TE Vwgh Erkenntnis 2008/10/23 2008/21/0511

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Veröffentlicht am 23.10.2008
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §10 Abs2;
AVG §58 Abs2;
B-VG Art130 Abs2;
FrPolG 2005 §11 Abs1;
FrPolG 2005 §11 Abs2;
FrPolG 2005 §11 Abs6;
FrPolG 2005 §21 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §21 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §21 Abs4;
FrPolG 2005 §21 Abs5 Z2;
FrPolG 2005 §21 Abs5 Z3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
ZustG §9 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde der N K, geboren 1974, vertreten durch Dr. Martina Zadra, Rechtsanwältin in 1190 Wien, Döblinger Hauptstraße 48, gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft Ankara vom 21. Mai 2008, ohne Geschäftszahl, betreffend Versagung eines Visums, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.211,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine türkischer Staatsangehörige, stellte am 31. März 2008 bei der österreichischen Botschaft in Ankara den formularmäßigen Antrag auf Erteilung eines "Schengen-Visums" für die Dauer von dreißig Tagen. Der Reisezweck wurde zwar im Antrag nicht angegeben, doch war offenbar der Besuch des einladenden, im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft befindlichen Ehepaars (Schwager der Beschwerdeführerin und dessen Ehefrau) in Wien beabsichtigt. Aus dem Antrag ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin verheiratet ist. Ihren Beruf hat sie mit Hausfrau angegeben. Mit den Antragsunterlagen legte die Beschwerdeführerin auch ein von der Beschwerdeführervertreterin an die Botschaft gerichtetes Schreiben vor. Darin teilte die Rechtsanwältin mit, dass sie die Beschwerdeführerin rechtsfreundlich vertrete. Daran anschließend erfolgten unter Bezugnahme auf den Antrag und die mit diesem vorgelegten weiteren Unterlagen ergänzende Angaben zu den Verhältnissen des einladenden Ehepaares. Danach ersuchte sie für den Fall einer negativen Entscheidung um schriftliche Ausfertigung und Zustellung an ihre Kanzlei. Das Schreiben schließt unter anderem mit dem Hinweis, dass die Rechtsanwältin "zur Rücksprache zur Verfügung" stehe.

Mit dem vorliegend angefochtenen Bescheid vom 21. Mai 2008 wies die österreichische Botschaft Ankara (die belangte Behörde) den Antrag auf Erteilung des begehrten Visums unter Verwendung eines formularmäßigen Vordrucks ab. Dabei wurde durch Ankreuzen des dafür vorgesehenen, den Gesetzestext wiedergebenden Feldes zum Ausdruck gebracht, dass die belangte Behörde die Erteilungsvoraussetzung nach § 21 Abs. 1 Z 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG für nicht erfüllt erachte, ihr somit die Wiederausreise der Beschwerdeführerin als nicht gesichert erscheine. Weiters angekreuzt wurden die Z 2 und 3 des § 21 Abs. 5 FPG. Nach diesen Gesetzesstellen stehen der Visumserteilung öffentliche Interessen entgegen, wenn der Fremde nicht über ausreichende eigene Mittel für seinen Unterhalt und die Wiederausreise verfügt und der Aufenthalt des Fremden zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die (allgemeinen) Voraussetzungen für die Erteilung von Visa finden sich in § 21 FPG. Diese Bestimmung lautet samt Überschrift - auszugsweise - wie folgt:

"Erteilung von Visa

§ 21. (1) Visa dürfen einem Fremden auf Antrag erteilt werden, wenn

1.

dieser ein gültiges Reisedokument besitzt;

2.

die Wiederausreise des Fremden gesichert erscheint;

3.

öffentliche Interessen der Erteilung des Visums nicht entgegenstehen, es sei denn, die Interessen des Fremden an der Erteilung des Visums wiegen schwerer, als die öffentlichen Interessen, das Visum nicht zu erteilen und

              4.              kein Versagungsgrund (Abs. 7) wirksam wird.

...

(4) Die Behörde hat bei der Beurteilung der nach Abs. 1 Z 3 zu treffenden Interessensabwägung jeweils vom Zweck sowie von der Dauer des geplanten Aufenthalts des Fremden ausgehend

1. auf seine persönlichen Verhältnisse, insbesondere seine familiären Bindungen, seine finanzielle Situation und gegebenenfalls die Dauer seines bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet und

2. auf öffentliche Interessen, insbesondere die sicherheitspolizeilichen und wirtschaftlichen Belange und die Volksgesundheit

Bedacht zu nehmen.

(5) Öffentliche Interessen stehen der Erteilung eines Visums insbesondere dann entgegen, wenn

...

2. der Fremde nicht über ausreichende eigene Mittel für seinen Unterhalt und für die Wiederausreise verfügt;

3. der Aufenthalt des Fremden zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte, es sei denn, diese Belastung ergäbe sich aus der Erfüllung eines vor der Einreise bestehenden gesetzlichen Anspruchs;

...

(6) Die Behörde kann einem Fremden trotz Vorliegens von Tatsachen gemäß Abs. 5 Z 1, 2 oder 3 ein Visum erteilen, wenn ... auf Grund der Verpflichtungserklärung einer Person mit Hauptwohnsitz oder Sitz im Bundesgebiet die Tragung aller Kosten gesichert erscheint, die öffentlichen Rechtsträgern durch den Aufenthalt des Fremden entstehen könnten.

..."

Die belangte Behörde begründete - wie oben dargestellt - die Versagung des Visums nur mit dem Hinweis auf die für maßgeblich angesehenen Gesetzesstellen, nämlich mit § 21 Abs. 1 Z 2 FPG einerseits und mit § 21 Abs. 5 Z 2 und 3 FPG andererseits. Das allein stellt vor dem Hintergrund der besonderen Regeln für das Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden (vgl. § 11 Abs. 2 iVm Abs. 6 letzter Satz FPG) keinen Begründungsmangel dar. Demnach genügt es nämlich, dass der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt zumindest im Akt nachvollziehbar ist (vgl. ausführlich den hg. Beschluss vom 24. Oktober 2007, Zl. 2007/21/0216).

Das trifft aber im vorliegenden Fall zunächst insofern nicht zu, als sich in den vorgelegten Akten - im Hinblick auf die dem Antrag angeschlossenen Verpflichtungserklärungen der beiden einladendenden Personen und auf die vorgelegten Nachweise ihres Einkommens (zusammen monatlich etwa EUR 2.700,-- netto bei Sorgepflicht für ein Kind und Mietwohnungskosten von ca. EUR 350,--) sowie angesichts des von der Beschwerdeführerin bescheinigten Sparguthabens (EUR 2.000,--) - keine nachvollziehbaren Anhaltspunkte für die behördlichen Annahme finden, die Beschwerdeführerin verfüge nicht über ausreichende eigene Unterhaltsmittel und es bestehe die Gefahr einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft. In diesem Sinn geht die belangte Behörde auch in der Gegenschrift - wie auch in einem an die Vertreterin der Beschwerdeführerin gerichteten Schreiben vom 16. Juni 2008 - davon aus, dass sich die Visumsversagung nur auf die nicht gesicherte Wiederausreise stütze. Im Übrigen ist noch anzumerken, dass die Nichterteilung eines Visums wegen des Entgegenstehens öffentlicher Interessen im Grunde des § 21 Abs. 1 Z 3 iVm Abs. 5 Z 2 und 3 FPG eine Abwägung mit den gegenläufigen Interessen der Beschwerdeführerin unter Bedachtnahme auf die Kriterien des Abs. 4 verlangt hätte (vgl. dazu das Erkenntnis vom 16. Juli 2008, Zl. 2007/21/0427).

Im Erkenntnis vom 20. Dezember 2007, Zl. 2007/21/0104, beschäftigte sich der Verwaltungsgerichtshof näher mit den Erteilungsvoraussetzungen nach § 21 Abs. 1 Z 2 FPG. Zunächst kann daher gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen werden. Insbesondere wurde dort zum Ausdruck gebracht, es dürfe nicht ohne Weiteres ("generell") unterstellt werden, dass Fremde - mag es auch einzelne Gesichtspunkte geben, die auf ein Naheverhältnis zu Österreich oder auf eine bloß "lockere" Verbindung zum Herkunftsland hinweisen - unter Missachtung der fremdenrechtlichen Vorschriften im Anschluss an die Gültigkeitsdauer eines Visums weiterhin in Österreich (unrechtmäßig) aufhältig bleiben werden. Es bedürfe vielmehr konkreter Anhaltspunkte in diese Richtung, andernfalls werde davon auszugehen sein, dass die Wiederausreise des Fremden gesichert erscheint. Liegen allerdings entsprechende Anhaltspunkte für den Verdacht eines Verbleibens in Österreich über die Gültigkeitsdauer des Visums hinaus vor, die die Behörde im Rahmen ihrer sich aus § 11 Abs. 1 letzter Satz FPG resultierenden Verpflichtung zur Wahrung des Parteiengehörs gegenüber dem Fremden konkret darzulegen hat, so ist es dessen Sache, die sich daraus ergebenden Bedenken durch unter Beweis zu stellendes geeignetes Vorbringen zu zerstreuen (vgl. zum Ganzen auch das Erkenntnis vom 16. Juli 2008, Zl. 2007/21/0229).

Nach der zuletzt angesprochenen Bestimmung darf eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte. In den vorgelegten Akten liegt zwar ein an die Beschwerdeführerin gerichteter formularmäßiger Vorhalt, wonach das beantragte Visum nicht erteilt werden könne, weil Grund zu der Annahme bestehe, dass sie das Bundesgebiet nach Ablauf der Gültigkeit des Visums nicht unaufgefordert verlassen werde; sie habe nämlich nicht überzeugend nachweisen können, dass sie feste familiäre, soziale oder wirtschaftliche Bindungen an ihrem derzeitigen Wohnsitz habe. Auf dem Formular findet sich der handschriftliche Vermerk "Per Post 23.04.08". Die Beschwerdeführerin bestreitet in der Beschwerde aber, dieses Schriftstück erhalten zu haben; ein Zustellnachweis existiert jedenfalls in den vorgelegten Akten nicht. Die Argumentation der belangten Behörde, auf diesen Vorhalt sei keine Reaktion erfolgt und die Beschwerdeführerin habe daher keine ausreichenden wirtschaftlichen und familiären Bindungen im Heimatland nachweisen können, hat somit keine ausreichende aktenmäßige Grundlage, zumal danach die Kenntnis der Beschwerdeführerin von dem genannten Schreiben nicht feststeht.

Ungeachtet dessen ist aber entscheidungswesentlich, dass bereits bei der Antragstellung darauf hingewiesen wurde, die Beschwerdeführerin sei durch eine Rechtsanwältin vertreten. Damit lag eine dem Gesetz entsprechende Vollmachtserklärung im Sinne des (von der belangten Behörde gemäß § 25 Abs. 2 dritter Satz FPG auch anzuwendenden) § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG vor, weshalb Rechtswirkungen auslösende Zustellungen an die Vertreterin vorzunehmen waren. Durch die Bevollmächtigung eines Rechtsanwaltes zur Vertretung im Verwaltungsverfahren wird dieser nämlich auch Zustellungsbevollmächtigter im Sinne des § 9 ZustG. Das bedeutet, dass grundsätzlich nur an diesen, nicht auch an den Vertretenen zuzustellen ist. Die Zustellung an den Vertretenen selbst ist rechtsunwirksam (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 3. Juli 2001, Zl. 2000/05/0115).

Demnach hätten der sich bereits im Zuge der Antragstellung auf die Bevollmächtigung durch die Beschwerdeführerin berufenden Rechtsanwältin nicht nur die angefochtene Enderledigung, sondern auch der Vorhalt zugestellt werden müssen. Dass von der Rechtsanwältin in dem dem Antrag beigelegten Schreiben die Zustellung einer allenfalls negativen Entscheidung ausdrücklich begehrt worden war, hat offenbar seinen Hintergrund in § 11 Abs. 2 FPG, wonach die Entscheidung nur auf Parteiantrag schriftlich auszufertigen ist. Eine Einschränkung dahin, dass nur die Entscheidung und nicht auch schon andere im Verfahren maßgeblichen Schriftstücke der Beschwerdeführerin persönlich und nicht deren Rechtsvertreterin zuzustellen seien, durfte die belangte Behörde diesem Schreiben somit nicht unterstellen. Die belangte Behörde hat demzufolge das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin verletzt. Dem kommt nach dem Beschwerdevorbringen auch Relevanz zu, weil die Beschwerdeführerin sonst auf ihre festen Bindungen an ihrem Wohnsitz hingewiesen und ein Rückreiseticket vorgelegt hätte (vgl. dazu das schon erwähnte Erkenntnis Zl. 2007/21/0427, mwN).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen des aufgezeigten Verfahrensmangels gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 6 VwGG abgesehen werden.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 23. Oktober 2008

Schlagworte

Ermessen besondere RechtsgebieteVertretungsbefugnis Inhalt Umfang ZustellungErmessen VwRallg8Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelBesondere RechtsgebieteParteiengehör

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2008210511.X00

Im RIS seit

24.11.2008

Zuletzt aktualisiert am

27.06.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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