RS Vfgh 2001/6/28 G103/00

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Veröffentlicht am 28.06.2001
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0001 Landesverfassung

Norm

B-VG Art1
B-VG Art43
B-VG Art44 Abs3
B-VG Art99
B-VG Art131
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art141 Abs3 / Volksabstimmung
B-VG Art144 Abs1 / Allg
Vlbg Landesverfassung Art33 Abs6
Vlbg Landesverfassung Art38
Vlbg Landes-VolksabstimmungsG §10

Leitsatz

Zulässigkeit des Anlassbeschwerdeverfahrens und Präjudizialität der Bestimmung der Vorarlberger Landesverfassung betreffend die Verpflichtung des Landtags zur Fassung eines dem Volksbegehren inhaltlich entsprechenden Gesetzesbeschlusses nach Durchführung einer Volksabstimmung im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zur Prüfung eines den Antrag auf Einleitung eines Volksbegehrens abweisenden Bescheides; Widerspruch einer solchen "Volksgesetzgebung" zum repräsentativ-demokratischen Grundprinzip der Bundesverfassung; Gesetzeserzeugung sogar gegen den Willen der Volksvertretung solcherart möglich; Feststellung der Verfassungswidrigkeit der alten Fassung und Aufhebung der neu kundgemachten Bestimmung

Rechtssatz

Zulässigkeit des Anlassbeschwerdeverfahrens und Präjudizialität des Art33 Abs6 Vlbg Landesverfassung.

Ein einen Antrag auf Einleitung eines Volksbegehrens gemäß §10 Abs1 dritter Satz Vlbg Landes-VolksabstimmungsG abweisender Bescheid ist (allein) mit Beschwerde gemäß Art144 B-VG bekämpfbar (s. VfSlg. 13.224/1992); auch für eine Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art131 B-VG ist in einem solchen Fall kein Raum.

Für den Verfassungsgerichtshof steht im Hinblick darauf, dass sich die belangte Behörde bei der Erlassung des bekämpften Bescheides ausdrücklich auf §10 Vlbg Landes-VolksabstimmungsG iVm Art33 Vlbg Landesverfassung gestützt hat, fest, dass sie damit auch den in Prüfung gezogenen Abs6 des Art33 Vlbg Landesverfassung angewendet hat.

Vor allem im Hinblick auf Art33 Abs6 Vlbg Landesverfassung hat die Landeswahlbehörde bei der von ihr gemäß §10 Vlbg Landes-VolksabstimmungsG zu treffenden Entscheidung aber auch zu erwägen, ob der Gegenstand des Volksbegehrens, dessen Einleitung beantragt wird, auch insoferne der Vlbg Landesverfassung entspricht, als er aus bundesverfassungsgesetzlicher Sicht - zulässiger Weise - vom Landesgesetzgeber geregelt werden kann; andernfalls könnte der Landtag nämlich im Hinblick auf Art33 Abs6 Vlbg Landesverfassung gehalten sein, einen Beschluss zu fassen, der der Bundesverfassung zuwider liefe: Erst aus der in Art33 Abs6 Vlbg Landesverfassung normierten Rechtsfolge ergibt sich, dass die Verfassungsmäßigkeit des begehrten Gesetzes im Gesetzgebungsverfahren nicht mehr geprüft werden kann, weil der Landtag, dem ansonsten eine solche Prüfung - unter der nachprüfenden Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes - zukommt, verpflichtet ist, einen dem Begehren inhaltlich entsprechenden Gesetzesbeschluss zu fassen.

Die verfassungsgerichtliche Beurteilung der von der belangten Behörde vertretenen Auffassung, ein auf die Erlassung eines (den Kompetenzbestimmungen) der Bundesverfassung widersprechenden Landes(verfassungs)gesetzes gerichteter Antrag für ein Volksbegehren wäre als unzulässig abzuweisen, hängt wesentlich davon ab, ob für den Fall der nachfolgenden Einleitung und Durchführung eines solchen Volksbegehrens der Landtag in weiterer Folge verpflichtet sein könnte, einen dem Volksbegehren entsprechenden Gesetzesbeschluss zu fassen.

Verfassungswidrigkeit (Feststellung der bzw Aufhebung) der Wortfolge "oder das Landesvolk durch Volksabstimmung entschieden" in Art33 Abs6 Vlbg Landesverfassung LGBl. 30/1984 und idF LGBl. 9/1999.

Der historische Verfassungsgesetzgeber wollte das Instrument der Volksabstimmung im Gesetzgebungsverfahren nur in eingeschränktem Umfang zulassen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung, die dieser Frage - den zitierten Quellen zu Folge - ganz offenkundig beigemessen wurde, ist davon auszugehen, dass es sich bei dieser "außerordentlichen Einschränkung" bzw. "Zurückdrängung des Referendums überhaupt" nicht bloß um eine bundesverfassungsgesetzliche "Vorgabe" für die Ebene des Bundes handeln sollte, sondern um ein wesentliches Element des - auch den Landesverfassungsgesetzgeber bindenden - repräsentativ-demokratischen (parlamentarischen) Grundprinzips der Bundesverfassung (vgl. dazu auch VfSlg. 3134/1956; 13.500/1993, S 781).

Aus der Entstehungsgeschichte des B-VG wird die Ablehnung des "Vetoreferendums", also die "Erzwingung einer Volksabstimmung über einen Gesetzesbeschluß (bzw. ein bereits kundgemachtes Gesetz) durch eine Volksinitiative", deutlich. Die dafür maßgeblichen Erwägungen müssen aber umso mehr auf eine Regelung - wie die hier in Prüfung gezogene - zutreffen, der zu Folge das Parlament (gegen seinen Willen) auf Grund eines vom Volk initiierten Referendums zur Fassung eines der Volksinitiative inhaltlich entsprechenden Gesetzesbeschlusses verpflichtet wird.

Anders als im Fall des Art43 B-VG erfolgt die Entscheidung im Landtag ohne Möglichkeit einer eigenen Willensbildung der Abgeordneten; eben dadurch wird es dem Landtag verwehrt, die Frage der Bundesverfassungskonformität der begehrten Regelung zu beurteilen und im Fall ihrer Verfassungswidrigkeit von einer Beschlussfassung Abstand zu nehmen.

Das bundesstaatliche Grundprinzip der Bundesverfassung und die damit zwingend verbundene Verfassungsautonomie der Länder (vgl. Art99 B-VG) finden ihre Grenze im Kernbereich des repräsentativ-demokratischen Baugesetzes, das nur im Verfahren gemäß Art44 Abs3 B-VG geändert werden kann (s. VfSlg. 2455/1952).

Eine dem Art33 Abs6 Vlbg Landesverfassung entsprechende Regelung, der zu Folge der Landtag unter bestimmten Voraussetzungen einen einem Volksbegehren inhaltlich entsprechenden Gesetzesbeschluss zu fassen "hat", war in der Vlbg Landesverfassung LGBl. 22/1919 nicht vorgesehen.

Die in Prüfung gezogene Bestimmung sieht vor, dass eine von der Mehrheit der Stimmberechtigten unterstützte Gesetzesinitiative auch gegen den Willen (der Mehrheit) des Landtages "zum Gesetz wird", sie ermöglicht also eine Gesetzeserzeugung sogar gegen den (Mehrheits-)Willen des Parlaments. Eine derartige "Volksgesetzgebung" ist aber mit dem Grundgedanken der repräsentativen Demokratie - mit bloß ausnahmhaft vom Verfassungsgesetzgeber ausdrücklich vorgesehenen direkt-demokratischen Elementen (vgl. VfSlg. 13.500/1993) -, wie er der Bundesverfassung insgesamt zu Grunde liegt, nicht mehr zu vereinbaren.

Zu Folge der in Prüfung gezogenen Regelung könnte letztlich jedes beliebige Gesetz im Wege dieser "Volksgesetzgebung" erlassen werden. Damit wird aber ein Konkurrenzmodell zum parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren konstituiert, das mit dem repräsentativ-demokratischen Grundprinzip der Bundesverfassung nicht mehr vereinbar ist.

Es kommt nicht darauf an, ob sich der Landtag der ihn von Landesverfassungs wegen treffenden Verpflichtung allenfalls de facto entzieht.

Feststellung der Verfassungswidrigkeit der angewendeten Wortfolge des Art33 Abs6 Vlbg Landesverfassung idF LGBl. 30/1984.

In der gemäß Art38 Vlbg Landesverfassung neu kundgemachten Fassung (siehe Verordnung LGBl. 9/1999 über die Neukundmachung der Landesverfassung) war die Wortfolge "oder das Landesvolk durch Volksabstimmung entschieden" in Art33 Abs6 Vlbg Landesverfassung als verfassungswidrig aufzuheben.

(Anlaßfall: E v 28.06.01, B1304/98 - Aufhebung des angefochtenen Bescheides).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Auslegung Verfassungs-, Versteinerungstheorie, Gesetz, Landesgesetz, Bundesstaatsprinzip, Grundprinzipien der Verfassung, demokratisches Grundprinzip, Landesverfassung, Verwaltungsgerichtshof Zuständigkeit, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Verwerfungsumfang, Volksabstimmung, Volksbegehren, Wiederverlautbarung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:G103.2000

Dokumentnummer

JFR_09989372_00G00103_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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