TE Vfgh Erkenntnis 1982/9/27 B375/79

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Veröffentlicht am 27.09.1982
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art83 Abs2
AgrBehG §7 Abs2 Z3
AVG §73 Abs2

Leitsatz

AVG 1950; rechtswidrige Abweisung eines Devolutionsantrages gemäß §73 Abs2 (mit Vorlage der Verwaltungsakten an den VfGH begründete Untätigkeit); Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Die Nö. Agrarbezirksbehörde hat in dem mit Verordnung vom 8. Feber 1972, Z 4280-72, eingeleiteten Verfahren zur Zusammenlegung der landwirtschaftlichen Grundstücke in Dippersdorf mit dem Bescheid vom 28. März 1975 den Zusammenlegungsplan erlassen. Gegen diesen Zusammenlegungsplan hat die Beschwerdeführerin Berufung an den Landesagrarsenat beim Amt der Nö. Landesregierung (im folgenden: LAS) erhoben.

b) Da vom LAS über diese Berufung nicht innerhalb der Frist des §73 AVG entschieden worden war, hat der Oberste Agrarsenat beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft (im folgenden: OAS) auf Grund des von der Beschwerdeführerin am 2. April 1976 gestellten Verlangens mit dem Bescheid vom 7. Juli 1976 die Zuständigkeit zur Entscheidung gemäß §73 Abs2 AVG 1950 in Anspruch genommen und der Berufung stattgegeben, den angefochtenen Zusammenlegungsplan in Ansehung der Abfindung der Beschwerdeführerin behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Nö. Agrarbezirksbehörde zurückverwiesen.

Die, für die genannte Behörde bestimmte Ausfertigung der Entscheidung des OAS ist bei dieser am 20. Oktober 1976, das Schreiben des LAS vom 25. Oktober 1976, mit dem die Verwaltungsakten an die Agrarbezirksbehörde übermittelt wurden, am 3. November 1976 eingelangt.

2. Im Rahmen des Grundzusammenlegungsverfahrens hatte die Nö. Agrarbezirksbehörde mit dem Bescheid vom 20. Feber 1976 über eine von der Beschwerdeführerin am 9. Dezember 1975 erhobene Klage wegen Besitzstörung (§339 ABGB iVm §97 des Nö. Flurverfassungs-Landesgesetzes, LGBl. 6650-1) zu entscheiden. In diesem Bescheid wurde ausgesprochen, daß zwar die Beklagten die Störungshandlungen zu unterlassen haben, daß aber das von der Beschwerdeführerin gestellte Begehren auf Ersatz der im Verfahren vor der Nö. Agrarbezirksbehörde erwachsenen Kosten gemäß §74 Abs1 AVG 1950 abgewiesen wird.

Über die gegen den abweisenden Teil des Bescheides der Nö. Agrarbezirksbehörde vom 20. Feber 1976 von der Beschwerdeführerin erhobene Berufung hat der LAS innerhalb der Frist des §73 Abs1 AVG 1950 nicht entschieden. Diese Berufung wurde auf Grund des von der Beschwerdeführerin gemäß §73 Abs2 AVG 1950 gestellten Verlangens vom OAS mit dem Bescheid vom 6. Juli 1977 gemäß §1 des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG 1950 und den §§66 Abs4 im Zusammenhalt mit 74 Abs1 AVG 1950 als unbegründet abgewiesen.

Gegen diese Entscheidung des OAS erhob die Beschwerdeführerin beim VfGH die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde. In dem zu B411/77 protokollierten Beschwerdeverfahren hat der OAS mit Schreiben vom 6. Dezember 1977 eine Gegenschrift erstattet und die Verwaltungsakten - auch der unteren Instanzen vorgelegt.

Mit dem (den Parteien am 20. November 1980 zugestellten) Erk. vom 6. Oktober 1980 B411/77 (VfSlg. 8891/1980) wurde die Entscheidung des OAS vom 6. Juli 1977 wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes der Beschwerdeführerin auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter aufgehoben.

3. a) Da nach der mit dem Bescheid des OAS vom 7. Juli 1976 erfolgten Aufhebung des Zusammenlegungsplanes in Ansehung der Abfindung der Beschwerdeführerin ein neuerlicher Zusammenlegungsplan von der Nö. Agrarbezirksbehörde nicht erlassen wurde, stellte die Beschwerdeführerin am 9. März 1978 beim LAS den Antrag, den Übergang der Entscheidungspflicht des §73 AVG 1950 festzustellen und den Sachbescheid zu erlassen.

Im Hinblick darauf, daß auch über diesen Antrag vom LAS innerhalb der Frist des §73 Abs1 AVG 1950 nicht entschieden worden war, begehrte die Beschwerdeführerin mit einem am 3. April 1979 an den OAS gerichteten Antrag, dieser möge seine Zuständigkeit in Anspruch nehmen und eine Sachentscheidung erlassen. Die Antragstellerin treffe an der Verzögerung kein Verschulden, der LAS hätte daher schon längst und ohne Schwierigkeiten seiner Entscheidungspflicht nachkommen können.

b) Mit dem Bescheid des OAS vom 2. Mai 1979 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin "gemäß §1 AgrVG 1950; §73 Abs2 letzter Satz AVG abgewiesen".

In der Begründung des Bescheides wird darauf verwiesen, daß der OAS in dem beim VfGH anhängigen Beschwerdeverfahren zu B411/77 (Z2.) eine Gegenschrift erstattet und mit Schreiben vom 6. Dezember 1977 sämtliche, das Zusammenlegungsverfahren Dippersdorf betreffende Verwaltungsakten der Nö. Agrarbezirksbehörde, des LAS und des OAS dem VfGH vorgelegt habe. Sodann wird ausgeführt:

"Bei dieser Sachlage liegt nach Ansicht des Obersten Agrarsenates ein ausschließliches Verschulden der Behörde an der Verzögerung der Entscheidung nicht vor. Für die Erlassung eines Bescheides, mit der zugunsten einer Partei eine neue Flureinteilung festgelegt wird und mit dem zwangsläufig in die Rechte anderer Parteien eingegriffen wird, ist für die entscheidende Behörde das Vorliegen der Verwaltungsakten unbedingt Voraussetzung. Sie muß schließlich aus den Verwaltungsakten jederzeit prüfen können, ob nicht etwa durch die Neugestaltung der Abfindung andere Parteien in der Gesetzmäßigkeit ihrer Abfindung verletzt werden. Auch der VwGH hat in seiner Entscheidung vom 20. Jänner 1972, Zl. 61/72 (vgl. Egger, Die Rechtsprechung des VwGH 1971 bis 1974, Österreichische Staatsdruckerei, Band 22 C, S 152 Nr. 5) ausgesprochen, daß eine Verzögerung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde iS des §73 Abs2 AVG 1950 zurückzuführen ist, wenn die Behörde einen Parteienantrag nicht erledigen kann, weil sie die Akten dem VfGH über dessen Aufforderung vorgelegt hat. Der belangten Behörde steht es aber auch nicht zu, dem VfGH nur jene Teile der Akten vorzulegen, die ihrer Meinung nach für dessen Entscheidung wesentlich sind; sie hat vielmehr alle angeforderten Akten zu übermitteln und es dem Höchstgericht zu überlassen, zu beurteilen, welche Akten es für seine Entscheidung benötigt. Bei dieser Sach- und Rechtslage mußte der vorliegende Antrag abgewiesen werden."

4. Gegen den Bescheid des OAS vom 2. Mai 1979 richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde. Die Beschwerdeführerin behauptet, daß mit dem angefochtenen Bescheid eine Sachentscheidung verweigert worden sei und daß diese "grundlose Verweigerung der Sachentscheidung ... eine Verletzung des Gleichheitsgebotes bzw. des Grundrechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter" darstelle.

Es wird die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, für den Fall der Abweisung die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. a) Nach dem gemäß §1 AgrVG 1950 auch für das Agrarverfahren geltenden §73 AVG 1950 sind die Behörden verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub spätestens aber 6 Monate nach deren Einlangen, den Bescheid zu erlassen (Abs1).

Wird der Partei innerhalb dieser Frist der Bescheid nicht zugestellt, so geht auf ihr schriftliches Verlangen die Zuständigkeit zur Entscheidung an die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde über. Ein solches Verlangen ist unmittelbar bei der Oberbehörde einzubringen. Das Verlangen ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde zurückzuführen ist (Abs2).

Für die Oberbehörde beginnt der Lauf der in Abs1 bezeichneten Frist mit dem Tage des Einlangens des Parteiverlangens (Abs3).

b) Für die Nö. Agrarbezirksbehörde ist auf Grund der mit dem Bescheid des OAS vom 7. Juli 1976 erfolgten Aufhebung die Verpflichtung zur Entscheidung über die Abfindung der Beschwerdeführerin entstanden.

Über den von der Beschwerdeführerin am 9. März 1978 (I.3.a) gestellten Devolutionsantrag hätte der LAS, der im Verhältnis zur Nö. Agrarbezirksbehörde die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde ist (§2 Abs2 AgrVG 1950), zu entscheiden gehabt.

Dem OAS hingegen kommt - wie aus dem Erk. VfSlg. 8891/1980 hervorgeht - im Verhältnis zum LAS die Funktion der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde nur dann zu, wenn es sich um eine Angelegenheit handelt, in der nach §7 des Agrarbehördengesetzes 1950 idF der Agrarbehördengesetz-Nov. 1974, BGBl. 476/1974, die Berufung an den OAS zulässig ist.

Nach §7 Abs2 Z3 des Agrarbehördengesetzes ist hinsichtlich der Frage der Gesetzmäßigkeit der Abfindung bei der Zusammenlegung land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke die Berufung an den OAS zulässig. Er ist damit bei einem Devolutionsantrag, der die Entscheidung über die Abfindung zum Gegenstand hat, die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde. Der OAS war zuständig, über den von der Beschwerdeführerin am 3. April 1979 (I.3.a) gestellten Devolutionsantrag auf Übergang der Entscheidungspflicht vom LAS an den OAS zu entscheiden.

2. a) Dieser Devolutionsantrag ist mit dem angefochtenen Bescheid abgewiesen worden. Nach dessen Begründung sei die Verzögerung in der Entscheidung über die Abfindung der Beschwerdeführerin insbesondere deshalb nicht ausschließlich auf ein Verschulden des LAS zurückzuführen, weil am 6. Dezember 1977 sämtliche, das Zusammenlegungsverfahren Dippersdorf betreffende Verwaltungsakten der Nö. Agrarbezirksbehörde, des LAS und des OAS im Verfahren zu B411/77 dem VfGH vorgelegt worden und damit für die Erlassung des Bescheides innerhalb der Frist des §73 Abs1 AVG 1950 nicht zur Verfügung gestanden seien. Dies sei aber für die Festlegung der neuen Flureinteilung, die mit verschiedensten Auswirkungen nicht nur auf die Beschwerdeführerin, sondern auch auf die anderen Parteien des Verfahrens verbunden sei, unbedingt erforderlich gewesen.

b) Wie bereits unter I.2. ausgeführt, war Gegenstand des Verfahrens zu B411/77 ein Bescheid, mit dem ein von der Beschwerdeführerin gestelltes Begehren auf Ersatz der Verfahrenskosten in dem durchgeführten Besitzstörungsverfahren gemäß §1 AgrVG 1950 und den §§66 Abs4 im Zusammenhalt mit 74 Abs1 AVG 1950 abgewiesen worden war.

Da sich die für die Agrarbehörde I. Instanz entstandene Verpflichtung auf die Fällung einer Entscheidung über die Abfindung der Beschwerdeführerin bezogen hatte und der LAS verpflichtet war, über den von der Beschwerdeführerin am 9. März 1978 gestellten Devolutionsantrag zu entscheiden, wäre es Aufgabe des LAS gewesen, beim VfGH das - offenkundig nicht aussichtslose - Ersuchen um (vorübergehende) Rücksendung der vorgelegten Verwaltungsakten zu stellen, um die für eine Entscheidung erforderlichen Unterlagen zu erlangen. Ein solches Ersuchen ist nicht gestellt worden; vielmehr ist der LAS nach dem Einlangen des von der Beschwerdeführerin gestellten Devolutionsantrages untätig geblieben. Im gegebenen Zusammenhang hat die allein mit der Vorlage der Verwaltungsakten an den VfGH begründete Untätigkeit dazu geführt, daß die Verzögerungen der - formellen oder materiellen - Entscheidung über den beim LAS von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 9. März 1978 gestellten Devolutionsantrag ausschließlich auf das Verschulden des LAS zurückzuführen sind.

Der OAS hat den bei ihm von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 3. April 1979 gestellten Devolutionsantrag in rechtswidriger Anwendung des §73 Abs2 AVG 1950 abgewiesen. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. VfSlg. 8189/1977 und die angeführte Vorjudikatur) wird durch den Bescheid einer sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde, mit dem ein Antrag auf Zuständigkeitsübergang nach §73 Abs2 AVG 1950 rechtswidriger Weise abgewiesen wird, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. In diesem Recht ist die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid verletzt worden.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis brauchte auf das weitere Beschwerdevorbringen und auf die in der mündlichen Verhandlung vor dem VfGH vorgebrachte Behauptung, daß auch eine Verletzung des Art6 MRK vorliege, nicht weiter eingegangen zu werden.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Devolution, Behördenzuständigkeit, Agrarbehörden, Agrarverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B375.1979

Dokumentnummer

JFT_10179073_79B00375_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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