TE Vfgh Erkenntnis 1983/3/11 B545/79, B469/80

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Veröffentlicht am 11.03.1983
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Index

32 Steuerrecht
32/04 Steuern vom Umsatz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
UStG 1972 §10 Abs2 Z7 litc

Leitsatz

UStG 1972; der Grundsatz der verfassungskonformen Interpretation gebietet, unter einem Architekten in §10 Abs2 Z7 litc auch einen planenden Baumeister zu verstehen; Verletzung des Gleichheitsrechtes

Spruch

Die Bescheide werden aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der zu B545/79 beschwerdeführende Ing. H. K. ist Baumeister in Feldkirch. Er bezeichnete sich im Verwaltungsverfahren als Inhaber eines bautechnischen Büros und in einem ergänzenden Schriftsatz im verfassungsgerichtlichen Verfahren als planender Baumeister.

Die vom Beschwerdeführer erzielten Umsätze des Jahres 1967 in Höhe von S 1,705.119,- unterzog das Finanzamt in Abweichung von der Erklärung dem Normalsteuersatz von 18% mit der Begründung, die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gemäß §10 Abs2 Umsatzsteuergesetz 1972 (UStG 1972) lägen nicht vor. Außerdem wurde im Umsatzsteuerbescheid 1976 der Eigenverbrauch um S 25.830,- höher als erklärt angesetzt. Bei der Einkommensteuerveranlagung für dasselbe Kalenderjahr rechnete das Finanzamt dem erklärten Gewinn aus selbständiger Arbeit einen Betrag von S 13.507,- hinzu.

Mit Bescheid vom 6. November 1979 hat die Finanzlandesdirektion für Vbg. über Berufungen des Beschwerdeführers gegen den Umsatzsteuer- und den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1976 entschieden, die Berufung betreffend die Einkommensteuer abgewiesen und die Umsatzsteuerbemessungsgrundlage sowie die Umsatzsteuer neu festgesetzt, hat jedoch ebenso wie die Abgabenbehörde erster Instanz den ermäßigten Steuersatz des §10 Abs2 Z7 litc UStG 1972 als auf den Beschwerdeführer nicht anwendbar erklärt.

Gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion - soweit er die Festsetzung der Umsatzsteuer betrifft - richtet sich die unter B545/79 protokollierte Beschwerde, in welcher die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und Unversehrtheit des Eigentums sowie die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§10 Abs2 Z7 litc UStG 1972) behauptet und die Aufhebung des Bescheides (im Umfang der Anfechtung), in eventu die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.

2. Der zu B469/80 beschwerdeführende H. K. ist als planender Baumeister in Wien tätig.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. vom 14. Mai 1980 wurde der vom Beschwerdeführer im Jahre 1973 erzielte Umsatz mit dem Hundertsatz von 18 besteuert und der ermäßigte Steuersatz des §10 Abs2 Z7 litc UStG 1972 als auf den Beschwerdeführer als planenden Baumeister nicht anwendbar erklärt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die unter B469/80 protokollierte Beschwerde, in welcher die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des §10 Abs2 Z7 litc UStG 1972 angeregt wird. Es wird beantragt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, in eventu die Beschwerde an den VwGH abzutreten.

3. Die belangten Behörden haben in beiden Fällen in Gegenschriften die Abweisung der Beschwerden beantragt.

4. Der VfGH hat die beiden Beschwerden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung (§§187 und 404 ZPO, 35 VerfGG) verbunden.

II. Der VfGH hat über die Beschwerden erwogen:

1. a) Das Umsatzsteuergesetz 1972, BGBl. 223/1972, bestimmt in §10 Abs2 Z7 litc, daß sich die Steuer auf 8 v. H. der Bemessungsgrundlage (§4) ermäßigt: für die sonstigen Leistungen (ds. gemäß §1 Abs1 Z1 die nicht in Lieferungen bestehenden Leistungen) aus der Tätigkeit als Architekt, staatlich befugter und beeideter Ziviltechniker.

b) Der VfGH hat in dem - ebenfalls den Beschwerdeführer H. K. betreffenden - Erk. VfSlg. 7384/1974 §10 Abs2 Z7 UStG 1972 dahin ausgelegt, daß darin eine steuerliche Begünstigung für einige freiberufliche Tätigkeiten natürlicher Personen und (in litd) diesen Tätigkeiten entsprechende Leistungen bestimmter anderer Rechtsträger enthalten seien. Die besondere Anführung des Architekten neben dem staatlich befugten und beeideten Ziviltechniker (in litc) schaffe ein besonderes Auslegungsproblem, da der Begriff des staatlich befugten und beeideten Ziviltechnikers gemäß §1 ZiviltechnikerG, BGBl. 146/1957, die Architekten, Ingenieurkonsulenten und Zivilingenieure umfasse. Der VfGH sei der Ansicht, daß mit dieser Bestimmung nicht nur ein häufig und allgemein bekannter Beruf aus dem Kreise der Ziviltechniker besonders hervorgehoben werden soll, sondern daß die besondere Anführung der Architekten eine Erweiterung gegenüber den vom Ziviltechnikergesetz geregelten Berufen darstelle. Aus dem übrigen Inhalt der Z7 des §10 Abs2 UStG 1972 sei aber abzuleiten, daß unter der Tätigkeit als Architekt iS der litc nur eine Tätigkeit freiberuflicher Art zu verstehen sei, worunter beispielsweise die Tätigkeit als Innenarchitekt oder Gartenarchitekt (Hinweis auf VfSlg. 4251/1963) falle.

Wenn der Gesetzgeber die in dieser Gesetzesstelle geregelte steuerliche Begünstigung - heißt es im Erk. VfSlg. 7384/1974 weiter - nicht auch auf Tätigkeiten im Rahmen einer Gewerbeberechtigung erstreckt hat, so verstoße er damit nicht gegen das Gleichheitsgebot. Unter dem Gebot des Gleichheitssatzes stellten nämliche freiberufliche Tätigkeiten und gewerbliche Tätigkeiten dem Berufstypus nach nicht etwa Gleiches dar.

Zwar decke sich der Berechtigungsumfang der Architekten und der Baumeister in Teilbereichen, wie zB in Planungen und Bauleitungen. Dieser Umstand mache aber eine gesetzliche Regelung, die zwischen der freiberuflichen Tätigkeit eines Architekten und der gewerblichen Tätigkeit eines Baumeisters dem Typus nach unterscheidet, nicht gleichheitswidrig. Selbst wenn es in Grenzfällen zu unbefriedigenden Ergebnissen und Härten komme, mache dies allein das Gesetz in bezug auf das Gleichheitsgebot noch nicht bedenklich.

2. In den Beschwerden wird im wesentlichen vorgebracht, die im Erk. VfSlg. 7384/1974 zum Ausdruck kommende Auffassung sei "revisionsbedürftig". Architekten und Ziviltechniker iS des Ziviltechnikergesetzes erbrächten - nicht nur in Randbereichen - genau dieselben Leistungen wie bautechnische Büros und planende Baumeister (Hinweis auf das Erkenntis des VwGH vom 28. Feber 1978, Z 1103/76). Bei der im Abgabenrecht maßgeblichen wirtschaftlichen Betrachtungsweise bestehe zwischen der Tätigkeit des Architekten einerseits und jener des planenden Baumeisters andererseits überhaupt kein Unterschied. Auf Grund des genannten Erk. des VwGH könne die im Erk. des VfGH VfSlg. 7384/1974 noch getroffene Unterscheidung in freiberufliche und gewerbliche Tätigkeit als "rechtlich überwunden" betrachtet werden.

Auch sei die Zahl der planenden Baumeister im Verhältnis zu den Ziviltechnikern iS des Ziviltechnikergesetzes keineswegs so gering, daß von Grenzfällen oder atypischen Ausnahmen gesprochen werden könne. Der Beschwerdeführer K. weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß es laut dem Verzeichnis der Österreichischen Ziviltechniker, Stand 1. Jänner 1980, in Österreich 2241 Ziviltechniker gebe, denen laut einem (dem VfGH vorgelegten) Schreiben der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft nach dem Stand vom Mai 1980 in Österreich 556 planende Baumeister gegenüberstünden.

3. a) In der Rechtsprechung des VfGH zur Bestimmung des §10 Abs2 Z7 litc UStG 1972 seit dem Erk. VfSlg. 7384/1974 (VfSlg. 8002/1977, 8162/1977, 8549/1979, VfGH 2. 12. 1981 B116/77, 25. 2. 1982 B204, 211/77 und 12. 6. 1982 B310/78) betraf nur das Erk. VfSlg. 8549/1979 einen Baumeister, dessen Tätigkeit als die eines planenden Baumeisters qualifiziert werden kann.

Im Rahmen dieser Rechtsprechung ist der VfGH in den Erk. vom 25. 2. 1982 B204, 211/77 und vom 12. 6. 1982 B310/78 davon ausgegangen, daß der Beurteilung der Frage nach der Qualifikation einer Tätigkeit als Architekt iS des §10 Abs2 Z7 litc UStG 1972 die im jeweiligen Fall tatsächlich ausgeübte Tätigkeit zugrunde zu legen ist.

b) Der VwGH hat im Erk. eines verstärkten Senates vom 28. Feber 1978, Z 1103/76, 1769/76 entschieden, daß ein planender Baumeister einen einem Ziviltechniker ähnlichen Beruf iS des §18 Abs1 Z1 EStG 1967 ausübt und hat nach der Darstellung der Rechtsgrundlagen für die Ausübung der Tätigkeiten eines Ziviltechnikers nach dem Ziviltechnikergesetz 1957 und für das Baugewerbe nach der Gewerbeordnung 1973 folgendes festgestellt:

"Aus dem Gesagten folgt, daß der Beruf des Ziviltechnikers und des Baumeisters in dem hier entscheidenden Umfang sich nur dadurch unterscheiden, daß dem Ziviltechniker die Stellung einer qualifizierten Urkundsperson eingeräumt ist (§6 Abs1 Ziviltechnikergesetz) und für den Beruf des Ziviltechnikers stets ein erfolgreich abgelegtes Hochschulstudium gefordert wird.

Diesen Unterschieden kommt jedoch nicht die weittragende Bedeutung zu, daß es ausgeschlossen wäre, einen 'planenden Baumeister' als einen Abgabepflichtigen anzusehen, dessen Berufstätigkeit der Berufstätigkeit eines Ziviltechnikers ähnlich ist. Dabei ist in diesem Sinne als 'planender Baumeister' ein Abgabepflichtiger zu verstehen, der zwar auf Grund seiner Baumeisterkonzession tätig wird, aber die mit dem Beruf des Baumeisters üblicherweise verbundene typische Berufstätigkeit (Errichtung und/oder Ausbesserung von Bauwerken unter Einsatz von Baufach- und Hilfskräften, Maschinen, Fahrzeugen, Haltung eines Vorrates an Baumaterialien usw.) nicht oder nicht mehr ausübt, sondern gleich einem Ziviltechniker in einem Büro Projekte, Pläne, Leistungsverzeichnisse und Voranschläge verfaßt, Kollaudierungen vornimmt und Parteien berufsmäßig vor Behörden in bautechnischen Angelegenheiten vertritt.

Dazu kommt, daß jedenfalls bei der im Abgabenrecht anzuwendenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise (§21 Abs1 BAO) ein für die Abgabenerhebung entscheidender Unterschied im Gehalt der Tätigkeit eines Ziviltechnikers und eines 'planenden Baumeisters' nicht feststellbar ist. Daß möglicherweise in manchen Fällen die Planung von großen und technisch sehr schwierigen Anlagen von Ziviltechnikern ausgeführt wird, während bei der Planung und Bauüberwachung kleinerer Projekte Ziviltechniker und Baumeister nebeneinander tätig werden, rechtfertigt in wirtschaftlicher Sicht keine abgabenrechtlich völlig unterschiedliche Behandlung."

4. Diese Rechtsprechung der beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts und die dafür maßgeblichen Erwägungen lassen die im Erk. VfSlg. 7384/1974 ausgesprochene (und im Erk. VfSlg. 8549/1979 aufrecht erhaltene) Annahme des VfGH, daß - von Grenzfällen abgesehen - dem Typus nach ein Unterschied zwischen der freiberuflichen Tätigkeit eines Architekten und der gewerblichen eines Baumeisters bestehe, zumindest für die Tätigkeit der planenden Baumeister nicht mehr aufrecht erhalten. Nicht nur die im Abgabenrecht maßgebliche wirtschaftliche Betrachtungsweise, sondern auch das Abstellen des Umsatzsteuerrechtes auf den Leistungsaustausch (s. §1 UStG 1972) machen es erforderlich, von der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit des Abgabepflichtigen auszugehen.

Nicht nur der Berechtigungsumfang der Architekten und der Baumeister decken sich in Teilbereichen (wovon der VfGH schon im Erk. VfSlg. 7384/1974 ausgegangen ist), die planenden Baumeister sind vielmehr ausschließlich in dem sich mit den Architekten deckenden Teilbereich tätig und üben gerade jene Tätigkeiten nicht (mehr) aus, die mit dem Beruf des Baumeisters ansonsten typischerweise verbunden sind (s. den Hinweis des VwGH auf diese typischen Tätigkeiten). Dazu kommt, daß nach dem im Verfahren unwidersprochen gebliebenen, durch ein Schreiben der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft untermauerten Beschwerdevorbringen die Relation zwischen der Zahl der Ziviltechniker und jener der planenden Baumeister in Österreich keineswegs (mehr) derart gestaltet ist, daß die planenden Baumeister als Grenz- oder Ausnahmefälle bezeichnet werden können.

Diese Überlegungen führen aber nicht zur Verfassungswidrigkeit der Bestimmung des §10 Abs2 Z7 litc UStG 1972, wie die Beschwerdeführer meinen. Der VfGH hat bereits im Erk. VfSlg. 7384/1974 den Begriff Architekt iS der genannten Bestimmung des UStG 1972 extensiv ausgelegt und als eine Erweiterung gegenüber den vom Ziviltechnikergesetz geregelten Berufen angesehen. Wenn nun zwischen der Tätigkeit eines Architekten iS des Ziviltechnikergesetzes und der eines planenden Baumeisters kein Unterschied im Tatsächlichen besteht, der eine unterschiedliche umsatzsteuerrechtliche Behandlung rechtfertigen würde, dann gebietet schon der Grundsatz der verfassungskonformen Interpretation, unter einem Architekten in §10 Abs2 Z7 litc UStG 1972 auch einen planenden Baumeister zu verstehen.

5. Die Behörde ist in beiden hier angefochtenen Bescheiden davon ausgegangen, daß der ermäßigte Steuersatz des §10 Abs2 Z7 litc UStG 1972 nur Abgabepflichtigen zukommt, denen die Befugnis zur Führung der Berufsbezeichnung Architekt nach §2 Abs1 Ziviltechnikergesetz zusteht. Die Behörde ist auf Grund dessen auch nicht des näheren darauf eingegangen, ob sich die berufliche Tätigkeit der Beschwerdeführer mit der eines Ziviltechnikers deckt.

Aus den Ausführungen oben zu Punkt 4. ergibt sich, daß die Behörde damit der Bestimmung des §10 Abs2 Z7 litc UStG 1972 fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat (zur ständigen Rechtsprechung des VfGH zum Gleichheitsgebot s. zB VfSlg. 8823/1980, 9186/1981).

Die beiden angefochtenen Bescheide sind daher als gleichheitswidrig aufzuheben.

Schlagworte

Umsatzsteuer, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B545.1979

Dokumentnummer

JFT_10169689_79B00545_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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