TE Vwgh Erkenntnis 2007/9/26 2006/19/0547

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Veröffentlicht am 26.09.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Alfred Schneider, Rechtsanwalt in 3180 Lilienfeld, Klosterrotte 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 30. Juni 2005, Zl. 244.409/0-VII/43/03, betreffend §§ 7 und 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Moldau, gelangte zusammen mit seinem Bruder (vgl. zu diesem das hg. Erkenntnis vom 22. November 2005, Zl. 2005/01/0603) im August 2002 in das Bundesgebiet und beantragte Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 18. Juli 2003 gab er an, in seinem Heimatort wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Adventisten verfolgt worden zu sein. Die Angehörigen der adventistischen Gemeinde seien vom orthodoxen Pfarrer und vom Bürgermeister beschimpft worden, es sei verlangt worden, dass ihre Versammlungen aufgelöst würden, und zuletzt seien sie aus ihrer neu erbauten Kirche vertrieben worden. Dabei sei der Beschwerdeführer mit dem Gummiknüppel eines Polizisten auf den Rücken und in den Nacken geschlagen worden. Zur angekündigten Absicht, sich über dieses Vorgehen zu beschweren, hätten der Bürgermeister und der Polizeichef gesagt, das würde dem Beschwerdeführer nichts nützen. In weiterer Folge hätten die Jugendtreffen der Adventistengemeinde beim Beschwerdeführer zu Hause stattgefunden, der Bürgermeister und der Polizeichef seien aber auch dorthin gekommen und hätten für den Fall der Fortsetzung dieser Versammlungen "schlimme Folgen angedroht". Daraufhin hätten der Beschwerdeführer und sein Bruder Angst bekommen und das Land verlassen. Der Beschwerdeführer glaube, dass es in anderen Dörfern in seiner Heimat ähnliche Probleme gebe und die Lage in seiner Heimat für ihn immer schlimmer werden würde. Von der Polizei könne er keinerlei Hilfe erwarten.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 6. November 2003 gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach "Moldawien" gemäß § 8 AsylG für zulässig. Es folgte seinen Angaben, vertrat jedoch die Ansicht, dem Vorbringen sei nicht zu entnehmen, "ob der moldawische Staat die Vorgangsweise dieser Personen initiiert oder gar gebilligt hätte", wovon angesichts der Verankerung der Religionsfreiheit in der Verfassung "Moldawiens" nicht auszugehen sei. Es sei "eher anzunehmen", dass der "Dorfpfarrer" aus Neid (wegen der neu erbauten Kirche der Adventisten) gehandelt habe. Insoweit es auch Schläge von der Polizei gegeben habe, handle es sich "um ein bedauerliches Fehlverhalten eines einzelnen Polizisten, das von höherer Rechtspflegeinstitution bei Kenntniserlangung strafrechtlich verfolgt werden würde". Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer aber auch die Möglichkeit, seinen Wohnsitz "in eine Region zu verlegen, wo einerseits der Bevölkerungsanteil an Adventisten höher ist als in Ihrem Wohnort und Sie diesen Anfeindungen mehr nicht ausgesetzt wären".

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid hob der Beschwerdeführer hervor, die "moldawischen Behörden", die seine Religionsüberzeugungen zu schützen gehabt hätten, seien "vielmehr daran beteiligt, die adventistische Kirche auch mit Hilfe der orthodoxen Kirche zu diskriminieren und zu verfolgen". Sie seien nicht willens, den Beschwerdeführer zu schützen, sondern "unmittelbar in die Verfolgungshandlungen gegenüber Mitgliedern der adventistischen Kirche eingebunden". Die adventistische Kirche werde "in Moldawien" verfolgt. Er kritisierte, die tatsächliche Situation der Adventisten in seinem Heimatland sei vom Bundesasylamt nicht geprüft worden, und beantragte seine neuerliche Einvernahme in einer mündlichen Berufungsverhandlung, um seine Glaubwürdigkeit zu beweisen und noch einmal darzulegen, dass seine Angaben konkret und detailliert seien.

Mit dem angefochtenen, ohne mündliche Berufungsverhandlung erlassenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gegen die Abweisung des Asylantrages gemäß § 7 AsylG ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach "Moldawien" gemäß § 8 Abs. 1 AsylG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 101/2003) für zulässig.

Die belangte Behörde ging dabei - wie aus ihrer Verweisung auf die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes zu entnehmen ist - vom Vorbringen des Beschwerdeführers aus, das sie in ihren Feststellungen mit der Wendung zusammenfasste, er habe Moldau verlassen, weil er in seinem Heimatdorf "in der Ausübung (seines) adventistischen Glaubens eingeschränkt" worden sei.

In der rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde - im Anschluss an allgemeine Rechtsausführungen - zur Abweisung des Asylantrages aus:

"Im erstinstanzlichen Verfahren hat die berufende Partei ihrem Herkunftsstaat zurechenbare Verfolgung behauptet indem sie vorbrachte, dass sie keinen staatlichen Schutz aufgrund seiner Religionszugehörigkeit erhalten würden. Gleichzeitig bringt sie aber vor, dass sie diesen auch niemals in Anspruch genommen hat. Den Fluchtgründen des Berufungswerbers mangelt es somit bereits an einer entsprechenden Zurechenbarkeit an den Heimatstaat. Der Berufungswerber begründet seine Überzeugung, dass ihm kein staatlicher Schutz in Moldawien zukommen würde, im Endeffekt damit, dass seine 'Verfolger' selbst, der örtliche Polizeichef und der Bürgermeister, ihm wissen hätten lassen, dass er bei einer Anzeige bei übergeordneten Behörden keinen Erfolg hätte. Aus dem Vorbringen des Berufungswerbers, lässt sich somit nicht erkennen, dass der moldawische Staat nicht in der Lage oder gewillt sei, dem Berufungswerber Schutz gegen Verfolgung zu gewähren, da jener nicht einmal den Versuch gemacht hat, diesen in Anspruch zu nehmen, ohne dies aber auch in einer halbwegs nachvollziehbaren Weise begründen zu können.

Allein schon aufgrund der Aussage des Berufungswerbers ist darüber hinaus davon auszugehen, dass sich die von ihm behauptete Verfolgung nicht auf das ganze Staatsgebiet Moldawiens erstreckt. So antwortete der Berufungswerber auf die Frage der Erstbehörde, warum er wegen seiner Probleme nicht in einer Großstadt wie Chisinau seinen Wohnsitz nehme, wo der Anteil der Adventisten bedeutend höher ist als in einem Dorf, wortwörtlich: 'Das liegt soweit weg'. In Verbindung mit dem Umstand, dass das Vorbringen des Berufungswerbers nie über den Horizont des Heimatdorfes hinausreicht, kann daher nur der Schluss gezogen werden, dass dem Berufungswerber sehr wohl eine inländische Fluchtalternative freisteht und seine Probleme lokal auf die Dorfgemeinde beschränkt sind. Daran ändert auch nichts, dass der Berufungswerber, nachdem ihm von der Erstbehörde vorgehalten wurde, dass Traiskirchen noch weiter weg liege, hinzufügt, dass er sicher sei, dass in anderen Dörfern ähnliche Probleme herrschen würden, da er dem Kern der Frage, die ja auf Großstädte ausgerichtet war, lediglich ausweicht. Mit dem Bestehen einer inländischen Fluchtalternative für den Berufungswerber liegt somit kein Fluchtgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vor und es erübrigt sich auch die Feststellung, dass sich auch an der von der Erstbehörde verwendeten Länderdokumentation zur Situation der Religionsgemeinschaften in Moldawien in der Zwischenzeit nichts geändert hat."

Die Aufnahme weiterer Beweise sei "wegen Entscheidungsreife" nicht mehr erforderlich, eine mündliche Berufungsverhandlung wegen ausreichender Ermittlung des Sachverhalts und schlüssiger Würdigung der Beweise durch das Bundesasylamt nicht nötig. Das Vorbringen in der Berufung decke sich "zur Gänze" mit dem vor der Erstbehörde, "ein darüber hinausgehendes" Vorbringen sei "nichts" erstattet worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die belangte Behörde hat zunächst verkannt, dass der Beschwerdeführer eine von staatlichen Stellen - nämlich vom Bürgermeister und vom Polizeichef seines Heimatortes - ausgehende Verfolgung geltend gemacht hatte. Die Überlegungen zu deren "Zurechenbarkeit" sind schon deshalb verfehlt. Davon abgesehen hatte der Beschwerdeführer in der Berufung, über die die belangte Behörde nicht verhandelt hat, ausdrücklich und in allgemeiner, nicht nur den Bürgermeister und den Polizeichef seines Heimatortes betreffender Weise die Verfolgung der adventistischen Glaubensgemeinschaft unter Beteiligung der Behörden seines Heimatstaates behauptet. Die belangte Behörde hätte sich in einer mündlichen Berufungsverhandlung mit dem Wahrheitsgehalt dieser Behauptung auseinandersetzen und in ihrem Bescheid Feststellungen darüber treffen müssen.

Dies berührt auch das von der belangten Behörde herangezogene Argument, dem Beschwerdeführer stünden innerstaatliche Ausweichmöglichkeiten zur Verfügung. Zunächst macht es auch in diesem Zusammenhang einen Unterschied, ob die behauptete Verfolgungsgefahr von Privaten oder - wie im vorliegenden Fall in Wahrheit geltend gemacht - von staatlichen Stellen ausgeht. Die belangte Behörde hat aber auch keinerlei Feststellungen darüber getroffen, dass in anderen Landesteilen Moldaus und insbesondere in den größeren Städten ein von Auseinandersetzungen der vom Beschwerdeführer beschriebenen Art freies Zusammenleben von orthodoxen Gläubigen und Adventisten gegeben sei. Der Hinweis des Bundesasylamtes, es gebe Regionen, in denen der "Bevölkerungsanteil" der Adventisten größer sei als in der Heimatregion des Beschwerdeführers, ist schon der Art nach ungeeignet, das Fehlen der Gefahr einer Verfolgung durch Angehörige der Mehrheitsreligion oder einer Unterdrückung durch staatliche Stellen darzutun, und im Übrigen viel zu allgemein gehalten, um die Abweisung des Asylantrages bei Annahme einer asylrelevanten Gefährdung von ausreichender Intensität im Heimatort des Beschwerdeführers zu begründen. Auch mit allfälligen Ausweichmöglichkeiten hätte sich die belangte Behörde aufgrund der unzureichenden Ermittlung und Feststellung des Sachverhalts durch das Bundesasylamt, der daran in der Berufung geübten Kritik und der in der Berufung erhobenen Behauptung der Beteiligung der moldawischen Behörden an der Verfolgung der adventistischen Kirche "in Moldawien" (und nicht nur im Heimatort des Beschwerdeführers) auf der Grundlage einer mündlichen Berufungsverhandlung auseinandersetzen müssen.

Der angefochtene Bescheid war daher - in vorrangiger Wahrnehmung der rechtlichen Fehleinschätzungen, auf denen die Mängel des Verfahrens vor der belangten Behörde und in der Begründung ihrer Entscheidung beruhen - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 26. September 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006190547.X00

Im RIS seit

24.10.2007

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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