TE Vfgh Beschluss 2003/6/25 KI-1/03

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.06.2003
beobachten
merken

Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art138 Abs1 lita
B-VG Art129a Abs1 Z2
StPO §180 Abs4
VStG §53 Abs2
ZPO §63 Abs1 / Aussichtslosigkeit

Leitsatz

Zurückweisung eines Antrags auf Entscheidung eines verneinenden Kompetenzkonfliktes zwischen einer Bezirkshauptmannschaft und einem Gericht mangels Vorliegen eines Kompetenzkonfliktes; rechtmäßige Inanspruchnahme der Zuständigkeit zur Aufhebung der Untersuchungshaft zum Vollzug einer verwaltungsbehördlichen Freiheitstrafe durch das Gericht einerseits und zur Anordnung des Vollzuges der verwaltungsbehördlichen Strafhaft durch die Verwaltungsbehörde andererseits

Spruch

1. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.

2. Der Antrag auf Entscheidung eines verneinenden Kompetenzkonfliktes zwischen der Bezirkshauptmannschaft Bregenz und dem Obersten Gerichtshof wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Der Antragsteller wurde mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom 29. August 2002 des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §206 Abs1 StGB sowie anderer strafbarer Handlungen schuldig erkannt; über ihn wurde eine mehrjährige Freiheitsstrafe verhängt. Die Entscheidung über die vom Antragsteller gegen den Strafausspruch erhobene Berufung stand bei Einbringung des vorliegenden Antrages noch aus.

Der Antragsteller befand sich ab 19. Juli 2002 in Untersuchungshaft.

1.2. Mit Straferkenntnissen der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 10. Oktober 2000 und vom 26. November 2001 waren über den Antragsteller wegen Übertretung von Bestimmungen des Führerschein- bzw. des Kraftfahrgesetzes Geldstrafen in Höhe von S 11.000,-- (€ 799,40) bzw. S 11.900,-- (€ 864,80) sowie Ersatzfreiheitsstrafen von 264 bzw. 295 Stunden verhängt worden.

1.3. Mit an den Leiter der Justizanstalt Feldkirch gerichteten Schreiben vom 25. Oktober bzw. 18. November 2002 ersuchte die Bezirkshauptmannschaft Bregenz um Vollzug der mit den genannten Straferkenntnissen verhängten Ersatzfreiheitsstrafen. Die beiden Schreiben haben folgenden - identen - Inhalt:

"Da Grund zu der Annahme besteht, daß die Geldstrafe uneinbringlich ist, wird gemäß §53 Abs2 Verwaltungsstrafgesetz in der derzeit geltenden Fassung höflichst ersucht, die verhängte Freiheitsstrafe im unmittelbaren Anschluss an die Gerichtshaft zu vollziehen.

Um kurze schriftliche Vollzugsmitteilung wird gebeten. Eine Überstellung des Gefangenen wolle unter Angabe des Überstellungsortes und der voraussichtlichen Dauer der Strafhaft ebenfalls bekanntgegeben werden.

Die Vollziehung der Ersatzfreiheitsstrafe hat zu unterbleiben, wenn der Genannte die Geldstrafe zuzüglich Verfahrenskosten nachweislich zur Einzahlung gebracht hat od. diese hinterlegt. Die Geldstrafe ist auf das Konto der Bezirkshauptmannschaft Bregenz ... zu überweisen.

Im Falle einer bestehenden U-Haft wird ersucht, diese zu unterbrechen[,] um gegenständliche Verwaltungshaft vollziehen zu können (gemäß §180 Abs4 StPO)."

1.4. Gemäß §180 Abs4 StPO darf die Untersuchungshaft "nicht verhängt oder aufrechterhalten werden, wenn die Haftzwecke auch durch eine gleichzeitige Strafhaft oder Haft anderer Art erreicht werden können. Wird von der Verhängung oder Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft wegen einer gleichzeitigen Strafhaft Abstand genommen, so hat der Untersuchungsrichter die Abweichungen vom Vollzug der Strafhaft zu verfügen, die für die Zwecke der Untersuchung unentbehrlich sind."

Am 27. November 2002 beschloss die Vorsitzende des Schöffengerichtes des Landesgerichtes Feldkirch, die Untersuchungshaft für die Dauer der sofort zu vollziehenden Ersatzfreiheitsstrafen "aufzuheben", wobei sie in der Begründung darauf hinwies, diese "Aufhebung" der Untersuchungshaft erfolge "unter der (auflösenden) Bedingung, dass der ... Beschuldigte die im Spruch angeführte(n) Haftstrafe(n) verbüßt"; "[n]ach Beendigung des Strafvollzuges, also nach Auflösung dieser Bedingung", trete die Aufhebung in Wegfall und werde die Untersuchungshaft fortgesetzt.

Der Antragsteller wurde sodann am 29. November 2002 in verwaltungsbehördliche Strafhaft übernommen; die Ersatzfreiheitsstrafen wurden in der Justizanstalt Feldkirch bis 22. Dezember 2002 vollzogen.

2. Mit Beschluss vom 7. Jänner 2003 wies das Oberlandesgericht Innsbruck die Beschwerde des Antragstellers gegen den genannten Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch als unzulässig zurück, weil gegen Verfügungen gemäß §180 Abs4 StPO kein Rechtsmittel eingeräumt ist.

Die vom Antragsteller gegen diese Entscheidung mit Eingabe vom 20. Jänner 2003 erhobene Grundrechtsbeschwerde wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 11. Februar 2003 aus folgenden Erwägungen als unzulässig zurück:

"Gemäß §1 Abs1 iVm §2 Abs1 GRBG kann eine Grundrechtsbeschwerde nur wegen Verletzung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit (siehe Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit und Art5 der EMRK) durch eine strafgerichtliche Entscheidung oder Verfügung dann erhoben werden, wenn die Verhängung oder Aufrechterhaltung einer Haft zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht, die Dauer einer Haft unverhältnismäßig geworden ist, die Voraussetzungen einer Haft (wie Tatverdacht oder Haftgrund) unrichtig beurteilt wurden oder sonst bei einer Festnahme oder Anhaltung das Gesetz unrichtig angewendet wurde.

Der bekämpfte Beschluss des Oberlandesgerichtes auf Zurückweisung der Beschwerde gegen den Beschluss, mit dem die Vorsitzende gemäß §180 Abs4 StPO die 'Unterbrechung' der Untersuchungshaft für die Dauer des Vollzuges der verwaltungsbehördlichen Ersatzfreiheitsstrafen angeordnet hat, ist mangels funktioneller Grundrechtsrelevanz einer Überprüfung durch eine Grundrechtsbeschwerde nicht zugänglich.

...

Bleibt anzumerken, dass es einem nach §180 Abs4 StPO in Haft befindlichen Beschuldigten freisteht, den Antrag auf 'Aufhebung der Untersuchungshaft' zu stellen und sich gegen eine etwaige 'Fortsetzung' beim Oberlandesgericht zu beschweren (§§193 Abs5, 182 Abs4 StPO), ohne dass jedoch während der Dauer einer nach §180 Abs4 StPO vollzogenen Haft eine Verletzung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit nach §1 Abs1 GRBG in Betracht kommt, weil während eines solchen Vollzuges an sich keine Untersuchungshaft vorliegt. Demnach kommt eine Grundrechtsbeschwerde gegen eine gemäß §180 Abs4 StPO im Vollzug befindliche Strafhaft nicht in Betracht (s EvBl 1995/22; 13 Os 149/01)."

3. Mit Schriftsatz vom 22. April 2003 begehrt der Antragsteller gemäß Art138 Abs1 lita B-VG die Entscheidung eines verneinenden Kompetenzkonfliktes zwischen der Bezirkshauptmannschaft Bregenz und "[der] (Strafjustiz, vertreten durch Landesgericht Feldkirch, Oberlandesgericht Innsbruck) [bzw. dem] Oberste[n] Gerichtshof".

Begründend wird dazu ausgeführt:

"Was immer die funktionelle Grundrechtsrelevanz als Voraussetzung einer Grundrechtsbeschwerde sein mag, fest steht damit jedenfalls, dass der Oberste Gerichtshof damit seine Zuständigkeit verneint, einen Beschluss des Landesgerichtes aufzuheben, mit dem das Landesgericht den Vollzug einer verwaltungsbehördlichen Ersatzfreiheitsstrafe angeordnet hat, übrigens ohne die (nicht vorliegenden) Voraussetzungen einer Umwandlung der primären Geldstrafe in die Ersatzfreiheitsstrafe überhaupt geprüft zu haben.

Dabei hat der Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch dezidiert ausgesprochen, dass die Untersuchungshaft aufgehoben werde und ab sofort eine behördliche Ersatzfreiheitsstrafe zu vollziehen sei.

Offenkundig ist, dass der Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch bei der Verwaltungsbehörde oder beim UVS unbekämpfbar wäre, denn hier handelt es sich fraglos um eine (ebenso fraglos rechtswidrige) Gerichtsentscheidung, die keinem behördlichen oder verwaltungsbehördlichen richterlichen Instanzenzug unterliegen kann.

Offenkundig ist auch, dass das Landesgericht Feldkirch selbstverständlich unzuständig ist, die Vollziehung von Ersatzfreiheitsstrafen anzuordnen, zumal dann, wenn die Umwandlung in eine Ersatzfreiheitsstrafe gar nicht rechtmäßig erfolgt ist, weil der Antragsteller in Haft natürlich nicht die Möglichkeit hatte, die Geldstrafe zu zahlen.

Der Beschluss des Obersten Gerichtshofes bedeutet also, dass weder bei der Verwaltung noch beim Gericht die Verfügung der Vollziehung einer verwaltungsbehördlichen Ersatzfreiheitsstrafe bekämpft werden könnte bzw. konnte."

4. Der Antrag ist unzulässig:

Gemäß Art138 Abs1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden. Ein verneinender Kompetenzkonflikt setzt voraus, daß ein Gericht und eine Verwaltungsbehörde in derselben Sache ihre Zuständigkeit abgelehnt haben (vgl. §46 Abs1 VfGG), davon eine Behörde zu Unrecht (zB VfSlg. 15.392/1998 mwN).

Ein negativer Kompetenzkonflikt in derselben Sache liegt hier schon deshalb nicht vor, weil sowohl die Bezirkshauptmannschaft Bregenz als auch das Landesgericht Feldkirch die ihnen nach dem Gesetz jeweils zukommende Zuständigkeit (zu Recht) in Anspruch genommen haben. Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz hat gemäß §53 Abs2 VStG den Leiter der Justizanstalt Feldkirch um Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafen an Stelle der Untersuchungshaft ersucht, das Landesgericht Feldkirch gemäß §180 Abs4 StPO den Vorrang der verwaltungsbehördlichen Strafhaft gegenüber der Untersuchungshaft ausgesprochen.

Von einem Behördendissens über die Zuständigkeit iS des Art138 Abs1 lita B-VG kann aber auch mit Blick auf die genannten (formellen) Beschlüsse des Oberlandesgerichtes Innsbruck und des Obersten Gerichtshofes keine Rede sein, weil es jedenfalls am Erfordernis einer Unzuständigkeitserklärung der Bezirkshauptmannschaft Bregenz (als der allein tätig gewordenen Verwaltungsbehörde) mangelt (vgl. VfSlg. 14.066/1995; VfGH 25. Februar 2003, G153/01, KI-2/01).

Nur am Rande sei bemerkt, dass der Antragsteller dem gerichtlichen Ausspruch gemäß §180 Abs4 StPO irrig die Bedeutung der Anordnung des Vollzuges der verwaltungsbehördlichen Strafhaft unterlegt. Die Vollstreckung einer verwaltungsbehördlichen (Ersatz-)Freiheitsstrafe ist im Übrigen - der Auffassung des Antragstellers zuwider - als Akt der unmittelbaren verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt bekämpfbar (zB VfSlg. 11.118/1986, 12.255/1990, 13.096/1992; zum Rechtsschutz s. nunmehr Art129a Abs1 Z2 B-VG).

5. Da die vom Antragsteller beabsichtigte Rechtsverfolgung vor dem Verfassungsgerichtshof somit offenbar aussichtslos erscheint, war sein mit dem Antrag auf Entscheidung eines verneinenden Kompetenzkonfliktes verbundenes Begehren auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abzuweisen (§63 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG).

6. Dies konnte gemäß §72 Abs1 ZPO (§35 Abs1 VfGG) bzw. §19 Abs3 Z2 lita VfGG ohne weiteres Verfahren und ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Strafprozeßrecht, Untersuchungshaft, Verwaltungsstrafrecht, Strafe, Ersatzstrafe, VfGH / Kompetenzkonflikt, VfGH / Verfahrenshilfe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:KI1.2003

Dokumentnummer

JFT_09969375_03K00I01_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten