TE Vwgh Erkenntnis 2003/1/14 2001/01/0432

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Veröffentlicht am 14.01.2003
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §8;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FrG 1997 §57;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des B in Wien, geboren 1982, vertreten durch Dr. Farid Rifaat, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. August 2001, Zl. 219.847/0-XI/38/00, betreffend §§ 6 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt II. (Ausspruch nach § 8 AsylG) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo und am 10. September 2000 in das Bundesgebiet eingereist, beantragte die Gewährung von Asyl. Er begründete seinen Asylantrag im Wesentlichen damit, dass er über Veranlassung der ersten Ehefrau seines verstorbenen Vaters von Polizisten verhaftet worden sei. Dem habe zu Grunde gelegen, dass dem Beschwerdeführer von seinem Vater ein Haus in Kinshasa "überschrieben" worden sei, welches sich die erste Ehefrau habe aneignen wollen. Zwar habe man den Beschwerdeführer nach zwei Wochen aus der Haft entlassen, doch sei er von der besagten Frau immer wieder "belästigt" worden.

Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom 27. Oktober 2000 gemäß § 6 Z 2 und 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "in das behauptete Herkunftsland DR Kongo" zulässig sei. Zur DR Kongo wurde in diesem Bescheid ua. festgestellt, dass es sich um eines der ärmsten Länder der Welt handle und dass nach einem Bericht des (deutschen) Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom Februar 1999 sowohl seitens der Regierung als auch seitens der Rebellen gravierende Menschenrechtsverletzungen geschehen seien und die Region insgesamt als noch nicht stabil bezeichnet werden könne. Weiters wurde die Situation in der DR Kongo wie folgt beschrieben:

"Ca. 60 % des Staatsgebietes werden derzeit von der Staatsregierung unter Präsident Kabila kontrolliert. Die restlichen Landesteile werden von - teilweise untereinander zerstrittenen - Rebellenbewegungen ... kontrolliert. Die Aufständischen werden von den Regierungen der angrenzenden Staaten, und zwar von Uganda und Ruanda unterstützt. Infolge der Bürgerkriegssituation ist die wirtschaftliche Situation schlecht und wurden Transaktionen in Fremdwährungen verboten. Auch im Hinblick auf die Bürgerkriegssituation nimmt das Regime Präsident Kabilas immer stärker autoritäre Züge an und wurden auf regionalem Niveau sogenannte 'Verteidigungszellen' und 'Komitees der Volksherrschaft' eingerichtet, die vorwiegend der Überwachung der einheimischen Bevölkerung dienen sollen."

In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid brachte der Beschwerdeführer vor, er sei bei seinem Vater und seiner Mutter, der zweiten Frau seines Vaters, in der Stadt Baringa im Staate Equateur aufgewachsen. Nach dem Tod seines Vaters im Frühjahr 1999 habe er dessen Vermögen geerbt, darunter ein Haus in Kinshasa - aus dessen Mieteinnahmen der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt verdient habe - und ein weiteres Haus in Baringa. Im März 2000 sei die erste Ehefrau des verstorbenen Vaters des Beschwerdeführers nach Baringa gekommen. Sie habe dem Beschwerdeführer gesagt, dass sie das vermietete Haus in Kinshasa für sich haben wolle und dass er nicht mehr nach Kinshasa kommen solle. Dabei habe sie auf die Unterstützung durch ihren Bruder, der eine sehr hohe Position in der kongolesischen Armee bekleide, hingewiesen. In der Folge habe sie die Mieter im Haus des Beschwerdeführers veranlasst, das Haus zu verlassen, und die Sanierung des Hauses in die Wege geleitet. Der Beschwerdeführer seinerseits sei nach Kinshasa gefahren und habe die erste Ehefrau seines Vaters aufgefordert, ihm sein Eigentum wieder zurückzugeben. Diese habe sich geweigert, die Polizei gerufen und den Beschwerdeführer unter Ausnutzung der ihr über ihren Bruder zur Verfügung stehenden Macht verhaften und in einer Polizeistation einsperren lassen. Nach einiger Zeit sei der Beschwerdeführer wieder freigelassen worden. Erneut habe er sein Eigentum zurückgefordert, woraufhin ihm die erste Ehefrau seines Vaters ankündigte, sie werde ihn töten lassen. Nach seiner Rückkehr nach Baringa seien Soldaten in Begleitung der ersten Ehefrau des Vaters nach Baringa gekommen. Sie hätten den Beschwerdeführer geschlagen, dennoch habe dieser gegenüber den Soldaten sein Anrecht auf das Haus in Kinshasa bekräftigt. Daraufhin habe die erste Ehefrau seines Vaters den Soldaten aufgetragen, den Beschwerdeführer zu töten. Er sei (jedoch) verletzt liegen gelassen worden, wobei ihm die Soldaten gedroht hätten, er werde getötet, wenn er die erste Ehefrau des Vaters nicht in Ruhe lasse. Auf Grund dieser Drohungen habe er um sein Leben gefürchtet und sich entschlossen, sein Heimatland zu verlassen.

Mit dem ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung ergangenen Bescheid vom 2. August 2000 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 2 AsylG ab (Spruchpunkt I.); weiters stellte sie gemäß § 8 AsylG (iVm § 57 FrG) fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Demokratische Republik Kongo sei zulässig (Spruchpunkt II.). Die belangte Behörde führte aus, es könne dahingestellt bleiben, ob den behaupteten Fluchtgründen des Beschwerdeführers - wie vom Bundesasylamt in Abrede gestellt - Glaubwürdigkeit zukomme. Grundlage seines Vorbringens sei (nämlich bloß) ein privater Streit um ein Haus, aus welchem sowohl der Beschwerdeführer als auch die erste Ehefrau seines Vaters Mieteinnahmen ziehen wollten, wobei sich die Letztere nach den Behauptungen des Beschwerdeführers ihrer guten Kontakte zu Militär und Polizei bedient habe. Ein allfälliger politischer Hintergrund des behaupteten Einschreitens von Armeeangehörigen und Polizei sei nicht zu erkennen. Wie sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers ergebe, bestehe an seiner Person selbst an sich gar kein Interesse, sondern lediglich und ausschließlich auf Grund und im Zusammenhang mit seiner Eigentümerstellung und vor allem mit seinem Nutzungswillen bezüglich des Streitobjektes eines privaten (Rechts)Streites. Da die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgungsgefahr somit offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen sei und da sein Vorbringen auch keine sonstigen Hinweise auf Verfolgungsgefahr iS des § 6 AsylG beinhalte, sei sein Asylantrag schon aus diesem Grund gemäß § 6 Z 2 AsylG als offensichtlich unbegründet abzuweisen gewesen.

Ihren Ausspruch nach § 8 AsylG begründete die belangte Behörde damit, es sei dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu entnehmen, dass eine Bedrohung durch die erste Ehefrau seines Vaters nur solange bestehe, als er das strittige Haus in Kinshasa weiterhin beanspruche. Unter dem Gesichtspunkt der auch gegenwärtig unmöglichen Nutzung des Hauses scheine es nicht unzumutbar, diesen Zustand auch bei einer Rückkehr in den behaupteten Herkunftsstaat durch einen Verzicht auf die Nutzung des Hauses aufrechtzuerhalten und damit einer künftigen Verfolgung zu entgehen. Dass mit dem Wegfall bzw. Verlust der Mieteinnahmen aus dem Haus eine massive Bedrohung der Lebensgrundlage des Beschwerdeführers verbunden wäre, habe er nicht behauptet; jedenfalls wäre es ihm zumutbar, sich seinen Lebensunterhalt auf andere Art und Weise als durch die Einkünfte aus der Vermietung eines ererbten Hauses zu verdienen. Zusammenfassend sei es dem Beschwerdeführer daher nicht gelungen, für eine drohende unmenschliche Behandlung oder Verfolgung sprechende Gründe darzutun, weshalb der Schluss zu ziehen gewesen sei, dass seine Abschiebung in die Demokratische Republik Kongo zulässig sei. "Eine extreme Gefahrenlage," - so die belangte Behörde abschließend - "durch die praktisch jeder, der in den Staat, in dem diese Gefahrenlage herrscht, abgeschoben wird, auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei der konkreten Gefahr einer Verletzung im Besonderen der auch durch Art. 3 MRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, ist im gegenwärtigen Zeitpunkt für die DR Kongo nicht notorisch und nicht erkennbar."

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

1. Zur Abweisung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet:

Die Beschwerde macht geltend, dass beim Beschwerdeführer unzweifelhaft eine "politische Verfolgung" vorliege. Er werde durch das Militär verfolgt, da er für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und gegen Willkür kämpfe, auch wenn der Aufhänger dafür lediglich sein Eigentum sei. Man habe ihn mit Hilfe der Armee um sein Eigentum gebracht und er dürfe sich diesem nicht einmal mehr nähern, ohne dass er um sein Leben fürchten müsse. Grund und Boden sowie Eigentum seien schon immer eng mit politischer Machtausübung verbunden gewesen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Beschwerdeführer nicht politisch verfolgt sein soll, wenn ihn eine Familie mit hohem politischen Einfluss aus Besitz- und Machtgier verfolge und misshandle, weil er sich gegen Vetternwirtschaft und Korruption gewehrt habe.

Dieses Vorbringen wird den Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren, insbesondere in der Berufung, nicht gerecht. Diese Angaben enthielten nämlich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das geltend gemachte Bedrohungsszenario über Erbschaftsund/oder Grundstücksstreitigkeiten hinaus auch auf andere Umstände (den nunmehr behaupteten Kampf des Beschwerdeführers für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und gegen Willkür) zurückzuführen sein könnte. Insoweit verstößt die Beschwerde daher gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot. Beschränkt man sich indes auf die im Verwaltungsverfahren vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verfolgungsgefahr, so ist der belangten Behörde beizupflichten, dass sie nicht auf einen der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist. Das ist einerseits offensichtlich (siehe zu einem vergleichbaren Fall das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0571). Andererseits hat das Verfahren keine sonstigen Hinweise auf die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung des Beschwerdeführers in der Demokratischen Republik Kongo erbracht, weshalb der Beurteilung, der gegenständliche Asylantrag sei iS des § 6 Z 2 AsylG offensichtlich unbegründet, nicht entgegengetreten werden kann. Soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet richtet, war sie daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

2. Zum Ausspruch nach § 8 AsylG:

Bei dieser Entscheidung ging die belangte Behörde davon aus, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei so zu verstehen, dass eine Bedrohung durch die erste Ehefrau seines Vaters nur so lange bestehe, als er das von seinem Vater ererbte Haus weiterhin beanspruche. Die Beschwerde wendet sich gegen diese (einschränkende) Deutung. Welcher Standpunkt der richtige ist, kann indes dahingestellt bleiben. Dahingestellt bleiben kann auch, ob die belangte Behörde allenfalls zur Klarstellung des Vorbringens eine mündliche Berufungsverhandlung hätte durchführen müssen. Die Abhaltung einer solchen unter dem Gesichtspunkt des Ausspruches nach § 8 AsylG wäre nämlich jedenfalls geboten gewesen:

Der erstinstanzliche Bescheid enthielt Feststellungen zu den allgemeinen Verhältnissen in der Demokratischen Republik Kongo. Diese sind eingangs auszugsweise wiedergegeben. Sie lassen erkennen, dass die wirtschaftliche Lage und die Menschenrechtssituation nicht unproblematisch sind. Jedenfalls von daher und im Hinblick auf die notorische Bürgerkriegssituation hätte sich auch die belangte Behörde mit den näheren Gegebenheiten in der Demokratischen Republik Kongo beschäftigen müssen. Demgegenüber enthält der bekämpfte Bescheid nur die zuvor wörtlich wiedergegebene Aussage, dass "eine extreme Gefahrenlage ... im gegenwärtigen Zeitpunkt für die DR Kongo nicht notorisch und nicht erkennbar" sei. Wie die belangte Behörde zu diesem Schluss gelangte, wird jedoch nicht dargelegt. Insoweit liegt ein Begründungsmangel vor, weil die betreffende Beurteilung nur auf Basis nachvollziehbarer Feststellungen auf ihre Richtigkeit überprüft werden könnte. Diese Feststellungen hätten ein Ermittlungsverfahren - und damit im Hinblick auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. März 1999, Zl. 98/20/0475) auch die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung - erfordert. Dass der Beschwerdeführer seinerseits nichts vorgebracht hat, was ein Ermittlungsverfahren auslösen würde, vermochte angesichts der oben erwähnten Umstände (Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid und notorische Bürgerkriegssituation in der Demokratischen Republik Kongo) an der Verpflichtung der belangten Behörde, die aktuelle Situation darzustellen, nichts zu ändern (vgl. sinngemäß das hg. Erkenntnis vom 9. Juli 2002, Zl. 2001/01/0164).

Dass dem aufgezeigten Verfahrensmangel Relevanz zukommt, ergibt sich schon aus dem hg. Erkenntnis vom 18. April 2002, Zl. 2001/01/0249, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird. Klarstellend sei angemerkt, dass im Rahmen der Entscheidung nach § 8 AsylG vor dem Hintergrund des Art. 3 EMRK auch zu prüfen ist, ob eine Abschiebung mit Rücksicht auf die humanitäre Lage am Zielort einer unmenschlichen Behandlung gleichkäme (vgl. dazu zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 17. September 2002, Zl. 2001/01/0597).

Nach dem Gesagten ist der angefochtene Bescheid in seinem Spruchpunkt II. mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet. Er war daher in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

3. Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 14. Jänner 2003

Schlagworte

"zu einem anderen Bescheid"

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001010432.X00

Im RIS seit

28.04.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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