TE Vwgh Erkenntnis 2008/4/9 2006/19/0354

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Veröffentlicht am 09.04.2008
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Index

19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §8 Abs1;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
MRK Art3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Hans-Jörg Luhamer, Rechtsanwalt in 1180 Wien, Gersthofer Straße 10/18, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12. Jänner 2005, Zl. 256.125/0-VIII/23/04, betreffend §§ 7 und 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres),

Spruch

I. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides (Feststellung, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Moldau zulässig ist) bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, und insoweit, als damit Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides (Ausweisung des Beschwerdeführers "aus dem österreichischen Bundesgebiet") bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Moldau, gelangte am 24. Mai 2003 in das Bundesgebiet und beantragte am 26. Mai 2003 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 23. Juni 2003 gab der Beschwerdeführer an, Moldau verlassen zu haben "um nicht zu verhungern". Sein Vater sei 1993 verstorben. Seine Mutter sei eine arbeitslose Alkoholikerin. Er habe auch noch einen 82-jährigen Großvater. In Moldau habe sich niemand um ihn kümmern können. Auch hätte er "Schwierigkeiten mit Zigeunern" gehabt. Am 15. Mai 2003 sei er auf der Straße von einem Jungen belästigt worden. Dieser hätte ihn auf der Straße in Chisinau beschimpft. Dann habe ein "erwachsener Zigeuner" gedroht, ihn zu verprügeln. Im Falle einer Rückkehr nach Moldau könne sich niemand um ihn kümmern.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 6. Dezember 2004 den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Moldau gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchpunkt III.). Das Bundesasylamt erachtete das Vorbringen des Beschwerdeführers für glaubwürdig. Dieser habe jedoch sein Herkunftsland aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. Der Vorfall vom 15. Mai 2003 erreiche nicht die erforderliche Intensität, um eine Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Weiters seien keine stichhaltigen Gründe zu erkennen, die Abschiebeschutz begründen könnten. Mangels familiärer oder privater Anknüpfungspunkte verstoße eine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet auch nicht gegen Art. 8 EMRK.

In der dagegen erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer aus, dass er sein Herkunftsland verlassen habe müssen, um nicht zu verhungern. Zudem verwies der Beschwerdeführer nochmals auf die Bedrohung durch "Zigeuner" am 15. Mai 2003. Im Falle einer Rückkehr nach Moldau hätte er keine Existenzgrundlage.

Die belangte Behörde wies mit Bescheid vom 12. Jänner 2005 die Berufung "gemäß §§ 7, 8 AsylG" ab und schloss sich den Ausführungen der Erstbehörde "vollinhaltlich" an. Der Berufung seien "keine Neuerungen" zu entnehmen, welche geeignet wären, den von der Erstbehörde bereits festgestellten Sachverhalt in Frage zu stellen. Die Angaben des Beschwerdeführers seien zwar glaubwürdig, diesen sei jedoch kein Sachverhalt zu entnehmen, der unter einen der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe fallen würde.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zu I.:

Die Abhaltung einer mündlichen Berufungsverhandlung durch die belangte Behörde hinsichtlich des Ausspruches nach § 8 Abs. 1 AsylG (Bestätigung von Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Moldau) wäre jedenfalls erforderlich gewesen:

Der im Jahre 1987 geborene und daher im Asylverfahren noch minderjährige Beschwerdeführer verwies schon in seiner erstinstanzlichen Einvernahme auf den Umstand, dass in Moldau niemand für ihn gesorgt hätte und die daraus resultierende Gefahr zu verhungern. Das Bundesasylamt beschäftigte sich im Zusammenhang mit den Feststellungen zum Herkunftsland des Beschwerdeführers lediglich mit der politischen Situation in Moldau, ohne sich unter dem Aspekt des Art. 3 EMRK mit der Situation von auf sich allein gestellten Minderjährigen auseinander zu setzen. Zu § 8 Abs. 1 AsylG führte es aus, dass in Moldau nicht von einer sanktionierten ständigen Praxis "grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechtsverletzungen" ausgegangen werden könne. Eine Auseinandersetzung mit der konkreten Situation des Beschwerdeführers unterblieb völlig. Angesichts des Berufungsvorbringens, in dem der Beschwerdeführer erneut auf die mangelnde Obsorge und die Gefahr des Verhungerns verwies, hätte es ergänzender Feststellungen durch die belangte Behörde zur Situation auf sich allein gestellter Minderjähriger in Moldau bedurft. Dies hätte angesichts des bereits mangelhaften erstinstanzlichen Verfahrens eine mündliche Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde mit ergänzender Erörterung von der konkreten Situation des Beschwerdeführers Rechnung tragendem Ländermaterial zu Moldau erforderlich gemacht (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 14. Jänner 2003, Zl. 2001/01/0432 und vom 16. Juli 2003, Zl. 2003/01/0204). Es war daher die Bestätigung von Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Bei der unveränderten Bestätigung des erstinstanzlichen Ausspruches über die Ausweisung des Beschwerdeführers "aus dem österreichischen Bundesgebiet" (Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides) hat die belangte Behörde zudem verkannt, dass die Asylbehörden in einem Fall wie dem vorliegenden nicht berechtigt sind, die Ausweisung eines Asylwerbers ohne Einschränkung auf den Herkunftsstaat auszusprechen. Hiezu kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, Zl. 2005/01/0625, und die dort angeführte Vorjudikatur verwiesen werden.

Es war daher die unveränderte Bestätigung von Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Zu II.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG in Verbindung mit Art. 129c Abs. 1 B-VG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft - soweit sie sich auf die Bestätigung des Spruchpunktes I. des erstinstanzlichen Bescheides bezieht - keine für die Entscheidung dieses Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Bestätigung des Spruchpunktes I. des erstinstanzlichen Bescheides richtet, abzulehnen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 9. April 2008

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2006190354.X00

Im RIS seit

16.06.2008

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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