TE Vfgh Erkenntnis 2005/6/13 B65/05

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Veröffentlicht am 13.06.2005
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art6 Abs2
EMRK Art6 Abs3 litd
EMRK Art7
DSt 1990 §1
RAO §9 Abs2

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen Verletzung der Verschwiegenheitspflicht; ausreichende Konkretisierung des Tatvorwurfes; keine Verletzung der Unschuldsvermutung, keine Verletzung des Grundsatzes des fair trial und der Waffengleichheit im Prozess

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 7. November 2003 wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt:

"er hat am 13.12.2000 anlässlich seiner Zeugenvernehmung vor dem Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern als Finanzstrafbehörde erster Instanz als ehemaliger Partner der Kanzleigemeinschaft ... über die Übergabe eines Kuverts durch Dr. J M, ..., an die Kanzlei ... und über die angebliche Herkunft und den angeblichen Verwendungszweck des Kuvertinhalts ausgesagt, und damit die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht verletzt."

Er habe dadurch das Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung begangen. Im Hinblick auf das verurteilende Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 7. November 2001 wurde von der Verhängung einer Zusatzstrafe abgesehen.

2. Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (in der Folge: OBDK) gab den dagegen erhobenen Berufungen des Kammeranwaltes und des Beschwerdeführers mit Erkenntnis vom 25. Oktober 2004 keine Folge.

3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

4. Die OBDK als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende §9 Abs2 Rechtsanwaltsordnung (in der Folge: RAO) lautet:

"§9. (1) ...

(1a) ...

(2) Der Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit über die ihm anvertrauten Angelegenheiten und die ihm sonst in seiner beruflichen Eigenschaft bekanntgewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse seiner Partei gelegen ist, verpflichtet. Er hat in gerichtlichen und sonstigen behördlichen Verfahren nach Maßgabe der verfahrensrechtlichen Vorschriften das Recht auf diese Verschwiegenheit."

1.2. Die Beschwerde behauptet, der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende §9 Abs2 RAO widerspreche dem Klarheitsgebot iSd. Art7 EMRK. §9 Abs2 RAO unterscheide im Wesentlichen zwei Anwendungsfälle: Einerseits die sogenannten anvertrauten Angelegenheiten, anderseits Tatsachen, die dem Rechtsanwalt in seiner beruflichen Eigenschaft bekannt geworden seien, deren Geheimhaltung im Interesse seiner Partei gelegen sei. Art und Umfang der Bestimmung seien keinesfalls ausreichend bestimmt. Darüber hinaus sei sie im Lichte des §1 Abs1 Disziplinarstatut (in der Folge: DSt 1990) unbestimmt.

1.3. Der Verfassungsgerichtshof ist in seiner bisherigen Rechtsprechung von der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des §9 Abs2 RAO ausgegangen (vgl. VfSlg. 6694/1972, 13.565/1993 und 14.908/1997) und sieht sich auch durch die vorliegende Beschwerde, welche die Verfassungswidrigkeit des §9 Abs2 RAO behauptet, ohne sich mit der dazu bereits ergangenen Judikatur und deren Argumenten auseinanderzusetzen, zur Änderung seiner Rechtsprechung nicht veranlasst. Insbesondere vermag er in der angefochtenen Bestimmung auch keinen Verstoß gegen Art7 EMRK zu erblicken.

2. Zu den behaupteten Vollzugsmängeln:

2.1. Zum Vorwurf der Verletzung des Beschwerdeführers in seinem gemäß Art7 EMRK gewährleisteten Recht:

Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 11.776/1988 grundlegend ausführte (vgl. dazu auch VfSlg. 16.168/2001, 16.353/2001 und 16.482/2002 sowie jüngst VfGH 28.9.2004, B391/04), muss einer Verurteilung nach §2 DSt 1872 (der Vorgängerbestimmung des geltenden §1 DSt 1990) - verfassungskonform im Sinne des Art7 EMRK - zugrunde liegen, dass sie wegen einer Verletzung von Berufspflichten oder wegen eines Verstoßes gegen Ehre und Ansehen des Standes erfolgt, die sich aus gesetzlichen Regelungen oder aus verfestigten Standesauffassungen ergeben, die in einer dem Klarheitsgebot entsprechenden Bestimmtheit feststehen. Dem aus Art7 EMRK erfließenden Gebot entspricht die Behörde jedenfalls (auch) dann nicht, wenn sie - statt zu benennen, gegen welche konkrete Berufs- oder Standespflicht ein inkriminiertes Verhalten verstößt - sich mit Rechtsprechungshinweisen begnügt. Der Gerichtshof ging in weiterer Folge davon aus, dass das Fehlen eines konkretisierten Vorwurfes, worin die Verletzung von Berufspflichten bzw. von Ehre und Ansehen des Standes zu erblicken ist, einen Bescheid mit Willkür belastet.

Die belangte Behörde hat das Verhalten des Beschwerdeführers - in vertretbarer Weise - als Verletzung der Verschwiegenheitspflicht gewertet. Der Gerichtshof hat bereits im Erkenntnis VfSlg. 13.565/1993 ausgeführt, dass er keine Bedenken hegt,

"wenn die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht auch über das vertragliche Vertretungsverhältnis hinaus als beachtlich und den betreffenden Anwalt grundsätzlich bindend angesehen wird. Denn allein dadurch wird den ... Rechtsschutzerfordernissen Rechnung getragen ... . Auch wenn die belangte Behörde anderwärts allenfalls schon vffentlich erörterte Angelegenheiten als der Verschwiegenheitspflicht der Rechtsanwälte unterliegend wertete, bestehen dagegen keine verfassungsrechtlichen Bedenken."

Der Verfassungsgerichtshof hält an dieser Rechtsprechung weiterhin fest. Der belangten Behörde kann nicht entgegengetreten werden, wenn sie die Aussage im Zuge einer Zeugenvernehmung vor dem Finanzamt für Gebühren und Verkehrssteuern, ohne dass von einem Entschlagungsrecht Gebrauch gemacht wurde, als Verschwiegenheitsverletzung iSd. §9 Abs2 RAO qualifiziert. Der Gerichtshof hegt insbesondere keinen Zweifel daran, dass die durch §9 Abs2 RAO Rechtsanwälten auferlegte Verschwiegenheitspflicht zum Schutz des guten Rufes und der Rechte anderer unentbehrlich ist.

Die behauptete Verletzung des Art7 EMRK liegt sohin nicht vor.

2.2. Zur behaupteten Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK:

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei in seinem gemäß Art6 Abs2 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unschuldsvermutung verletzt, geht ins Leere, weil der gesetzlich geforderte Nachweis der Schuld durch eben dieses Verfahren erbracht wurde. Es sind im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof auch keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die die Annahme rechtfertigen würden, das Verfahren vor den Disziplinarbehörden sei nicht in rechtsstaatlicher Weise geführt worden, etwa weil die Behörden schon von vornherein von einer Vermutung des Vorliegens einer strafbaren Handlung ausgegangen seien (vgl. dazu, denselben Beschwerdeführer betreffend, VfSlg. 16.795/2003).

Der behaupteten Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren durch ein unzureichendes Ermittlungsverfahren ist zu erwidern, dass allenfalls Verstöße gegen einfachgesetzliche Regelungen aufgezeigt werden, die aber nicht geeignet sind, einen in die Verfassungssphäre reichenden Vollzugsfehler zu erweisen. Die belangte Behörde, die ihr Ermessen zur Beurteilung der Entscheidungsrelevanz der Beweisaufnahme geübt hat, ist in einem - aus verfassungsrechtlicher Sicht - nicht zu beanstandenden Beweisverfahren zu ihren Ergebnissen gelangt.

Weiters bringt der Beschwerdeführer vor, dass es die belangte Behörde unterlassen habe, seinem Antrag auf Ladung und Einvernahme eines von ihm beantragten Zeugen nachzukommen, wodurch er in seinem Recht gemäß Art6 Abs3 EMRK verletzt worden sei.

Gemäß Art6 Abs3 litd EMRK hat jeder Angeklagte das Recht, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie der Belastungszeugen zu erwirken. Die Bestimmung dient der Sicherstellung der Waffengleichheit im Strafverfahren, sie räumt einem Angeklagten jedoch kein grenzenloses Recht ein, Entlastungszeugen zu benennen und zu befragen (vgl. EGMR 30.4.1976, Fall Engel u.a., Serie A 22, Rn. 91). Der belangten Behörde, die ihr Ermessen zur Beurteilung der Entscheidungsrelevanz der Beweisaufnahme geübt hat, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegenzutreten (vgl. EGMR 6.9.1995, Fall Stadler, Z23194/94, EGMR 27.11.1996, Fall Lods, Z31199/96).

Der Beschwerdeführer wurde daher nicht im Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK verletzt.

2.3. Schließlich erachtet sich der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001 16.640/2002).

Dem Vorbringen des unzureichenden Ermittlungsverfahrens ist - wie bereits unter Pkt. II. 2.2. ausgeführt - zu erwidern, dass dadurch allenfalls Verstöße gegen einfachgesetzliche Regelungen aufgezeigt werden, die aber nicht geeignet sind, einen in die Verfassungssphäre reichenden Vollzugsfehler zu erweisen.

Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz vermag der Verfassungsgerichtshof somit nicht zu erkennen.

3. Der Beschwerdeführer ist in den von ihm behaupteten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nicht verletzt worden.

Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen eine Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden ist. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in Rechten wegen Anwendung einer rechtwidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht, fair trial

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:B65.2005

Dokumentnummer

JFT_09949387_05B00065_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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