TE Vfgh Erkenntnis 2005/6/15 A30/04

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Veröffentlicht am 15.06.2005
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Index

10 Verfassungsrecht
10/13 Amtshaftung, Organhaftpflicht, Polizeibefugnis-Entschädigung

Norm

B-VG Art137 / sonstige Klagen
AHG §6, §8
Geldwäscherichtlinie des Rates 91/308/EWG vom 10.06.91
ZPO §261 Abs4

Leitsatz

Abweisung einer Staatshaftungsklage gegen den Bund wegen verspäteter Umsetzung der Geldwäscherichtlinie infolge Verjährung; 3-jährige Verjährungsfrist für Staatshaftungsansprüche entsprechend den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes

Spruch

Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, den klagenden Parteien zur ungeteilten Hand den Betrag in Höhe von € 76.052,65 samt 4% Zinsen seit 18. Februar 2001 zu bezahlen und die Prozesskosten zu ersetzen, all dies binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution, wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die klagenden Parteien bringen vor, dass ihnen als gesetzliche Erben der Pensionistin Emma K., verstorben am 29. Juni 1999, der Nachlass am 10. März 2003 eingeantwortet worden sei. Im Nachlass nach Emma K. seien neben Liegenschaftseigentum Sparguthaben ausgewiesen worden, und zwar eines der österreichischen Postsparkasse und eines bei der Raika Oberes Mürztal in Höhe von ATS 550.000,--. Frau Emma K. habe diese Sparbücher einem Hans H. schon ca. 2 Jahre vor ihrem Tod anvertraut, der diese in einem auf seinen Namen lautenden Schließfach verwahrt habe. Dies habe sie Angestellten der Sozialhilfe mitgeteilt und hiebei eine Ansparsumme von rund ATS 1.000.000,-- erwähnt.

Auf Grund einer von den nunmehrigen Klägerinnen erstatteten Anzeige habe sich herausgestellt, dass Emma K. noch ein drittes Sparbuch bei Lebzeiten besessen habe, und zwar ein Sparbuch der Raiffeisenbank Oberes Mürztal mit einem Einlagestand von rund ATS 1.000.000,--. Dieses Sparbuch sei zweieinhalb Monate vor dem Tod der Emma K. von einer unbekannten Person behoben und das Realisat auf drei anonyme Sparkonten aufgeteilt worden. Das Sparguthaben auf diesen Konten sei von einer unbekannten Person abgehoben worden.

2. Eine gegen Hans H. eingebrachte Strafanzeige sei vom Landesgericht Leoben eingestellt worden. Der Subsidiarantrag sei von der Ratskammer abgewiesen worden. Die nunmehrigen Klägerinnen hätten gegen Hans H. eine Klage beim Landesgericht Leoben zu 7 Cg 78/03d erhoben, die aber mangels Beweisen abgewiesen worden sei. Die Klägerinnen hätten nicht beweisen können, dass gerade Hans H. jene Person war, der diese anonymen Konten eröffnete und das Sparguthaben der Emma K. verbrachte. Durch diesen Beweisnotstand sei den Klägerinnen ein Schaden von € 76.052,65 erwachsen.

Die klagenden Parteien hätten daraufhin eine Staatshaftungsklage beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz zu 39 Cg 212/03f eingebracht. Schließlich habe im Instanzenzug der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 15. Oktober 2004, Zl. 1 Ob 205/04k, erkannt, dass der Beweisnotstand der Klägerinnen lediglich dadurch verursacht wurde, dass der österreichische Gesetzgeber die Richtlinie des Rates vom 10. Juni 1991, 91/308/EWG, zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche (so genannte Geldwäscherichtlinie) verspätet umgesetzt habe und daher ein Beweis, wer die Sparguthaben verbrachte, nicht mehr erbracht werden könne. Damit hätten die klagenden Parteien, die ihnen durch das Gemeinschaftsrecht zuerkannten Rechte auf Feststellung des anonymen Behebers des Sparguthabens vor den nationalen Gerichten nicht erfolgreich geltend machen können.

Die Klägerinnen begehren nun, den Bund aus dem Titel der Staatshaftung schuldig zu erkennen, ihnen einen Betrag in der Höhe von € 76.052,65 samt Zinsen seit dem 18. Februar 2001 zu bezahlen und die Prozesskosten zu ersetzen.

3. Der Bundeskanzler erstattete für den Bund eine Gegenschrift, in der er zunächst das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen außer Streit stellte.

Zur Berechtigung des Anspruches verwies der Bund zunächst darauf, dass die Durchsetzung des im Gemeinschaftsrecht begründeten Staatshaftungsanspruches sich nach nationalem Recht richte. Das nationale Recht habe dabei dem Äquivalenzgrundsatz und dem Effektivitätsprinzip zu entsprechen.

Sodann führte der Bund aus, dass der Staatshaftungsanspruch verjährt sei. Bei analoger Anwendung des §6 AHG gelte auch für Staatshaftungsansprüche die dreijährige Verjährungsfrist des §6 Abs1 AHG. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes werde die dreijährige Verjährungsfrist in Gang gesetzt, wenn dem Geschädigten neben der Kenntnis des Schadens der gesamte seinen Anspruch begründende Sachverhalt soweit bekannt ist, dass er eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erheben kann. Die Verjährung beginne mit dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem der Geschädigte ausreichend Gewissheit über ein rechtswidriges und schuldhaftes Organverhalten hat oder weiß, ohne Aktivität seinen Wissensstand nicht mehr erhöhen zu können. Nach Auffassung des Bundes sei der von den klagenden Parteien behauptete Schaden dem Grunde nach bereits im Jahre 1999, spätestens aber im Zuge der Polizeiermittlungen im Jahr 2000 hinreichend bekannt gewesen. Den Klägerinnen müsse im Zuge der polizeilichen Erhebungen klar geworden sein, dass sie keine weiteren Informationen über die Sparguthaben mehr eruieren konnten und somit der behauptete Schaden auf die behauptete Fehlleistung des Gesetzgebers zurückzuführen gewesen sei. Der behauptete Schaden aus legislativem Unrecht müsse den Klägerinnen daher spätestens am 16. Februar 2001 bekannt gewesen sein, weil die klagenden Parteien an diesem Tag die Finanzprokuratur aufgefordert hätten, den Betrag von € 72.670,-- zu bezahlen. Spätestens mit diesem Tag beginne daher die Verjährungsfrist zu laufen. Auch in der mit 17. September 2003 datierten und am 29. September 2003 beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz eingegangenen Staatshaftungsklage hätten die klagenden Parteien ausgeführt:

"Schon mit Schreiben vom 16.2.2001 haben wir die Finanzprokuratur aufgefordert uns diesen Betrag zu zahlen."

4. Bei Einbringung der gegenständlichen Staatshaftungsklage beim Verfassungsgerichtshof am 14. Dezember 2004 seien somit die Ansprüche bereits verjährt gewesen. Der Bund wende daher Verjährung ein.

Ferner führte der Bund aus, dass der Bundesgesetzgeber die Geldwäscherichtlinie ordnungsgemäß umgesetzt habe, weshalb die von der Europäischen Kommission gegenüber Österreich wegen Vertragsverletzung beim EuGH erhobene Klage mit am 19. Juli 2000 bei der Kanzlei des EuGH eingegangenen Schriftsatzes gemäß Art78 der EuGH-Verfahrensordnung zurückgezogen wurde.

Auch sei der von den klagenden Parteien behauptete Schaden nicht vom Schutzzweck der Geldwäscherichtlinie umfasst, die nach den Erwägungsgründen ausschließlich öffentlichen Interessen diene, nämlich der Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zweck der Geldwäsche aus kriminellen Tätigkeiten. Ein allfälliger Verstoß sei auch nicht hinreichend qualifiziert. Auch fehle es an einem unmittelbaren Kausalzusammenhang. Der Bund beantragte daher die Abweisung der Klage.

5. Auf diese Gegenschrift haben die klagenden Parteien repliziert. Sie bringen dabei im Wesentlichen vor, dass eine Verjährung des behaupteten Anspruchs noch nicht erfolgt sei, da die Klagserhebung erst nach der Einantwortung des Erbes - erfolgt durch Beschluss des BG Mürzzuschlag vom 10. März 2003 - möglich gewesen sei, da sie bis dahin nicht aktiv klagslegitimiert gewesen seien.

Dass am 16. Februar 2001 ein Anspruchschreiben an die Finanzprokuratur namens der Verlassenschaft gerichtet worden sei, sei zwar richtig, eine darauf folgende Klage namens der Verlassenschaft sei aber daran gescheitert, dass der Beklagte im Verlassenschaftsverfahren einer gemeinsamen Klagsführung nicht zugestimmt habe.

Weiters bringen die Klägerinnen vor, dass die Verjährungsfrist nicht allein durch die objektive Klagsmöglichkeit, sondern auch mit der genauen Kenntnis des Schadens zu laufen beginne. Diese genaue Schadenskenntnis sei erst ab dem Zeitpunkt vorhanden gewesen, als die Zivilklage gegen Hans H. rechtskräftig abweislich entschieden worden war - also mit Zustellung des Berufungsurteils des OLG Graz vom 1. März 2004. Bis zu diesem Zeitpunkt hätten die Klägerinnen mit allen straf- und zivilrechtlichen Mitteln versucht, Hans H. die Täterschaft nachzuweisen bzw. ihn zum Schadenersatz zu verpflichten.

Außerdem habe die Klagseinbringung gegen Hans H. die Verjährungsfrist unterbrochen:

"Es ist aber auch nicht richtig, dass die Klage [...] beim LG für ZRS Graz [...] eine allfällige Verjährung nicht unterbrochen hätte. Diesbezüglich wird auf die Entscheidung 7 Ob 554/92 des OGH verwiesen, in welchem der OGH wörtlich zitiert sei:

'Die Verfassungsgerichtshofentscheidung stellt inhaltlich eine Zuständigkeitsabklärung dar. Eine solche hat für den Anspruchswerber dann keinerlei nachteilige Folgen, wenn das Rechtsschutzgesuch bei der vom Gesetz bezeichneten Behörde oder Gericht eingebracht wurde, dieses ohne sein Verschulden einer anderen Behörde zugewiesen wurde. Auch eine beim unzuständigen Gericht eingebrachte Klage unterbricht die Verjährung, wenn die Klage in der Folge gemäß §230a bzw. 261 ZPO an das zuständige Gericht überwiesen werden kann.'"

Da im gegenständlichen Fall eine Überweisung nicht möglich sei, sei die in angemessener Frist eingebrachte Klage gemäß Art137 B-VG sicher zeitgerecht. Es gehe jedenfalls im konkreten Fall weder aus dem Gesetz, noch aus der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs (A36/00 vom 10. Oktober 2003) eindeutig hervor, bei welchem Gericht Staatshaftungsansprüche einzubringen seien, weshalb der Verjährungseinwand nicht greife. Außerdem ergebe sich aus EuGH 5.3.1996, C-46/93 und C-48/93, Brasserie du Pecheur ua., Slg. 1996, I-1029, dass vor der Geltendmachung eines Staatshaftungsanspruchs sämtliche Rechtsschutzmöglichkeiten ausgeschöpft werden müssten, was die Klägerinnen getan hätten, weshalb sie die Möglichkeit zur Klagsführung erst mit Erlangung ihres Erbrechtstitels erhalten hätten.

Weiters sei die verspätete Umsetzung der Geldwäscherichtlinie kausal für den den Klägerinnen entstandenen Schaden gewesen, weil der Zweck der Richtlinie gerade die Verhinderung von Geldtransfers sei, die aus kriminellen Aktivitäten stammen. Durch die Nichtumsetzung sei aber gerade die Solidität des Bankwesens an sich in Verruf geraten. Das Vertrauen in die Solidität des Bankwesens sei zwar ein öffentliches Interesse, das sich aber auf eine Summe von Einzelinteressen gründe, weshalb durch die Richtlinie auch das Interesse von Einzelpersonen, nicht durch Straftaten in ihrem Vermögen geschädigt zu werden, geschützt werden solle. Wäre die Richtlinie rechtzeitig umgesetzt worden, wären die anonymen Transaktionen nicht möglich gewesen, da es - entsprechend der Richtlinie - eine Identitätsfeststellung gegeben hätte.

6. Der Verfassungsgerichtshof hat vom Landesgericht Leoben den Strafakt gegen Hans H., 16 Vr 575/00, beigeschafft, ferner den Verlassenschaftsakt 2 A25/03m betreffend den Nachlass nach Emma K., ferner die Akten des Landesgerichtes Leoben 39 Cg 212/03f betreffend die Klage der klagenden Parteien gegen den Bund, sowie 7 Cg 78/03d betreffend die Klage gegen Hans H..

7. In der Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof am 15. Juni 2005 haben die Parteien im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und die vom Verfassungsgerichtshof gestellten Fragen beantwortet.

II. Der Verfassungsgerichtshof stellt auf Grund der Ergebnisse des Verfahrens und insb. der Einsichtnahme in die oben genannten Akten folgenden, für die Entscheidung relevanten Sachverhalt fest:

1. Im Verlassenschaftsverfahren nach der am 29. Juni 1999 verstorbenen Emma K., 2 A25/03 des Bezirksgerichts Mürzzuschlag, gaben die nunmehrigen Klägerinnen mit Schriftsatz vom 17. August 1999 eine Erbserklärung ab. Am 30. September 1999 gab Hans H. eine Erbserklärung ab. Die Klägerinnen unterließen es, die Bestellung eines Verlassenschaftskurators zu beantragen. Mit Beschluss vom 7. Oktober 1999 setzte das Verlassenschaftsgericht den nunmehrigen Klägern eine dreimonatige Frist zur Einbringung der Erbrechtsklage. Diese brachten die Klage beim Landesgericht Leoben ein. Hans H. gab im Erbrechtsstreit ein Anerkenntnis ab, sodass das Landesgericht Leoben am 10. Dezember 2002 ein Anerkenntnisurteil fällte, das rechtskräftig wurde.

Mit Einantwortungsurkunde vom 10. März 2003 wurde der Nachlass nach der am 29. Juni 1999 verstorbenen Emma K. den Erben Berta H. und Stefanie T. je zur Hälfte eingeantwortet. Es handelt sich bei den eingeantworteten Erben um die Klägerinnen im gegenständlichen Staatshaftungsverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof. Die Einantwortung erwuchs in Rechtskraft.

2. Eine Strafanzeige der erbserklärten Erbinnen nach Emma K. gegen Hans H. wurde nach umfangreichen Erhebungen am 15. Dezember 2000 nach §90 Abs1 StPO zurückgelegt.

3. Bereits mit Schreiben vom 16. Februar 2001 hatten die erbserklärten Erbinnen den Bund zuhanden der Finanzprokuratur aufgefordert, den Betrag von ATS 1,046.504,34 zu bezahlen. Grund des Anspruches sei ein Verstoß des Gesetzgebers, die Geldwäscherichtlinie der EU rechtzeitig umzusetzen. Wäre die Geldwäscherichtlinie umgesetzt worden, wären Manipulationen des Hans H. unmöglich gewesen, sodass den Klägerinnen ein kausaler Schaden entstanden sei, wofür der Bund hafte. Im Einzelnen heißt es in diesem Aufforderungsschreiben:

"Österreich hat die Geldwäscherichtlinie 91/308/EWG des Rates vom 10.06.91, welche durch den Beitritt Österreichs binnen Jahresfrist umzusetzen war, nicht und mit dem Bankwesengesetz Nr. 33/2000 nur ungenügend umgesetzt.

Art 3 der Richtlinie sieht vor, daß die Kredit- und Finanzinstitute von ihren Kunden die Bekanntgabe ihrer Identität durch ein beweiskräftiges Dokument verlangen, wenn diese mit ihnen Geschäftsbeziehungen anknüpfen, insbesondere wenn sie ein Sparkonto oder ein anderes Konto eröffnen oder Vermögens-verwahrungsleistungen anbieten. Gem. Abs2 ist die Identität ferner bei allen Transaktionen mit nicht unter Abs1 fallenden Kunden festzustellen, bei denen der Betrag sich auf 15.000,00 ECU oder mehr beläuft und zwar unabhängig davon, ob die Transaktion in einem einzigen Vorgang oder in mehreren Vorgängen zwischen denen eine Verbindung zu bestehen scheint, getätigt wird.

Im Verlaß nach Emma K., deren gesetzlichen Erbinnen meine Mandantinnen [...] sind [...], fehlte ein der [...] Emma K. zuzuordnetes Sparbuch der Raiffeisenbank Oberes Mürztal [...] in Höhe von 1.046.507,34 S.

Dieses Sparbuch wurde am 7.4.99 von einer bislang unbekannten Person behoben und am selben Tag drei anonyme Sparbücher bei dieser Bank eingerichtet, welche wiederum im Sommer 2000 aufgelöst worden waren. [...]

Die Identifizierung dieser Person ist deshalb bislang nicht möglich, weil sich die Bankbeamten hinter Unwissenheit bzw. der Sparbuchanonymität verschanzen.

Die diesbezüglichen Auszüge der Gendarmerieerhebungen legen ich bei.

Ein derartiges Verschwinden eines Sparbuches wäre undenkbar, wenn Österreich seine Verpflichtung aus der Geldwäscherichtlinie erfüllt hätte.

Hiemit liegt der kausale Schaden für die Verlassenschaft infolge der nicht bzw. nicht rechtzeitigen Umsetzung dieser Richtlinie klar auf der Hand.

Im Sinne der einschlägigen europarechtlichen Judikatur über einer damit hergehenden Staatshaftung (Frankovich-Bonifaci, Brasserie du Pecheur gegen Bundesrepublik Deutschland) haftet die Republik Österreich für den in der Verlassenschaft dadurch entstehenden Schaden.

Meine Mandantinnen begehren daher von der Republik Österreich innerhalb von 14 Tagen die Überweisung des Betrages von 1.046.507,34 S samt gesetzlicher Zinsen seit April 1999, ansonsten die Staatshaftungsklage eingebracht werden wird."

4. Die Erben erhoben am 7. April 2003 beim Landesgericht Leoben Klage gegen Hans H. auf Bezahlung von € 76.052,65, in der sie behaupteten, dass die Erblasserin dem Beklagten vor dem Tod sämtliche Sparbücher zur Verwahrung übertragen habe und diese Sparbücher daher zum Nachlass gehörten. Bei den polizeilichen Ermittlungen sei hervorgekommen, dass Frau Emma K. ein weiteres Sparbuch mit einem Guthabensstand von ATS 1,046.507,34 besessen habe, das im Nachlass nicht vorgefunden wurde. Der Beklagte sei der einzige Vertraute der Erblasserin gewesen, so dass nur er allein für die Behebung von Sparbüchern in Frage komme.

Mit Urteil vom 8. August 2003 wies das Landesgericht Leoben die Klage ab. Es begründete die Abweisung im Wesentlichen damit, dass die klagenden Parteien ihre Behauptungen nicht beweisen konnten. Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung wurde vom Oberlandesgericht Graz mit Urteil vom 17. Februar 2004, 5 R 179/03p, keine Folge gegeben. Die ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erkannt. Das Oberlandesgericht Graz begründete seine Entscheidung damit, dass die behaupteten Verfahrensmängel nicht vorliegen würden und dass das Erstgericht sich mit den vorliegenden Beweismitteln in seiner Beweiswürdigung eingehend auseinandergesetzt und seine wesentlichen Feststellungen schlüssig begründet habe.

5. Am 19. September 2003 brachten die Klägerinnen eine Staatshaftungsklage beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz zu 39 Cg 212/03 ein, in der sie vom Bund die Bezahlung von € 72.670,-- begehrten. Diese Klage ist fast wörtlich identisch mit der beim Verfassungsgerichtshof eingebrachten und zu A30/04 protokollierten Klage.

Mit Beschluss vom 17. Dezember 2003, 39 Cg 212/03, erklärte sich das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz für unzuständig, erklärte das Verfahren für nichtig und wies die Klage zurück. In der Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der ordentliche Rechtsweg nicht zulässig sei. Das behauptete anspruchsbegründende Verhalten sei unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen. Das Oberlandesgericht Graz bestätigte diese Entscheidung.

Dem Revisionsrekurs wurde vom Obersten Gerichtshof mit Beschluss vom 15. Oktober 2004, 1 Ob 205/04k, keine Folge gegeben. Der Oberste Gerichtshof verwies auf die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes zur Frage der Zuständigkeit für Staatshaftungsklagen. Die klagenden Parteien hätten ihren Anspruch auf die Nichtumsetzung der Geldwäscherichtlinie durch den Gesetzgeber gestützt. Die anspruchsbegründende Unterlassung (verspätete Umsetzung der Geldwäscherichtlinie) sei unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen. Es sei kein Vollzugsorgan tätig geworden, das die von den klagenden Parteien behauptete Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts durch den Gesetzgeber hätte wirksam aufgreifen können.

III. 1. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit der Klage erwogen:

Die klagenden Parteien stützen ihren Anspruch ausschließlich darauf, dass ihnen ein Schaden dadurch entstanden sei, dass der Gesetzgeber die Geldwäscherichtlinie nicht rechtzeitig umgesetzt habe. Die Ansprüche, die sich auf so genanntes "legislatives Unrecht" gründen, sind gem. Art137 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof geltend zu machen, wenn die anspruchsbegründenden Handlungen oder Unterlassungen nicht einem hoheitlich tätig gewordenen Vollzugsorgan oder einem privatrechtsförmig tätig gewordenen Staatsorgan, sondern unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen sind (VfSlg. 16.107/2001; VfGH 7.10.2003, A11/01). Die klagenden Parteien können den behaupteten Schaden, der sich auf eine Unterlassung des Gesetzgebers gründen soll, vor keinem Vollzugsorgan geltend machen. Der Verfassungsgerichtshof ist daher nach Art137 B-VG zuständig, über den behaupteten Anspruch zu entscheiden.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat in der Sache erwogen:

Die klagenden Parteien berufen sich auf die Richtlinie des Rates 91/308/EWG vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, die im Amtsblatt L 166/77 vom 28. Juni 1991 kundgemacht wurde. Nach Art16 war diese Richtlinie bis zum 1. Jänner 1993 umzusetzen. Beim Beitritt Österreichs zur Europäischen Union mit 1. Jänner 1995 war sie Teil des acquis communautaire. Folgt man den Behauptungen der klagenden Parteien, so hatten sie vergeblich versucht, das Schicksal der Sparguthaben auf den Sparbüchern der verstorbenen Emma K. nachzuvollziehen und allenfalls zu beweisen. Diese Versuche blieben erfolglos. Die klagenden Parteien stehen auf dem Standpunkt, dass die Erfolglosigkeit dadurch veranlasst war, dass Österreich die Geldwäscherichtlinie nicht umgesetzt habe.

Wie sich aus dem Aufforderungsschreiben der klagenden Parteien an die Finanzprokuratur vom 16. Februar 2001 ergibt, haben sie damals bereits einen Schadenersatzanspruch gegen den Bund auf Grund der Unterlassung der Umsetzung der Geldwäscherichtlinie geltend gemacht. Es mussten ihnen daher spätestens zu diesem Zeitpunkt alle Umstände bekannt gewesen sein, die den von ihnen behaupteten Schadenersatzanspruch begründeten.

Im Gemeinschaftsrecht bleibt ungeregelt, wann Staatshaftungsansprüche verjähren. Soweit es aber auf dem Gebiet des Schadenersatzes keine Gemeinschaftsvorschriften gibt, ist es Sache des Gesetzgebers des Mitgliedstaates, die Kriterien festzulegen, anhand deren der Umfang der Entschädigung bestimmt werden kann, wobei diese Kriterien nicht ungünstiger sein dürfen, als bei entsprechenden Ansprüchen, die auf nationales Recht gestützt sind. Auch dürfen sie keinesfalls so gestaltet sein, dass die Entschädigung unmöglich oder übermäßig erschwert ist. Zu den im Gemeinschaftsrecht ungeregelten Materien zählt auch die Bemessung der Verjährungsfrist. Auch die Verjährungsfrist für Staatshaftungsansprüche darf aber nicht ungünstiger sein, als jene für vergleichbare Ansprüche nach nationalem Recht.

Nach §1489 ABGB verjährt jede Entschädigungsklage in drei Jahren von der Zeit an, zu welcher der Schade und die Person des Beschädigers dem Beschädigten bekannt wurde. Zieht man hingegen die Bestimmung des §6 Amtshaftungsgesetz heran, da die Amtshaftungsansprüche am ehesten mit Staatshaftungsansprüchen vergleichbar sind, so verjähren Staatshaftungsansprüche ebenfalls nach drei Jahren. Gemäß §6 Amtshaftungsgesetz beginnt die Verjährungsfrist nach Ablauf des Tages, an dem der Schaden dem Geschädigten bekannt geworden ist, keinesfalls aber vor einem Jahr nach Rechtskraft einer rechtsverletzenden Entscheidung oder Verfügung. Eine längere Verjährungsfrist gilt nur bei vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlungen. Die Verjährung wird durch die Aufforderung zum Ersatz an die Finanzprokuratur für die in §8 Amtshaftungsgesetz genannte dreimonatige Frist gehemmt, falls die Finanzprokuratur nicht früher auf die Aufforderung antwortet.

Der Verfassungsgerichtshof rechnet den Beginn der Verjährungsfrist für Staatshaftungsklagen entsprechend den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes. Eine dreijährige Verjährungsfrist macht auch die Geltendmachung einer Entschädigung nicht praktisch unmöglich und erschwert sie auch nicht übermäßig. Eine dreijährige Frist für Schadenersatzansprüche aus Staatshaftung entsprechend jener des Amtshaftungsgesetzes widerspricht somit auch nicht dem Gemeinschaftsrecht. Beruht der behauptete Staatshaftungsanspruch auf einem Unterlassen des Gesetzgebers, eine Richtlinie korrekt und fristgerecht umzusetzen, so beginnt die Verjährungsfrist, sobald dem Kläger bekannt ist, dass das Unterlassen des Gesetzgebers Vermögensnachteile für ihn bringen kann und er Klage mit Aussicht auf Erfolg gegen jene Gebietskörperschaft erheben kann, deren Gesetzgeber säumig ist. Die Kenntnis muss auch den Ursachenzusammenhang zwischen dem Schaden und dem dem Gesetzgeber anzulastenden Verhalten erfassen.

Rechnet man nun zu Gunsten der klagenden Parteien zur dreijährigen Verjährungsfrist die dreimonatige Frist des Aufforderungsverfahrens bei der Finanzprokuratur hinzu, so ergibt sich Folgendes:

Wie das Anspruchschreiben der Klägerinnen an die Finanzprokuratur zeigt, waren all diese Umstände spätestens am 16. Februar 2001 bekannt. Rechnet man von diesem Zeitpunkt an die dreijährige Verjährungsfrist und die maximale Zeit des Aufforderungsverfahrens von drei Monaten hinzu, so ist der mit der am 16. Dezember 2004 eingebrachten Staatshaftungsklage geltend gemachte Anspruch jedenfalls verjährt.

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Nachlass den Klägerinnen erst am 10. März 2003 eingeantwortet wurde. Bereits vor der Einantwortung an die Klägerinnen hätte die Klage von der Verlassenschaft, vertreten durch einen infolge der widersprechenden Erbserklärungen (auf Antrag der nunmehrigen Klägerinnen) zu bestellenden Verlassenschaftskurator, eingebracht werden können (vgl. SZ 19/16, SZ 24/161 u.a.).

Die klagenden Parteien haben die Staatshaftung zunächst bei den ordentlichen Gerichten geltend gemacht, die sich für unzuständig erklärten. Die Klagsführung bei einem unzuständigen Gericht unterbricht jedoch nicht die Verjährung (SZ 42/193). Nur im Falle einer Überweisung der Sache an das zuständige Gericht gemäß §261 Abs6 ZPO tritt eine solche Unterbrechungswirkung ein. Die Einbringung der Staatshaftungsklage bei den unzuständigen ordentlichen Gerichten statt beim Verfassungsgerichtshof führt also zu keiner Unterbrechung der Verjährung. Entgegen der Meinung der Klägerinnen ist Gegenteiliges auch nicht dem Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 25. Juni 1992, 7 Ob 554/92, zu entnehmen.

Richtig ist, dass der Staatshaftungsanspruch unter anderem voraussetzt, dass der Geschädigte in angemessener Form um die Begrenzung des Schadens bemüht sein muss, wenn er nicht Gefahr laufen will, den Schaden selbst zu tragen (EuGH 5.3.1996, C-46/93 und C-48/93, Brasserie du Pecheur, u.a.). Daraus schließen die Klägerinnen, dass die Verjährungsfrist für den Staatshaftungsanspruch erst mit der Abweisung ihrer Klage gegen Hans H. zu laufen beginnen könne. In diesem Verfahren versuchten die Klägerinnen einen Anspruch gegen Hans H. auf andere Weise als durch Öffnung der anonymen Konten nachzuweisen. Dieses auf andere als für einen Staatshaftungsanspruch maßgebende Umstände beruhende Verfahren hätte aber die Geltendmachung des Staatshaftungsanspruches nicht gehindert. Fest stand spätestens seit dem 16. Februar 2001, dass eine Öffnung der anonymen Konten nicht erreichbar war, was die Klägerinnen auf die Nichtumsetzung der obgenannten Richtlinie durch den Bundesgesetzgeber zurückführen. Die Klägerinnen beziffern ihr Aufforderungsschreiben auch mit dem selben Betrag, den sie mit der Klage beim Verfassungsgerichtshof geltend machen. Sowohl der behauptete Sachverhalt als auch der Rechtstitel für den nunmehr beim Verfassungsgerichtshof geltend gemachten Anspruch blieben seit dem Aufforderungsschreiben vom 16. Februar 2001 unverändert.

Die Klage ist daher schon wegen Verjährung abzuweisen, ohne dass näher auf die weiteren Fragen eingegangen werden müsste, nämlich ob der österreichische Bundesgesetzgeber tatsächlich die Geldwäscherichtlinie verspätet umgesetzt hat, ob dies kausal für einen allfälligen Schaden war und ob ein Rechtswidrigkeitszusammenhang besteht.

III. Kosten wurden nicht verzeichnet.

Schlagworte

Amtshaftung, EU-Recht Richtlinie, Bankwesen, Schadenersatz, VfGH / Klagen, Zivilrecht, Verjährung, Staatshaftung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:A30.2004

Dokumentnummer

JFT_09949385_04A00030_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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