RS Vfgh 2002/6/28 G8/02

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Veröffentlicht am 28.06.2002
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs3 erster Satz
B-VG Art140 Abs5
ASVG §49 Abs3
ASVG §73 Abs1a idF BudgetbegleitG 2001

Leitsatz

Keine sachliche Rechtfertigung der Einbeziehung bestimmter Zusatzpensionsleistungen in die Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung; verfassungswidrige Differenzierung aufgrund der Herkunft der Zusatzpension von aus öffentlichen Mitteln finanzierten Rechtsträgern

Rechtssatz

Aufhebung des §73 Abs1a ASVG idF §66 Z9 BudgetbegleitG 2001.

§73 Abs1a ASVG erfaßt im wesentlichen jene Zusatzpensionsleistungen, die von Gebietskörperschaften und von sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts, insbesondere von Selbstverwaltungskörpern (zB von den gesetzlichen beruflichen Vertretungen, aber auch - wie im Anlaßbeschwerdefall - von Sozialversicherungsträgern) bezogen werden. Zusatzpensionen, die von den durch §73 Abs1a ASVG nicht erfaßten Rechtsträgern gewährt werden, bleiben weiterhin von der Beitragspflicht ausgenommen.

Die Herkunft eines Bezuges aus öffentlichen Mitteln ist nicht geeignet, jedwede Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Arbeitsentgelten und Pensionsbezügen sachlich zu rechtfertigen:

Ebensowenig wie die Herkunft eines Bezuges aus öffentlichen Mitteln zB eine höhere Einkommensbesteuerung zu rechtfertigen vermöchte, vermag sie - angesichts der vergleichbaren, an sich verfassungsrechtlich unbedenklichen gesetzgeberischen Absicht, die tatsächliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der betreffenden Person für die Finanzierung der Krankenversicherung in Anspruch zu nehmen - die Einbeziehung nur solcher Bezüge in die Beitragspflicht zur Krankenversicherung von Pensionsbeziehern zu rechtfertigen.

Der Umstand, daß Zusatzpensionen von in §73 Abs1a ASVG bezeichneten Rechtsträgern "im Regelfall" auf Grund eines "gesetzlichen Auftrags" zu gewähren seien, macht in bezug auf die Krankenversicherung keinen sachlichen Unterschied zu anderen Pensionsleistungen, da auf alle diese Pensionen aus der Sicht des Leistungsbeziehers ein (einzel- oder kollektivvertraglich begründeter) Rechtsanspruch besteht.

Nach der derzeitigen Rechtslage tritt im übrigen nicht einmal im Ausmaß der von den Dienstnehmern entrichteten Pensionsbeiträge für Zusatzpensionen eine Verminderung der Beitragsgrundlage (und damit der Dienstgeber- und der Dienstnehmerbeiträge) in der gesetzlichen Krankenversicherung ein (vgl §49 Abs3 ASVG). Eine Zusatzpension dieser Art vermag lediglich die Einkommensersatzrate nach Wegfall des Erwerbseinkommens im Verhältnis zur gesetzlichen Pensionsversicherung zu verbessern, vor allem im Falle hoher Erwerbseinkommen den oberhalb der Höchstbeitragsgrundlage eintretenden Einkommensausfall zu vermindern. Die Höhe des gesetzlichen Pensionsanspruches bleibt davon unberührt.

Eine Aufhebung bloß der Wortfolge "von regelmäßig aus öffentlichen Mitteln finanzierten Rechtsträgern" in §73 Abs1a erster Satz ASVG sowie des damit in untrennbarem Zusammenhang stehenden letzten Satzes des §73 Abs1a ASVG hätte zur Folge, daß künftig jede Zusatzpensionsleistung, gleichgültig, von welchem Rechtsträger sie gewährt wird, bis zum Erreichen der Höchstbeitragsgrundlage der Krankenversicherungsbeitragspflicht unterläge. Diese Maßnahme wäre zwar ebenfalls geeignet, eine verfassungskonforme Rechtslage herzustellen, sie käme jedoch einerseits einem positiven Gesetzgebungsakt gleich; zudem wäre die dadurch bewirkte - umfassende - Beitragspflicht ohne weitere gesetzgeberische Vorkehrungen nicht vollziehbar. Ein solch weitreichender Eingriff in den Rechtsbestand muß daher dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.

Für den Fall der Aufhebung hat die Bundesregierung beantragt, der Verfassungsgerichtshof möge für das Außerkrafttreten eine Frist von 18 Monaten bestimmen, um "angesichts der Finanzsituation der gesetzlichen Krankenversicherung die Ausarbeitung der erforderlichen Ersatzregelungen zu ermöglichen". In Erwägung dieses Gesichtspunktes, jedoch auch angesichts des Umstands, daß die aufgehobene Bestimmung eine verfassungswidrige finanzielle Belastung einer Gruppe von Pensionsbeziehern bewirkt, sieht sich der Verfassungsgerichtshof nicht bestimmt, für das Außerkrafttreten der als verfassungswidrig erkannten Gesetzesbestimmung eine längere Frist als bis 31.12.02 festzusetzen.

Entscheidungstexte

  • G 8/02
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 28.06.2002 G 8/02

Schlagworte

Sozialversicherung, Krankenversicherung, Beitragspflicht (Sozialversicherung), Beitragsgrundlagen (Sozialversicherung), VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / Fristsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:G8.2002

Dokumentnummer

JFR_09979372_02G00008_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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