TE Vwgh Erkenntnis 2007/8/24 2006/19/0140

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.08.2007
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §15;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des D, vertreten durch Dr. Werner Posch, Rechtsanwalt in 2640 Gloggnitz, Hauptstraße 37, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. Februar 2005, Zl. 250.357/4-II/04/05, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte im Dezember 2003 in das Bundesgebiet und beantragte Asyl. Bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 30. März 2004 brachte er vor, nach der Ermordung beider Eltern im Jahr 1984 sei er schon als Kind in die damalige Sowjetunion gebracht worden und seither nie nach Afghanistan zurückgekehrt. Zuletzt sei er in Moskau ausländerfeindlichen Nachstellungen ausgesetzt gewesen. Als Verfolgungsgrund für den Fall seiner nunmehrigen Rückkehr nach Afghanistan gab er vor allem an, er würde als Kommunist angesehen werden.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 12. Mai 2004 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab, erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus. Es vertrat die Ansicht, es sei "unmittelbar einsichtig", dass "die abgegebene Schilderung des ASt. zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates wahrheitswidrig" sei. Er habe nur "Eckpunkte seiner Fluchtgeschichte präsentiert" und keine "Innenansicht der Erlebnisse" dargeboten, "wozu aber bei tatsächlichem Erleben einer solch drastischen Lebensgeschichte bzw. dramatischer Umstände - wie von ihm geschildert - jeder Mensch - egal welcher kulturellen Herkunft - im Stande wäre".

Diesen vom Beschwerdeführer mit Berufung bekämpften Bescheid behob die belangte Behörde mit Bescheid vom 24. Juni 2004 gemäß § 66 Abs. 2 AVG.

Im fortgesetzten Verfahren vor dem Bundesasylamt wurde der Beschwerdeführer am 3. Dezember 2004 neuerlich einvernommen. Er gab nun an, seit sieben Jahren "römisch katholisch" zu sein, relativierte dies bei näherer Befragung allerdings dahingehend, dass in Kiew "baptistische Missionare" an ihn herangetreten seien und er nicht wisse, ob es sich bei dem Pfarrer, der ihn getauft habe, um einen römisch-katholischen gehandelt habe.

Dem Beschwerdeführer wurde bei dieser Einvernahme auch ein Text zur "allgemeinen Lage in Afghanistan" vorgehalten, der u. a. den nicht näher begründeten Satz enthielt, "ehemalige Kommunisten und Personen, die sich in der UdSSR aufhielten, werden staatlich nicht verfolgt".

Diesen Text bezeichnete der Beschwerdeführer (insgesamt) als "Propaganda und reine Lüge".

Mit Bescheid vom 6. Dezember 2004 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers neuerlich gemäß § 7 AsylG ab. Es erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan diesmal aber gemäß § 8 AsylG für nicht zulässig und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 15 AsylG.

In der Begründung dieser Entscheidung traf das Bundesasylamt Feststellungen über die allgemeine Lage in Afghanistan, die u. a. den erwähnten Satz über "ehemalige Kommunisten und Personen, die sich in der UdSSR aufhielten," und an anderer Stelle die Aussage enthielten, ein "Auslandsaufenthalt oder Auslandsstudium in der ehemaligen UdSSR" stelle "heute in Afghanistan keinen Verfolgungsgrund mehr dar". Die Angaben des Beschwerdeführers über seinen Religionswechsel erachtete das Bundesasylamt als unglaubwürdig, weil sich der Beschwerdeführer bei der Einvernahme am 30. März 2004 noch als Sunnit bezeichnet und nicht auf die Gefährdung wegen eines Religionswechsels berufen habe.

In seiner Berufung gegen die (neuerliche) Abweisung des Asylantrages wandte sich der Beschwerdeführer gegen diese Beweiswürdigung.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung - ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung - gemäß § 7 AsylG ab. Die Abstandnahme von einer Berufungsverhandlung begründete sie wie folgt:

"Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung war gemäß Art. II Abs. 2 lit. D Z. 43a EGVG nicht erforderlich."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung - hinsichtlich des vom Bundesasylamt nicht geglaubten Religionswechsels des Beschwerdeführers - auf eine seitenlange, über die erstinstanzliche (in diesem Punkt auf das schon erwähnte Argument beschränkte) Beweiswürdigung hinausreichende Auseinandersetzung mit der Glaubwürdigkeit des beim Bundesasylamt protokollierten Vorbringens des Beschwerdeführers gestützt und sich durch das Unterlassen einer mündlichen Berufungsverhandlung daher über die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinweggesetzt. Ob die in der Berufung vorgetragene Kritik am Unterbleiben einer Befragung zu Glaubensinhalten in Verbindung mit dem Antrag, dem Beschwerdeführer "allenfalls nach Verfahrensergänzung" Asyl zu gewähren, als Antrag auf Durchführung einer Berufungsverhandlung zu werten war, spielt dabei keine Rolle (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Juni 2003, Zl. 2002/20/0336, in Verbindung mit der im Erkenntnis vom 23. Jänner 2003, Zl. 2002/20/0533, zusammengefassten Vorjudikatur, insbesondere hinsichtlich einer in der Berufung geübten Kritik an der erstinstanzlichen Beweiswürdigung und einer Ergänzungsbedürftigkeit derselben). Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides, weil - wie die Beschwerde zutreffend darlegt - nicht auszuschließen ist, dass eine Befragung des Beschwerdeführers zu Glaubensinhalten zu einem anderen Verfahrensergebnis geführt hätte.

Zur Vermeidung weiterer Rechtswidrigkeiten im fortgesetzten Verfahren ist aber auch darauf hinzuweisen, dass schon die Darstellung des Verfahrensganges auf Seite 3 des angefochtenen Bescheides nicht der Aktenlage entspricht. Es trifft einerseits nicht zu, dass der in der Sowjetunion und später in Nachfolgestaaten aufgewachsene Beschwerdeführer das bei der Einvernahme am 30. März 2004 in den Vordergrund gestellte Bedrohungsbild, in Afghanistan "als Kommunist angesehen" zu werden, am 3. Dezember 2004 "mit keinem Wort mehr" erwähnt hätte

("Ich hielt mich in der früheren UdSSR ... auf. Deshalb werde ich von meinen Landsleuten als ... kommunistisch eingestuft").

Andererseits ist es auch nicht richtig, dass er bei der Einvernahme am 30. März 2004 "einzig" diese Bedrohung behauptet habe und ein Glaubenswechsel bei dieser Einvernahme überhaupt noch nicht zur Sprache gekommen sei. Bei dieser Einvernahme gab der Beschwerdeführer sein Religionsbekenntnis in der einleitenden Befragung zu den Personaldaten zwar - im Anschluss an die Angabe von Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit und Volksgruppenzugehörigkeit - mit "Sunnit (Moslem)" an. Seine unmittelbare Reaktion auf die Frage, welche "Verfolgungshandlungen aus politischen, religiösen, rassischen, ethnischen oder sozialen Gründen" er nunmehr befürchte, bestand aber in der Antwort, er "glaube nicht an dieselbe Religion".

Die völlige Ausklammerung dieses Teils der ersten Aussage vor dem Bundesasylamt belastet die angefochtene Entscheidung mit einem weiteren Verfahrensmangel. Es ist aber auch die offenbare Ansicht der belangten Behörde, von einem "Konvertiten" sei besonderer Glaubenseifer zu erwarten, weshalb sich aus mangelndem Kirchbesuch des Beschwerdeführers in Österreich ein Argument gegen ihn gewinnen lasse, unter den Umständen des vorliegenden Falles nicht schlüssig. Der Gesichtspunkt der behaupteten Konversion des Beschwerdeführers wird im Übrigen nicht isoliert zu würdigen, sondern in eine ganzheitliche Bedachtnahme auf die politischen und religiösen Aspekte seiner Sozialisation in der ehemaligen Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten einzubeziehen sein.

Der angefochtene Bescheid war aus den dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 24. August 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006190140.X00

Im RIS seit

02.10.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten