TE Vfgh Erkenntnis 1983/6/27 B113/82

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Veröffentlicht am 27.06.1983
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

StGG Art8
StPO §177 Abs1 Z1

Leitsatz

Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; rechtmäßige Verhaftung im Dienste der Strafjustiz gemäß §177 Abs1 Z1 und 2 und §175 Abs1 StPO

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) In der vorliegenden Beschwerde wird - zusammengefaßt - folgender Sachverhalt geschildert:

Die Beschwerdeführerin sei in der Silvesternacht 1981/82 mit Bekannten durch die Innenstadt von Sbg. gebummelt. Dabei habe sie auf dem Alten Markt eine Menschenmenge gesehen, in der sich auch Sicherheitswachebeamte (SWB) befunden hätten. Einer ihrer Begleiter habe einen SWB angesprochen, was denn hier los sei. Der Polizist habe dann seine Pistole auf sie und ihre Begleiter gerichtet, worauf sie ihr Begleiter (offenbar um sie aus dem Schußbereich zu bringen) weggestoßen habe. Dann habe sie sich mit ihren Bekannten entfernt.

Einige Zeit später sei sie auf den Alten Markt zurückgekehrt. Sie habe auf dem Boden weiße Farbe gesehen, ihre Hand eingetaucht und eine Auslagenscheibe beschmiert. Ein Passant habe einen SWB darauf aufmerksam gemacht, worauf sie am 1. Jänner 1982 um etwa O2,00 Uhr von einem SWB festgenommen worden sei. Die Polizei habe sie zunächst in ein Wachzimmer, dann ins Gebäude der Bundespolizeidirektion Sbg. gebracht, wo sie in einem Arrestlokal angehalten worden sei. Erst um etwa 14,00 Uhr sei sie erstmals einvernommen worden. Nach Abschluß der Vernehmung habe man sie aus der Haft entlassen.

b) In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird die Festnahme und die folgende Anhaltung bekämpft. Die Beschwerdeführerin behauptet, es habe kein Festnahmegrund vorgelegen. Sie habe dem SWB die Pistole nicht - wie ihr vorgehalten wurde - entreißen wollen; es müsse eine Verwechslung vorgelegen haben. Jedenfalls sei sie unnötig lange angehalten worden.

Die Beschwerdeführerin behauptet, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden zu sein. Sie begehrt, dies kostenpflichtig festzustellen.

2. Die Bundespolizeidirektion Sbg. als belangte Behörde, vertreten durch die Finanzprokuratur, hat eine Gegenschrift erstattet.

Darin wird ausgeführt, daß die Beschwerdeführerin zwar tatsächlich am 1. Jänner 1982 (und zwar gegen 01,10 Uhr) von einem SWB der Bundespolizeidirektion Sbg. festgenommen und in der Folge bis 14,30 Uhr angehalten worden sei. Die Verhaftung sei jedoch durch das Gesetz gedeckt gewesen. Die Beschwerdeführerin habe nämlich versucht, einem SWB (Insp. P.), der durch eine drohende Menschenmenge in Bedrängnis gebracht worden war und in dieser Situation die Dienstpistole gezogen hatte, diese Waffe zu entreißen, indem sie sie am Lauf erfaßt und vehement daran gezogen habe. Die Beschwerdeführerin habe sodann in der Menge untertauchen können.

Als die Beschwerdeführerin aber einige Zeit später wieder zum Alten Markt zurückgekehrt sei und dort mit weißer Dispersionsfarbe eine Auslage beschmiert habe, sei sie von Insp. P. als jenes Mädchen wiedererkannt worden, das versucht hatte, ihm beim ersten Einschreiten die Dienstpistole zu entreißen. Die Beschwerdeführerin sei (neben zwei anderen Personen) gemäß §177 Abs1 StPO festgenommen worden; ihre Identität sei unbekannt gewesen und habe in Ermangelung eines Personalausweises auch nicht festgestellt werden können. Die Beschwerdeführerin sei im Verdacht gestanden, die Vergehen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt und der Sachbeschädigung durch Beteiligung an einer Schmieraktion begangen zu haben.

Im Hinblick auf den Feiertag (1. Jänner) sei es erforderlich gewesen, einige Kriminalbeamte eigens zum Dienst einzuberufen, um die drei Festgenommenen eingehend vernehmen zu können. Die Einvernahme der Beschwerdeführerin sei um 13,05 Uhr begonnen und um 14,10 Uhr beendet worden. Um 14,30 Uhr sei sie mangels Vorliegens weiterer Haftgründe wieder auf freien Fuß gesetzt worden.

Die Einholung eines richterlichen Befehles am Ort des Geschehens (Alter Markt) sei wegen Gefahr im Verzug nicht tunlich gewesen, da die faktische Möglichkeit gefehlt habe, diesen Haftbefehl zu besorgen.

Die Dauer der Anhaltung begründet die belangte Behörde damit, daß die drei Festgenommenen (darunter die Beschwerdeführerin) einer detaillierten Einvernahme unterzogen werden mußten. Die eigens einberufenen Kriminalbeamten hätten sich zuvor mit der Sachlage vertraut machen und Aktenstudium betreiben müssen.

Die belangte Behörde begehrt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

II. 1. Der VfGH hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der Bundespolizeidirektion Sbg. Z III/St 700/82, betreffend das - noch nicht abgeschlossene - Verwaltungsstrafverfahren gegen die Beschwerdeführerin (wegen Verdachtes der Ordnungsstörung, der Anstandsverletzung und der Lärmerzeugung), sowie durch Einsichtnahme in den Akt des Landesgerichtes Sbg. AZ 19 EVr 502, 19 EHv 35/83, betreffend die erwähnten Vorfälle in der Silvesternacht 1981/82, unter anderem die Strafsache gegen die Beschwerdeführerin wegen Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt als Beteiligte nach §15, 269 Abs1 und 12 StGB und wegen Vergehens der Sachbeschädigung nach §125 StGB.

2. Auf Grund der im Zuge dieses strafgerichtlichen Verfahrens durchgeführten Einvernahmen der Beschwerdeführerin als Beschuldigte, des W. W. und des Mag. O. D., gleichfalls als Beschuldigte, sowie der Zeugen B. St., B. K. (SWB), G. J. (SWB), J. M. (SWB), R. P. (SWB), H. E., F. M. und R. S. nimmt der VfGH folgenden, für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde maßgeblichen Sachverhalt als erwiesen an:

In der Silvesternacht 1981/1982, und zwar kurz nach Mitternacht, fand im Bereiche der Sbg. Altstadt eine Schmieraktion statt, bei der mehrere Objekte mit weißer Dispersionsfarbe bemalt wurden. Die einschreitenden SWB P. und K. konnten zwei Personen (W. und Mag. D.) beim Beschmieren eines Brunnens auf frischer Tat betreten. Beide widersetzten sich der Festnahme durch die Beamten. Es sammelte sich eine größere Menschenmenge (etwa 20 bis 30 Personen, darunter auch die Beschwerdeführerin) an, die gegen die Polizei Stellung nahm. Insp. P., der seine Dienstpistole gezogen hatte, hatte den Eindruck, daß ihm eine junge Frau die Waffe entreißen wollte. Diese Frau konnte sich jedoch im Tumult entfernen.

Kurze Zeit später (um etwa 0,45 Uhr) machte der Zeuge S. die SWB P. und K. darauf aufmerksam, daß ein Mädchen (die Beschwerdeführerin) mit der Hand eine Auslagenscheibe der Firma St. mit weißer Dispersionsfarbe beschmiere. Insp. P. glaubte, in der Beschwerdeführerin jene Person wiederzuerkennen, die ihm etwa eine halbe Stunde zuvor seine Dienstpistole zu entreißen versucht hatte. Er nahm sie daher fest.

In Ansehung der darauf folgenden Anhaltung folgt der VfGH den Parteienausführungen in der Beschwerde und in der Gegenschrift.

Die Beschwerdeführerin wurde mit Urteil des Landesgerichtes Sbg. vom 25. März 1983 rechtskräftig von der gegen sie erhobenen Anklage gemäß §259 Z3 StPO freigesprochen.

3. Unstrittig ist, daß die Beschwerdeführerin eine Auslagenscheibe mit weißer Dispersionsfarbe beschmiert hat.

Hinsichtlich des Versuches, dem SWB die Pistole zu entreißen, stehen die Aussagen der Beschwerdeführerin und ihrer Bekannten im Gegensatz zu jenen der Beamten. Zunächst ist festzuhalten, daß die in der Beschwerde an den VfGH aufgestellte Behauptung nicht zutrifft, daß die Bundespolizeidirektion Sbg. gegen die Beschwerdeführerin lediglich ein Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet, nicht aber auch eine Anzeige wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt erstattet habe. Nach der Aktenlage waren die SWB - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung - von allem Anfang an davon überzeugt, daß die Beschwerdeführerin auch das erwähnte Vergehen begangen habe.

Die infolge der tumultartigen Szenen erregte Atmosphäre hat offenbar bewirkt, daß weder die SWB noch die Beschwerdeführerin in der Lage sind, alle Einzelheiten der damaligen Vorfälle objektiv richtig zu schildern. Immerhin gibt die Beschwerdeführerin in der Beschuldigteneinvernahme vom 29. Juli 1982 vor dem Landesgericht Sbg. zu, sich in der Nähe des Polizeibeamten aufgehalten zu haben. Unstrittig ist, daß sie auch in einen Disput mit Insp. P. verwickelt und daß sie auffallend gekleidet war.

Unter diesen Umständen, insbesondere in Anbetracht der drohenden Haltung, die die Menge gegen Insp. P. einnahm, ist es durchaus glaubwürdig, daß der Beamte den Eindruck hatte, man wolle ihn auch körperlich attackieren und ihm die Pistole entreißen. Es ist weiters glaubwürdig, daß er überzeugt war, in der Person, die später beschuldigt wurde, eine Auslagenscheibe beschmiert zu haben, jene Frau wiederzuerkennen, von der er angenommen hatte, daß sie ihm die Waffe entreißen wollte.

III. Der VfGH beurteilt den festgestellten Sachverhalt wie folgt:

1. Die Beschwerdeführerin ist ohne richterlichen Haftbefehl und ohne verwaltungsbehördliche Anordnung von Organen der Bundespolizeidirektion Sbg. festgenommen worden. Diese Festnahme und die folgende (gleichfalls nicht durch einen richterlichen Befehl gedeckte) Anhaltung sind in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangene Verwaltungsakte, die nach Art144 B-VG beim VfGH bekämpft werden können.

Die Beschwerde ist zulässig (vgl. zB VfSlg. 8826/1980).

2. Die Festnahme der Beschwerdeführerin ist - wie auch aus der Gegenschrift der belangten Behörde hervorgeht - im Dienste der Strafjustiz unter Berufung auf die Bestimmungen des §177 Abs1 Z1 und 2 und §175 Abs1 StPO vorgenommen worden.

Nach §177 Abs1 Z1 StPO kann ausnahmsweise die vorläufige Verwahrung des eines Verbrechens oder Vergehens Verdächtigen zum Zwecke der Vorführung vor den Untersuchungsrichter auch durch Organe der Sicherheitsbehörden ohne schriftliche Anordnung in den Fällen des §175 Abs1 Z1 vorgenommen werden. Diese Bestimmung berechtigt zur Verhaftung unter anderem dann, wenn der Verdächtige auf frischer Tat betreten oder unmittelbar nach Begehung eines Verbrechens oder Vergehens glaubwürdig der Täterschaft beschuldigt wird.

Unter anderem unter Berufung auf diese Bestimmung hält die belangte Behörde die von den SWB vorgenommene Festnahme der Beschwerdeführerin für gerechtfertigt, weil ua. der Verdacht des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§269 StGB) bestanden habe.

3. a) Bei einer in Anwendung der Bestimmung des §177 Abs1 Z1 StPO durch Organe der Sicherheitsbehörden vorgenommenen Verhaftung handelt es sich um einen im Gesetz bestimmten Fall, in dem die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt eine Person iS des §4 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, in Verwahrung nehmen dürfen (vgl. zB VfSlg. 8826/1980). Es ist daher zu prüfen, ob die Voraussetzungen der angeführten Bestimmung für die Festnahme der Beschwerdeführerin gegeben waren.

b) Die SWB konnten - wie sich aus der vorstehenden Sachverhaltsschilderung ergibt - zumindest vertretbar annehmen, daß die Beschwerdeführerin einem Beamten die Dienstpistole entreißen wollte und damit das Vergehen nach §269 StGB begangen habe. Dieses Geschehen haben die Beamten selbst wahrgenommen.

Das Strafverfahren wegen eines solchen Vergehens obliegt gemäß §10 Z1 und 2 StPO iVm den in §269 Abs1 StGB vorgesehenen Strafsätzen den Gerichtshöfen erster Instanz. Daher kommen die im §452 Z1 StPO für das Verfahren vor den Bezirksgerichten vorgesehenen Einschränkungen der Festnahmegründe hier nicht in Betracht.

Unter all diesen Voraussetzungen war die Festnahme schon durch §177 Abs1 Z1 StPO gedeckt. Auch der von dieser Gesetzesbestimmung verlangte enge zeitliche Zusammenhang (hier etwa eine halbe Stunde) zwischen der Tat und der erfolgten Festnahme war gegeben (vgl. zB VfSlg. 8816/1980).

Bei diesem Ergebnis kann unerörtert bleiben, ob noch andere Festnahmegründe vorlagen.

Diese Entscheidung steht mit dem Freispruch der Beschwerdeführerin durch das Landesgericht Sbg. (s.o. II.2.) nicht im Widerspruch: Das Strafgericht hatte im Zweifel zugunsten der Angeklagten zu entscheiden. Für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Festnahme durch den VfGH hingegen kommt es darauf an, ob das einschreitende Exekutivorgan vertretbarerweise annehmen konnte, daß die Verhaftete eine stafbare Handlung (hier: das Vergehen nach §269 StGB) begangen habe, mag sich diese Annahme in der Folge auch als unzutreffend herausstellen.

c) Nach §177 Abs2 StPO ist der durch Organe der Sicherheitsbehörden aus eigener Macht in Verwahrung Genommene durch die Sicherheitsbehörde unverzüglich zur Sache und zu den Voraussetzungen der Verwahrungshaft zu vernehmen und, wenn sich dabei ergibt, daß kein Grund zu seiner weiteren Verwahrung vorhanden ist, sogleich freizulassen, sonst aber binnen 48 Stunden dem zuständigen Gericht einzuliefern.

Im Hinblick auf die besonderen Umstände des Falles (Neujahrstag, großer Umfang der Amtshandlung) kann es gerade noch als im Gesetz gedeckt angesehen werden, wenn die Beschwerdeführerin erst etwa 12 Stunden nach der Festnahme einvernommen wurde. Dies kann damit erklärt werden, daß die Anhaltung am Neujahrstag (einem Feiertag) erfolgte, an dem einerseits verhältnismäßig viele und größere Amtshandlungen anfielen, andererseits aber nur wenige Beamte im Dienst waren.

d) Die Beschwerdeführerin ist also durch die bekämpfte Festnahme und Anhaltung nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit und auch nicht in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden.

Der VfGH hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die dieser Amtshandlung zugrundeliegenden Rechtsvorschriften. Die Beschwerdeführerin ist daher auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Sohin war die Beschwerde abzuweisen.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B113.1982

Dokumentnummer

JFT_10169373_82B00113_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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