TE Vwgh Erkenntnis 2008/7/3 2005/18/0077

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Veröffentlicht am 03.07.2008
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
22/01 Jurisdiktionsnorm;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Melderecht;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §46;
JN §66;
MeldeG 1991 §1 Abs9 idF 2001/I/028;
MeldeG 1991 §9;
VwGG §42 Abs2 Z3 lita;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger sowie die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des A U (geboren am 20. Juni 1971), in S, vertreten durch Dr. Reiner Weber, Rechtsanwalt in 2020 Hollabrunn, Brunnthalgasse 28, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 6. Dezember 2004, Zl. SD 1509/04, betreffend Zurückweisung einer Berufung i.A. eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid vom 6. Dezember 2004 hat die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (die belangte Behörde) die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 19. März 2004, mit dem gegen den Beschwerdeführer gemäß § 36 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden war, gemäß § 66 Abs. 4 i.V.m.

§ 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurückgewiesen.

Der Bescheid der Behörde erster Instanz sei dem Beschwerdeführer am 26. März 2004 durch Hinterlegung am Postamt 1070 Wien zugestellt worden. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 10. November 2004 sei der Beschwerdeführer aufgefordert worden, bekannt zu geben, ob er im Zustell- bzw. Hinterlegungszeitraum (vom 24. bis 26. März 2004) an der Zustelladresse aufhältig gewesen sei und allenfalls Beweismittel für seine Ortsabwesenheit anzubieten oder vorzulegen. Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, würde der Beschwerdeführer aufgefordert, bekannt zu geben, wann er an die Abgabestelle zurückgekehrt sei und Beweismittel für seine Ortsabwesenheit anbieten. Dieser Aufforderung sei der Beschwerdeführer insofern nicht nachgekommen, als er mit Schreiben vom 17. November 2004 auf einen für das vorliegende Verfahren nicht relevanten Zeitraum, nämlich von 16. April 2004 bis 17. April 2004, Bezug genommen habe. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer im relevanten Zeitraum an der Abgabestelle aufhältig gewesen sei. Die Berufungsfrist betrage, und darauf sei der Beschwerdeführer in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Bescheides hingewiesen worden, zwei Wochen ab Zustellung des Bescheides. Demnach habe die Berufungsfrist am 9. April 2004 geendet. Die erst am 4. November 2004 zur Post gegebene Berufung, sei daher als verspätet zurückzuweisen gewesen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer bringt in der Beschwerde vor, dass er mit Schreiben vom 17. November 2004 bekannt gegeben habe, er sei erst am späten Nachmittag des 16. April 2004 an die Zustelladresse gekommen. Er wohne nicht in der Zollerstraße, sondern übernachte bei verschiedenen Bekannten. Hätte die Behörde die Ausführungen in dem Schreiben vom 17. November 2004 als zu wenig detailliert angesehen, hätte sie eine Verbesserung und Ergänzung veranlassen müssen. Da der Beschwerdeführer wegen Ortsabwesenheit von seiner Abgabestelle weder von einer Zustellung noch von einer Hinterlegung Kenntnis erlangt habe, hätte er auch nicht zu einem früheren Zeitpunkt Berufung erheben können.

2. Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.

Einem im Verwaltungsakt einliegenden, am 20. April 2004 eingeholten Auszug aus dem zentralen Melderegister ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer unter der genannten Anschrift seit 20. August 2003 mit dem Vermerk "W-Qualität O" gemeldet war, was auf die "Wohnsitzqualität obdachlos" (vgl. dazu § 1 Abs. 9 Meldegesetz 1991, BGBl. Nr. 9/1992, idF BGBl. I Nr. 28/2001) hindeutet.

Nach der hg. Judikatur (vgl. etwa das Erkenntnis vom 20. April 2006, Zl. 2003/18/0009, mwN) bildet zwar eine amtliche (polizeiliche) Meldung im Inland keinen Beweis für das Bestehen eines (bestimmten) Wohnsitzes oder Aufenthaltes einer Person an einem bestimmten Ort, sie stellt jedoch ein nicht unbedeutendes Indiz für die Wahrscheinlichkeit des Bestehens eines solchen inländischen Wohnsitzes oder Aufenthaltes dar.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 24. Mai 2005, Zl. 2003/01/0621, ausgeführt hat, hat die Behörde dann, wenn sich für sie auf Grund einer ihr vorliegenden Auskunft aus dem zentralen Melderegister ergibt, dass eine Partei, an die eine Zustellung vorzunehmen ist, an der Zustelladresse mit der "Wohnsitzqualität obdachlos" gemeldet ist (von Amts wegen) zu prüfen und festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 19a Abs. 2 Meldegesetz 1991 erfüllt sind und für die Partei an dieser Adresse eine Abgabestelle iS des Zustellgesetzes besteht (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 23. November 2006, Zl. 2005/20/0346). Zur weiteren Begründung wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf diese Erkenntnisse verwiesen.

Im Hinblick darauf, dass der belangten Behörde laut den Verwaltungsakten die am 20. April 2004 eingeholte Auskunft aus dem zentralen Melderegister mit dem obgenannten Inhalt vorlag, hätte sie daher Ermittlungen und Feststellungen auch unter dem Blickwinkel des § 19a Abs. 2 Meldegesetz 1991 vornehmen müssen, sodass bereits deshalb dem angefochtenen Bescheid ein wesentlicher Verfahrens- und Feststellungsmangel anhaftet.

Darüber hinaus hält die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffene Annahme, dass der Beschwerdeführer "im relevanten Zeitraum" (gemeint: vom 24. März 2004 bis 26. März 2004) an der genannten Adresse aufhältig gewesen sei, auch aus folgenden Gründen einer Überprüfung nicht stand:

Nach Ausweis der Verwaltungsakten brachte der Beschwerdeführer mit dem im angefochtenen Bescheid genannten Schreiben vom 17. November 2004 im Hinblick auf die Aufforderung der belangten Behörde zur Bekanntgabe, ob er im Zeitraum vom 24. März 2004 bis 26. März 2004 an der genannten Zustelladresse aufhältig gewesen sei, u.a. vor, dass er, weil B. kein Quartier für ihn frei gehabt habe, nicht an der genannten Anschrift gewohnt habe, sondern "zu dieser Zeit" diese Anschrift, das Büro von B., als "Postadresse" gehabt, bei verschiedenen Bekannten übernachtet und seine Post in unregelmäßigen Abständen (gemeint: von dieser "Postadresse") abgeholt habe. Er sei am 16. April 2004 zu dieser Anschrift gekommen, um seine Post abzuholen und habe den "gelben Informationszettel" (offensichtlich gemeint: die Verständigung über die Hinterlegung) vorgefunden.

Dieses Vorbringen kann bei verständiger Würdigung nur so verstanden werden, dass der Beschwerdeführer bereits im Zeitraum vom 24. März 2004 bis 26. März 2004 nicht an der genannten Anschrift gewohnt habe und - weil er seine Post nur in unregelmäßigen Abständen abgeholt habe - erst am 16. April 2004 seine Post dort abgeholt habe.

Wenn daher die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid die Ansicht vertrat, dass dieses Schreiben vom 17. November 2004 (gemeint: nur) auf den Zeitraum vom 16. April 2004 bis 17. April 2004 - und nicht auch auf den Zeitraum vom 24. März 2004 bis 26. März 2004 - Bezug nehme, so erweist sich diese für die weitere Beurteilung, dass der Beschwerdeführer im relevanten Zeitraum an der Abgabestelle aufhältig gewesen sei, tragende Feststellung als aktenwidrig.

3. Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a, b und c VwGG aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 3. Juli 2008

Schlagworte

Beweismittel Indizienbeweise indirekter BeweisBeweismittel UrkundenAllgemeinVerfahrensbestimmungen Amtswegigkeit des Verfahrens Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2005180077.X00

Im RIS seit

08.08.2008

Zuletzt aktualisiert am

21.07.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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