TE Vwgh Erkenntnis 2008/6/19 2007/21/0229

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Veröffentlicht am 19.06.2008
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §58 Abs2;
FrPolG 2005 §11 Abs1;
FrPolG 2005 §11 Abs2;
FrPolG 2005 §11 Abs6;
FrPolG 2005 §21 Abs1 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des R, vertreten durch Dr. Norbert Wess, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Himmelpfortgasse 20/2, gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft Tunis vom 5. März 2007, Zl. 415.00/30/2007, betreffend Versagung eines Visums, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein tunesischer Staatsangehöriger, stellte am 22. Dezember 2006 bei der österreichischen Botschaft in Tunis den formularmäßigen Antrag auf Erteilung eines "Schengen-Visums" für die Dauer einer Woche zum Zweck des Besuchs seiner - 1996 geborenen, unehelichen und bei der Mutter in Wien lebenden - Tochter. Er legte dazu diverse Unterlagen vor, unter anderem Bestätigungen über Hotel- und Flugbuchungen und über den Abschluss einer Krankenversicherung sowie Einkommensnachweise aus seiner Tätigkeit als Fotograf, das Vaterschaftsanerkenntnis und einen Bescheid vom 20. Juli 2005, mit dem der Familienname seiner Tochter auf jenen des Beschwerdeführers geändert wurde.

Nach Einholung einer - sich allerdings nicht in den vorgelegten Akten befindlichen - Stellungnahme des Bundesministeriums für Inneres vom 1. März 2007 wies die österreichischen Botschaft Tunis (die belangte Behörde) mit dem angefochtenen Bescheid vom 5. März 2007 den Antrag auf Erteilung des begehrten Visums unter Verwendung eines formularmäßigen Vordrucks ab. Dabei wurde durch Ankreuzen des dafür vorgesehenen, den Gesetzestext wiedergebenden Feldes zum Ausdruck gebracht, dass die belangte Behörde die Erteilungsvoraussetzung nach § 21 Abs. 1 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG als nicht erfüllt erachtete. Abschließend führte die belangte Behörde (wiederholend) schlagwortartig noch aus: "Die Wiederausreise erscheint nicht gesichert; infolgedessen erfolgt Ablehnung."

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Der erwähnte § 21 FPG enthält unter anderem die (allgemeinen) Voraussetzungen für die Erteilung von Visa. Die von der belangten Behörde zur Begründung ihrer ablehnenden Entscheidung herangezogene Bestimmung lautet:

"Erteilung von Visa

§ 21. (1) Visa dürfen einem Fremden auf Antrag erteilt werden, wenn

(...)

2. die Wiederausreise des Fremden gesichert erscheint;"

Die belangte Behörde begründete - wie oben dargestellt - die Versagung des Visums nur mit dem Hinweis auf diese Gesetzesstelle in Verbindung mit der Wiedergabe von deren Inhalt. Das allein stellt zwar vor dem Hintergrund der besonderen Regeln für das Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden (vgl. § 11 Abs. 2 iVm Abs. 6 letzter Satz FPG) noch keinen Begründungsmangel dar, weil es danach genügt, dass der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt zumindest im Akt nachvollziehbar ist (vgl. ausführlich den hg. Beschluss vom 24. Oktober 2007, Zl. 2007/21/0216). Das trifft aber im vorliegenden Fall nicht zu, weil sich in den vorgelegten Akten kein nachvollziehbarer Anhaltspunkt für die behördliche Annahme findet, die Wiederausreise des Beschwerdeführers erscheine nicht gesichert.

In der Gegenschrift führt die belangte Behörde nunmehr diesbezüglich ergänzend aus, der Beschwerdeführer habe als Fotograf "auf privater Basis" weder eine "dauerhafte Arbeit" noch ein ausreichendes Einkommen nachweisen können. Eine Befragung der Kindesmutter durch die Fremdenpolizeibehörden habe ergeben, dass diese zwar ein Zusammentreffen des Beschwerdeführers mit der Tochter gestatte, dass sie aber keinesfalls für dessen Unterhalt aufkäme und auch nicht "für dessen Wiederausreise garantieren" könne. Davon ausgehend habe sich das Bundesministerium für Inneres gegenüber der belangten Behörde dahin geäußert, dass die Wiederausreise des Beschwerdeführers nicht gesichert sei. Die belangte Behörde sei daher insbesondere aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer keine ausreichenden beruflichen Bindungen zum Heimatland habe nachweisen können und dass die Kindesmutter ausdrücklich angegeben habe, sie könne für die Wiederausreise des Beschwerdeführers nicht garantieren, zu dem berechtigten Schluss gelangt, der "Versagungsgrund" des § 21 Abs. 1 Z 2 FPG liege vor.

Soweit die belangte Behörde nunmehr mit Bedenken in Bezug auf die finanziellen Mittel des Beschwerdeführers argumentiert, ist ihr zu erwidern, dass deren Fehlen nach der Bescheidbegründung nicht als Abweisungsgrund herangezogen wurde. Im Übrigen ist das diesbezügliche Vorbringen in der Gegenschrift mangels konkreter Auseinandersetzung mit der Höhe des Einkommens und vorhandener Barmittel des Beschwerdeführers nicht nachvollziehbar, zumal es ja nur um die Finanzierung eines einwöchigen Aufenthalts und der Kosten für den Rückflug ging und der Beschwerdeführer diesbezüglich - so auch das Zugeständnis in der Gegenschrift - Buchungsbestätigungen vorgelegt hatte.

Im Erkenntnis vom 20. Dezember 2007, Zl. 2007/21/0104, beschäftigte sich der Verwaltungsgerichtshof näher mit der Erteilungsvoraussetzung nach § 21 Abs. 1 Z 2 FPG. Zunächst kann daher gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen werden. Insbesondere wurde dort zum Ausdruck gebracht, es dürfe nicht ohne Weiteres ("generell") unterstellt werden, dass Fremde - mag es auch einzelne Gesichtspunkte geben, die auf ein Naheverhältnis zu Österreich oder auf eine bloß "lockere" Verbindung zum Herkunftsland hinweisen - unter Missachtung der fremdenrechtlichen Vorschriften im Anschluss an die Gültigkeitsdauer eines Visums weiterhin in Österreich (unrechtmäßig) aufhältig bleiben werden. Es bedürfe vielmehr konkreter Anhaltspunkte in diese Richtung, andernfalls werde davon auszugehen sein, dass die Wiederausreise des Fremden gesichert erscheint (vgl. in diesem Sinne im Anschluss an die genannte Entscheidung auch das Erkenntnis vom 7. Februar 2008, Zl. 2007/21/0207). Liegen allerdings entsprechende Anhaltspunkte für den Verdacht eines Verbleibens in Österreich über die Gültigkeitsdauer des Visums hinaus vor, die die Behörde im Rahmen ihrer sich aus § 11 Abs. 1 letzter Halbsatz FPG resultierenden Verpflichtung zur Wahrung des Parteiengehörs gegenüber dem Fremden konkret darzulegen hat, so ist es dessen Sache, die sich daraus ergebenden Bedenken durch unter Beweis zu stellendes geeignetes Vorbringen zu zerstreuen.

Nun ist die belangte Behörde - wie in der Beschwerde zu Recht gerügt wird - aber schon dieser Verpflichtung zum konkreten Vorhalt der (ihrer Meinung nach den in Aussicht genommenen Abweisungsgrund verwirklichenden) Sachverhaltselemente nicht nachgekommen und hat insofern das Parteiengehör verletzt. Die belangte Behörde hätte dem Beschwerdeführer nämlich vorhalten müssen, aus welchen konkreten Gründen sie davon ausgehe, seine Wiederausreise aus Österreich erscheine nicht gesichert, sodass dem Beschwerdeführer in der ihm einzuräumenden abschließenden Stellungnahme eine darauf Bezug nehmende Erwiderung möglich gewesen wäre (vgl. den schon erwähnten Beschluss vom 24. Oktober 2007, Zl. 2007/21/0216). Einen solchen Vorhalt, dem vor dem Hintergrund der den österreichischen Vertretungsbehörden eingeräumten Begründungserleichterung besondere Bedeutung zukommt, hat die belangte Behörde aber in Verletzung maßgeblicher Verfahrensvorschriften unterlassen.

Soweit die belangte Behörde eine mangelnde beruflichen Verankerung des Beschwerdeführers in seinem Heimatland wegen seiner Tätigkeit als selbständiger Fotograf ("auf privater Basis") unterstellte, ist diese Überlegung für sich genommen zur Begründung des in Rede stehenden Abweisungsgrundes aber auch nicht tragfähig. Konkrete Indizien dafür, dass der Beschwerdeführer diese Tätigkeit in seinem Heimatland aufgeben und seinen Aufenthalt in Österreich zur Arbeitsaufnahme nützen hätte wollen, bestehen nach der Aktenlage nämlich nicht. Vielmehr verfügte der Beschwerdeführer in Österreich - außer zu seiner damals elfjährigen Tochter - offenbar über keine Anknüpfungspunkte, die ihm einen Aufenthalt über die Visumsdauer hinaus, oder gar die Verlegung seines Lebensmittelpunktes, hätten ermöglichen oder erleichtern können. Die belangte Behörde zeigte auch nicht auf, dass der Beschwerdeführer etwa die im Antrag angeführte Wohnung in seiner Heimatstadt aufgegeben hätte und dort über keine familiären Anknüpfungspunkte mehr verfügte. Vielmehr ging die belangte Behörde selbst davon aus, dass der Beschwerdeführer Hin- und Rückflug gebucht habe, was gegen die Absicht des Beschwerdeführers sprach, er hätte nicht wieder rechtzeitig ausreisen wollen (vgl. zur Präsentation eines "Rückkehrtickets" das Erkenntnis vom 22. Mai 2007, Zl. 2006/21/0117, und darauf Bezug nehmend das schon erwähnte Erkenntnis vom 20. Dezember 2007, Zl. 2007/21/0104).

Für die gegenteilige Auffassung der belangten Behörde lässt sich aber - anders als sie in der Gegenschrift meint - schließlich auch aus der Aussage der Kindesmutter, "sie" könne für die Wiederausreise des Beschwerdeführers "nicht garantieren", nichts gewinnen. Abgesehen davon, dass diese Person in der vorliegenden Konstellation eine derartige Verpflichtung nicht trifft, hätte es auch insoweit konkreterer Hinweise bedurft, aus denen sich ein mangelnder Rückkehrwille des Beschwerdeführers hätten ableiten lassen. Derartige Umstände - das sei wiederholt - wären dem Beschwerdeführer im Übrigen auch nach § 11 Abs. 1 letzter Halbsatz FPG in ausreichend bestimmter Weise vorzuhalten gewesen.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen der aufgezeigten Verfahrens- und Begründungsmängel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Abschließend ist zur formularmäßigen Rechtsmittelbelehrung des bekämpften Bescheides noch darauf hingewiesen, dass gegen Bescheide der österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten - abgesehen von der für begünstigte Drittstaatsangehörige vorgesehenen Berufungsmöglichkeit an den unabhängigen Verwaltungssenat nach § 9 Abs. 4 FPG - nicht nur Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, sondern gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG (bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen) auch an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden kann.

Wien, am 19. Juni 2008

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelBegründung BegründungsmangelBesondere RechtsgebieteParteiengehör

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2007210229.X00

Im RIS seit

23.07.2008

Zuletzt aktualisiert am

28.12.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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