TE Vwgh Erkenntnis 2006/11/23 2003/20/0519

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Veröffentlicht am 23.11.2006
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Melderecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
MeldeG 1991 §1 Abs7;
MeldeG 1991 §1 Abs9;
MeldeG 1991 §19 Abs1 idF 2001/I/028;
MeldeG 1991 §19a Abs2 idF 2001/I/028;
MeldeG 1991 §19a idF 2001/I/028;
MeldeG 1991 AnlD;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
ZustG §2 Z5;
ZustG §4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des A alias J alias N, geboren 1978 alias 1980, vertreten durch Dr. Wolfgang Riha, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wipplingerstraße 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 5. September 2003, Zl. 240.899/0-IX/27/03, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit nach dem Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. Mai 2003 als verspätet zurückgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, reiste am 15. Jänner 2003 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 20. Jänner 2003 Asyl. Am 22. Jänner 2003 wurde er vor dem Bundesasylamt zu seinen Fluchtgründen einvernommen.

Nach einer Einstellung des Asylverfahrens gemäß § 30 Asylgesetz 1997 (AsylG) legte der Beschwerdeführer dem Bundesasylamt am 27. März 2003 eine Meldebestätigung vor. Danach war er an der Adresse 1150 Wien, Grimmgasse 6, mit der Wohnsitzqualität "Hauptwohnsitz" gemeldet.

In einer weiteren Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 14. Mai 2003 gab der Beschwerdeführer an, seine zuvor genannte Meldeadresse sei "nur eine Scheinmeldung"; er "schlafe immer im Lager Traiskirchen" und müsse aufpassen, dass er dort "nicht erwischt" werde. Er sei von einer Flüchtlingsberaterin, die ihm zugesagt habe, dass sie sich bemühen werde, dass er in Bundesbetreuung komme, im Notquartier der Evangelischen Flüchtlingshilfe in der Grimmgasse angemeldet worden.

Mit Bescheid vom 14. Mai 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran fest. Die Zustellung dieses Bescheides an den Beschwerdeführer wurde unter den Namen "J alias A alias N" an der Adresse "1150 Wien, Grimmgasse 6" verfügt. Nach zwei erfolglosen Zustellversuchen wurde der Bescheid beim Postamt hinterlegt, der Beginn der Abholfrist war der 19. Mai 2003.

Mit Schriftsatz vom 24. Juli 2003 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und erhob zugleich Berufung gegen den Bescheid vom 14. Mai 2003. Im Wiedereinsetzungsantrag führte der Beschwerdeführer aus, dass er zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides an der Adresse 1150 Wien, Grimmgasse 6, gemeldet gewesen sei. Er sei diesem Notquartier unter seinem Alias-Namen A zugewiesen worden und dort nur unter diesem Namen bekannt gewesen. Er habe seinen richtigen Namen J zwar dem Bundesasylamt bekannt gegeben, nicht aber dem Notquartier. Da den dortigen Betreuern eine Person namens J nicht bekannt gewesen sei, sei der Bescheid an das Bundesasylamt mit dem Vermerk retourniert worden, dass es keinen Bewohner dieses Namens gebe. Sein Name sei daher auch auf der ausgehängten Postliste, in die alle Empfänger von Briefen eingetragen würden, nicht vermerkt worden, sodass er von der Bescheidzustellung keine Kenntnis habe erlangen können, obwohl er regelmäßig auf der Postliste Nachschau gehalten habe.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. April 2003 wurde der Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG abgewiesen, was im Wesentlichen damit begründet wurde, dass der Bescheid an "J alias A alias N" adressiert worden sei, sodass er von den Betreuern in der Grimmgasse dem Beschwerdeführer durchaus zugeordnet hätte werden können.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er vorbrachte, dass das Zustellorgan der Post auf der Hinterlegungsanzeige lediglich den Namen J, nicht jedoch die Alias-Namen vermerkt habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ab; zugleich wies sie die Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. Mai 2003 gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurück. Die belangte Behörde führte begründend aus, dass die Zustellung an der Meldeadresse in 1150 Wien, Grimmgasse 6, rechtswirksam gewesen sei, und zwar auch dann, wenn die genannte Adresse während der für eine wirksame Zustellung erforderlichen Akte weder als Wohnung noch als sonstige Unterkunft des Beschwerdeführers anzusehen wäre. Da der Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen das Notquartier regelmäßig aufgesucht habe und sich aus der erfolgten Meldung ergebe, dass der Evangelische Flüchtlingsdienst Österreich als Verfügungsberechtigter seine Zustimmung dazu erteilt habe, dass diese Adresse als Abgabestelle für den Beschwerdeführer nach dem Zustellgesetz gelte, sei im Hinblick auf § 19a Abs. 2 MeldeG die erwähnte Adresse "Abgabestelle des Berufungswerbers" gewesen.

Zur Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages führte die belangte Behörde aus, der Umstand, dass der Beschwerdeführer in seiner Berufung vorgebracht habe, auf der Hinterlegungsanzeige sei lediglich sein richtiger Name vermerkt gewesen, stelle eine unzulässige Auswechslung des Vorbringens im Berufungsverfahren dar. Darüber hinaus habe er durch Verwendung falscher Namen eine Situation herbeigeführt, die zu Problemen bei der Zuordnung eines Schriftstückes führen könne, und er sei daher gehalten gewesen, alles Erforderliche zu tun, um diese Situation wieder zu beseitigen, d.h. insbesondere die Betreuer des Notquartiers von seinem richtigen Namen in Kenntnis zu setzen. Tue er dies nicht, liege kein minderer Grad des Versehens mehr vor.

Somit erweise sich die mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundene Berufung vom 24. Juli 2003 gegen den am 19. Mai 2003 zugestellten Bescheid als verspätet und sei daher zurückzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die mit dem angefochtenen Bescheid vorgenommene Zurückweisung der Berufung des Beschwerdeführers als verspätet setzt voraus, dass der Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. April 2003 vor Erhebung der Berufung in Rechtskraft erwachsen ist, was nur dann der Fall sein kann, wenn er an den Beschwerdeführer rechtswirksam zugestellt wurde. Die belangte Behörde hat dies bejaht.

Im Beschwerdefall ist zunächst nicht zweifelhaft, dass der Beschwerdeführer an der Anschrift 1150 Wien, Grimmgasse 6, keine Wohnung oder eine sonstige Unterkunft besaß. Unterkünfte für Asylwerber in Pensionen, Hotels, Heimen, Lagern oder anderen Betreuungsstellen kommen zwar auch bei einem nur vorübergehenden, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt als "sonstige Unterkunft" und damit als Abgabestelle im Sinne des § 4 ZustellG in Betracht (vgl. zur Qualifikation von Räumlichkeiten als "sonstige Unterkunft" die Erkenntnisse vom 27. April 2006, Zl. 2005/20/0645, und vom 22. März 2000, Zlen. 99/01/0124, 0125). Der Beschwerdeführer hat diese Räumlichkeiten aber nach seinem Vorbringen nie als Wohnungsersatz benützt, sondern vielmehr "immer im Lager Traiskirchen" übernachtet.

Die Zustellung an der Adresse 1150 Wien, Grimmgasse 6, könnte daher nur dann wirksam sein, wenn es sich dabei um eine als Abgabestelle geltende "Kontaktstelle" im Sinne des § 19a Meldegesetz 1991 (MeldeG) gehandelt hätte.

§ 19a Abs. 1 und 2 MeldeG, BGBl. Nr. 9/1992 in der Fassung

BGBl. I Nr. 28/2001, lauten:

"Hauptwohnsitzbestätigung

     § 19a. (1) Die Meldebehörde hat einem Obdachlosen auf Antrag

nach dem Muster der Anlage D in zwei Ausfertigungen zu bestätigen,

dass er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in dieser

Gemeinde hat (Hauptwohnsitzbestätigung), wenn er

     1.        glaubhaft macht, dass er seit mindestens einem

Monat den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen ausschließlich im

Gebiet dieser Gemeinde hat, und

     2.        im Gebiet dieser Gemeinde eine Stelle bezeichnen

kann, die er regelmäßig aufsucht (Kontaktstelle).

(2) Die Kontaktstelle gilt als Abgabestelle im Sinne des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982, sofern der Obdachlose hiezu die Zustimmung des für diese Stelle Verfügungsberechtigten nachweist."

Bei der im Verwaltungsakt aufliegenden Meldebestätigung vom 26. März 2003 handelte es sich aber nicht um eine für Obdachlose (§ 1 Abs. 9 MeldeG) vorgesehene "Hauptwohnsitzbestätigung" im Sinne des § 19a MeldeG, hatte der Beschwerdeführer sich doch an der genannten Adresse mit der Wohnsitzqualifikation "Hauptwohnsitz" (§ 1 Abs. 7 MeldeG) und nicht als "obdachlos" angemeldet (vgl. zur "Obdachlosenmeldung" gemäß § 19a MeldeG etwa die Erkenntnisse vom 24. Mai 2005, Zl. 2003/01/0621, und vom 1. September 2005, Zl. 2005/20/0289). Der Bestimmung des § 19a MeldeG kann nicht entnommen werden, dass eine - unter der weiteren Voraussetzung des § 19a Abs. 2 MeldeG die Zustellung an dieser Abgabestelle ermöglichende - Kontaktstelle auch dann vorläge, wenn die Anmeldung nicht nach der genannten Gesetzesbestimmung, sondern als "Scheinmeldung" mit der Wohnsitzqualität "Hauptwohnsitz" erfolgte. Für die Annahme einer Kontaktstelle ist das Vorliegen der in § 19a Abs. 1 MeldeG genannten Voraussetzungen erforderlich, die bei der Anmeldung glaubhaft zu machen sind; auf der auszustellenden "Hauptwohnsitzbestätigung" ist auch zu vermerken, ob die Kontaktstelle "als Abgabestelle im Sinne des Zustellgesetzes" gilt, was den Nachweis der Zustimmung des über die Kontaktstelle Verfügungsberechtigten voraussetzt (vgl. § 19a Abs. 2 und Anlage D MeldeG). Im Falle einer "Scheinmeldung" eines Hauptwohnsitzes liegt daher auch keine Bestätigung im Sinne des § 19a MeldeG vor.

Da es sich somit bei der Anschrift, an der der Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. Mai 2003 zugestellt werden sollte, nicht um eine Abgabestelle im Sinne des ZustellG gehandelt hat und die Zustellung daher nicht rechtswirksam war, hätte die belangte Behörde die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung nicht als verspätet zurückweisen dürfen. Sohin war der angefochtene Bescheid insoweit, als darin die Berufung des Beschwerdeführers als verspätet zurückgewiesen wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Eine Wiedereinsetzung kommt nach dem Gesagten - mangels Versäumung einer Frist - nicht in Betracht. Durch den die Wiedereinsetzung betreffenden Spruchpunkt wurde der Beschwerdeführer daher nicht in seinen Rechten verletzt, weshalb die Beschwerde in diesem Punkt gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war (vgl. in diesem Sinn das Erkenntnis vom 20. April 2006, Zl. 2005/01/0662).

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 23. November 2006

Schlagworte

Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2003200519.X00

Im RIS seit

27.12.2006

Zuletzt aktualisiert am

05.03.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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