TE Vwgh Erkenntnis 2006/11/14 2003/01/0521

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Veröffentlicht am 14.11.2006
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/01 Sicherheitsrecht;

Norm

AVG §67a Abs1 Z2;
AVG §67c Abs3;
AVG §79a;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
SPG 1991 §40;
SPG 1991 §88;
SPG 1991 §89;
VwGG §33a;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §52 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde der ML in W, geboren 1976, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 22. August 2003, Zl. Senat-B-00-013, betreffend § 67a Abs. 1 Z 2 AVG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Spruch

1. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird in seinen Spruchpunkten II. D und III. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2. den Beschluss gefasst:

Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit sie sich gegen weitere Spruchpunkte des bekämpften Bescheides richtet, abgelehnt.

Begründung

Am Abend des 17. Jänner 2000 kam es zu einem groß angelegten Gendarmerieeinsatz im Haus Nr. 3 der Außenstelle Traiskirchen des Bundesasylamtes (Flüchtlingslager), von dem auch die Beschwerdeführerin betroffen war.

Die Beschwerdeführerin erhob "gemäß §§ 67a Abs. 1 Z. 2 AVG und 88, 89 SPG" Beschwerde an die belangte Behörde. Diese entschied letztlich wie folgt:

"I.

Der Beschwerdeführerin ... ist dadurch, dass am Abend des 17.1.2000 im Zuge eines gemeinsamen Einsatzes verschiedener Einheiten der Bundesgendarmerie, Organen der Sicherheitsdirektion für das Bundesland NÖ, mit dem Ziel, teils namentlich bekannter, teils nur einem verdeckten Ermittler optisch erinnerlicher, des organisierten bandenmäßigen Suchtgiftstraßenverkaufs Verdächtiger habhaft zu werden

A) sie zuerst im Zimmer Nr. 9, dann auf dem Korridor bis etwa 24.00 Uhr angehalten wurde, in ihrem gemäß Art. 1 PersFrG und Art. 5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit,

B) von ihr mit einer Polaroidkamera zum Zweck der Einsichtnahme und Auswertung durch einen verdeckten Ermittler ein Lichtbild angefertigt wurde,

C) in ihrem einfachgesetzlich gewährleisteten Recht, nur in dem vom § 35 Abs. 2 SPG normierten Umfang an der Identitätsfeststellung mitwirken zu müssen,

D) ihr weder der Grund noch der Zweck der Amtshandlung bekannt gegeben und ihr nicht mitgeteilt wurde, dass sie einen Angehörigen, eine Person ihres Vertrauens oder einen Rechtsbeistand verständigen könne,

E) in ihren gemäß Art. 4 Abs. 6 und 7 PersFrG und Art. 5 Abs. 2 EMRK verfassungsgesetzlich und in ihren gemäß § 178 StPO und § 30 Abs. 1 SPG einfachgesetzlich gewährleisteten Rechten,

verletzt worden.

II.

     Die Beschwerde der ... wird hinsichtlich der Behauptung

     D)        sie sei einer rechtswidrigen Personsdurchsuchung

unterworfen worden

     E)        ihr sei die Erfüllung persönlicher Bedürfnisse (die

Wasseraufnahme, das    Aufsuchen des WC) verweigert worden,

     F)        sie sei auf Grund ihrer Hautfarbe und Herkunft

diskriminierend behandelt worden und

     G)        es seien ihre Schlafstelle und ihre persönlichen

Besitztümer durchsucht worden,

     gemäß § 67c Abs. 3 AVG als unbegründet abgewiesen.

III.

Gemäß § 79a AVG i.V.m. § 1 AufwandersatzVO UVS, BGBl. 1995/850, und § 52 Abs. 1 VwGG ist der Bund (der Bundesminister für Inneres) als Rechtsträger der belangten Behörde schuldig, der Beschwerdeführerin die mit EUR 4.189,63 bestimmten, zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten binnen vier Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

IV.

Gemäß § 38 AVG wird die Entscheidung über die Höhe des Anteils der Beschwerdeführerin am Ersatz des Verhandlungsaufwandes, den sie dem Bund als Rechtsträger der belangten Behörde zu leisten hat, bis zur Rechtskraft der Entscheidungen über die von allen von der Amtshandlung am 17.1.2000 Betroffenen als rechtswidrig in Beschwerde gezogenen Verwaltungsakte ausgesetzt."

Die belangte Behörde ging, auf das Wesentliche zusammengefasst, von nachstehendem Sachverhalt aus:

Nach den Erkenntnissen eines verdeckten Ermittlers seien etwa 20 vorwiegend im Flüchtlingslager Traiskirchen untergebrachte Schwarzafrikaner verdächtig gewesen, von einem Stützpunkt (Cafe A.) aus im Bereich des Bahnhofes Traiskirchen an Passanten Suchtgift zu verkaufen. Nur sechs dieser bandenmäßig organisierten Kriminellen seien vor Beginn der Amtshandlung namentlich bekannt und antragsgemäß vom Landesgericht Wiener Neustadt zur Verhaftung ausgeschrieben gewesen. Alle Verdächtigen hätten mit einem Einsatz verschiedener Gendarmerieeinheiten nach einem Suchtgiftscheinkauf festgenommen und die namentlich nicht bekannten Suchtgifthändler dabei durch das optische Erinnerungsvermögen des verdeckten Ermittlers herausgefunden werden sollen. Tatsächlich seien zunächst nur drei Festnahmen gelungen und es habe der Schwerpunkt der Amtshandlung ins Flüchtlingslager verlegt werden müssen. Dabei habe es die Einsatzleitung verabsäumt, das weitere Einschreiten rechtlich abzusichern und dafür einen entsprechend erweiterten Gerichtsauftrag einzuholen.

Um aus den im Flüchtlingslager im Haus 3 untergebrachten etwa 60 Schwarzafrikanern die restlichen Tatverdächtigen herauszufiltern und um das Beiseiteschaffen von Suchtgift zu verhindern, seien von den Beamten im Parterre und im ersten Stock die Türen besetzt, diese annähernd gleichzeitig geöffnet und die angetroffenen Personen aufgefordert worden, jede Ortsveränderung bis auf Weiteres zu unterlassen. Dieser Anordnung sei durchgehend widerspruchslos Folge geleistet worden. Nach und nach seien die betroffenen Personen auf den Gang befohlen, dort oberflächlich visitiert, mit einer Sofortbildkamera fotografiert, mit vorbereiteten Einweghandfesseln geschlossen, in eine zum Haftraum umfunktionierte Küche überstellt und dort bewacht worden. Während ihrer Anhaltung in der Küche seien dem verdeckten Ermittler die Lichtbilder gezeigt worden. Danach habe man die von ihm als unverdächtig bezeichneten männlichen Personen von ihren Fesseln befreit und über die weiblichen Schwarzafrikaner die "lose Aufsicht" aufgehoben. Nach Entlassung in ihre Zimmer hätten einige Personen Spuren einer Nachschau während ihrer Abwesenheit festgestellt.

Die im Zimmer Nr. 9 befindliche Beschwerdeführerin sei schon nach kurzer Zeit auf den Korridor zitiert worden, wo sie sich fotografieren lassen und das Ende des Einsatzes abwarten habe müssen. Zwischendurch sei ihr über ihr Ersuchen in Begleitung die Erfüllung der persönlichen Bedürfnisse (das Aufsuchen des WC und Wassertrinken) gestattet worden.

Die in den gesetzten Maßnahmen zu erblickende Verhaftung der Beschwerdeführerin sei - so die belangte Behörde rechtlich - nicht notwendig gewesen, auch die Anfertigung eines Lichtbildes müsse als rechtswidrig bewertet werden. Zudem seien die einschreitenden Beamten ihren Informationspflichten nicht nachgekommen. Hingegen fehlten Hinweise dafür, dass die Beschwerdeführerin einer (rechtswidrigen) Personsdurchsuchung unterzogen worden wäre. Was das Vorbringen betreffend die Durchsuchung ihrer Schlafstelle und ihrer persönlichen Besitztümer anlange, so habe die Beschwerdeführerin derartige Vorgänge - in der Verhandlung - nicht näher beschrieben. "Dieser Beschwerdepunkt" stelle sich daher bei Bedachtnahme auf wortidente Passagen in den Eingaben sämtlicher vom Einsatz betroffener Personen nur als ein "aus anwaltlicher Vorsicht" in die Beschwerde aufgenommener Textbaustein dar, sodass für die belangte Behörde mit der erforderlichen Sicherheit feststehe, dass es insoweit zu keiner Rechtsverletzung gekommen sei. Das Vorgehen gegen die Beschwerdeführerin könne schließlich nicht als voreingenommene Behandlung gewertet werden, weshalb in der Sache selbst insgesamt spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei. Für die Kostenentscheidung sei davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin von den insgesamt sieben in Beschwerde gezogenen "Verwaltungsakten" mit dreien obsiegt habe, während ihre Beschwerde in Bezug auf vier Akte als unbegründet abzuweisen gewesen sei.

Über die gegen die Spruchpunkte II. D, II. F, II. G und III. dieses Bescheides erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Zu 1.:

Mit dem hier behandelten Spruchpunkt II. D des bekämpften Bescheides hat die belangte Behörde die Administrativbeschwerde insoweit abgewiesen, als die Beschwerdeführerin eine Durchsuchung ihrer Person thematisiert hatte. Im bekämpften Bescheid heißt es dazu begründend lediglich (siehe oben), dass Hinweise dafür fehlten, es wäre die Beschwerdeführerin "einer (rechtswidrigen) Personsdurchsuchung" unterzogen worden. Das kann, wenngleich es keine ausdrücklichen Feststellungen gibt, vor dem Hintergrund der vorliegenden Verfahrensergebnisse nicht so gedeutet werden, es habe nach Ansicht der belangten Behörde überhaupt keine Personsdurchsuchung stattgefunden. Die als Zeugin einvernommene Beamtin W. hat nämlich in der mündlichen Verhandlung am 10. Juli 2000 ausdrücklich ausgesagt, bei der Beschwerdeführerin eine Personsdurchsuchung vorgenommen zu haben (sie habe sie - wie einige weitere weibliche Personen - "in der Art einer 'Flughafenzollkontrolle' abgegriffen"). Für einen derartigen Vorgang lagen daher massive Anhaltspunkte vor, weshalb die Ausführungen des bekämpften Bescheides über "fehlende Hinweise" nur dergestalt verstanden werden können, es mangle an Indizien für eine rechtswidrige Personsdurchsuchung. Indem die belangte Behörde damit erkennbar die Ansicht vertrat, eine - wie gegenständlich offenkundig zu Grunde gelegt - maßhaltende Durchsuchung der Beschwerdeführerin sei rechtens gewesen, hat sie indes die Rechtslage verkannt, wobei zur näheren Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 20. September 2006, Zl. 2003/01/0502, verwiesen werden kann (siehe zu einem vergleichbaren Fall auch das hg. Erkenntnis vom 13. Oktober 2006, Zlen. 2003/01/0574 und 0580).

Nach dem Gesagten ist die Entscheidung der belangten Behörde zu Spruchpunkt II. D mit Rechtswidrigkeit behaftet. Das schlägt auch auf den Kostenzuspruch an die Beschwerdeführerin durch, wobei der weiter in Behandlung genommene Spruchpunkt III. im Übrigen jedenfalls insoweit an einem Mangel leidet, als die belangte Behörde - entsprechend der von ihr vorgenommenen Nummerierung der im Rahmen des Spruchpunktes I. erfolgten Aussprüche - zum Ergebnis gelangte, die Beschwerdeführerin habe nur in insgesamt drei Beschwerdepunkten obsiegt. Bezüglich der in I. C zusammengefassten behördlichen Unterlassungen wäre nämlich richtig von zwei "Verwaltungsakten" auszugehen gewesen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 20. September 2006, Zl. 2004/01/0308).

Der angefochtene Bescheid war daher in seinen hier in Behandlung genommenen Spruchpunkten II. D und III. gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Zu 2.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Soweit sich die Beschwerde über die Bekämpfung der Spruchpunkte II. D und III. hinaus auf weitere Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides bezieht, wirft sie keine für die Entscheidung des Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung in diesem Umfang sprechen würden, liegen nicht vor, zumal die im Einzelnen vorgenommene Prüfung des Beschwerdefalles - auch in beweismäßiger Hinsicht - keine vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmende Fehlbeurteilung durch die belangte Behörde ergeben hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde in dem im Spruch zu 2. angeführten Umfang abzulehnen.

Wien, am 14. November 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2003010521.X00

Im RIS seit

12.12.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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