TE Vwgh Erkenntnis 2008/2/7 2006/21/0255

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Veröffentlicht am 07.02.2008
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Index

19/05 Menschenrechte;
20/02 Familienrecht;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

EheG §23 Abs1;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §60 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §85 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §86;
FrPolG 2005 §87;
FrPolG 2005 §9 Abs1;
MRK Art8;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des N, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 7. Juli 2006, Zl. Fr-1660/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß "§ 86 Abs. 1 und § 60 Abs. 1 Z. 1" Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Diese Maßnahme begründete sie damit, dass der Beschwerdeführer am 28. April 2004 die Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin H. lediglich zu dem Zweck geschlossen habe, um für Österreich einen Aufenthaltstitel sowie eine arbeitsmarktrechtliche Bewilligung zu erhalten, dass also eine so genannte Scheinehe vorliege. Der Beschwerdeführer sei am 4. November 2002 illegal nach Österreich eingereist und habe einen Asylantrag gestellt. Dieser sei mit Bescheid vom 4. Juni 2003 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abgewiesen worden. Zugleich sei gemäß § 8 AsylG festgestellt worden, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Serbien und Montenegro zulässig sei. Eine dagegen von ihm eingebrachte Berufung sei am 18. Mai 2004 zurückgezogen worden.

Am 28. April 2004 habe der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung mit dem Aufenthaltszweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger - Österreich" gestellt, wobei er sich auf die Ehe mit H. berufen habe. Mangels Nachweises einer Scheinehe sei ihm eine Erstniederlassungsbewilligung, gültig bis 28. April 2005, erteilt worden.

Im Zuge mehrerer Einvernahmen habe H. sodann eingeräumt, dass die Ehe mit dem Beschwerdeführer durch Dritte vermittelt und gegen Zahlung von EUR 2.500,-- geschlossen worden sei. Es handle sich um eine Scheinehe, die Führung eines Ehelebens sei weder erfolgt noch für die Zukunft beabsichtigt. H. hätte den Beschwerdeführer lediglich in Wien besucht, weil sie durch die Heirat ihre Witwenpension verloren und die Scheidung gewollt habe. Mehrere Kontrollen (im Mai 2005) hätten ergeben, dass der Beschwerdeführer an der Adresse seiner Ehegattin nicht angetroffen worden sei.

Am 20. Dezember 2005 habe der Beschwerdeführer hinsichtlich der Niederlassungsbewilligung einen "Verlängerungsantrag" gestellt, wobei er sich auf die Ehe mit H. berufen habe. In Unkenntnis des (mit erstinstanzlichem Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Waidhofen/Thaya vom 8. Juli 2005) bereits erlassenen Aufenthaltsverbotes habe die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten dem Beschwerdeführer eine weitere Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittstaatsangehöriger - Ö" mit dem Geltungsbereich vom 20. Dezember 2005 bis zum 20. Dezember 2006 erteilt.

In ihrer rechtlichen Beurteilung bejahte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid - gestützt auf die Aussage der H. - das Vorliegen einer Aufenthaltsehe. Der Beschwerdeführer sei formell Familienangehöriger (iSd § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG) einer Österreicherin, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen habe. Daher seien die Bestimmungen der §§ 87 und 86 FPG anzuwenden. Der Beschwerdeführer sei jedoch kein begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG, sodass die belangte Behörde zur Entscheidung zuständig sei.

Der Abschluss einer Aufenthaltsehe erfülle den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG und rechtfertige eine zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehende Gefährdungsprognose: Dieser habe nämlich die öffentliche Ordnung (das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen) erheblich beeinträchtigt, in diesem Fehlverhalten verharrt und sich noch bei seiner Antragstellung auf Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung am 20. Dezember 2005 auf ein - tatsächlich nicht geführtes - Eheleben mit H. berufen.

Der Beschwerdeführer halte sich seit 4. November 2002 im Bundesgebiet auf. Mit Ausnahme seiner "Ehegattin" H., mit der er jedoch kein gemeinsames Familienleben führe, habe er familiäre Bindungen zu in Österreich aufhältigen Personen weder behauptet noch seien solche bekannt geworden. Der Beschwerdeführer sei jedoch in der überwiegenden Zeit seines Aufenthaltes im Bundesgebiet einer Beschäftigung nachgegangen. Ein Eingriff in sein Privatleben durch die Verhängung des Aufenthaltsverbotes sei daher zu bejahen. Auf Grund seines an den Tag gelegten Verhaltens könne jedoch trotz der rund dreieinhalbjährigen Aufenthaltsdauer nicht von einer "besonderen" Integration ausgegangen werden. Die aus der Ausübung eines Berufes ableitbare Integration sei als geschmälert anzusehen, weil der Beschwerdeführer nur auf Grund seiner Scheinehe mit einer Österreicherin keine Berechtigung nach dem AuslBG benötigt habe. Die Integration im Gastland setze jedoch auch ein gewisses Maß an Rechtstreue voraus. Die angeführten öffentlichen Interessen seien somit höher zu werten als das persönliche Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich. Daher würden die Auswirkungen eines Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers gemäß § 66 FPG nicht als schwer wiegender beurteilt als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes. Allfällige Privatinteressen an einem Weiterverbleib in Österreich hätten eindeutig hinter die genannten öffentlichen Interessen zurückzutreten. Auch "günstige Parameter" zur Übung des durch § 60 Abs. 1 FPG eingeräumten Ermessens zu Gunsten des Beschwerdeführers seien nicht erkennbar. Auf Grund der dargelegten Umstände sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes für die Dauer von fünf Jahren dringend geboten und daher "vertretbar".

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 FPG entscheiden zwar - als im Verfassungsrang normierte Ausnahme zur grundsätzlichen Zuständigkeit der Sicherheitsdirektionen - über Berufungen gegen nach dem FPG ergangene Bescheide (u.a.) im Fall von begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern (UVS). Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG fällt unter den Begriff "begünstigter Drittstaatsangehöriger" - soweit fallbezogen relevant - der Verwandte eines Österreichers, der sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat. Demnach setzt die Zuständigkeit des UVS in Bezug auf solche begünstigte Drittstaatsangehörige jedenfalls voraus, dass der österreichische Angehörige sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat. Nach der Aktenlage bestehen aber keine Anhaltspunkte, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers diese Voraussetzung erfüllen würde. Auch die Beschwerde zeigt nicht auf, dass sie von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hätte. Soweit die Beschwerde unter Gleichheitsgesichtspunkten eine Verfassungswidrigkeit zu erkennen glaubt bzw. eine verfassungskonforme Auslegung fordert, genügt es - im Zusammenhang mit der hier zu beurteilenden Zuständigkeitsfrage - einerseits auf den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Oktober 2006, G 26/06 u.a., und andererseits auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Mai 2006, Zl. 2006/18/0119, zu verweisen. Am Maßstab dieser Entscheidungen und der dort vorgenommenen Auslegung der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 FPG hat die belangte Behörde aber ihre Zuständigkeit als Berufungsbehörde zu Recht in Anspruch genommen (vgl. in diesem Sinne auch das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2006/21/0179, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 24. April 2007, Zl. 2007/21/0106). In der Beschwerde angesprochene Fragen des Gemeinschaftsrechtes stellen sich aber in diesem Zusammenhang nicht.

Der Beschwerdeführer ist als Ehemann Familienangehöriger (§ 2 Abs. 4 Z. 12 FPG) einer Österreicherin. Gemäß § 87 zweiter Satz FPG gelten für diese Personengruppe die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 85 Abs. 2 und 86 FPG. Diese Bestimmungen sind auch dann auf Angehörige von Österreichern anzuwenden, wenn Letztere ihr (gemeinschaftsrechtlich begründetes) Freizügigkeitsrecht nicht in Anspruch genommen haben. Nach § 86 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Bei der Beurteilung, ob diese Voraussetzungen gegeben sind, kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden. Gemäß § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat. Für die Erfüllung des zitierten Tatbestandes kommt es darauf an, dass eine Aufenthaltsehe missbräuchlich zur Erlangung von sonst nicht zustehenden Berechtigungen eingegangen wurde. So führen auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des FPG (952 BlgNR 22. GP 99) aus, dass dieses Aufenthaltsverbot Fremde betrifft, "die eine Ehe nur deshalb abgeschlossen haben, um sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf diese zu berufen, ohne ein Eheleben zu führen". Der Abschluss einer Aufenthaltsehe wurde daher von der belangten Behörde rechtsrichtig als Grundlage des verhängten Aufenthaltsverbotes herangezogen (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0352, mwN der Vorjudikatur des Verwaltungsgerichtshofes).

Die Beschwerde verweist weiters darauf, dass dem Beschwerdeführer "ein Visum" mit Gültigkeit vom 20. Dezember 2005 bis 20. Dezember 2006 - trotz erstinstanzlicher Erlassung eines Aufenthaltsverbotes - erteilt worden sei. Daraus ist für ihn im vorliegenden Fall jedoch nichts zu gewinnen, weil der (im Beschwerdefall durch eine andere Behörde, nämlich die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten, erfolgten) Erteilung einer (weiteren) Niederlassungsbewilligung keine Bindungswirkung dergestalt zukommt, dass eine rechtsmissbräuchliche Eheschließung - wie es der angefochtene Bescheid ausspricht - nicht mehr festgestellt werden dürfte (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 22. November 2007, Zl. 2004/21/0268). Umstände, nach denen die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten zur Zeit der Erlassung ihres oben erwähnten Bescheides von den Voraussetzungen eines gegen den Beschwerdeführer auszusprechenden Aufenthaltsverbotes Kenntnis haben musste (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 5. April 2005, Zl. 2002/18/0055), wurden in der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof nicht dargestellt.

Die zur Bejahung einer Aufenthaltsehe führende Beweiswürdigung der belangten Behörde, die schlüssig mit der Aussage der H. und mit den an ihrer Wohnadresse vorgenommenen sicherheitsbehördlichen Erhebungen argumentiert, wird von der Beschwerde nicht konkret in Zweifel gezogen.

Die Beschwerde vermag auch keinen Verfahrensmangel aufzuzeigen, der zu einer Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides führen könnte. Sollten ihre Ausführungen so zu verstehen sein, dass der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes eine gerichtliche Auflösung der rechtsmissbräuchlich geschlossenen Ehe vorangehen müsste, so befindet sie sich in einem Irrtum (vgl. dazu neuerlich das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 22. November 2007 mwN).

Auch die Beurteilung der Verneinung eines unzulässigen Eingriffes in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers nach § 66 FPG ist nicht zu beanstanden. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang Begründungsmängel releviert, deren Vermeidung zu einer Feststellung für den Beschwerdeführer sprechender Sachverhaltselemente geführt hätte, unterlässt sie jede inhaltliche Konkretisierung dieses Vorbringens, aus der eine Relevanz für den Ausgang des Verfahrens abgeleitet werden könnte.

Insgesamt stehen dem öffentlichen Interesse an der Unterbindung des rechtsmissbräuchlichen Abschlusses einer Aufenthaltsehe ein im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht allzu lang andauernder inländischer Aufenthalt des Beschwerdeführers und eine Berufstätigkeit gegenüber, die lediglich durch die zum Schein erfolgte Ehe mit einer österreichischen Staatsangehörigen ermöglicht wurde. Die Interessenabwägung der belangten Behörde ist somit auch unter den Gesichtspunkten des § 66 (in Verbindung mit § 60 Abs. 6) FPG nicht zu beanstanden.

Letztlich ist auch kein Grund ersichtlich, der die belangte Behörde hätte veranlassen müssen, von dem ihr eingeräumten Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers Gebrauch zu machen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 7. Februar 2008

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2006210255.X00

Im RIS seit

07.03.2008

Zuletzt aktualisiert am

23.06.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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