TE Vwgh Erkenntnis 2006/11/23 2005/20/0346

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Veröffentlicht am 23.11.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Melderecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

ABGB §1332;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §63 Abs5;
AVG §71 Abs1 Z1;
MeldeG 1991 §1 Abs9;
MeldeG 1991 §19a Abs1 idF 2001/I/028;
MeldeG 1991 §19a Abs2 idF 2001/I/028;
MeldeG 1991 §19a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §46 Abs1;
ZustG §13 Abs1;
ZustG §17;
ZustG §4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des L in W, geboren 1986, vertreten durch Dr. Christa-Maria Scheimpflug, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Erdberger Lände 6/27, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 16. März 2005, Zl. 258.246/0-V/13/05, betreffend

1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und 2. Zurückweisung der Berufung als verspätet in einer Asylsache (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres) zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Asylantrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. Oktober 2004 gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) abgewiesen. Weiters wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria festgestellt und gemäß § 8 Abs. 2 AsylG seine Ausweisung verfügt. Im Hinblick auf die seit 3. November 2003 aufrechte Meldung des Beschwerdeführers an der Anschrift 1070 Wien, Zollergasse 15, ("Wohnsitzqualität obdachlos") ordnete das Bundesasylamt die Zustellung des Bescheides an dieser Adresse an. Nach dem Inhalt des Rückscheines wurde der Bescheid zweimal erfolglos zuzustellen versucht und danach beim Zustellpostamt (Beginn der Abholfrist: 16. Oktober 2004) hinterlegt. Die Sendung ist am 11. November 2004 an das Bundesasylamt mit dem Vermerk "nicht behoben" rückgelangt.

In dem am 15. Februar 2005 per Telefax an das Bundesasylamt übermittelten Schriftsatz brachte der (nunmehr anwaltlich vertretene) Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf den erwähnten Zustellvorgang vor, er habe "zu dieser Zeit ... regelmäßig das (an der Zustelladresse etablierte) Lokal von SOS Mitmensch aufgesucht und nach Post gefragt". Er habe "aber niemals einen Verständigungszettel ausgehändigt erhalten". Anlässlich seiner Einvernahme durch die Fremdenpolizei am 1. Februar 2005 habe er erstmals von der (angeblich) rechtskräftigen negativen Erledigung seines Asylantrages erfahren. Es sei "daher wahrscheinlich", dass ihm der Bescheid des Bundesasylamtes "mangels dieses Verständigungszettels noch nicht zugestellt wurde". Er stelle "sicherheitshalber" auch den (verfahrensgegenständlichen) Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Nach Zitierung des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG brachte der Beschwerdeführer dazu noch vor, es sei für ihn unabwendbar gewesen, dass er "keinen Verständigungszettel erhalten habe". Gleichzeitig wurde Berufung gegen den eingangs erwähnten Bescheid des Bundesasylamtes erhoben.

Mit Bescheid vom (richtig) 21. Februar 2005 wies das Bundesasylamt diesen Wiedereinsetzungsantrag ab. Begründend führte es im Wesentlichen aus, der Wiedereinsetzungsantrag beziehe sich "allein auf einen Zustellmangel". Einerseits habe ein solcher nicht festgestellt werden können. Die Gültigkeit des Zustellvorganges ergebe sich insbesondere aus dem Inhalt des Rückscheines; ein Gegenbeweis liege nicht vor. Andererseits habe der Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht, dass ein Wiedereinsetzungsgrund vorliege. "Diffuse mögliche andere Gründe" als das Fehlverhalten des Postbediensteten, die der Beschwerdeführer "nicht genau bezeichnet" habe, könnten "keiner konkreten Beurteilung unterliegen". Ein Zustellmangel bilde aber keinen Wiedereinsetzungsgrund, weil "bei mangelhafter Zustellung die (versäumte) Frist nicht zu laufen begänne."

In der Berufung gegen diesen Bescheid hielt der Beschwerdeführer der Begründung des Erstbescheides (u.a.) entgegen, er habe "trotz Aufbietung der notwendigen Sorgfalt die Verständigung nicht erhalten", und er bemängelte in diesem Zusammenhang die Unterlassung seiner Einvernahme und von Ermittlungen an der damaligen Zustelladresse.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 16. März 2005 wies die belangte Behörde die Berufung gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages gemäß § 71 Abs. 1 AVG ab (Spruchpunkt 1.) und die Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. Oktober 2004 gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurück (Spruchpunkt 2.).

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

1. Zur Zurückweisung der Berufung:

Die belangte Behörde ging - wie die Erstbehörde - aufgrund des Inhaltes des Rückscheines, wonach die Ankündigung des zweiten Zustellversuches und die Verständigung über die Hinterlegung an der "Abgabestelle" zurückgelassen worden seien, von der Wirksamkeit der Zustellung durch postamtliche Hinterlegung des Bescheides des Bundesasylamtes vom 8. Oktober 2004 aus. Das Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren sei zur Widerlegung dieser Annahme nicht geeignet. Die belangte Behörde hege daher keinen Zweifel daran, dass der erstinstanzliche Asylbescheid ordnungsgemäß durch Hinterlegung zugestellt worden sei. Ausgehend von der Zustellung des Bescheides am 16. Oktober 2004 erweise sich die erst am 15. Februar 2005 eingebrachte Berufung als verspätet und sei daher zurückzuweisen.

Der auf die Beurkundungen am Rückschein gestützten beweiswürdigenden Einschätzung der belangten Behörde, es seien im vorliegenden Fall beim Zustellvorgang die maßgeblichen Vorschriften über die erforderliche Zurücklassung der genannten Verständigungen an der Abgabestelle (§ 21 Abs. 2 iVm § 17 Abs. 2 ZustG) eingehalten worden, tritt die Beschwerde nicht konkret entgegen. Sie wiederholt lediglich die Behauptung, der Beschwerdeführer habe "aus einem Fehler der Postzustellung keinerlei Benachrichtigung bzw. Verständigung über das für ihn so wichtige Schriftstück" erhalten, und sie spricht auch an anderer Stelle bloß ganz allgemein von einem "Fehler in der Zustellung der Verständigungszettel". Vor dem Hintergrund des weiteren Vorbringens, für den Beschwerdeführer sei nicht nachvollziehbar, "ob die Hinterlegungsanzeige durch einen Fehler des Zustellorganes oder SOS Mitmensch in Verlust geraten" sei, vermag die Beschwerde die Schlüssigkeit der auf den Inhalt des Rückscheines gestützten Beweiswürdigung - auf der Basis des bisherigen Ermittlungsstandes -

nicht zu erschüttern und das Beschwerdevorbringen ist auch nicht geeignet, in Bezug auf die nicht vorgenommene Vernehmung des Beschwerdeführers einen relevanten Verfahrensmangel darzutun.

Für die Frage der von Amts wegen zu prüfenden Wirksamkeit der hier in Rede stehenden Zustellung hätte die belangte Behörde aber dem Umstand Bedeutung zumessen müssen, dass der Beschwerdeführer den Auskünften aus dem zentralen Melderegister zufolge an der Zustellanschrift als "obdachlos" gemeldet war (vgl. § 19a  iVm § 1 Abs. 9 MeldeG). Davon ausgehend hätte die belangte Behörde Überlegungen dahin anzustellen gehabt, ob die Hinterlegung der Sendung bei dem für die Zustellanschrift zuständigen Postamt Zustellwirkung im Sinne des § 17 ZustG entfalten konnte. Da die Aktenlage lediglich auf das Vorhandensein einer "Kontaktstelle" im Sinne des § 19a Abs. 1 Z 2 Meldegesetz hindeutete, hätte es zur Klärung der Frage, ob es sich dabei auch um eine Abgabestelle iSd ZustG handelt, daher zunächst einer Überprüfung der Voraussetzungen des § 19a Abs. 2 MeldeG bedurft, die nicht vorgenommen wurde. Insofern (und hinsichtlich der je nach Beantwortung dieser Frage anzustellenden weiteren Erwägungen) gleicht der vorliegende Beschwerdefall jenem, der mit dem hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2005, Zl. 2003/01/0621, entschieden worden ist. Auf dessen Entscheidungsgründe wird deshalb gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen (vgl. daran anschließend etwa auch die Erkenntnisse vom 30. Juni 2005, Zl. 2005/20/0166, und vom 1. September 2005, Zl. 2005/20/0353, und Zl. 2005/20/0289, sowie zuletzt das Erkenntnis vom 17. Oktober 2006, Zl. 2005/20/0246).

2. Zum Wiedereinsetzungsantrag:

Maßgeblich für die zur Fristversäumung führende Unkenntnis des Beschwerdeführers von der Zustellung des Bescheides durch Hinterlegung beim zuständigen Postamt war nach dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag, dass dem Beschwerdeführer anlässlich des regelmäßigen Aufsuchens des an der Zustelladresse befindlichen Lokals von SOS-Mitmensch - trotz Frage nach der für ihn eingelangten Post - niemals ein "Verständigungszettel" (gemeint:

die Ankündigung des zweiten Zustellversuches und die Verständigung von der Hinterlegung) ausgehändigt worden sei.

Soweit dafür vom Beschwerdeführer als mögliche Begründung ein gesetzwidriger Fehler hinsichtlich der gebotenen Zurücklassung dieser Verständigungen an der "Kontaktstelle" in Betracht gezogen wird, betrifft das die - unter Punkt 1. behandelte - Frage der Wirksamkeit der Zustellung. Läge aber eine unwirksame Zustellung vor, so könnte der Wiedereinsetzungsantrag - mangels Versäumung einer Frist - jedenfalls nicht erfolgreich sein (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa das Erkenntnis vom 29. März 2001, Zl. 2000/20/0545, und den zu § 46 VwGG ergangenen Beschluss vom 20. Mai 1999, Zl. 99/20/0069; siehe zum Ganzen auch das Erkenntnis vom 23. März 2001, Zlen. 98/19/0014, 0095).

Damit steht die Auffassung der belangten Behörde im Einklang, nur die Unkenntnis von einer gesetzmäßigen Zustellung könne einen Wiedereinsetzungsgrund bilden. Verneine daher der Wiedereinsetzungswerber - so die belangte Behörde wörtlich - "also gleichsam selbst", dass er säumig sei, weil ihm "der die Frist auslösende Bescheid" noch gar nicht zugestellt worden sei, komme schon deshalb die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht.

Ergibt sich aber - wovon die Asylbehörden bisher ausgegangen sind - die Wirksamkeit der in Frage stehenden Zustellung, dann kommt dem (zur Begründung eines Wiedereinsetzungsantrages grundsätzlich geeigneten) Vorbringen des Beschwerdeführers maßgebliche Bedeutung zu, ihm seien die genannten Verständigungen trotz seiner regelmäßigen Nachfragen von den in der Kontaktstelle tätigen Mitarbeitern von SOS-Mitmensch nicht ausgehändigt worden. Die belangte Behörde hat diese Behauptung des Beschwerdeführers keiner Beweiswürdigung unterzogen, sodass sie der Beurteilung zugrunde zu legen war. Davon ausgehend bliebe aber als mögliche Erklärung für die Nichtaushändigung von (vom Zusteller zurückgelassenen) Verständigungen nur ein Fehler im Bereich der Mitarbeiter der "Kontaktstelle", der dem Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt eines die Wiedereinsetzung hindernden Verschuldens nicht zuzurechnen wäre. Schon deshalb gehen die Meinung des Bundesasylamtes, es handle sich insoweit um "diffuse mögliche andere Gründe", und die Auffassung der belangten Behörde, das "vage, völlig unsubstantiierte Vorbringen", wonach der Beschwerdeführer die Ursache für die Nichtaushändigung nur vermuten könne, genüge nicht zur Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes, am Thema vorbei. Entscheidungswesentlich wäre vielmehr gewesen, ob dem Beschwerdeführer selbst vorzuwerfen ist, ihn treffe ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden daran, dass er von der Hinterlegung des über seinen Asylantrag absprechenden Bescheides des Bundesasylamtes vom 8. Oktober 2004 keine Kenntnis erhalten hatte. Maßgeblich ist dafür die Sicht des Wiedereinsetzungswerbers (vgl. dazu zuletzt das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 2006, Zl. 2005/20/0003). Ein solches Verschulden hat die belangte Behörde aber weder angenommen, noch bietet das Vorbringen des Beschwerdeführers dafür konkrete Anhaltspunkte.

Die belangte Behörde hätte daher das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag nicht als von vornherein unzureichend ansehen dürfen, sondern dazu Ermittlungen anstellen müssen, was die Beschwerde im Ergebnis zutreffend aufzeigt.

3. Demnach war der angefochtene Bescheid zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren findet darin keine Deckung.

Wien, am 23. November 2006

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verfahrensbestimmungen Berufungsbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005200346.X00

Im RIS seit

01.02.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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