TE Vwgh Erkenntnis 2007/8/30 2006/19/0571

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Veröffentlicht am 30.08.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §24a Abs8;
AsylG 1997 §24b Abs1;
AsylG 1997 §5 Abs1;
AsylG 1997 §5a;
AsylG 2005 §30;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
ZustG §17 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des J, vertreten durch Dr. Martin Dellasega, Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. Dezember 2005, Zl. 264.761/0-V/15/05, betreffend §§ 5 und 5a Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, gelangte am 5. September 2005 in das Bundesgebiet und beantragte Asyl. Nach seiner Einvernahme am 9. September 2005 und am 13. September 2005 wies das Bundesasylamt den Asylantrag mit Bescheid vom 26. September 2005 gemäß § 5 Abs. 1 des Asylgesetzes 1997 in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) als unzulässig zurück. Es stellte fest, für die Prüfung des Asylantrages sei Polen zuständig, und wies den Beschwerdeführer gemäß § 5a AsylG dorthin aus.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid machte der Beschwerdeführer u.a. geltend, es sei von einer "generellen Traumatisierung" der tschetschenischen Bevölkerung auszugehen, wozu er Beweisanträge stellte, und auf Grund der von ihm gegebenen Hinweise auf eine individuelle Traumatisierung sei seine psychologische Untersuchung am 29. September 2005 angeordnet worden. Der Bescheid sei aber schon zuvor genehmigt worden. Darüber hinaus machte er unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK die Gefahr geltend, dass der russische Geheimdienst die tschetschenische Gemeinschaft in Polen infiltrieren könnte, rügte das polnische Asylverfahren und behauptete die Gefahr einer "sofortigen Weiterschiebung nach Russland".

In Ergänzung zur Berufung legte er einen ärztlichen Befund des Evangelischen Hilfswerks, Beratungsstelle AMBER, Ärztliche Leitung Dr. H. D.-R., vor, dem zufolge er unter einer posttraumatischen Belastungsreaktion leide.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß §§ 5 und 5a AsylG ab.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Zuständigkeit Polens nach der Dublin-Verordnung steht im Beschwerdefall außer Streit.

Die Beschwerde hält unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK an der Behauptung fest, der Beschwerdeführer wäre in Polen nicht vor dem russischen Geheimdienst sicher. Sie verweist dazu auf Angaben des Beschwerdeführers bei seiner Einvernahme am 13. September 2005, wonach es in Polen "sehr viele Kadirov-Leute" gebe und diese eine schwarze Liste hätten, auf der auch der Name des Beschwerdeführers stehe. Unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK wird geltend gemacht, der Beschwerdeführer sei zusammen mit seinen beiden alten Eltern, auf deren medizinische Behandlungsbedürftigkeit er bei seiner ersten Einvernahme hingewiesen habe, nach Österreich gekommen und deren Asylverfahren seien - im Gegensatz zu seinem - zugelassen worden.

Eine Auseinandersetzung mit diesen Beschwerdeargumenten erübrigt sich, weil die belangte Behörde ihren Bescheid in Bezug auf die Frage, ob das Asylverfahren des Beschwerdeführers wegen der von ihm geltend gemachten Traumatisierung gemäß § 24b Abs. 1 AsylG zuzulassen gewesen wäre, mit Rechtswidrigkeit belastet hat.

Die genannte Bestimmung lautete, soweit hier wesentlich:

"Ergeben sich in der Ersteinvernahme oder einer weiteren Einvernahme im Zulassungsverfahren (§ 24a) medizinisch belegbare Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber Opfer von Folter oder durch die Geschehnisse in Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein könnte, ist das Verfahren zuzulassen und der Asylwerber kann einer Betreuungseinrichtung zugewiesen werden."

Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt auf Grund des vom Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme am 13. September 2005 geäußerten Wunsches seine psychologische Untersuchung am 29. September 2005 angeordnet und ihn angewiesen, sich zu dieser einzufinden. Die Untersuchung - durch eine Fachärztin für Psychiatrie - wurde dann jedoch auf den 23. September 2005 vorverlegt. Der darüber von der Ärztin erstellte Bericht - zu dem dem Beschwerdeführer kein Parteiengehör mehr gewährt wurde - enthielt Angaben des Beschwerdeführers über seine Flucht und deren Motiv sowie über seine subjektiven Beschwerden, einige Zeilen über seinen "psychopathologischen Status", Ausführungen zu Narben, die seinen Angaben zufolge von Bombensplittern stammten, und als "Schlussfolgerung" - durch Ankreuzen eines dafür vorgesehenen Kästchens im Formular - die Verneinung der Frage nach einer "krankheitswerten psychischen Störung" aus "aktueller Sicht". Darüber hinausgehende (d.h. ausdrückliche) Angaben über allfällige Anzeichen für eine "Traumatisierung" des Beschwerdeführers durch das die Flucht auslösende Ereignis waren in dem Formular - das dies auch nicht vorsah - nicht enthalten.

In den Feststellungen des Bundesasylamtes wurde auf die Frage einer möglichen Traumatisierung des Beschwerdeführers wie folgt eingegangen:

"Es konnte nicht festgestellt werden, dass der ASt. im Sinne des § 24b AsylG Opfer von Folter oder durch die Geschehnisse in Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert ist. Ein entsprechendes Gutachten der hiesigen Ärztin liegt dem Akt bei."

In der Beweiswürdigung führte das Bundesasylamt dazu aus:

"Der Ast. wurde einer ärztlichen Untersuchung zugeführt, welche am 23.09.2005 in der EAST Ost, Haus 7, von 09.15 Uhr bis 10.00 Uhr, von einer Fachärztin für Psychiatrische Medizin durchgeführt wurde. Diese Untersuchung hat eindeutig ergeben, dass im Falle des Antragstellers aus aktueller Sicht eine krankheitswerte psychische Störung nicht vorliegt. Weiters geht aus dem Untersuchungsbericht hervor, dass der ASt. keine Folterspuren aufweist. Der ASt. gab zu den von der Ärztin festgestellten möglichen Folterspuren an, dass er Narben von Bombensplittern die aus verschiedenen Jahren herrühren habe. Diese stehen (gemeint wohl: stammen) also, sogar laut Aussagen des Aw's nicht von einer Folter. Somit ist im gegenständlichen Verfahren auszuschließen, dass eine medizinisch belegbare Tatsache vorliegt, das die (gemeint wohl: der) Ast. Opfer von Folter oder durch die Geschehnisse in Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein könnte."

Die belangte Behörde legte in ihren Erwägungen zunächst dar, der Berufungsentscheidung würden die im erstinstanzlichen Bescheid enthaltenen "Feststellungen" u.a. "zum Nichtvorliegen einer krankheitswerten psychischen Störung" zugrunde gelegt. Eine (ausdrückliche) Verweisung auf die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes enthält die angefochtene Entscheidung nicht.

Mit dem Berufungsvorbringen zu einer möglichen Traumatisierung des Beschwerdeführers und dem von ihm in Ergänzung der Berufung vorgelegten ärztlichen Befund setzte sich die belangte Behörde wie folgt auseinander:

"Was die angebliche Traumatisierung des Berufungswerbers betrifft, ist auf den vom Bundesasylamt beigeschafften fachärztlichen Befundbericht (Seite 135 im Akt des BAA) zu verweisen, welcher übrigens nach Durchführung der ärztlichen Untersuchung am 23.09.2005 - also vor Bescheiderlassung am 26.09.2005 - erstellt wurde und ist davon auszugehen, dass eine eigens für diese Materie ausgebildete Fachärztin für Psychiatrie bestens dafür geeignet ist, den psychischen Zustand von Personen zu beurteilen. Dem vom ärztlichen Leiter der Diakonie am 19.10.2005 vorgelegten Schreiben kann daher keinesfalls gleichwertige Bedeutung beigemessen werden."

Diese Ausführungen, auf die sich die belangte Behörde in diesem Zusammenhang beschränkte, werfen zunächst die Frage auf, ob die belangte Behörde es bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrages für rechtlich maßgeblich hielt, dass die "angebliche Traumatisierung" feststellbar sei. Nach der ständigen die hier anzuwendende Rechtslage betreffenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist im Zulassungsverfahren nicht zu prüfen, ob eine Traumatisierung vorliegt. Es genügt, wenn medizinisch belegbare Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber durch die Geschehnisse in Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein "könnte". Im Einzelnen kann dazu gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die hg. Erkenntnisse vom 17. April 2007, Zl. 2006/19/0011, Zlen. 2006/19/0163 bis 0166, Zl. 2006/19/0442, Zl. 2006/19/0675, Zlen. 2006/19/0851 bis 0854 und Zl. 2006/19/0919, vom 30. Mai 2007, Zlen. 2006/19/0418 bis 0420 und Zlen. 2006/19/0433 bis 0436, sowie vom 20. Juni 2007, Zl. 2006/19/0018, verwiesen werden.

Die belangte Behörde hat über die Voraussetzungen des § 24b Abs. 1 AsylG keine eigenen Feststellungen getroffen, sondern der angefochtenen Entscheidung die "Feststellungen" (nicht: "Beweiswürdigung") des Bundesasylamtes "zugrunde" gelegt. Als deren im hier erörterten Zusammenhang maßgebliches Thema hat sie aber das "Nichtvorliegen einer krankheitswerten psychischen Störung" bezeichnet. Eine Bezugnahme auf diesen (nicht in den hier anzuwendenden Vorschriften, sondern in § 30 AsylG 2005 genannten) Begriff enthielt der erstinstanzliche Bescheid nur in der "Beweiswürdigung".

Der Verwaltungsgerichtshof geht daher davon aus, dass sich die belangte Behörde nicht bloß darauf stützen wollte, eine Traumatisierung des Beschwerdeführers könne - wie in den "Feststellungen" des erstinstanzlichen Bescheides ausgeführt - "nicht festgestellt werden". Gemeint war offenbar der zuvor wiedergegebene Abschnitt in der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes, in dem - unter Verwendung der verba legalia und somit nicht in Widerspruch zu der zuvor zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - am Ende auch ausgeführt wurde, es sei "auszuschließen, dass eine medizinisch belegbare Tatsache vorliegt, dass die (gemeint: der) ASt. ... durch die Geschehnisse in Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein könnte".

Dass schon diese Möglichkeit auszuschließen sei, hat die belangte Behörde mit der Verweisung auf diese Ausführungen - angesichts des Berufungsvorbringens und der vom Beschwerdeführer dazu vorgelegten Urkunde - aber auch in Verbindung mit ihren eigenen ergänzenden Erwägungen nicht schlüssig begründet, zumal es sich bei der "Schlussfolgerung" der Ärztin in dem Formular aus dem erstinstanzlichen Verfahren nicht um ein Gutachten, sondern um eine nicht näher erläuterte, nur durch die Wahl des anzukreuzenden Kästchens zum Ausdruck gebrachte Einschätzung handelte (vgl. in diesem Zusammenhang etwa das hg. Erkenntnis vom 17. April 2007, Zl. 2006/19/0919, und auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2006/19/0532).

Dem angefochtenen Bescheid ist im Übrigen - wie auch dem des Bundesasylamtes - nicht zu entnehmen, wann das Konsultationsverfahren mit Polen begonnen hatte (vgl. dazu etwa Punkt 3. der Erwägungen in dem hg. Erkenntnis vom 27. September 2005, Zl. 2005/01/0313). Da dies den vorgelegten Akten zufolge erst am 12. September 2005 der Fall war und die Zustimmungserklärung Polens - offenbar unerwartet rasch - schon am Folgetag einlangte, was auch die Vorverlegung der an diesem Tag noch für den 29. September 2005 angeordneten Untersuchung erklärt, hängt die Einhaltung der Frist des § 24a Abs. 8 AsylG von der Wirksamkeit der Hinterlegung des erstinstanzlichen Bescheides "gemäß § 17 Abs. 1 ZustG bei der Behörde" am 26. September 2005 ab, mit der sich die belangte Behörde unter diesen Umständen ebenfalls zu befassen gehabt hätte.

Der angefochtene Bescheid war aber schon aus dem zuvor genannten Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 30. August 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006190571.X00

Im RIS seit

16.10.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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