TE Vfgh Erkenntnis 2004/12/2 V37/04

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Veröffentlicht am 02.12.2004
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art18 Abs2
Halte- und ParkverbotsV der Gemeinde Ried im Innkreis vom 12.12.97
StVO 1960 §94f Abs1

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit der Erlassung eines Halte- und Parkverbots in Ried im Innkreis wegen Unterlassung der gesetzlich gebotenen Anhörung der betroffenen gesetzlichen Interessenvertretungen

Spruch

Die Verordnung des Gemeinderates Ried im Innkreis vom 12. Dezember 1997, Zl. Bau R1-153-0/06/97/Ing.Rans/Die, mit der gemäß §52 Z13b StVO 1960 an der Nordwestseite des Kirchenplatzes vor den Häusern Nr. 5 bis Nr. 8 ein Halte- und Parkverbot, ausgenommen Ladetätigkeit, erlassen wurde, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die oberösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Ried im Innkreis hat am 12. Dezember 1997, Zl. Bau R1-153-0/06/97/Ing.Rans/Die, eine Verordnung mit folgendem Inhalt erlassen:

"Gemäß §§40 Abs2 Zif. 4 und 43 Abs1 OÖ. Gemeindeordnung 1990 sowie §§43 Abs1 litb und 94d Zif. 4 StVO 1960 i.d.g.F. wird verordnet:

An der Nordwestseite des Kirchenplatzes wird vor den Häusern Nr. 5 bis Nr. 8 ein Halte- und Parkverbot gem. §52 Zif. 13b StVO 1960 i. d.g.F. angeordnet. Ausgenommen von diesem Halte- und Parkverbot sind Ladetätigkeiten. Das Halte- und Parkverbot gilt ganztags.

Der beiliegende Lageplan Nr. 13/97 wird zum wesentlichen Bestandteil der Verordnung erklärt.

Die Kundmachung dieser Verordnung erfolgt gemäß §44 StVO 1960 i.d.g.F. durch Anbringung des o.a. Verkehrszeichens und tritt mit dessen Anbringung in Kraft.

Die Ausnahme dieser Verkehrsmaßnahme ('ausgenommen Ladetätigkeit') wird auf einer Zusatztafel gemäß §54 StVO 1960 i. d.g.F. kundgemacht."

2. In dem zu B101/04 beim Verfassungsgerichtshof protokollierten Verfahren wurde über den Beschwerdeführer mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 13. August 2002, Zl. VerkR96-3417-2002-Fs, gemäß §24 Abs1 lita iVm.

§99 Abs3 lita StVO 1960 eine Geldstrafe von € 50,-- verhängt, weil er am 12. Februar 2002 zwischen 7.55 Uhr und 8.18 Uhr seinen PKW mit dem behördlichen Kennzeichen BR OLI 1 im Ortsgebiet von Ried im Innkreis auf der Höhe des Objektes Kirchenplatz 6 im Bereich des Vorschriftszeichens "Halten und Parken verboten" mit der Zusatztafel "ausgenommen Ladetätigkeiten" abgestellt habe, obwohl weder eine Ladetätigkeit durchgeführt worden sei, noch ein kurzes Halten zum Aus- und Einsteigen stattgefunden habe.

Mit Erkenntnis des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 28. November 2003, Zl. VwSen-108540/17/Kei/Ri, wurde die Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis in vollem Umfang bestätigt.

3. In seiner zu B101/04 eingebrachten Beschwerde bringt der Beschwerdeführer die Gesetzwidrigkeit der seiner Bestrafung zugrundeliegenden Verordnung vor und begründet dies ua. damit, dass die belangte Behörde bei der Erlassung der Verordnung weder geprüft habe, ob die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, noch habe sie darauf geachtet, dass ein entsprechendes Ermittlungsverfahren iSd.

§94d StVO 1960 und des §94f StVO 1960 durchgeführt werde.

Der Gemeinderat habe sich ferner auf §43 Abs1 litb StVO 1960 gestützt. Diese Bestimmung setze voraus, dass eine derartige Verkehrsbeschränkung für die Ordnung des ruhenden Verkehrs erforderlich sei. Auf dem von der Verordnung betroffenen Straßenabschnitt seien zumeist Privatfahrzeuge geparkt, fallweise sogar den ganzen Tag über. Nach den Angaben des Beschwerdeführers gebe es im Bereich des Halteverbots nur ein einziges Unternehmen, das (ein- bis zweimal pro Woche) Ladetätigkeiten durchführe. Die Verordnung stütze sich zu Unrecht auf §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960; im vorliegenden Fall sei die Bestimmung des §43 Abs1 litc StVO 1960 einschlägig, weil die Verordnung aufgrund der wirtschaftlichen Interessen der umliegenden Unternehmen erlassen worden sei. Der Verordnungsgeber habe auch jegliche Interessenabwägung unterlassen und keine zweijährliche Überprüfung der Verordnung iSd. §96 Abs2 StVO 1960 durchgeführt.

Außerdem behauptet der Beschwerdeführer die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz.

4. Aus Anlass der angeführten Beschwerde beschloss der Verfassungsgerichtshof am 9. Juni 2004, gemäß Art139 Abs1 B-VG die Gesetzmäßigkeit der im Spruch genannten Verordnung von Amts wegen zu prüfen. Bedenken äußerte der Verfassungsgerichtshof bereits dahingehend, dass die gesetzlichen Interessenvertretungen der Berufsgruppen, deren Interessen durch die Einrichtung der betreffenden Halte- und Parkverbotszone berührt werden, vor der Erlassung der Verordnung nicht gehört wurden und dass eine "ganztägige" Ladezone nicht erforderlich ist.

Die Bedenken ob des gesetzmäßigen Zustandekommens der Verordnung im Hinblick auf §94f StVO 1960 begründete der Verfassungsgerichtshof wie folgt:

"In seiner Rechtsprechung zu §94f StVO 1960 hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt festgestellt, dass nur Umstände, welche die Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe 'in spezifischer Weise' durch eine straßenpolizeiliche Verordnung berührt erscheinen lassen, die Anhörungspflicht gemäß §94f Abs1 StVO 1960 begründen. Insoweit Mitglieder einer Berufsgruppe hingegen 'ebenso wie alle anderen Verkehrsteilnehmer' durch eine straßenpolizeiliche Verordnung betroffen sind, wird nicht bewirkt, dass die Mitglieder der Berufsgruppe im Sinne des §94f Abs1 StVO 1960 spezifisch 'berührt werden'. (vgl. VfSlg. 14051/1995, 14439/1996).

(...)

In VfSlg. 15469/1999 erachtete der Verfassungsgerichtshof die Interessen der von der Wirtschaftskammer und der Kammer für Arbeiter und Angestellten vertretenen Berufsgruppen durch ein Halte- und Parkverbot in einer Wiener Geschäftsstraße für 'spezifisch berührt' im Sinne des §94f StVO 1960.

3.1. Eine ebensolche spezifische Berührung der Interessen nimmt der Verfassungsgerichtshof vorläufig auch bei der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Verordnung ('Ladezone') an. Zum Einen werden sogenannte 'Ladezonen' üblicherweise speziell für den Bedarf der umliegenden Gewerbebetriebe eingerichtet (vgl. zB VfSlg. 15469/1999), zum Anderen bewirkt ein solches Halte- und Parkverbot in spezifischer Weise auch eine Beschränkung der Zufahrts- und Parkmöglichkeiten für Kunden dieser Betriebe, zumal die Verordnung nur das Halten für eine konkrete Ladetätigkeit erlaubt und jedes darüber hinausgehende Parken verbietet.

3.2. Nicht nur die Einschränkung der Parkmöglichkeiten für Kunden der umliegenden Gewerbebetriebe, sondern auch die konkrete Ausgestaltung des zeitlichen und örtlichen Umfangs der Ladezone betrifft nach vorläufiger Auffassung des Verfassungsgerichtshofes die Interessen der gewerblichen Wirtschaft in spezifischer Weise. Ob es angesichts der Bedürfnisse der gewerblichen Betriebe (in Abwägung mit den sonstigen Verkehrsverhältnissen) tatsächlich erforderlich war, das in Rede stehende Halte- und Parkverbot mit Wirksamkeit für Tages- und Nachtzeit zu verordnen, oder ob - wie vom Beschwerdeführer releviert - auch eine eingeschränkte Geltungsdauer für den Zweck der beabsichtigten 'Ladezone' ausreichend gewesen wäre, ist eine Frage, die mit den spezifischen Interessen dieser Personengruppe bei Erlassung einer sogenannten 'Ladezone' untrennbar verknüpft ist.

3.3. Da die zuständige gesetzliche Interessenvertretung vor Erlassung der Verordnung nicht angehört worden sein dürfte, scheint die Verordnung nach vorläufiger Auffassung des Verfassungsgerichtshofes aufgrund der Nichteinhaltung des §94f Abs1 litb Z2 StVO 1960 an Gesetzwidrigkeit zu leiden."

5. Die Stadtgemeinde Ried im Innkreis führt in ihrer Äußerung vom 17. August 2004 aus, dass die Verordnung vom 12. Dezember 1997, Zl. Bau R1-153-0/06/97/Ing.Rans/Die, auf einer Vorgängerverordnung vom 12. Dezember 1986 beruhe, wobei diese wiederum auf eine Verordnung vom 19. November 1982 zurückgehe. Da die Akten infolge Zeitablaufs skartiert worden wären, sei nicht mehr nachvollziehbar, ob seinerzeit die Arbeiter- und die Wirtschaftskammer um Stellungnahme ersucht worden wären. Für die derzeit geltende Verordnung aus dem Jahr 1997 sei dies jedenfalls nicht geschehen. Die Neuerlassung der Ladezone sei erforderlich geworden, weil die Innenstadtplätze aufgrund eines Architektenwettbewerbes eine neue Gestaltung erfahren hätten; diese basiere auf den Vorschlägen eines Citymanagementverfahrens. In diesem Verfahren seien die Interessenvertretungen zwar einbezogen worden, es existiere aber keine Niederschrift darüber.

6. Die Oberösterreichische Landesregierung schließt sich in ihrer Äußerung vom 12. September 2004 den Ausführungen der Stadtgemeinde Ried im Innkreis an.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof erkennt gemäß Art139 Abs1 B-VG über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen.

2. Die eingangs wiedergegebenen Bedenken des Verfassungsgerichtshofes sind im Verordnungsprüfungsverfahren nicht entkräftet worden.

3. Die vorläufig getroffenen Annahmen des Verfassungsgerichtshofes, welche im Punkt 3.1. und im ersten Satz des Punktes 3.2. des Prüfungsbeschlusses dargelegt werden, treffen zu. Auf das im zweiten Satz des Punktes 3.2. des Prüfungsbeschlusses geäußerte Bedenken war schon aus diesem Grund nicht mehr einzugehen.

4. Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner Auffassung, dass die zuständigen gesetzlichen Interessenvertretungen (Kammer für Arbeiter und Angestellte, Wirtschaftskammer) vor Erlassung der in Prüfung gezogenen Verordnung angehört werden hätten müssen, weil die Interessen ihrer Mitglieder in spezifischer Weise von der Verordnung berührt werden (vgl. VfSlg. 5784/1968, 9818/1983, 11920/1988, 13783/1994, 14053/1995, 15469/1999).

Selbst bei der Aufhebung einer straßenpolizeilichen Verordnung und ihrer darauffolgenden unveränderten Neuerlassung ist es möglich, dass eine gesetzliche Interessenvertretung aufgrund der Erfahrung, welche ihre Mitglieder mit einer derartigen Verordnung gemacht haben, im Zuge der Neuerlassung einen von ihrer früheren Stellungnahme abweichenden Standpunkt vertritt (VfSlg. 15469/1999).

Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass keine der in Betracht kommenden gesetzlichen Interessenvertretungen nachweislich jemals zur Erlassung der Halte- und Parkverbotszone, welche durch die in Prüfung gezogene Verordnung bewirkt wurde, gehört wurde.

5. Das Verordnungserlassungsverfahren entspricht daher nicht dem §94f Abs1 StVO 1960. Die Verordnung war schon aus diesem Grund als gesetzwidrig aufzuheben.

6. Die Verpflichtung zur Kundmachung des Ausspruches des Verfassungsgerichtshofes stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.

7. Dies konnte vom Verfassungsgerichtshof ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Beratung gemäß §19 Abs4 VfGG beschlossen werden.

Schlagworte

Straßenpolizei, Halte(Park-)Verbot, Verordnungserlassung, Anhörungsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:V37.2004

Dokumentnummer

JFT_09958798_04V00037_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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