TE Vwgh Erkenntnis 2007/5/30 2006/19/0418

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Veröffentlicht am 30.05.2007
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §24b Abs1;
AVG §52;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):2006/19/0420 2006/19/0419

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und die Hofräte Dr. N. Bachler und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde 1. der Z, 2. der S, und 3. der A, alle vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenats jeweils vom 28. Oktober 2005, Zlen. 263.981/1- V/14/05 (ad 1.), 263.993/0-V/14/05 (ad 2.) und 263.991/0-V/14/05 (ad 3.), alle betreffend § 5 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 991, 20, zusammen somit EUR 2.973,60, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen; sie sind Staatsangehörige der Russischen Föderation balkarischer Volksgruppenzugehörigkeit.

Die Beschwerdeführerinnen reisten im Juli 2005 in des Gebiet der EU-Mitgliedstaaten ein und stellten am 24. Juli 2005 in Polen Asylanträge. Am 2. August 2005 reisten sie - ohne den Ausgang ihrer Asylverfahren in Polen abzuwarten - in das Bundesgebiet ein und brachten am selben Tag (weitere) Asylanträge ein.

Im Rahmen einer am 17. August 2005 erfolgten Untersuchung der Beschwerdeführerinnen stellte Dr. Ilse Hruby, Ärztin für Psychotherapeutische Medizin, in ihrem formularmäßig erstellten Bericht keine "krankheitswertige psychische Störung" fest.

Mit Bescheiden vom 24. August 2005 wies das Bundesasylamt die Asylanträge der Beschwerdeführerinnen - nach Konsultationen mit den zuständigen polnischen Behörden - gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) als unzulässig zurück. Es stellte fest, für die Prüfung der Asylanträge sei "gemäß Artikel 13 iVm Artikel 16(1)(c) der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates" (im Folgenden: Dublin-Verordnung) Polen zuständig, und wies die Beschwerdeführerinnen gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen aus.

In den gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen behaupteten die Beschwerdeführerinnen, sie seien aufgrund der fluchtauslösenden Ereignisse traumatisiert. Zum Beweis dafür legten sie als Berufungsbeilage eine ärztliche Bestätigung des Evangelischen Hilfswerks, Beratungsstelle AMBER, vom 6. September 2005 vor, die folgendermaßen lautete:

"Frau Z. A. (Erstbeschwerdeführerin) ... kam heute zum ersten Gespräch zu mir in die Beratungsstelle AMBER.

Sie berichtete, dass sie zusammen mit einer ihrer Schwestern und ihren Kindern die Heimat verlassen habe, weil die Bedrohungen aus Gründen der Blutrache - das auslösende Ereignis war im Jänner dieses Jahres und von ihrem Bruder verschuldet - sich ins Unerträgliche gesteigert hatten und seelische und körperliche Beschwerden wie sie für eine

posttraumatische Belastungsstörung

typisch sind, bei allen Familienmitgliedern auftraten und

anhaltend festzustellen sind.

Die Symptomatik bei Frau A. besteht in erheblichen Schlafstörungen und Angstzuständen und einem Globusgefühl, das zeitweilig zu Artikulationsschwierigkeiten führt. Bei der 16- jährigen Tochter sind Aggressionsdurchbrüche zu bemerken.

Dringend erforderlich ist eine weitere ärztliche Behandlung (Psychotherapie, Medikamente) in einem für die Patientin und ihre Familienangehörigen sicheren Umfeld. ...

Dr. S. I., Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, gez. Diakonie, Ordination AMBER, Ärztliche Leitung Dr. H. D.-R."

Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen der Beschwerdeführerinnen ohne weitere Ermittlungen "gemäß § 5 Abs. 1" AsylG ab. Sie ging zunächst - von der Beschwerde insoweit unbestritten - davon aus, dass für die Prüfung der Asylanträge nach den Kriterien der Dublin-Verordnung Polen zuständig wäre. Zur Frage der Traumatisierung der Erstbeschwerdeführerin führte die belangte Behörde - nachdem sie festgestellt hatte, die ärztliche Untersuchung durch Dr. Hruby habe ergeben, dass "keine krankheitswertige psychische Störung vorliegt" - in dem Bescheid wörtlich aus:

"Zum Vorbringen, dass die ...(Erstbeschwerdeführerin(, wie Dr. S. I., Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, in einem am 06.09.2005 ausgestellten ärztlichen Brief bestätigt, Symptome aufweise, welche für eine posttraumatische Belastungsstörung typisch seien, wobei im Konkreten die Symptomatik bei ihr in erheblichen Schlafstörungen und Angstzuständen und einem Globusgefühl, das zeitweilig zu Artikulationsschwierigkeiten führe bestünde und bei ihrer 16-jährigen Tochter I. S.

Aggressionsdurchbrüche zu bemerken seien, ist Folgendes festzustellen: Die gegenständliche, ärztliche Bestätigung durch Dr. S. I. ... ist aus Sicht der erkennenden Behörde dergestalt, dass sie keinesfalls ungeprüft einer wie immer gearteten Entscheidung zugrunde gelegt werden kann. Gegenstand der für das Verfahren relevanten Sach- und Rechtsfrage ist nämlich, ob der Asylwerber durch Geschehnisse in Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein könnte, was angesichts der Kürze des vorliegenden Arztbriefes keinesfalls abzuleiten ist. Die diesbezügliche ärztliche Bestätigung vom 06.09.2005 vermag daher den Anforderungen des im AVG vorgesehenen Sachverständigenbeweises (§ 52 AVG) keinesfalls Genüge zu tun.

Darüber hinaus ist zu konstatieren, dass das vorliegende Arztschreiben ... nicht einmal ansatzweise ausreichend ist, um einer nachprüfenden Kontrolle zugänglich zu sein. Die Tätigkeit des Sachverständigen besteht nach allgemeiner Lehre darin, in einem Verfahren bei der Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes dadurch mitzuwirken, dass er Tatsachen erhebt (Befund) und aus diesen Tatsachen aufgrund besonderer Fachkundigkeit tatsächliche Schlussfolgerungen zieht (Gutachten). Dem vorliegenden Arztschreiben ist jedoch überhaupt nicht ableitbar, aufgrund welcher Überlegungen die Ärztin zum Ergebnis gekommen ist, dass die Antragstellerin wie alle Familienangehörigen an seelischen und körperlichen Beschwerden wie sie für eine posttraumatische Belastungsstörung typisch seien, leide und dass bei der 16-jährigen Tochter der ...(Erstbeschwerdeführerin) I. S. Aggressionsdurchbrüche zu bemerken seien. Auf Grund dieser nicht ausreichenden ärztlichen Stellungnahme kann aus dieser das Vorliegen der in § 24b Abs. 1,

1. Satz AsylG umschriebenen Voraussetzungen nicht schlüssig abgeleitet werden.

...

Da sohin im Falle einer Rückschiebung nach Polen keine Verletzung des Art. 3 EMRK droht, besteht keine Veranlassung ..., von dem in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) des Rates Nr. 343/2003 vom 18.02.2003 ... vorgesehenen Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen."

Die die Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen betreffenden Bescheide sind in den hier relevanten Punkten gleichlautend.

Über die gegen alle drei Bescheide gemeinsam erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

1. Die Beschwerde wendet sich gegen die Auffassung der belangten Behörde, die Voraussetzungen des § 24b Abs. 1 AsylG (und damit für die Ausübung des Selbsteintrittsrechtes gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung durch Österreich) seien hinsichtlich der Beschwerdeführerinnen nicht gegeben. Damit zeigt sie eine Rechtswidrigkeit der angefochten Bescheide auf.

2. Zur Auslegung des § 24b Abs. 1 AsylG hat der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Erkenntnissen vom 17. April 2007, auf deren Begründungen gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, Stellung genommen (zur Interpretation der Vorschrift im Allgemeinen vgl. die hg. Erkenntnisse Zlen. 2006/19/0442 und 2006/19/0919, wo insbesondere auch klargestellt wurde, dass § 24b Abs. 1 AsylG eine Begutachtung des Asylwerbers im Zulassungsverfahren nicht vorschreibt). Im Erkenntnis vom selben Tag, Zlen. 2006/19/0851 bis 0854, hat der Verwaltungsgerichtshof die - auch dem vorliegenden Bescheid zugrunde liegende - unzutreffende Rechtsauffassung abgelehnt, nur die Vorlage eines die Traumatisierung bestätigenden Sachverständigengutachtens, das einer Entscheidung "ungeprüft" zugrunde gelegt werden könne, erfülle die Voraussetzungen des § 24b Abs. 1 AsylG.

Der vorliegende Beschwerdefall gleicht in den entscheidungswesentlichen Fragen dem mit dem zuletzt genannten Erkenntnis entschiedenen, weshalb gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die dortigen Entscheidungsgründe verwiesen wird.

3. Aus den in diesem Vorerkenntnis angeführten Gründen waren die angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

4. Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG abgesehen werden.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 30. Mai 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006190418.X00

Im RIS seit

13.07.2007

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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