TE Vfgh Erkenntnis 1984/10/3 G59/82, G68/82

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Veröffentlicht am 03.10.1984
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Index

80 Land-und Forstwirtschaft
80/06 Bodenreform

Norm

B-VG Art15 Abs6
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsmaßstab
FlVfGG 1951 §1
FlVfGG 1951 §4
Nö FlVfLG 1975 §16 Abs1
Nö FlVfLG 1975 §17 Abs1
Nö FlVfLG 1975 §17 Abs8

Beachte

vgl. Kundmachung LGBl. f. NÖ 6650-3 am 8. Feber 1985; s. Anlaßfälle B665/78 und B427/78, beide vom 27. Feber 1985

Leitsatz

B-VG Art15 Abs6; Erlassung eines neuen (geänderten) Grundsatzgesetzes bei Bestand eines Landesgesetzes; Anpassungspflicht des Ausführungsgesetzgebers innerhalb der vom Grundsatzgesetzgeber gesetzten Frist; Verfassungswidrigkeit jener Ausführungsregelungen, die in Widerspruch zur (geänderten) grundsatzgesetzlichen Rechtslage stehen, bei Nichterfüllung dieser Anpassungspflicht Nö. Flurverfassungs-Landesgesetz 1975; Verfassungswidrigkeit des §17 Abs1 und 8 infolge Nichtanpassung an den durch die Flurverfassungsnov. 1977 geänderten §4 Flurverfassungsgrundsatzgesetz; keine Verfassungswidrigkeit von §16 Abs1

Spruch

I. §16 Abs1 des Flurverfassungs-Landesgesetzes 1975 (FLG), LGBl. f. NÖ 6650-0, war nicht verfassungswidrig.

II. §17 Abs1 und 8 FLG 1975, LGBl. f. NÖ 6650-0, war verfassungswidrig.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim VfGH sind zu B665/78 und B427/78 Beschwerden gegen Erk. des Obersten Agrarsenates beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft anhängig, mit denen Berufungen gegen Bescheide des Landesagrarsenates beim Amt der Nö. Landesregierung gemäß §1 AgrVG 1950, §66 Abs4 AVG 1950 iZm. §17 FLG 1975, LGBl. für NÖ 6650-0, als unbegründet abgewiesen wurden. Mit den Bescheiden des Landesagrarsenates war den Berufungen gegen die von der Nö. Agrarbezirksbehörde erlassenen Zusammenlegungspläne für die Zusammenlegungsgebiete Weitersfeld und Dietersdorf Folge gegeben und eine Abänderung der erstinstanzlichen Zusammenlegungspläne vorgenommen worden.

2. Der VfGH war der Meinung, bei der Beurteilung der vorläufig als zulässig erachteten Beschwerden die §§16 Abs1 und 17 Abs1 und 8 FLG anwenden zu müssen, hatte aber gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschriften Bedenken, die er im Einleitungsbeschluß B665/78 vom 30. Juni 1982 wie folgt formuliert hat:

"b) Vor Erlassung des angefochtenen Bescheides ist das Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1951 (idF BGBl. 103/1951, BGBl. 78/1967 und 301/1976) durch die Flurverfassungsnovelle 1977, BGBl. 390/1977, abgeändert worden. In dem mit 'Zusammenlegung land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke' überschriebenen I. Abschnitt des I. Hauptstückes erhielten ua. §4 Abs1, 2 und 5 eine neue Fassung (ArtI Z3 und 4 der Flurverfassungsnovelle 1977). Nach der Änderung in §4 Abs1 hat als Grundsatz zu gelten, daß bei der anzustrebenden Neuordnung des Zusammenlegungsgebietes 'auf eine geordnete Entwicklung des ländlichen Lebens-, Wirtschafts- und Erholungsraumes sowie der Betriebe Bedacht zu nehmen' ist, während nach der bisherigen Fassung dieser Bestimmung der Grundsatz bestanden hat, 'die Bedingungen für eine organische und geordnete Weiterentwicklung des Wirtschaftsraumes sowie der Betriebe zu schaffen'.

Nach §4 Abs2 hat jede Partei - unter den angeführten Voraussetzungen - Anspruch, 'mit Grundstücken von tunlichst gleicher Beschaffenheit abgefunden zu werden', während nach der bisherigen Fassung der Anspruch bestanden hat, 'in Grund und Boden abgefunden zu werden'.

Schließlich sind in §4 Abs5 die grundsätzlichen Bestimmungen über die Gestaltung der Grundabfindungen und des Verhältnisses zwischen dem Flächenausmaß und Wert der gesamten Grundabfindungen einer Partei im Verhältnis zwischen Flächenausmaß und Wert der gesamten in das Verfahren einbezogenen Grundstücke einer Partei gegenüber der bisherigen Fassung wesentlich erweitert worden.

c) Gemäß ihrem ArtII Abs1 ist die Flurverfassungsnovelle 1977 am 1. September 1977 in Kraft getreten. Nach Abs2 dieses Artikels sind die Ausführungsgesetze der Bundesländer zu den in diesem Bundesgesetz aufgezählten Grundsätzen binnen eines Jahres vom Tag des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes zu erlassen.

Vom niederösterreichischen Landesgesetzgeber ist ein Ausführungsgesetz zur Anpassung des FLG an die durch die Flurverfassungsnovelle 1977 aufgestellten Grundsätze innerhalb der Frist vom 1. September 1977 bis 31. August 1978 und auch bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides (16. November 1978) nicht erlassen worden. Die Anpassung ist vielmehr erst mit dem am 14. Dezember 1978 beschlossenen und am 24. Feber 1979 in Kraft getretenen Gesetz über die Änderung des Flurverfassungs-Landesgesetzes 1975 (FLG, LGBl. 6650-2) vorgenommen worden. Das FLG hat offenbar demnach im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides den durch die Flurverfassungsnovelle 1977 aufgestellten Grundsätzen nicht entsprochen. Wegen dieses Widerspruches und des dadurch bedingten Widerspruches zu Art12 B-VG scheint das FLG 1975 verfassungswidrig zu sein:

Durch die BVG-Novelle 1974, BGBl. 444/1974, erhielt Art15 Abs6 B-VG folgende Fassung:

'(6) Soweit dem Bund bloß die Gesetzgebung über die Grundsätze vorbehalten ist, obliegt innerhalb des bundesgesetzlich festgelegten Rahmens die nähere Ausführung der Landesgesetzgebung. Das Bundesgesetz kann für die Erlassung der Ausführungsgesetze eine Frist bestimmen, die ohne Zustimmung des Bundesrates nicht kürzer als sechs Monate und nicht länger als ein Jahr sein darf. Wird diese Frist von einem Land nicht eingehalten, so geht die Zuständigkeit zur Erlassung des Ausführungsgesetzes für dieses Land auf den Bund über. Sobald das Land das Ausführungsgesetz erlassen hat, tritt das Ausführungsgesetz des Bundes außer Kraft. Sind vom Bundesgesetzgeber keine Grundsätze aufgestellt, so kann die Landesgesetzgebung solche Angelegenheiten frei regeln. Sobald der Bund Grundsätze aufgestellt hat, sind die landesgesetzlichen Bestimmungen binnen der bundesgesetzlich zu bestimmenden Frist dem Grundsatzgesetz anzupassen.'

Nach dem Wortlaut des letzten Satzes der angeführten Bestimmung besteht kein Zweifel darüber, daß der Landesgesetzgeber verpflichtet ist, in einer von ihm frei geregelten Angelegenheit des Art12 B-VG, sobald vom Bund Grundsätze aufgestellt werden, das Landesgesetz innerhalb der im Grundsatzgesetz bestimmten Frist diesem anzupassen und damit in materieller Hinsicht eine Übereinstimmung der durch die erlassenen Grundsätze bestimmten Rechtslage mit dem Ausführungsgesetz herbeizuführen.

Es scheint sich aus dem dem Art12 B-VG zugrundeliegenden Sinn und Zweck für das Verhältnis von Grundsatzgesetzgebung und Ausführungsgesetzgebung das zwar nicht ausdrücklich ausgesprochene, aber doch vorhandene Erfordernis zu ergeben, daß dann, wenn ein bestehendes Grundsatzgesetz geändert und für die Erlassung der Ausführungsgesetze nach den geänderten Grundsätzen eine Frist bestimmt wird, der Ausführungsgesetzgeber zur Herstellung der materiellen Übereinstimmung der Rechtslage nach dem Grundsatzgesetz und damit zur Anpassung des bestehenden Ausführungsgesetzes an die geänderten Grundsätze innerhalb der gesetzten Frist verpflichtet ist. Damit scheint es, daß im Falle der Unterlassung der Anpassung das bestehende Ausführungsgesetz, soweit es mit dem Inhalt der geänderten Grundsätze in Widerspruch steht, verfassungswidrig wird.

Diese Annahme scheint mit der im Erkenntnis 5921/1969 vertretenen Auffassung nicht in Widerspruch zu stehen, weil dieses Erkenntnis unter einer anderen Verfassungsrechtslage ergangen ist und weil sich die darin vertretene Auffassung auf einen Fall bezogen hat, in dem vom Grundsatzgesetzgeber eine Frist für die Erlassung der Ausführungsgesetze nicht bestimmt war.

d) Es scheint, daß die bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Bestimmungen des §16 Abs1 FLG (Neuordnung) den in §4 Abs1 und des §17 Abs1 und 8 FLG (Abfindungsanspruch, Gesetzmäßigkeit der Abfindung) den in §4 Abs2 und 5 des Flurverfassungsgrundsatzgesetzes idF der Flurverfassungsnovelle 1977 aufgestellten Grundsätzen (s. Z2 litb) nicht entsprechen (s. auch ArtII Abs3 der Flurverfassungsnovelle 1977) und aus diesem Grunde verfassungswidrig sind."

3. In den Gesetzesprüfungsverfahren hat die Nö. Landesregierung eine Äußerung erstattet, in der sie insbesondere ausführt:

"Im Erkenntnis Slg. 5921/1969 hat der VfGH ausgesprochen, es sei aus Art15 Abs6 B-VG abzuleiten, daß der Landesgesetzgeber in der Entscheidung frei ist, ob er nach Erlassung eines Grundsatzgesetzes ein Ausführungsgesetz erläßt. Dieser aus dem B-VG erkennbare Grundgedanke der Entscheidungsfreiheit des Landesausführungsgesetzgebers gelte auch für den Fall, daß der Bund einen bestehenden Grundsatz abändert. Die Abänderung eines Grundsatzes bestehe begrifflich in der Aufhebung des bisherigen bei gleichzeitiger Erlassung eines neuen Grundsatzes. Der Landesgesetzgeber sei nicht verpflichtet, ein dem neuen Grundsatz entsprechendes Ausführungsgesetz zu erlassen.

Der Unterbrechungsbeschluß hält zu diesem Erkenntnis einerseit fest, daß es unter einer anderen Verfassungsrechtslage ergangen sei und verweist auf die Neufassung des Art15 Abs6 B-VG durch die B-VG-Novelle 1974.

Mit Ausnahme einer geringfügigen sprachlichen Änderung wurde der Wortlaut der ersten vier Sätze des Art15 Abs6 B-VG nicht verändert.

Aus den Materialien zur B-VG-Novelle 1974 (182 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates, XIII. Gesetzgebungsperiode) ergibt sich, daß die Änderung des Art15 Abs6 B-VG lediglich den Zweck verfolgte, der Landesgesetzgebung die Möglichkeit einzuräumen, gesetzgeberische Maßnahmen zu treffen, bevor vom Bund das Grundsatzgesetz erlassen worden ist.

Nach Meinung der Nö. Landesregierung bezieht sich daher die Verpflichtung des Art15 Abs6 letzter Satz B-VG ausschließlich auf jene Fälle, in denen der Bundesgesetzgeber keine Grundsätze aufgestellt und der Landesgesetzgeber solche Angelegenheiten frei geregelt hat. Aus diesem Grund sind nach Meinung der Nö. Landesregierung die Ausführungen in der Regierungsvorlage über die Folge der Verfassungswidrigkeit bei Unterlassung der Anpassung nur auf jene Fälle zu beziehen, in denen der Landesgesetzgeber bereits vor Erlassung eines Grundsatzgesetzes tätig geworden ist.

Der Unterbrechungsbeschluß hält zu dem zitierten Erkenntnis weiters fest, daß sich dieses auf einen Fall bezogen habe, in dem vom Grundsatzgesetzgeber eine Frist für die Erlassung der Ausführungsgesetze nicht bestimmt war.

Die Nö. Landesregierung ist der Meinung, daß auch bei Fristsetzung durch den Grundsatzgesetzgeberden Landesgesetzgeber keine Anpassungsverpflichtung trifft. Es wäre dem Bundesverfassungsgesetzgeber freigestanden, eine dem Art15 Abs6 letzter Satz B-VG entsprechende Anpassungsverpflichtung zu normieren. Eine solche Anpassungsverpflichtung hätte ohne Zweifel zur Folge, daß das Ausführungsgesetz nach Fristablauf verfassungswidrig wird. Der Bundesverfassungsgesetzgeber hat sich aber nach Meinung der Nö. Landesregierung für eine schärfere Sanktion entschieden, nämlich den Übergang der Zuständigkeit zur Erlassung eines Ausführungsgesetzes für dieses Land auf den Bund. Gerade der Kompetenzübergang zeigt, daß der Landtag vom Bundesverfassungsgesetzgeber nicht gebunden werden sollte, ein Ausführungsgesetz zu erlassen. Die Entscheidung, ob er ein Ausführungsgesetz erläßt oder nicht - nicht jedoch die Entscheidung, ob er grundsatzkonform ausführt oder nicht - steht dem Landtag frei. Entscheidet sich der Landtag gegen die Erlassung eines Ausführungsgesetzes, so hat dies allerdings zur Folge, daß der Bund Ausführungsregelungen erlassen kann. Entscheidet sich der Landtag nach Erlassung des Bundes-Ausführungsgesetzes für die Ausführung der Grundsätze, so hat das Ausführungsgesetz des Bundes der landesgesetzlichen Regelung zu weichen. Die Sanktion des Kompetenzüberganges entspricht der Zielsetzung der grundsätzlichen Einheitlichkeit besser als die Sanktion der Verfassungswidrigkeit bei Nichtanpassung. Es obliegt damit dem Bundesgesetzgeber, für die grundsätzliche Einheitlichkeit zu sorgen. Hätte der Bundesverfassungsgesetzgeber anläßlich der B-VG-Novelle 1974 von der Sanktion des Kompetenzüberganges abgehen oder der Sanktion des Kompetenzüberganges noch jene der Verfassungswidrigkeit hinzufügen wollen, so hätte er dies anläßlich der Neufassung des Art15 Abs6 B-VG ausdrücklich erkennen lassen müssen.

Schließlich darf noch ein Argument zur Stützung der Meinung der Nö. Landesregierung angeführt werden. Kommt man zu dem Ergebnis der Verfassungswidrigkeit infolge Nichtanpassung, so könnte folgende Situation eintreten: Ergänzt der Bundesgesetzgeber bloß das Grundsatzgesetz, ohne den übrigen Inhalt des Grundsatzgesetzes zu berühren, und bestünde die angenommene Ausführungsverpflichtung durch den Landesgesetzgeber ebenfalls lediglich in einer Ergänzung des Ausführungsgesetzes, so könnte entweder eine verfassungswidrige Norm des Ausführungsgesetzes nicht gefunden werden, oder man müßte zur Aufhebung des gesamten Ausführungsgesetzes gelangen.

II. Im Unterbrechungsbeschluß wird ausgeführt, daß die bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Bestimmungen des §16 Abs1 und des §17 Abs1 und 8 FLG, LGBl. 6650-0, den in den §§4 Abs1, 2 und 5 des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes in der Fassung der Flurverfassungsnovelle 1977 aufgestellten Grundsätzen nicht entsprachen.

Hiezu darf die Nö. Landesregierung folgendes ausführen:

1. Zu §16 Abs1 FLG:

In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (504 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates, XIV.

Gesetzgebungsperiode) wird zur Änderung des §4 Abs1 ausgeführt:

'Die Grundsatzbestimmung des neuen Abs1 bringt zum Ausdruck, daß die Behörde bei der Neuordnung des Zusammenlegungsgebietes auch auf eine geordnete Entwicklung des ländlichen Lebens- und Erholungsraumes Bedacht zu nehmen hat. Gerade die Funktion des ländlichen Raumes als Erholungsraum, nicht nur für die darin lebenden Menschen, sondern für alle Erholung suchenden Menschen, tritt immer mehr in den Vordergrund. Damit erlangen aber auch Aufgaben der Raumordnung, des Naturschutzes, wie überhaupt der Landschaftspflege eine immer größere Bedeutung. Darauf wird künftig im Zusammenlegungsverfahren besonders Bedacht zu nehmen sein. Auch werden zweckmäßigerweise Zusammenlegungen in jenen Gemeinden Vorrang haben, in denen bereits rechtswirksame Flächenwidmungspläne bestehen.'

Gemäß §16 Abs1 FLG, LGBl. 6650-0, hat die Behörde auf die Bestimmungen des §1 Bedacht zu nehmen. Im §1 leg. cit. werden die Ziele und Aufgaben der Zusammenlegung geregelt. Gemäß Abs1 sind im Interesse der Schaffung und Erhaltung einer leistungsfähigen Landwirtschaft die Besitz-, Benützungs- und Bewirtschaftungsverhältnisse im ländlichen Lebens- und Wirtschaftsraum im Interesse der Schaffung und Erhaltung einer leistungsfähigen Landwirtschaft zu verbessern oder neu zu gestalten. Es zeigt sich also, daß bereits die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Fassung die Berücksichtigung des ländlichen Lebensraumes vorsah. Obwohl der Erholungsraum in der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Fassung des FLG nicht ausdrücklich enthalten ist, muß doch gesagt werden, daß der Begriff des ländlichen Lebensraumes einer verfassungskonformen Auslegung insofern zugänglich ist als darunter auch die Funktion als Erholungsraum, also nicht nur die Funktion des Raumes für die darin lebenden Menschen, sondern auch die Funktion des Raumes für die Erholung suchenden Menschen zu subsumieren ist.

Diesem Argument darf noch ein weiteres Argument aus der Einheit der niederösterreichischen Rechtsordnung beigefügt werden: Gemäß §1 Abs1 Nö. ROG 1976, LGBl. 8000-0, ist unter Raumordnung die vorausschauende Gestaltung eines Gebietes zur Gewährleistung der bestmöglichen Nutzung und Sicherung des Lebensraumes unter Bedachtnahme auf die dort angeführten Gegebenheiten, Erfordernisse und Bedürfnisse zu verstehen. Die Leitziele für die vorausschauende Gestaltung eines Gebietes sind im §1 Abs2 leg. cit. genannt. In der Z10 sind die Leitziele für jene Gebiete, die sich für die Erholung besonders eignen, enthalten. Die Nö. Landesregierung ist daher der Meinung, daß unter dem Begriff des Lebensraumes auch die Funktion als Erholungsraum zu subsumieren ist.

2. Zu §17 Abs1 und 8 FLG:

Gemäß §4 Abs2 des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes in der Fassung der Flurverfassungsnovelle 1977 hat jede Partei, deren Grundstücke der Zusammenlegung unterzogen werden, Anspruch, mit Grundstücken von tunlichst gleicher Beschaffenheit abgefunden zu werden. In den Erläuterungen zu dieser Bestimmung ist ausgeführt, daß der Begriff 'tunlichst gleicher Beschaffenheit' durch die Landesgesetzgebung auszuführen sein wird. Sie wird hiebei nicht nur auf die speziellen Verhältnisse des Landes, sondern z.B. auch auf die Bodengüte, Hangneigung, mögliche Nutzungsformen und dgl. entsprechend Bedacht nehmen.

Gemäß §17 Abs1 FLG, LGBl. 6650-0, hat jede Partei Anspruch, nach Maßgabe der Bestimmungen der Abs2 bis 8 mit dem gemäß §11 Abs1 bis 5 ermittelten Wert ihrer dem Verfahren unterzogenen Grundstücke in Grund und Boden abgefunden zu werden. Diese Bestimmung enthält nach Meinung der Nö. Landesregierung keine abschließende Regelung der Gesetzmäßigkeit der Abfindung, sondern verweist auf die Regelungen der Abs2 bis 8. Es bestand nach Ansicht der Nö. Landesregierung für den Landesgesetzgeber keine Verpflichtung, die Regelung des §4 Abs2 des Grundsatzgesetzes bereits in der Regelung des §17 Abs1 zu wiederholen oder näher auszuführen. Es besteht für den Ausführungsgesetzgeber auch keine Verpflichtung, der Systematik der Regelung des Grundsatzgesetzgebers zu folgen. Die Nö. Landesregierung ist daher der Meinung, daß §17 Abs1 infolge des Hinweises auf die näheren Regelungen der Abs2 bis 8 für sich allein betrachtet den im §4 Abs2 des Grundsatzgesetzes aufgestellten Grundsätzen nicht widerspricht."

4. Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen hat der VfGH es auch den anderen Landesregierungen und der Bundesregierung freigestellt, sich zu äußern. Von dieser Möglichkeit haben die Landesregierung von Bgld., Ktn., Oö., Tir., Vbg. sowie die Bundesregierung Gebrauch gemacht.

In sämtlichen Äußerungen wurde die Auffassung vertreten, daß die im Einleitungsbeschluß vom VfGH geltend gemachten Bedenken nicht zutreffen.

Hingegen haben die Bf. des Anlaßbeschwerdeverfahrens B665/78 eine Äußerung erstattet, in der sie sich der im Einleitungsbeschluß dargelegten Auffassung des VfGH angeschlossen haben.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Argumente gegen die vorläufigen Annahmen betreffend die Zulässigkeit der Anlaßbeschwerdeverfahren und darüber, daß der VfGH die in Prüfung gezogenen Bestimmungen bei der Fällung seiner Entscheidung über diese Beschwerden anzuwenden hat, sind weder vorgebracht worden noch sind Zweifel über diese Annahmen im Gesetzesprüfungsverfahren entstanden.

Die Gesetzesprüfungsverfahren sind zulässig.

2. Zum Verhältnis Grundsatzgesetz - Ausführungsgesetz hat der VfGH erwogen:

Art15 Abs6 B-VG hat durch die aus der Anfügung der beiden letzten Sätze bestehenden Novellierung durch die B-VG-Nov. BGBl. 444/1974 folgende Fassung erhalten:

"(6) Soweit dem Bund bloß die Gesetzgebung über die Grundsätze vorbehalten ist, obliegt innerhalb des bundesgesetzlich festgelegten Rahmens die nähere Ausführung der Landesgesetzgebung. Das Bundesgesetz kann für die Erlassung der Ausführungsgesetze eine Frist bestimmen, die ohne Zustimmung des Bundesrates nicht kürzer als sechs Monate und nicht länger als ein Jahr sein darf. Wird diese Frist von einem Land nicht eingehalten, so geht die Zuständigkeit zur Erlassung des Ausführungsgesetzes für dieses Land auf den Bund über. Sobald das Land das Ausführungsgesetz erlassen hat, tritt das Ausführungsgesetz des Bundes außer Kraft. Sind vom Bundesgesetzgeber keine Grundsätze aufgestellt, so kann die Landesgesetzgebung solche Angelegenheiten frei regeln. Sobald der Bund Grundsätze ausgestellt hat, sind die landesgesetzlichen Bestimmungen binnen der bundesgesetzlich zu bestimmenden Frist dem Grundsatzgesetz anzupassen."

Waren bei Anwendung des Art15 Abs6 B-VG bis zu dieser Nov. alle das Verhältnis von Bundesgrundsatzgesetz und Ausführungsgesetz betreffenden Rechtsfragen unter Bedachtnahme (bloß) auf dessen (heutige) Sätze 1 bis 4 zu lösen, so ist unter der Geltung der novellierten Fassung für die Lösung derartiger Rechtsfragen auf die Regelung insgesamt Bedacht zu nehmen. Die Anfügung der Sätze 5 und 6 in Art15 Abs6 B-VG ist somit auch bei der Interpretation der ersten vier Sätze dieses Absatzes zu beachten; ihre Bedeutung und ihr Anwendungsbereich kann nicht ohne Bedachtnahme auf die letzten beiden Sätzen des Art15 Abs6 B-VG festgestellt werden.

Die durch die Sätze 2 bis 4 des Art15 Abs6 B-VG im heutigen Zusammenhang bewirkte Regelung ist ihrem Kernbereich nach für jene Fälle anwendbar, in denen der Bund ein Grundsatzgesetz erläßt (oder ein bestehendes Grundsatzgesetz abändert), ein Ausführungsgesetz des Landes aber noch nicht besteht. In solchen Fällen geht - wenn das Bundesgrundsatzgesetz eine Frist zur Erlassung eines Ausführungsgesetzes bestimmt, das Land aber diese Frist ungenützt verstreichen läßt - die Zuständigkeit zur Erlassung des Ausführungsgesetzes (vorübergehend) auf den Bund über. Das Land hat also in diesem Fall die Möglichkeit, ein Ausführungsgesetz zu erlassen. Erläßt es ein solches Gesetz nicht, so bewirkt der rechtlich vorgesehene Zuständigkeitsübergang aber, daß der Bundesgesetzgeber in der Lage ist, den für die Wirksamkeit der gesetzgeberischen Maßnahme erforderlichen Akt der Ausführungsgesetzgebung zu setzen.

Einen anderen Fall regeln die letzten beiden Sätze des Art15 Abs6 B-VG: Stellt der Bund in einem bisher grundsatzgesetzlich nicht geregelten Bereich, in dem der Landesgesetzgeber von seiner Regelungsbefugnis gemäß Art15 Abs6 fünfter Satz Gebrauch gemacht hat, Grundsätze auf, so hat er eine Frist zu setzen (arg. "zu bestimmenden"), und der Landesgesetzgeber hat seine Regelung diesfalls innerhalb dieser Frist anzupassen. Die Nichtanpassung ist eine Verletzung des aus Art15 Abs6 letzter Satz erfließenden Verfassungsgebotes und macht dementsprechend das nicht angepaßte Ausführungsgesetz des Landes verfassungswidrig.

Der vom VfGH im vorliegenden Verfahren zu lösende Fall ist keiner der beiden eben dargestellten verfassungsrechtlichen Regelungen direkt subsumierbar. Denn im vorliegenden Verfahren ist zu entscheiden, was rechtens ist, wenn ein Grundsatzgesetz unter Fristsetzung ein bestehendes Grundsatzgesetz abändert, der Landes-Ausführungsgesetzgeber innerhalb dieser Frist aber sein Ausführungsgesetz nicht an die geänderten Grundsätze angepaßt hat. Diese Frage wäre vor der B-VG-Nov. 1974 nach dem damaligen Art15 Abs6 B-VG, der den heutigen Sätzen 1 bis 4 dieses Absatzes entspricht, zu lösen gewesen; nach der genannten Nov. ist die Lösung aber nur unter Miteinbeziehung der Regelung der Sätze 5 und 6 des genannten Absatzes möglich. So betrachtet, stellt sich die Frage, ob das vorliegend zu lösende Rechtsproblem analog zu jenen Fällen zu behandeln ist, in denen die Bundesverfassung Devolution vorsieht (Sätze 2 bis 4 des Art15 Abs6 B-VG), oder analog zu jenem Fall, in dem eine Rechtspflicht zur Anpassung der bestehenden Landesgesetze besteht, deren Nichtwahrnehmung zur Verfassungswidrigkeit der nicht angepaßten Norm führt.

Der VfGH ist der Auffassung, daß die Analogie zum zweiten der genannten Fälle zu ziehen ist.

Devolution sieht der Verfassungsgesetzgeber nämlich offenkundig vor, um zu bewirken, daß im Falle des Fehlens einer ausführungsgesetzlichen Regelung eine solche Regelung zustande kommt. Steht nämlich dem Landesgesetzgeber die Ausführung eines Bundesgrundsatzgesetzes frei, so soll die Nichtausführung durch das Land nicht zu einer Blockierung führen, sondern dem Bund die Möglichkeit zu einer Ersatzregelung geben. Ist aber eine landesgesetzliche Regelung vorhanden und werden Grundsätze durch den Bund neu erlassen, so wird ein nicht angepaßtes Gesetz verfassungswidrig (vgl. in diesem Sinn jüngst auch Auckenthaler, Der Zusammenhang von Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung, ÖJZ 1984, 57 ff. und insbesondere 87 ff.).

Nach Ansicht des VfGH liegt der Regelung insgesamt ein einheitliches Konzept zugrunde: Gibt es noch kein Landes-Ausführungsgesetz und erläßt der Bund Grundsätze oder ändert diese, so geht bei Untätigkeit des Landesgesetzgebers innerhalb der vom Bund gesetzten Frist die Zuständigkeit zur Erlassung eines Ausführungsgesetzes (vorübergehend) auf den Bund über. Existiert hingegen schon ein Landesgesetz und erläßt der Bund Grundsätze, unterläßt der Landesgesetzgeber aber die Anpassung seines Gesetzes, so invalidiert das Landesgesetz. Dies ergibt sich schon aus der Funktion der Grundsätze als inhaltliche Schranken für die Ausführungsgesetzgebung (vgl. dazu Korinek, Rechtsprobleme eines künftigen Elektrizitätswirtschaftsgesetzes, in:

Mayer-Maly, Energiewirtschaft und Recht, 1973, 31 ff., sowie jüngst Auckenthaler, ÖJZ 1984, 57 f. und 89). Besteht aber eine Anpassungsverpflichtung im Fall der Erlassung eines neuen Grundsatzgesetzes, so darf auch die Anpassung der Ausführungsgesetze an ein geändertes Grundsatzgesetz nicht im Belieben der Landesgesetzgeber stehen. Denn die Änderung eines Grundsatzes zerfällt - logisch betrachtet - in die Aufhebung eines bisherigen bei gleichzeitiger Erlassung eines neuen Grundsatzes (VfSlg. 5921/1969).

Es ist somit seit der Verfassungsnov. 1974 davon auszugehen, daß in jenen Fällen, in denen Grundsätze erlassen oder abgeändert werden und noch kein Landes-Ausführungsgesetz besteht, dem Landesgesetzgeber Entscheidungsfreiheit zukommt, das Grundsatzgesetz auszuführen, eine Ausführung aber auch durch den Bund substituiert werden kann. Hingegen besteht eine Anpassungspflicht bestehender Landes-Ausführungsgesetze dann, wenn Grundsätze in einem bisher grundsatzfreien Raum erlassen werden, sowie - was sich aus einer Analogie zu dieser Rechtsregel ergibt - dann, wenn bestehende Grundsätze abgeändert werden (vgl. auch Walter - Mayer, Grundriß des Bundesverfassungsrechts, 4. Auflage, 1982, 82). Eine Nichterfüllung dieser Anpassungspflicht bewirkt die Verfassungswidrigkeit jener Ausführungsregelungen, die in Widerspruch zur (geänderten) grundsatzgesetzlichen Rechtslage stehen.

Es ist somit im folgenden zu prüfen, ob die - zum maßgeblichen Zeitpunkt vom Land noch nicht angepaßten - landesgesetzlichen Ausführungsregelungen mit den zu diesem Zeitpunkt bestehenden bundesgrundsatzgesetzlichen Regelungen übereinstimmten oder nicht.

3. a) §4 des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes idF vor der Flurverfassungsnov. 1977 hat gelautet:

"Neuordnung

§4. (1) Die Behörde hat bei der Neuordnung des Zusammenlegungsgebietes eine Gesamtlösung in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht anzustreben und die Bedingungen für eine organische und geordnete Weiterentwicklung des Wirtschaftsraumes sowie der Betriebe zu schaffen. Sie hat hiebei auf die Bestimmungen des §1 Bedacht zu nehmen, die Interessen der Parteien und der Allgemeinheit gegenseitig abzuwägen und neuzeitliche betriebswirtschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen.

(2) Jede Partei hat Anspruch, unter Anrechnung der Grundaufbringung gemäß Abs6 mit dem Wert ihrer in das Verfahren einbezogenen Grundstücke in Grund und Boden abgefunden zu werden.

(3) Mit Zustimmung der Partei kann der Abfindungsanspruch ganz oder teilweise durch eine Geldabfindung abgegolten werden, sofern die Personen, denen an den Grundstücken, für die eine Geldabfindung gewährt werden soll, Rechte aus persönlichen Dienstbarkeiten, Ausgedings-, verbücherte Vorkaufs- oder Wiederkaufsrechte zustehen, gleichfalls damit einverstanden sind. Der hiedurch anfallende Grund ist unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des Abs1 zu verwenden.

(4) Der Unterschied zwischen dem Abfindungsanspruch (Abs2 und Abs3) und dem Wert der Grundabfindung darf nicht mehr als fünf vH des Wertes des Abfindungsanspruches betragen und ist in Geld auszugleichen.

(5) Soweit es mit den Zielen der Zusammenlegung bei Abwägung der Interessen aller Parteien untereinander vereinbar ist, haben die Grundabfindungen aus Grundflächen zu bestehen, die möglichst groß, günstig geformt sowie ausreichend erschlossen sind und bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung ohne erhebliche Änderung der Art und Einrichtung des Betriebes einen größeren oder zumindest gleichen Betriebserfolg erwarten lassen wie die alten Grundstücke. Grundabfindungen, die eine vollständige Umstellung des Wirtschaftsbetriebes zur Folge hätten, dürfen nur mit Zustimmung der Partei zugeteilt werden.

(6) Der Grund für gemeinsame Anlagen ist von den Parteien im Verhältnis der Werte ihrer Grundabfindungen aufzubringen, soweit er durch vorhandene gemeinsame Anlagen nicht gedeckt ist. Parteien, für die sich durch die gemeinsamen Anlagen kein oder nur ein geringfügiger Vorteil ergibt, können von der Grundaufbringung ganz oder teilweise befreit werden. Gemeinsame Anlagen im Sinne dieses Gesetzes sind Anlagen, die zur zweckmäßigen Erschließung und Bewirtschaftung der Grundstücke notwendig sind oder sonst die Ziele der Zusammenlegung fördern und einer Mehrheit von Parteien dienen.

(7) Bodenwertänderungen, die sich im Laufe des Verfahrens ergeben, sind zu berücksichtigen.

(8) Grundstücke, die keine land- oder forstwirtschaftlichen Grundstücke sind, und Hofstellen können nur mit Zustimmung ihrer Eigentümer der Zusammenlegung unterzogen werden. Sofern öffentliche Interessen nicht entgegenstehen, können solche Grundstücke jedoch ohne Zustimmung ihrer Eigentümer im notwendigen Ausmaß für Grenzänderungen und für die Herstellung gemeinsamer Anlagen in Anspruch genommen werden. Der hiedurch entstehende Flächenverlust ist durch Zuteilen einer Ersatzfläche auszugleichen; lassen dies die Ziele der Zusammenlegung nicht zu, so ist eine Geldentschädigung zu gewähren, deren Höhe nach dem Verkehrswert zu ermitteln ist. Ersatzfläche und Geldentschädigung treten hinsichtlich aller Rechtsbeziehungen zu dritten Personen an die Stelle der in Anspruch genommenen Flächen."

b) Durch die Flurverfassungsnov. 1977 erhielten die Abs1 und 2 (ArtI Z3) und Abs5 (ArtI Z4) folgende Fassung:

"(1) Die Behörde hat bei der Neuordnung des Zusammenlegungsgebietes eine Gesamtlösung in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht anzustreben und dabei auf eine geordnete Entwicklung des ländlichen Lebens-, Wirtschafts- und Erholungsraumes sowie der Betriebe Bedacht zu nehmen. Sie hat hiebei die Bestimmungen des §1 zu beachten, die Interessen der Parteien und der Allgemeinheit gegenseitig abzuwägen und zeitgemäße betriebswirtschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen.

(2) Jede Partei, deren Grundstücke der Zusammenlegung unterzogen werden, hat Anspruch, unter Anrechnung der Grundaufbringung gemäß Abs6 entsprechend dem Wert ihrer in das Verfahren einbezogenen Grundstücke mit Grundstücken von tunlichst gleicher Beschaffenheit abgefunden zu werden."

"(5) Die Grundabfindungen haben aus Grundflächen zu bestehen, die möglichst groß, günstig geformt und ausreichend erschlossen sind. Die gesamten Grundabfindungen einer Partei haben in Art und Bewirtschaftungsmöglichkeit den in das Verfahren einbezogenen Grundstücken der Partei weitgehend zu entsprechen und bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung ohne erhebliche Änderung der Art und Einrichtung des Betriebes einen größeren oder zumindest gleichen Betriebserfolg wie die in das Verfahren einbezogenen Grundstücke zu ermöglichen. Unter Berücksichtigung der Grundaufbringung gemäß Abs6 hat das Verhältnis zwischen Flächenausmaß und Wert der gesamten Grundabfindungen einer Partei dem Verhältnis zwischen Flächenausmaß und Wert der gesamten in das Verfahren einbezogenen Grundstücke der Partei möglichst zu entsprechen. Unvermeidliche Abweichungen sind bis einschließlich 20 vH dieses Verhältnisses zulässig."

c) §16 Abs1 des (an die Flurverfassungsnov. 1977 nicht angepaßten) FLG hat gelautet:

"§16

Neuordnung

(1) Gegenstand der Neuordnung des Zusammenlegungsgebietes ist die Festlegung der gemeinsamen Maßnahmen und Anlagen, der neuen Flureinteilung sowie der Eigentums- und sonstigen Rechtsverhältnisse. Die Behörde hat hiebei eine Gesamtlösung in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht anzustreben und die Bedingungen für eine organische und geordnete Weiterentwicklung des Wirtschaftsraumes sowie der Betriebe zu schaffen. Sie hat auf die Bestimmung des §1 Bedacht zu nehmen, die Interessen der Parteien und der Allgemeinheit gegenseitig abzuwägen und neuzeitliche betriebswirtschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen."

d) §17 Abs1 und 8 FLG hat gelautet:

"§17

Abfindungsanspruch, Gesetzmäßigkeit der Abfindung

(1) Jede Partei hat Anspruch, nach Maßgabe der Bestimmungen der Abs2 bis 8 mit dem gemäß §11 Abs1 bis 5 ermittelten Wert ihrer dem Verfahren unterzogenen Grundstücke in Grund und Boden abgefunden zu werden. Miteigentümern steht ein gemeinsamer Abfindungsanspruch zu."

"(8) Soweit es mit den Zielen der Zusammenlegung bei Abwägung der Interessen aller Parteien untereinander vereinbar ist, haben die Grundabfindungen aus Grundflächen zu bestehen, die möglichst groß, günstig geformt sowie ausreichend erschlossen sind und bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung ohne erhebliche Änderung der Art und Einrichtung des Betriebes einen größeren oder zumindest gleichen Betriebserfolg erwarten lassen wie die alten Grundstücke. Grundabfindungen, die eine vollständige Umstellung des Wirtschaftsbetriebes zur Folge hätten, dürfen nur mit Zustimmung der Partei zugeteilt werden."

4. a) Der VfGH ist im Einleitungsbeschluß davon ausgegangen, daß die Bestimmung des §16 ABs. 1 FLG (Neuordnung) den in §4 Abs1 des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes idF der Flurverfassungsnov. 1977 aufgestellten Grundsätzen nicht entspricht.

b) Die Nö. Landesregierung vertritt in ihrer Äußerung die Auffassung, aus dem Zusammenhang des §16 Abs1 mit der Bestimmung des §1 FLG, auf die nach §16 Abs1 Bedacht zu nehmen ist, ergebe sich, daß auch nach der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Fassung des §16 Abs1 bei der Neuordnung des Zusammenlegungsgebietes die Berücksichtigung des ländlichen Erholungsraumes vorgesehen sei. Ferner ist die Nö. Landesregierung der Auffassung, daß zufolge der Einheit der nö. Rechtsordnung auch aufgrund der Bestimmung des §1 Abs2 Z10 des Nö. ROG 1976, LGBl. 8000-0, in der die Leitziele für jene Gebiete enthalten seien, die sich für die Erholung besonders eigneten, unter den Begriff des Lebensraumes auch die Funktion als Erholungsraum zu subsumieren sei. Sie will damit zum Ausdruck bringen, daß auch nach §16 Abs1 FLG die in §4 Abs1 des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes idF der Flurverfassungsnov. 1977 angeordnete Bedachtnahme auf eine geordnete Entwicklung des ländlichen Lebens-, Wirtschafts- und Erholungsraumes vorgeschrieben sei.

c) §4 Abs1 des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes sowohl idF vor als auch nach der Flurverfassungsnov. 1977 enthält den Hinweis auf §1 dieses Gesetzes. Danach können im Interesse der Schaffung und Erhaltung einer leistungsfähigen Landwirtschaft die Besitz-, Benützungs- und Bewirtschaftungsverhältnisse im ländlichen Lebens- und Wirtschaftsraum durch Neueinteilung und Erschließung des land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitzes sowie Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe nach zeitgemäßen volks- und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten im Wege eines Zusammenlegungsverfahrens verbessert oder neu gestaltet werden.

Nach §4 Abs1 des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes idF vor der

Flurverfassungsnov. 1977 hatte die Behörde bei der Neuordnung des

Zusammenlegungsgebietes "... die Bedingungen für eine organische und

geordnete Weiterentwicklung des Wirtschaftsraumes ..." zu schaffen,

während nach der durch die Flurverfassungsnov. 1977 geschaffenen

Fassung dieser Bestimmung bei der Neuordnung "... auf eine geordnete

Entwicklung des ländlichen Lebens-, Wirtschafts- und Erholungsraumes ..." Bedacht zu nehmen ist.

Gemäß §1 des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes sind im Interesse der Schaffung und Erhaltung einer leistungsfähigen Landwirtschaft die Besitz-, Benützungs- und Bewirtschaftungsverhältnisse im ländlichen Lebens- und Wirtschaftsraum zu verbessern oder neu zu gestalten. Nach Auffassung des VfGH umfaßt der Begriff "Lebensraum" dabei auch den Lebensraum in seiner Funktion als "Erholungsraum". Der Nö. Landesregierung ist also recht zu geben, daß auch nach der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden grundsatzgesetzlichen Regelung als ländlicher Lebensraum der Lebensraum auch in seiner Funktion als Erholungsraum zu verstehen war. Demnach bedeutet die Anführung dieses Begriffes in §4 Abs1 dieses Gesetzes idF der Flurverfassungsnov. 1977 keine Erweiterung des Inhaltes dieser Bestimmung, sondern lediglich eine Klarstellung dahin gehend, daß im Begriff "Lebensraum" auch seine Funktion als "Erholungsraum" enthalten ist.

Daraus folgt, daß die Ausführungsregelung des §16 Abs1 FLG dem Inhalt der grundsatzgesetzlichen Regelung des §4 Abs1 des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes, der durch die Flurverfassungsnov. 1977 nicht eine Erweiterung, sondern nur eine Klärung seines Inhaltes erfahren hat, sowohl vor als auch nach der Novellierung entsprochen hat. Die gegenteilige Annahme im Einleitungsbeschluß trifft nicht zu.

5. a) Der VfGH ist im Einleitungsbeschluß ferner davon ausgegangen, daß die Bestimmungen des §17 Abs1 und 8 FLG den in §4 Abs2 und 5 des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes idF der Flurverfassungsnov. 1977 aufgestellten Grundsätzen nicht entsprechen und aus diesem Grunde verfassungswidrig sind.

b) Die Nö. Landesregierung ist der Meinung, daß §17 Abs1 FLG infolge des Hinweises auf die näheren Regelungen der Abs2 bis 8 für sich allein betrachtet den in §4 Abs2 des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes idF der Flurverfassungsnov. 1977 aufgestellten Grundsätzen nicht widerspricht.

c) Während nach der Regelung des §17 Abs1 FLG jede Partei Anspruch darauf hat, in Grund und Boden abgefunden zu werden, verlangt die grundsatzgesetzliche Regelung des §4 Abs2 des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes idF der Flurverfassungsnov. 1977 eine ausführungsgesetzliche Regelung, nach der jede Partei Anspruch darauf hat, "... mit Grundstücken von tunlichst gleicher Beschaffenheit abgefunden zu werden". Demnach stimmt die ausführungsgesetzliche Regelung mit der grundsatzgesetzlichen Regelung nicht überein.

Das gleiche gilt für die ausführungsgesetzliche Regelung des §17 Abs8 FLG, weil sie eine Bestimmung, die als Ausführung des Grundsatzes des §4 Abs5 des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes idF der Flurverfassungsnov. 1977 - wonach "die gesamten Grundabfindungen einer Partei ... in Art und Bewirtschaftungsmöglichkeit den in das Verfahren einbezogenen Grundstücken der Partei weitgehend zu entsprechen" hat - angesehen werden könnte, nicht enthält.

Die Abs1 und 8 des §17 FLG waren daher wegen der vom Ausführungsgesetzgeber innerhalb der hiefür vorgesehenen Frist nicht vorgenommenen Anpassung an die durch die Flurverfassungsnov. 1977 veränderten grundsatzgesetzlichen Regelung iS der Ausführungen unter II.2. verfassungswidrig geworden.

Da diese Bestimmungen im Zeitpunkt der Fällung des Erk. des VfGH bereits außer Kraft getreten waren (vgl. die am 24. Feber 1979 in Kraft getretene Nov. des Flurverfassungs-Landesgesetzes 1975, FLG, LGBl. 6650-2), war gemäß Art140 Abs4 B-VG auszusprechen, daß sie verfassungswidrig waren.

Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches ergibt sich aus Art140 Abs5 B-VG.

Schlagworte

Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung, VfGH / Prüfungsmaßstab, Bodenreform, Flurverfassung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:G59.1982

Dokumentnummer

JFT_10158997_82G00059_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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