TE Vwgh Erkenntnis 2006/5/18 2006/18/0119

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Veröffentlicht am 18.05.2006
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E1E;
E3L E02100000;
E3L E05100000;
E3L E19100000;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
59/04 EU - EWR;
82/02 Gesundheitsrecht allgemein;

Norm

11997E039 EG Art39;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
EURallg;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11 idF 2005/I/157;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z15;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z8;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
FrPolG 2005 §9 Abs1;
FrPolG 2005 §9;
FrPolG 2005 Art1 Z12 idF 2005/I/157;
FrPolG 2005 Art1 Z3 idF 2005/I/157;
FrPolG 2005;
SMG 1997 §28 Abs3;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des F, (geboren 1945), vertreten durch Mag. Wolfgang Auner, Rechtsanwalt in 8700 Leoben, Parkstraße 1/I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 21. März 2006, Zl. SD 248/06, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 21. März 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 sowie § 63 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei nach seinen eigenen Angaben im Zug der Einvernahme vom 20. November 2004 im Jahr 1980, also im Alter von 35 Jahren, als Tourist erstmals nach Österreich gekommen. Zuvor hätte er in der Schweiz einige Monate als Hilfskraft gearbeitet.

In Österreich sei es ihm - unter eher dubiosen Umständen - gelungen, eine Arbeitsbewilligung zu bekommen, worauf er sieben oder acht Jahre bei der Handelskette "KONSUM" gearbeitet habe. Danach, etwa 1987 oder 1988, habe er im 10. Bezirk ein türkisches Restaurant eröffnet, das er ca. drei Jahre später wieder verkauft habe. Nach einem beschäftigungslosen Jahr habe er 1992 im

10. Bezirk ein Kaffeehaus gekauft, das er bis 1995 besessen habe.

Im Jahr 1988 sei der Beschwerdeführer drei Mal wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges ohne gültige Lenkerberechtigung (rechtskräftig) bestraft worden. Im Zeitraum 1992 bis 1993 sei er wiederholt wegen unbefugter Konzessionsausübung und mehrmals wegen anderer Verstöße gegen die Gewerbeordnung (rechtskräftig) bestraft worden. Alle erwähnten Verwaltungsübertretungen seien natürlich mittlerweile längst getilgt und dürften dem Beschwerdeführer als solche - mit Ausnahme des dahinterstehenden, verwerflichen Verhaltens - nicht mehr vorgeworfen werden.

Das österreichische Strafregister weise folgende gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers auf:

"1. Strafbezirksgericht Wien, Zl. ... v. 10.07.1989, wegen vorsätzlicher leichter Körperverletzung: 3.000 öS Geldstrafe;

2. Strafbezirksgericht Wien, Zl. ... v. 27.01.1993, wegen unbefugtem Waffenbesitz: 6.000 öS Geldstrafe;

3. Strafbezirksbericht Wien, Zl. ... v. 02.06.1993, wegen vorsätzlicher leichter Körperverletzung: 12.000 öS Geldstrafe;

4. Landesgericht für Strafsachen Wien, Zl. ... v. 28.11.1996, wegen Suchtgifthandels: 3 1/2 Jahre unbedingte Freiheitsstrafe und Geldstrafe in der Höhe von 120.000 öS;

5. Landesgericht für Strafsachen Wien, Zl. ... v. 24.10.2005, wegen Suchtgifthandels (§ 28 Abs 2 und 3, 1. Fall sowie § 27 Abs 1 SMG): 3 Jahre und 9 Monate unbedingte Freiheitsstrafe."

Der letztgenannten Verurteilung habe zugrunde gelegen, dass der Beschwerdeführer in Wien und in Sonnberg den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge (genauer: das 13-fache der "großen Menge" iSd § 28 Abs. 6 SMG) in Verkehr gesetzt bzw. zur Inverkehrsetzung durch einen Anderen beigetragen habe, indem er (zum Teil gemeinsam mit einem bekannten Mittäter) im Jahr 2004 gewerbsmäßig Heroin an Abnehmer verkauft habe.

Mit Bescheid der Erstbehörde vom 31. Jänner 1994 (rechtskräftig seit 4. März 1994) sei über den Beschwerdeführer auf Grund der verschiedenen verwaltungsrechtlichen und gerichtlichen Vorstrafen ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot verhängt worden. Deswegen sei der Beschwerdeführer Anfang Mai 1994 in die Türkei ausgereist, wo er den Ausgang des von ihm angestrengten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens habe abwarten wollen. Ungeachtet der "Ablehnung" seiner Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde und der Rechtskraft des Aufenthaltsverbots sei der Beschwerdeführer aber im Oktober 1994 wieder in das Bundesgebiet gekommen.

Im Zeitraum vom 5. Mai 2000 (Abschiebung nach Ende der ersten Strafhaft wegen Suchtgifthandels) bis Anfang Jänner 2001 habe sich der Beschwerdeführer bei seinem Bruder in der Türkei aufgehalten. Dort habe ihn mehrmals seine langjährige Freundin E. besucht, die er schließlich in der Türkei am 5. Dezember 2000 geehelicht habe.

Um - wie er selbst zugegeben habe - das bestehende Aufenthaltsverbot zu umgehen, habe er von einem türkischen Gericht seinen vormaligen Familiennamen "X." auf den jetzigen "Y." ändern lassen und sei mit diesem Namen im Jänner 2001 wieder nach Österreich eingereist, wo er - unter Nichtausfüllung der Rubrik "frühere Familiennamen" - auf Grund der Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin um Erteilung einer Niederlassungsbewilligung angesucht habe, welche ihm auch gewährt und mehrmals verlängert worden sei. Ab seiner Wiedereinreise in das Bundesgebiet habe der Beschwerdeführer keine Beschäftigung mehr ausgeübt und sei angeblich von seiner Ehefrau erhalten worden.

In der Berufung gegen den Erstbescheid habe der Beschwerdeführer zunächst ausgeführt, dass er durch den Strafvollzug geläutert und bemüht wäre, sich künftighin an die österreichischen Gesetze zu halten. Im Übrigen hätte die Erstbehörde die bestehenden engen familiären Bindungen in Österreich nicht ausreichend gewürdigt. Außerdem hätte der Beschwerdeführer bereits eine Bypassoperation hinter sich. Endlich habe er darauf verwiesen, dass er nach von seinem Vater gegebenen Informationen im Fall der Abschiebung in sein Heimatland im Zusammenhang mit einem in der Vergangenheit liegenden Vorfall, bei dem ein türkischer LKW-Fahrer getötet worden wäre, Drohungen ausgesetzt wäre, zumal die Familie dieses LKW-Fahrers in der Türkei lebte.

Der Beschwerdeführer sei Familienangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG, weil er Drittstaatsangehöriger und Ehegatte einer nicht freizügigkeitsberechtigten österreichischen Staatsbürgerin sei. Daher würden im Sinn des § 87 FPG die §§ 85 Abs. 2 und 86 leg. cit. gelten. Der Beschwerdeführer sei allerdings kein "begünstigter Drittstaatsangehöriger" im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG, weil er - wie schon angedeutet - nicht Ehegatte einer Österreicherin sei, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen habe. Es lasse sich nämlich weder aus dem bisherigen Akteninhalt noch aus dem Berufungsvorbringen erkennen, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers im Einklang mit den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätte. Daher sei gemäß § 9 Abs. 1 Z. 2 FPG die Sicherheitsdirektion zur Entscheidung über die vorliegende Berufung zuständig.

Gemäß § 87 FPG würden Familienangehörige (§ 2 Abs. 4 Z. 12 FPG) der Sichtvermerkspflicht unterliegen, für sie würden die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 85 Abs. 2 und 86 leg. cit. gelten. Gemäß § 86 Abs. 1 FPG sei u. a. die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen begünstigte Drittstaatsangehörige, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes ihren Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet gehabt hätten, nur dann zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden könne, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Diese Regelung komme vorliegend deshalb nicht zur Anwendung, weil der Beschwerdeführer von Mai 2000 bis Jänner 2001 seinen Hauptwohnsitz nicht in Österreich, sondern in der Türkei gehabt habe, wohin er auf Grund des gegen ihn verhängten zehnjährigen Aufenthaltsverbots zurückgekehrt sei.

Durch die wiederholten Verurteilungen wegen Begehung schwerwiegender Suchtgiftdelikte, die sich jeweils auf den Handel großer Mengen Suchtgift bezogen hätten, habe der Beschwerdeführer seine besondere Gefährlichkeit für die Gesellschaft deutlich zum Ausdruck gebracht, die zweifellos ein Grundinteresse der Gemeinschaft insoweit berühre, als der Handel mit großen Mengen Suchtgift eine große und manifeste Gefahr für die Volksgesundheit darstelle. Das hinter diesen Verurteilungen stehende Verhalten sei nämlich geeignet, über die Schädigung von Einzelpersonen (etwa durch einen Einbruchsdiebstahl in eine Wohnung etc.) hinaus die Suchtgiftabhängigkeit - allenfalls auch in der Form eines "Schneeballsystems" - mehrerer oder sogar vieler Personen zu begründen oder zu fördern und damit ihre Gesundheit, ihre soziale Integration sowie das allenfalls noch vorhandene Familienleben aufs schlimmste zu untergraben bzw. zu gefährden.

Die besondere Gemeingefährlichkeit des Beschwerdeführers werde noch dadurch verstärkt, dass sich sein strafrechtliches Fehlverhalten, möge es anfangs auch leichterer Natur gewesen sein, gleichsam wie ein Faden durch die Zeit seines Aufenthalts im Bundesgebiet ziehe. Daraus und aus der Tatsache, dass er auch wiederholt ein verwaltungsstrafrechtliches Fehlverhalten gezeigt sowie gegenüber österreichischen Behörden bzw. deren Organen bewusst falsche Angaben gemacht habe, um rechtswidrig wieder in das Bundesgebiet einzureisen und dort das verbrecherische Verhalten zu wiederholen, sei zu erschließen, dass der Beschwerdeführer ein massiv gestörtes Verhältnis zur Rechtsordnung des Gastlandes habe und sich augenscheinlich dessen Rechtsvorschriften nicht unterordnen könne und wolle.

In Bezug auf das soziale Umfeld des Beschwerdeführers sei zunächst festzuhalten, dass er seit seiner (unrechtmäßigen) Wiedereinreise im Jänner 2001, insoweit er nicht aus den strafrechtlichen Machinationen heraus ohnehin "Selbstversorger" gewesen sei, von seiner österreichischen Ehefrau erhalten worden sei. Einer legalen Beschäftigung sei er seither jedenfalls nicht mehr nachgegangen. Tatsächlich wohnten neben seiner Ehefrau auch noch die Eltern des Beschwerdeführers (aber nicht im gemeinsamen Haushalt) im Bundesgebiet, sodass mit dem Aufenthaltsverbot ein nicht unbeträchtlicher Eingriff in das Privat- und Familienleben vorliege. Das persönliche Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet trete angesichts seines erschlichenen und damit unrechtmäßigen Aufenthalts sowie des wiederholt gemeinschaftsschädlichen Verhaltens, auch wenn man die familiären Verhältnisse berücksichtigen wollte, weit in den Hintergrund. Auf Grund der in hohem Maß sozialschädlichen Suchtgiftdelikte stehe selbst eine ansonsten volle soziale Integration des Fremden der Erlassung eines Aufenthaltsverbots aus der Sicht des § 66 Abs. 2 FPG nicht entgegen.

Zur angeblichen Bedrohung durch Angehörige eines Getöteten türkischer Nationalität, weil der Beschwerdeführer in einen Tötungsvorfall verwickelt gewesen sein könnte, sei anzumerken, dass kein Anhaltspunkt dafür vorliege, dass die türkischen Behörden keinen ausreichenden Schutz gewähren könnten.

Auch die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Bypassoperation vermöge keinen Grund darzustellen, kein Aufenthaltsverbot zu verhängen, zumal daraus resultierende gesundheitliche Probleme, die medizinisch nur in Österreich gelöst werden könnten, nicht behauptet worden seien.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, es sei im angefochtenen Bescheid nicht erkennbar, weshalb die belangte Behörde vermeine, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers von ihrem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hätte. Die Beschwerde wendet sich damit gegen die Auffassung der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer kein begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des FPG sei.

1.2. Die einschlägigen Regelungen in den §§ 2 und 9 FPG lauten wie folgt:

"Begriffsbestimmungen

§ 2. ...

(4) Im Sinn dieses Bundesgesetzes ist

...

11. begünstigter Drittstaatsangehöriger: der Ehegatte, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine gemeinschaftsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht;

...

Berufungen

§ 9. (1) (Verfassungsbestimmung) Über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz entscheiden, sofern nicht anderes bestimmt ist,

1. im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und

2. in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz.

..."

1.3. Im Besonderen Teil der Erläuterungen der Regierungsvorlage 952 Blg NR 22.GP, 79, finden sich zur Verfassungsbestimmung des § 9 u.a. folgende Ausführungen:

"Im Hinblick auf das Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, wonach eine Ungleichbehandlung durch formelle Normen sachlich nicht zu rechtfertigen ist, scheint in bestimmten Fällen die verfassungsrechtliche Verankerung des Sicherheitsdirektors als Berufungsinstanz zur Beseitigung verfassungsrechtlicher Bedenken geboten."

Daraus ergibt sich klar, dass der Verfassungsgesetzgeber durch den Verfassungsrang des § 9 Abs. 1 FPG verfassungsrechtliche Bedenken in Ansehung einer durch die Regelung erfolgten Ungleichbehandlung beseitigt sehen wollte. Das betrifft etwa auch eine verfassungsrechtlich problematisierbare Ungleichheit, die im Weg der Anknüpfung des § 9 FPG an den vorliegend einschlägigen Begriff des begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG - der insofern zum Inhalt der "formellen Norm" des § 9 FPG wird - herbeigeführt werden könnte. Damit sind auch solche verfassungsrechtlichen Bedenken erfasst, die sich aus der Regelung des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG ergeben könnten. § 2 Abs. 4 Z. 11 leg. cit. ist zwar vor dem Inkrafttreten des FPG mit BGBl. I Nr. 157/2005 (Art. I Z. 3) - und zwar durch Einfügung der Wortfolge "oder Österreichers" nach der Wortfolge "oder Schweizer Bürgers" - novelliert worden, diese Novellierung hatte, aber - wie sich aus dem Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten 1154 Blg NR 22.GP ergibt, lediglich die Funktion einer "legistischen Berichtigung", und trat gleichzeitig mit § 9 Abs. 1 FPG mit 1. Jänner 2006 in Kraft (vgl. Art. I Z. 12 der genannten Novelle). Angesichts dieses gleichzeitigen Inkrafttretens der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 FPG mit § 2 Abs. 4 Z. 11 leg. cit. ist nicht anzunehmen, dass dadurch die in Rede stehende, der Verfassungsbestimmung zu Grunde liegende Zielsetzung dadurch konterkariert werden sollte, dass § 2 Abs. 4 Z. 11 leg. cit. nicht in Verfassungsrang, sondern bloß auf einfachgesetzlicher Stufe steht. Der Begriff "begünstigter Drittstaatsangehöriger" in § 9 Abs. 1 FPG ist daher in dem Sinn zu verstehen, wie er im gleichzeitig in Kraft getretenen § 2 Abs. 4 Z. 11 leg. cit. umschrieben ist. Die Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 4 Z. 15 FPG ("Recht auf Freizügigkeit") ändert nichts an der besagten Definition in § 2 Abs. 4 Z. 11 leg. cit., bezieht sich doch § 2 Abs. 4 Z. 15 leg. cit. seinem Inhalt nach eindeutig lediglich auf EWR-Bürger, also im Grund des § 2 Abs. 4 Z. 8 FPG nicht auch auf österreichische Staatsangehörige. Dazu, in welchen Fällen ein Österreicher sein gemeinschaftsrechtliches Recht auf Freizügigkeit iSd § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG in Anspruch nehmen kann, trifft das Gesetz keine Aussage.

Ob der Beschwerdeführer als Ehegatte einer Österreicherin iSd § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG als begünstigter Drittstaatsangehöriger anzusehen ist, hängt davon ab, ob die Österreicherin ihr gemeinschaftsrechtlich begründetes Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat. Das Recht auf Freizügigkeit stellt eine der Grundfreiheiten der Gemeinschaft dar (vgl. Art. 39 ff EGV). Zur Umsetzung dieser Grundfreiheit dient insbesondere die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ABl. Nr. L 158 idF der Berichtigung ABl. Nr. L 229 vom 29. Juni 2004, S 35 - 48. Es ist eine Zielsetzung des Gesetzgebers, diese Richtlinie u.a. mit dem FPG umzusetzen (vgl. das Vorblatt der genannten Regierungsvorlage, S 2).

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer nicht einmal behauptet, dass seine Ehefrau das Recht auf die (gemeinschaftsrechtliche) Freizügigkeit in Anspruch genommen hat. Auch sonst ist weder der Beschwerde noch dem angefochtenen Bescheid ein Anhaltspunkt für die Inanspruchnahme dieses Rechts zu entnehmen. Von daher erweist sich das die sachliche Zuständigkeit der belangten Behörde in Zweifel ziehende Beschwerdevorbringen als nicht zielführend.

2. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht seine im angefochtenen Bescheid festgestellten rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen und verwaltungsbehördlichen Bestrafungen. Schon in Anbetracht des unstrittig festgestellten, der Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht für Strafsachen Wien wegen Suchtgifthandels im Oktober 2005 zugrunde liegenden Fehlverhaltens im Jahr 2004 besteht gegen die Auffassung der belangten Behörde, dass im Fall des Beschwerdeführers - (ebenfalls unbestritten) ein Familiengehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG - die Annahme gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 erster bis dritter Satz gerechtfertigt ist, kein Einwand. Der Beschwerdeführer hat (was von ihm nicht in Abrede gestellt wird) das dieser Verurteilung zugrunde liegende Fehlverhalten mit Beziehung auf ein Suchtgift begangen, das das 13-fache der "großen Menge" iSd § 28 Abs. 3 SMG ausmachte. Nach § 28 leg. cit. ist eine "große Menge" eine solche, die geeignet ist, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen herbeizuführen. Der Beschwerdeführer hat durch dieses Fehlverhalten gravierend gegen das große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität, bei der es sich um eine besonders gefährliche Art der Kriminalität handelt, verstoßen. Die Suchtgiftdelikten erfahrungsgemäß innewohnende Wiederholungsgefahr hat sich beim Beschwerdeführer schon dadurch manifestiert, dass er dieses Fehlverhalten (wie die dadurch verletzte im Bescheid genannte Bestimmung des § 28 Abs. 3 erster Fall SMG zeigt) gewerbsmäßig begangen hat. Angesichts dieses Fehlverhaltens bedeutet ein weiterer inländischer Aufenthalt des Beschwerdeführers eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die das Grundinteresse der Gesellschaft an der Verhinderung der besonders gefährlichen Suchtgiftkriminalität betrifft. Im Hinblick auf dieses Fehlverhalten kann keine Rede davon sein, dass sich das vorliegende Aufenthaltsverbot allein auf den Umstand einer strafgerichtlichen Verurteilung oder (vom Fehlverhalten losgelöst) auf generalpräventive Überlegungen stützen würde. Der seit dem Fehlverhalten im Jahr 2004 verstrichene Zeitraum ist jedenfalls auch zu kurz, um die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr der Begehung weiterer Suchtgiftdelikte als weggefallen oder als nur entscheidend gemindert anzusehen. Von daher geht die Rüge, die belangte Behörde hätte zum Nachweis dafür, dass für den Beschwerdeführer eine durchaus günstige Zukunftsprognose vorliege, einen Bericht der Justizanstalt Hirtenberg und ein kriminalpsychologisches Sachverständigengutachten einzuholen sowie einen beantragten Zeugen einzuvernehmen gehabt, fehl. An dieser Beurteilung vermag das Vorbringen, der Beschwerdeführer bereue seine Straftaten zutiefst, die bislang verbrachte Haft habe ihm klar und deutlich vor Augen geführt, was wiederholte Verstöße gegen die österreichische Rechtsordnung bedeuten würden und es habe sich bei ihm nun ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein gebildet, nichts zu ändern. Auch sein Hinweis, dass nach der Haftentlassung sein Unterhalt bzw. sein weiteres Fortkommen in Österreich gesichert sei, ist nicht dazu geeignet, die besagte von ihm ausgehende gravierende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im relevanten Ausmaß zu reduzieren.

Zum Vorgesagten kommt noch, dass der Beschwerdeführer (ebenfalls unbestritten) schon im Jahr 1996 wegen Suchtgifthandels vom Landesgericht für Strafsachen Wien (u.a.) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Höhe von dreieinhalb Jahren verurteilt wurde. Auch wenn diese Verurteilung schon länger zurückliegt und nähere Feststellungen zu dem ihr zugrunde liegenden verpönten Verhalten fehlen, ist auch insoweit auf eine vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung des gewichtigen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität zu schließen. Zudem zeigt sich die schon angesprochene der Suchtgiftkriminalität innewohnende Wiederholungsgefahr auch darin, dass sich der Beschwerdeführer durch diese Verurteilung nicht davon abhalten ließ, neuerlich wegen Suchtgifthandels straffällig zu werden.

Vor diesem Hintergrund ist es entbehrlich, auf das weitere von der belangten Behörde herangezogene Fehlverhalten des Beschwerdeführers einzugehen.

3.1. Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid auch im Grund des § 60 Abs. 6 iVm § 66 FPG. Der Beschwerdeführer, der mittlerweile 61 Jahre alt sei, lebe seit nunmehr insgesamt 23 Jahren mit seiner nunmehrigen Ehefrau (die er vor fünf Jahren geheiratet habe) in Österreich zusammen. Im Bundesgebiet lebten auch noch seine Eltern und weitere Angehörige. Zu seiner Ehefrau bestehe eine intensive familiäre Bindung, sie besuche ihn in der Haft jede Woche. Die Ehefrau leide an schwerer Arthrose in den Knien und Polyarthritis in den Händen und sei auf die Hilfe des Beschwerdeführers angewiesen bzw. werde dies in den nächsten Jahren krankheitsbedingt umso mehr der Fall sein. Der Beschwerdeführer führt zu seinen Gunsten auch seinen eigenen Gesundheitszustand ins Treffen. Schließlich würde der Beschwerdeführer entgegen der belangten Behörde von Seiten der türkischen Behörden keinen ausreichenden Schutz "im Zusammenhang mit den gegen den Beschwerdeführer gesetzten Bedrohungen" betreffend ein Verfahren vor dem Landesgericht Wels erhalten.

3.2. Die belangte Behörde hat angesichts der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich zutreffend einen mit dem vorliegenden Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG angenommen. Ebenso zutreffend ist sie - unter Bedachtnahme auf die Interessen des Beschwerdeführers - zu dem Ergebnis gelangt, dass die vorliegende fremdenpolizeiliche Maßnahme dringend geboten sei, hat doch der Beschwerdeführer durch sein gravierendes Fehlverhalten die im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, an der Verhinderung von (weiteren) strafbaren Handlungen durch den Beschwerdeführer, am Schutz der Rechte und Freiheiten anderer und am Schutz der Gesundheit erheblich beeinträchtigt.

Unter Zugrundelegung des großen öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthaltes des Beschwerdeführers erweist sich auch das Ergebnis der von der belangten Behörde nach § 66 Abs. 2 FPG vorgenommenen Abwägung als unbedenklich. Die für seinen Verbleib in Österreich sprechenden persönlichen Interessen vermögen das durch das Fehlverhalten des Beschwerdeführers nachhaltig beeinträchtigte Allgemeininteresse nicht zu überwiegen. Die ins Treffen geführte langjährige Lebensgemeinschaft und die anschließende Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin werden in ihrem Gewicht maßgeblich dadurch relativiert, dass der Beschwerdeführer auf dem Boden der insoweit unbestrittenen Feststellungen trotz des im Jahr 1994 für die Dauer von zehn Jahren erlassenen Aufenthaltsverbots Österreich nur kurz - bis Oktober 1994 - verließ und sich nach seiner Abschiebung im Mai 2000 in sein Heimatland schon ab Anfang 2001 wieder in Österreich aufhielt, und die Ehe im Jahr 2000 zudem zu einem Zeitpunkt geschlossen wurde, als einem Aufenthalt in Österreich das besagte Aufenthaltsverbot entgegenstand. Weiters gehen die ihm ab Anfang 2001 erteilten Niederlassungsbewilligungen auf unrichtige Angaben des Beschwerdeführers gegenüber den Behörden zurück, was die sich auf diesen Aufenthalt gründenden persönlichen Interessen in ihrem Gewicht entscheidend mindert. Ferner hat die für die Integration des Beschwerdeführers in Österreich maßgebliche soziale Komponente durch das, dem Beschwerdeführer zur Last liegende gegen das SMG gerichtete Fehlverhalten erheblich gelitten. Dem - weitgehend unsubstantiierten - Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend sein Heimatland ist entgegenzuhalten, dass mit einem Aufenthaltsverbot nicht darüber abgesprochen wird, dass der Fremde in ein bestimmtes land auszureisen habe oder dass der (allenfalls) abgeschoben werde. Mit dem Hinweis auf seinen eigenen Gesundheitszustand - gemeint ist offenbar seine im angefochtenen Bescheid genannte Bypassoperation - vermag der Beschwerdeführer das Gewicht seiner persönlichen Interessen nicht maßgeblich zu verstärken, wird doch in der Beschwerde nicht einmal behauptet, dass eine entsprechende Behandlung infolge dieser Operation nur in Österreich möglich wäre. Was den durch das Aufenthaltsverbot bewirkten Entfall einer Hilfestellung für seine Ehefrau betrifft, muss dies auf dem Boden des großen öffentlichen Interesses, das der Erlassung des Aufenthaltsverbots zugrunde liegt, in Kauf genommen werden.

4. Da somit schon der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

5. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein Abspruch über den mit der Beschwerde verbundenen Antrag, dieser aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Wien, am 18. Mai 2006

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006180119.X00

Im RIS seit

20.06.2006

Zuletzt aktualisiert am

19.04.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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