstellung einer Mitteilung könne jederzeit eine Korrektur der Leistungsgewährung erfolgen. Gemäß § 46 Abs. 3 Z. 3 AlVG werde dem Leistungswerber vom Gesetzgeber die Verpflichtung auferlegt, nach einem Wechsel seines Wohnsitzes bei der nunmehr örtlich zuständigen regionalen Geschäftsstelle zwecks Geltendmachung des Leistungsanspruches vorzusprechen. Erst diese Geltendmachung des Anspruches auf Zuerkennung der Notstandshilfe führe zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und damit zu einer neuerlichen Prüfung des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen und gleichzeitig zu einer neuerlichen Prüfung auf Grund der im Zeitpunkt der Geltendmachung in Kraft befindlichen gesetzlichen Regelung.

Die Auffassung der belangten Behörde steht mit dem Gesetz nicht im Einklang.

§ 36 Abs. 6 AlVG in der Fassung des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 201 (einschließlich einer mit Art. 4 Z. 6 des SRÄG 1996, BGBl. Nr. 411, rückwirkend zum 1. Mai 1996 vorgenommenen Ergänzung), lautet:

"(6) Abweichend von Abs.1 ist bei der Festsetzung des Betrages der Notstandshilfe für Zuerkennungen auf Notstandshilfe bzw. Verlängerungen der Notstandshilfe ab 1. Mai 1996 wie folgt vorzugehen:

Wenn die Notstandshilfe an einen Bezug des Arbeitslosengeldes in der Dauer von 20 Wochen (§ 18 Abs. 1 erster Satz) anschließt, darf der Grundbetrag der Notstandshilfe nach Einkommensanrechnung mit keinem höheren Betrag als dem Ausgleichszulagenrichtsatz (§ 293 Abs. 1 lit. a lit. bb ASVG) festgelegt werden; wenn die Notstandshilfe an einen Bezug des Arbeitslosengeldes in der Dauer von 30 Wochen (§ 18 Abs. 1 zweiter Satz) anschließt, darf der Grundbetrag der Notstandshilfe nach Einkommensanrechnung mit keinem höheren Betrag als dem Existenzminimum gemäß § 291a Abs. 3 der Exekutionsordnung, RGBl. Nr. 79/1896, festgelegt werden. Bei Anschluss von Notstandshilfe an Karenzurlaubsgeld oder Arbeitslosengeld gemäß § 18 Abs. 8 ist jenes Ausmaß des Arbeitslosengeldes maßgeblich, das gebührt hätte, wenn an Stelle des Karenzurlaubsgeldes Arbeitslosengeld oder an Stelle des Arbeitslosengeldes gemäß § 18 Abs. 8 Arbeitslosengeld gemäß § 18 Abs. 1 beantragt worden wäre. Bei erstmaligen Anträgen auf Notstandshilfe im Anschluss an den Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Karenzurlaubsgeld ist diese Bestimmung erst ab dem ersten Tag des Monats, der auf den Zeitraum von sechs Monaten nach dem Anfallstag folgt, anzuwenden. Der Beurteilung der Bezugsdauer des zugrundeliegenden Arbeitslosengeldes ist § 18 Abs. 1 bis 3 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 364/1989 zugrundezulegen."

Gemäß § 79 Abs. 28 AlVG ist u.a. § 36 Abs. 6 leg. cit. in dieser Fassung mit 1. Mai 1996 in Kraft getreten und gilt für Ansprüche, deren Anfallstag nach dem 30. April 1996 liegt. Auf Grund dieser Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 wurde die Notstandshilfeverordnung, BGBl. Nr. 352/1973, durch die Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales, BGBl. Nr. 240/1996, ausgegeben am 29. Mai 1996, u.a. dahingehend geändert, dass dem § 1 folgender Abs. 2 angefügt wurde:

"(2) Für die Ermittlung des täglichen Grundbetrages der Notstandshilfe bei der Begrenzung gemäß § 36 Abs. 6 AlVG ist der jeweils anzuwendende Monatsbetrag durch 30 zu teilen."

Infolge dieser - gerade noch zu bejahenden - Rezeption des § 36 Abs. 6 AlVG durch die NHV ist diese Bestimmung ab 30. Mai 1996 anzuwenden (vgl. das Erkenntnis vom 31. Mai 2000, Zl. 98/08/0222).

Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides wäre im Hinblick auf die zitierte Übergangsbestimmung daher nur dann zu bejahen, wenn der Anfallstag der Notstandshilfe des Beschwerdeführers im Sinne des § 79 Abs. 28 AlVG nach dem 30. April 1996 gelegen wäre. Dies ist jedoch aus folgenden Gründen nicht der Fall:

Dem Beschwerdeführer wurde die Notstandshilfe ab dem 15. März 1996 für die Dauer von 364 Tagen zuerkannt. Durch die Übersiedlung des Beschwerdeführers in den Zuständigkeitsbereich einer anderen regionalen Geschäftsstelle ist weder ein Grund für die Unterbrechung des Notstandshilfebezuges noch ein Neuanfall oder eine "Verlängerung" der Leistung (gegenüber der davor zuerkannten zeitlichen Dauer des Bezuges) eingetreten. Ein solcher Fall konnte auch dadurch nicht eintreten, dass der Beschwerdeführer - überflüssigerweise - zu einer neuerlichen Antragstellung angehalten wurde: Wenn sich die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift auf § 46 Abs. 3 Z. 3 AlVG beruft, so übersieht sie, dass diese Bestimmung die Vorgangsweise bei der Geltendmachung von Geldleistungen nach dem AlVG, insbesondere die Einhaltung zeitlicher Vorgaben bei der Antragstellung und im Besonderen auch den Fall regelt, dass der Arbeitslose gleichzeitig mit oder unmittelbar nach dem Verlust des Arbeitsplatzes auch den Wohnort wechselt (und deshalb erst nach Eintritt der Arbeitslosigkeit bei der regionalen Geschäftsstelle vorspricht).

Ein Wohnortwechsel während des Bezuges hingegen erfordert lediglich die (unverzüglich zu erstattende) Anzeige an die bisher zuständige regionale Geschäftsstelle gemäß § 50 Abs. 1 zweiter Satz AlVG, nicht aber auch eine neuerliche persönliche Geltendmachung eines laufenden Leistungsanspruchs bei der nunmehr zuständig gewordenen regionalen Geschäftsstelle. Die belangte Behörde war daher zur Neuberechnung der Leistung und Anwendung des Strukturanpassungsgesetzes 1996 auf diese Leistung aus Anlass der Übersiedlung des Beschwerdeführers nicht berechtigt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Übersiedlung eines Leistungsempfängers aus dem Sprengel einer regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice in den Sprengel einer anderen regionalen Geschäftsstelle die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung jedenfalls dann, wenn die Übersiedelung angezeigt wird, nicht berührt und sich in Bezug auf die - wenn auch nur mit Mitteilung - bereits zuerkannte Leistung eine neuerliche Antragstellung erübrigt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 31. Mai 2000, Zl. 97/08/0519, und vom 18. Oktober 2000, Zl. 96/08/0169).

In jenen Fällen, in denen eine Leistung ohne Erlassung eines Bescheides (§ 47 AlVG) - wie im vorliegenden Fall ab dem 15. März 1996 für die Dauer eines Jahres - antragsgemäß zuerkannt wurde, ersetzt der Schutz, welchen § 24 AlVG der Partei vor einem willkürlichen Widerruf zuerkannter Geldleistungen einräumt, einerseits bis zu einem gewissen Grad die fehlende Rechtskraft, er durchbricht aber auch diesen Schutz insoweit, als andererseits eine auch rückwirkende Korrektur der Leistung ohne Bindung an die strengen Voraussetzungen des § 69 AVG zulässig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. März 2001, Zl. 2000/08/0178).

Der von der belangten Behörde bestätigte erstinstanzliche Bescheid ist im Sinne einer Neubemessung des Ausmaßes der Notstandshilfe im Sinne des § 24 Abs. 1 in Verbindung mit § 38 AlVG zu verstehen (vgl. das einen derartigen bescheidmäßigen Abspruch über die Einstellung der Notstandshilfe betreffende hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2000, Zl. 98/08/0387, sowie das bereits zitierte Erkenntnis vom 18. Oktober 2000, Zl. 96/08/0169). In der Begründung für diese Neubemessung hat die belangte Behörde darauf verwiesen, dass sich die für das Ausmaß der Notstandshilfe maßgebende Voraussetzung insofern geändert habe, als der Beschwerdeführer (infolge Wohnsitzwechsels) einen neuen Antrag gestellt habe und dieser Antrag nach der Rechtslage nach dem Strukturanpassungsgesetz 1996 habe beurteilt worden müssen. Da jedoch ein bloßer Wohnsitzwechsel, der im vorliegenden Fall bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice in Form des weiteren Antrags auf Zuerkennung der Notstandshilfe i. S. des § 50 Abs. 1 AlVG auch angezeigt wurde, die zuerkannte Leistung - auch was die für deren Ausmaß maßgebenden Voraussetzungen betrifft - nicht berührt und ein Eingriff in diese Leistung nach § 24 Abs. 1 AlVG nicht zulässig war, war die Neubemessung der Notstandshilfe rechtswidrig.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Der durch Verordnung pauschaliert festgesetzte Schriftsatzaufwand deckt die anfallende Umsatzsteuer, sodass das auf deren Ersatz gerichtete Begehren abzuweisen war.

Wien, am 19. März 2003

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:1998080031.X00

Im RIS seit

05.05.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten