TE Vfgh Erkenntnis 2006/2/28 V86/05

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Veröffentlicht am 28.02.2006
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art18 Abs2
GeschwindigkeitsbeschränkungsV der Stadtgemeinde Mödling vom 01.09.03 betreffend Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h ua in der Südtiroler Gasse
StVO 1960 §20 Abs2, §43 Abs1 litb Z1

Leitsatz

Keine Gesetzwidrigkeit der Erlassung einer 30 km/h-Zone in Mödling; ausreichende Grundlagenforschung sowie Interessenabwägung; Geschwindigkeitsbeschränkung gerechtfertigt im Hinblick auf Verkehrsberuhigung und Verkehrssicherheit

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Der Bürgermeister der Stadtgemeinde Mödling hat am 1. September 2003 gemäß §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 folgende Verordnung, Zl. I-V-17-2003, erlassen:

"V e r o r d n u n g

des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Mödling

Aufgrund des §94d Z4 litd Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. 159/1960 i.d.d.g.F. (StVO 1960) wird verordnet:

Gemäß §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 werden im Gebiet der Stadtgemeinde Mödling nachstehende Verkehrsbeschränkungen verfügt:

In den Gebieten, gebildet aus den nachstehenden Gemeindestraßen, ist das Befahren mit einer höheren Geschwindigkeit als 30 km/h verboten:

Achsenaugasse, Am Eichkogel, An der Goldenen Stiege, An der Königwiese, ... Sterzinger Gasse, Südtiroler Gasse, Templergasse, Türkengasse, Ungargasse, Untere Bachgasse, Viechtlgasse, Wehrgasse, Weißes Kreuz-Gasse, Weyprechtgasse, Wiesengasse, Windtalgasse.

Zur Kundmachung dieser Verordnung gemäß §44 StVO 1960 sind die Verkehrszeichen gemäß §52 Z11a StVO 1960 'Zonenbeschränkung' in Verbindung mit einem Verkehrszeichen gemäß §52 Z10a StVO 1960 'Geschwindigkeitsbeschränkung (erlaubte Höchstgeschwindigkeit)' mit der Inschrift '30' auf allen in diese Zonen einmündenden Straßenzügen bzw. die Verkehrszeichen gemäß §52 Z11b StVO 1960 'Ende der Zonenbeschränkung' in Verbindung mit einem Verkehrszeichen gemäß §52 Z10b StVO 1960 'Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung' mit der Inschrift '30' an der Rückseite der oben genannten Verkehrszeichen kundzumachen.

Dem §94f StVO 1960 wurde aufgrund der am 23. Juli 2003 stattgefundenen Verkehrsverhandlung entsprochen.

Der Tag der Anbringung der Verkehrszeichen ist gemäß §44 StVO 1960 durch Aktenvermerk festzuhalten.

Sämtliche mit dieser Verordnung in Widerspruch stehenden Verordnungen werden aufgehoben.

Der Bürgermeister:

..."

1.2. Vor Erlassung der Verordnung ließ die Stadtgemeinde Mödling ein "Konzept für die Einführung der Tempo 30/50-Regelung in der Stadt Mödling - verkehrstechnische Begutachtung, Vorgangsweise" von Dipl.-Ing. Dr. G S und Dipl.-Ing. G R erstellen. Bezüglich der "Südtiroler Straße (Gasse)" - sowohl im Abschnitt "Im Felberbrunn bis: Fabriksgasse" als auch "Fabriksgasse bis: Weißes Kreuz Gasse" - erfolgte folgende Beurteilung:

"Dieser Straßenzug ist aus verkehrlicher Beurteilung der Anlagenverhältnisse, der Straßenorganisation und der Kreuzungssituation sowie aus daraus abzuleitenden Verkehrssicherheits- und Umweltgründen mit einer

'Tempo 30'-Beschränkung zu belegen."

Am 23. Juli 2003 führte die Stadtgemeinde Mödling ua. im Beisein von Vertretern des Gendarmeriepostens Mödling, der Kammer der gewerblichen Wirtschaft und des Amtssachverständigen Dipl.-Ing. H M eine mündliche Verhandlung durch. In der Verhandlungsschrift vom 23. Juli 2003 wurde dargelegt:

"Die Stadtgemeinde Mödling beabsichtigt, im Ortsgebiet von Mödling 30 km/h-Zonen einzurichten. Dazu liegt das Konzept für die Einführung der Tempo 30/50 Regelung in der Stadt Mödling vor ... Als Anhang wurden der Ausbauzustand und die Anlageverhältnisse der betroffenen Straßenzüge erhoben und es wurden dort Maßnahmen beschrieben, die gegebenenfalls unterstützend umzusetzen sind.

...

Es wurden die Fahrbahnbreiten in den beabsichtigten Zonen erhoben, wobei Fahrbahnbreiten über 5,0 m ausgewiesen wurden. Es handelt sich um folgende Straßen:

...

Südtirolerstraße [gemeint wohl: Südtiroler Gasse]: Die Breite beträgt etwa 5,10 m. Das Verkehrsaufkommen ist hoch. Durch die beidseits vorhandenen Baumscheiben werden die Seitenflächen als Parkspuren verwendet, sodass die effektive Fahrbahnbreite manchmal geringer ist. Es werden keine gesonderten Maßnahmen gesetzt."

Im verkehrstechnischen Gutachten, das in der Verhandlungsschrift vom 23. Juli 2003 enthalten ist, führte der Amtssachverständige aus:

        "Aus verkehrstechnischer Sicht sind die vorgesehenen Bereiche

für die 30 km/h-Zonen so gewählt, dass die Mehrzahl der betroffenen

Straßen abseits der Hauptdurchzugsrouten lieg[t]. Es weisen jedoch

insbesondere die Weißes Kreuz-Gasse und die Lowatschekgasse -

Südtiroler... [Gasse] Frequenzen auf, wie sie auf Durchzugsstraßen

üblich sind. An den vier Querschnitten der Kreuzung ergeben sich ...

Belastungen: ... Für die Weißes Kreuz-Gasse ist es daher notwendig,

dass ein Konzept für die Umgestaltung ausgearbeitet wird, das auch eine Verbesserung für die Kreuzung mit der Lowatschekgasse - Südtirolergasse vorsieht. Hier ist es sinnvoll, Varianten der möglichen Regelung zu untersuchen.

Es wird darauf hingewiesen, dass auf der Weißes Kreuz-Gasse derzeit bereits eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 40 km/h gilt. Eine unbedingte Notwendigkeit, dass für diese wichtige innerörtliche Verbindung nunmehr eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h zu erlassen ist, lässt sich aus den vorhandenen Unterlagen nicht ableiten.

Grundsätzlich kann das vorgelegte Konzept umgesetzt werden, wobei sich die Gültigkeitsbereiche der Zonenbeschränkung und die Kundmachungsorte aus den Unterlagen ergeben. Auf die im Befund beschriebenen Maßnahmen wird verwiesen."

1.3. Mit Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Mödling vom 11. Februar 2004 wurde die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Mödling vom 1. September 2003 hinsichtlich der Straßenzüge Weißes Kreuz-Gasse und Payergasse aufgehoben.

2.1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, (im Folgenden: UVS) ist eine Berufung gegen ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 14. Juli 2004 anhängig, mit welchem die Berufungswerberin bestraft wurde, weil sie am 14. Oktober 2003 um 21.48 Uhr im Ortsgebiet Mödling auf Höhe der Südtiroler Gasse 10, in Fahrtrichtung Weißes Kreuz-Gasse, die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h überschritten habe.

Aus Anlass dieses Berufungsverfahrens stellte der UVS gemäß Art129a Abs3 iVm. Art89 Abs2 und Art139 Abs1 B-VG den Antrag, "auszusprechen, dass die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Mödling vom 0l.09.2003, ZI. I-V-17-2003, in dem Umfang, in welchem gemäß §43 Abs1 litb Z. 1 StVO das Befahren der im Gebiet der Stadtgemeinde Mödling gelegenen Gemeindestraße 'Südtiroler Gasse' mit einer höheren Geschwindigkeit als 30 km/h verboten worden ist, als gesetzwidrig aufgehoben wird".

2.2. Beim antragstellenden UVS entstanden Zweifel ob der Gesetzmäßigkeit der vorliegenden Verordnung, weil ihr nicht zu entnehmen sei, "aus welchem der in §43 Abs1 litb Z. 1 StVO genannten Gründe ein konkretes Erfordernis bestanden hat bzw. besteht, das Befahren der 'Südtiroler Gasse' mit einer höheren Geschwindigkeit als 30 km/h zu verbieten". Auch dem Verordnungsakt sei kein Erfordernis zu entnehmen, die erlaubte Höchstgeschwindigkeit durch die Verordnung zu reduzieren.

Über Auftrag des UVS hat der verkehrstechnische Amtssachverständige Dipl.-Ing. H M am 15. Juli 2005 unter Verwertung der Ergebnisse des von ihm am 22. Juni 2005 durchgeführten Ortsaugenscheins neuerlich ein Gutachten erstattet. Der Amtssachverständige führt zunächst in seinem Befund aus:

        "Seitens der Stadtgemeinde Mödling wurde innerhalb mehrerer

Jahre ein Verkehrskonzept ausgearbeitet. ... Ein Teil des

Verkehrskonzeptes ist, dass auf den Hauptverkehrsstraßen und

Durchzugsstraßen ... die im Ortsgebiet allgemein geltende

Geschwindigkeitsbeschränkung beibehalten wird. Für

Aufschließungsstraßen und Sammelstraßen geringer Verkehrsbedeutung

sollten Zonenbeschränkungen auf 30 km/h erlassen werden.

Unter dieser Voraussetzung wurden jene Straßen definiert, die in die Zone integriert werden sollen. In den Vorgesprächen zwischen Planern, Gemeinde und Amtssachverständigen wurden Kriterien ausgearbeitet, nach denen die Straßen hinsichtlich ihrer Eignung in die Aufnahme in die Zone überprüft wurden. Ein wesentliches Kriterium war dabei, dass die Fahrbahnbreite 5,0 m nicht wesentlich überschreiten soll.

In weiterer Folge wurden von den Projektanten die Breite der Fahrbahnen der Straßen innerhalb der Zonen erhoben und jene Bereiche ausgewiesen, in denen Straßenbreiten größer als 5,0 m vorhanden waren. Auf diese Straßen wurde dann im Verfahren für die Verordnung seitens des ASV [Amtssachverständigen] für Verkehrstechnik speziell eingegangen.

...

Beim Ortsaugenschein am 22. Juni 2005 wurde festgestellt, dass [die] seitens der Projektanten angegebene Breite [der Südtiroler Gasse] zwischen den Baumscheiben teilweise überschritten wird. Es wurde eine Breite von ca. 5,30 m erhoben, wobei die Messungen im Abschnitt zwischen der Steinfeldergasse und der Weißes Kreuz-Gasse erfolgt sind. ... Die Baumscheiben sind an den beiden Fahrbahnrändern versetzt zueinander angeordnet, sodass diese einander nicht gegenüber stehen.

Die Südtirolergasse verläuft im gegenständlichen Bereich ab der Weißes Kreuz-Gasse annähernd in Richtung Osten. Sie verläuft im Wesentlichen geradlinig und eben. Im Kreuzungsbereich mit der Fabriksgasse beschreibt sie einen geringen Bogen. Dadurch kommt es zu Sichteinschränkungen im Kreuzungsbereich und es [ist] deshalb ein Verkehrsspiegel vorhanden. Zwischen der Fabriksgasse und der Unterführung unter der Südbahn ist nordseitig ein kombinierter Geh- und Radweg ausgebaut. In der Unterführung Südbahn besteht eine Engstelle, wobei der Verkehr durch VZ [Verkehrszeichen] 'Wartepflicht bei Gegenverkehr' bzw. VZ [Verkehrszeichen] 'Wartepflicht für Gegenverkehr' geregelt ist. Weiters ist eine Höhenbeschränkung kundgemacht. Die Südtirolergasse wird von Linienbussen befahren."

In seinem Gutachten kommt der Amtssachverständige zu dem Schluss, dass sich die Südtiroler Gasse in ihren Anlageverhältnissen von anderen Straßen in Siedlungsgebieten nicht wesentlich unterscheide. Aus diesem Grund lasse sich in der Gesamtbetrachtung weder im September 2003 noch zur Tatzeit am 14. Oktober 2003 die Notwendigkeit der Verordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h aufgrund des §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 aus verkehrstechnischer Sicht ableiten.

Gestützt auf dieses Gutachten ist beim UVS das folgende Bedenken entstanden:

        "In Anbetracht des Inhaltes des Aktes der Stadtgemeinde

Mödling, ... (Verordnungsakt), welchem ein konkretes Erfordernis für

eine, die 'Südtiroler Gasse' betreffende,

Geschwindigkeitsbeschränkung nicht entnehmbar ist, und des Inhaltes

des verkehrstechnischen Gutachtens vom 15.07.2005, nach welchem für

die 'Südtiroler Gasse' eine Geschwindigkeitsbeschränkung i.S.d. §43

Abs1 litb Z. 1 StVO ... nicht notwendig ist, die gegenständliche

Geschwindigkeitsbeschränkung somit nicht erforderlich ist, hegt der

Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ, Außenstelle Wr. Neustadt,

Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Bürgermeisters

der Stadtgemeinde Mödling vom 01.09.2003 ... im Umfange des Verbotes

des Befahrens der 'Südtiroler Gasse' mit einer höheren Geschwindigkeit als 30 km/h im Hinblick auf die Bestimmungen des §43 Abs1 litb Z. 1 StVO, zumal die angefochtene Verordnung selbst §43 Abs1 litb Z. 1 StVO als Rechtsgrundlage bezeichnet."

3. Der erste Vizebürgermeister der Stadtgemeinde Mödling erstattete in Vertretung des Bürgermeisters eine schriftliche Äußerung, in der er die Abweisung des Antrages begehrt. Den Bedenken des UVS hält er entgegen, dass der Amtssachverständige Dipl.-Ing. H M, der auch das Gutachten vom 15. Juli 2005 erstellt habe, in der Verhandlung vom 23. Juli 2003 aufgrund ausführlicher Grundlagenforschung und genauer örtlicher Begutachtungen zu dem Schluss gekommen sei, dass das dem Verordnungsakt angeschlossene Gesamtverkehrskonzept für die Einführung der Tempo 30/50-Regelung in der Stadt Mödling - insbesondere auch hinsichtlich der Südtiroler Gasse - gemäß den Bestimmungen der StVO 1960 umgesetzt werden könne.

Zur Verdeutlichung der Notwendigkeit der Verordnungserlassung wurde ein weiteres verkehrstechnisches Gutachten des Konzepterstellers Dipl.-Ing. Dr. G S vom 10. Oktober 2005 vorgelegt, welches zu dem Schluss kommt:

"Die Zielsetzungen der Straßenverkehrsordnung ... mach[en] für die Südtiroler Gasse die Verordnung von Tempo 30 als zulässige Höchstgeschwindigkeit erforderlich und zweckmäßig. Insbesondere erfüllt die Einführung von Tempo 30 das Kriterium Sicherheit, aber auch die Kriterien Widmung des Gebietes, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs unterstützen die Einführung bei ganzheitlicher Betrachtung. Die Geschwindigkeitsbeschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h erfüllt diese Erfordernisse signifikant besser als eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h oder 50 km/h. Die Südtiroler Gasse unterscheidet sich hinsichtlich der Funktion und der Kriterien Verkehrssicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs sowie der Widmung des Gebietes signifikant von innerörtlichen Verkehrsstraßen, für die Tempo 50 die laut StVO vorgesehene Geschwindigkeit ist."

4. Die Niederösterreichische Landesregierung wurde zu einer Äußerung eingeladen, erstattete jedoch keine.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Zulässigkeit:

Es ist offenkundig, dass der UVS bei seiner Entscheidung über die bei ihm anhängige Berufung die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Mödling vom 1. September 2003, deren Übertretung Voraussetzung für die Bestrafung der Berufungswerberin ist, anzuwenden hat.

Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren gemäß Art139 Abs1 und Art129a Abs3 iVm. Art89 Abs2 und 3 B-VG zulässig.

2. In der Sache:

2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung ist der Verfassungsgerichtshof in einem auf Antrag eingeleiteten Normprüfungsverfahren an die im Antrag aufgeworfenen Bedenken gebunden, sodass er ausschließlich beurteilt, ob die angefochtenen Bestimmungen aus den in der Begründung des Antrags dargelegten Gründen gesetz- bzw. verfassungswidrig sind (vgl. zB VfSlg. 12.691/1991, 12.947/1991, 13.471/1993, 13.704/1994, 14.050/1995, 14.466/1996).

2.2. Zunächst ist dem Bedenken des UVS, wonach der Verordnung nicht zu entnehmen sei "aus welchem der in §43 Abs1 litb Z. 1 StVO genannten Gründe ein konkretes Erfordernis bestanden hat bzw. besteht, das Befahren der 'Südtiroler Gasse' mit einer höheren Geschwindigkeit als 30 km/h zu verbieten", zu entgegnen, dass die Unterlassung, das konkrete Erfordernis iSd. §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 zu nennen, nicht die Gesetzwidrigkeit einer Verordnung bewirkt. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 9253/1981, 16.094/2001, 17.353/2004) bewirkt nicht einmal die Unterlassung der Zitierung der Rechtsgrundlage einer Verordnung - sofern das Gegenteil nicht ausdrücklich angeordnet ist - bzw. die Angabe einer falschen Rechtsgrundlage die Gesetzwidrigkeit einer Verordnung.

2.3. Das Bedenken, wonach auch dem Verordnungsakt kein Erfordernis für die Erlassung der Geschwindigkeitsbeschränkung zu entnehmen sei, ist ebenfalls unzutreffend:

2.3.1. Gemäß §43 Abs1 litb StVO 1960 hat die Behörde für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung, wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert, dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote (...) zu erlassen.

Wie der Verfassungsgerichtshof in den Erkenntnissen VfSlg. 8984/1980 und 9721/1983 ausführte und ua. in VfSlg. 13.371/1993 und 14.051/1995 wiederholte, sind "bei Prüfung der Erforderlichkeit einer Verordnung nach §43 StVO 1960 ... die bei der bestimmten Straße oder Straßenstrecke, für welche die Verordnung erlassen werden soll, anzutreffenden, für den spezifischen Inhalt der betreffenden Verordnung relevanten Umstände mit jenen Umständen zu vergleichen, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen". Der Verfassungsgerichtshof geht sohin in ständiger Judikatur davon aus, dass die Behörde bei Anwendung der vom Gesetzgeber mit unbestimmten Begriffen umschriebenen Voraussetzungen für die Erlassung von Geschwindigkeitsbeschränkungen durch Verordnung einen Vergleich der Verkehrs- und Umweltverhältnisse anzustellen hat:

Die betreffenden Verhältnisse an den Straßenstrecken, für die eine Geschwindigkeitsbeschränkung in Betracht gezogen wird, müssen derart beschaffen sein, dass sie eine Herabsetzung der vom Gesetzgeber selbst allgemein für den Straßenverkehr in §20 Abs2 StVO 1960 festgesetzten Höchstgeschwindigkeiten rechtfertigen (zB VfSlg. 16.016/2000, 16.917/2003).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat die Behörde vor Erlassung einer Verordnung gemäß §43 StVO 1960 die im einzelnen umschriebenen Interessen an der Verkehrsbeschränkung mit dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße abzuwägen und dabei die (tatsächliche) Bedeutung des Straßenzuges zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 8086/1977, 9089/1981, 12.944/1991, 13.449/1993, 13.482/1993). Die sohin gebotene Interessenabwägung erfordert sowohl die nähere sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für Bevölkerung und Umwelt, vor denen die Verkehrsbeschränkung schützen soll, als auch eine Untersuchung "der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrserfordernisse" durch ein entsprechendes Anhörungs- und Ermittlungsverfahren (vgl. VfSlg. 12.485/1990, 13.449/1993, 16.805/2003 sowie jüngst VfGH 13.6.2005, V128/03).

2.3.2. Die Stadtgemeinde Mödling ließ vor Verordnungserlassung ein "Konzept für die Einführung der Tempo 30/50-Regelung in der Stadt Mödling - verkehrstechnische Begutachtung, Vorgangsweise" erstellen. Ziel des Verfahrens war es, Tempo-30 Zonen zur Verkehrsberuhigung und zur Erhöhung der Verkehrssicherheit einzuführen. Als Ergebnis der verkehrstechnischen Begutachtung sollte eine Aussage unter Beachtung der Kriterien der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs für jeden betroffenen Straßenzug erarbeitet werden (s. S 3 bzw. 14 des Konzeptes). Im Hinblick auf die Südtiroler Gasse wurde im Rahmen der Konzepterstellung festgestellt, dass dieser Straßenzug aufgrund der Anlagenverhältnisse, der Straßenorganisation und der Kreuzungssituation sowie aus daraus abzuleitenden Verkehrssicherheits- und Umweltgründen mit einer

30 km/h Geschwindigkeitsbeschränkung zu belegen sei. In der Folge wurde das Konzept der mündlichen Verhandlung vom 23. Juli 2003 zugrunde gelegt. In dieser kam der Amtssachverständige Dipl.-Ing. H M, der später auch das dieser Verordnungsanfechtung zugrunde liegende Gutachten für den UVS erstellte, zu dem Schluss, dass das Konzept grundsätzlich umgesetzt werden könne. Der Amtssachverständige erachtete für die Südtiroler Gasse keine weiteren Maßnahmen für notwendig.

Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass diese Unterlagen eine hinreichende Grundlage für die gebotene Interessenabwägung bieten und zu dokumentieren vermögen, dass die verordnungserlassende Behörde vor Erlassung der Verkehrsbeschränkung die für die gebotene Interessenabwägung notwendige sachverhaltsmäßige Klärung der Voraussetzungen des §43 Abs1 litb StVO 1960 vorgenommen hat und sohin in der Lage war, die einzelnen in §43 StVO 1960 umschriebenen Interessen an der Verkehrsbeschränkung mit dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße abzuwägen.

Wie sich aus dem Verordnungsakt eindeutig ergibt, wurde die Einrichtung der 30 km/h-Zone unter anderem auf den Aspekt der Verkehrssicherheit gestützt. Der Verfassungsgerichtshof kann der verordnungserlassenden Behörde aus dem Blickwinkel der Voraussetzungen des §43 Abs1 litb StVO 1960 nicht entgegengetreten, wenn sie - ausgehend von der konkreten Gestaltung der Südtiroler Gasse und aufbauend auf den Aussagen des Amtssachverständigen in der Verhandlung vom 23. Juli 2003 - eine Geschwindigkeitsbeschränkung erlässt.

2.4. Der Verfassungsgerichtshof kann auch im Hinblick auf die vom Amtssachverständigen Dipl.-Ing. H M im Rahmen des Verfahrens vor dem UVS nunmehr festgestellte Breite der Südtiroler Gasse nicht finden, dass die vorliegende Verordnung nicht erforderlich iSd. §43 Abs1 litb StVO 1960 sei, zumal die Straßenbreite lediglich ein Kriterium für die Aufnahme in die 30 km/h-Zone war.

2.5. Der Antrag war daher abzuweisen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Straßenpolizei, Sachverständige, Geschwindigkeitsbeschränkung, Verordnungserlassung, Verfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:V86.2005

Dokumentnummer

JFT_09939772_05V00086_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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