TE Vfgh Erkenntnis 1984/10/4 G103/84, G104/84, G105/84

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Veröffentlicht am 04.10.1984
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Index

65 Pensionsrecht für Bundesbedienstete
65/01 Allgemeines Pensionsrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
PG 1965 §14 Abs1

Beachte

vgl. Kundmachung BGBl. 471/1984 am 30. November 1984; s. die Anlaßfälle B507/82, B549/82 und B239/83, alle vom 7. Dezember 1984

Leitsatz

Pensionsgesetz 1965; Gleichheitswidrigkeit von §14 Abs1 wegen unterschiedlicher Behandlung einer Witwe und eines Witwers im Hinblick auf den Anspruch auf Versorgungsgenuß

Spruch

§14 Abs1 des Pensionsgesetzes 1965, BGBl. 340, (PG 1965) wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 28. Feber 1985 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim VfGH sind zu B507/82 und B549/82 Beschwerden gegen Bescheide der Stmk. Landesregierung und zu B239/83 eine Beschwerde gegen einen Bescheid der Bgld. Landesregierung anhängig; mit diesen Bescheiden war Anträgen der Bf. auf Zuerkennung eines Witwerversorgungsgenusses nach ihren verstorbenen Ehegattinnen nicht stattgegeben worden. Die verstorbenen Ehegattinnen der Bf. hatten aufgrund des §45 litb des Landeslehrer-Dienstgesetzes (LDG), BGBl. 245/1962, (letzte Nov. dieses Gesetzes BGBl. 261/1978) iVm. dem PG 1965 (zuletzt geändert mit der 7. Pensionsgesetz-Nov. BGBl. 558/1980) einen Ruhegenuß bezogen.

Die Abweisung der Anträge war auf §14 Abs1 PG 1965 gestützt.

2. Aus Anlaß dieser Beschwerden leitete der VfGH gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §14 Abs1 PG 1965 ein, der folgendermaßen lautet:

"(1) Der Witwe eines Beamten gebührt ein monatlicher Witwenversorgungsgenuß, wenn der Beamte am Sterbetag Anspruch auf Ruhegenuß gehabt hat oder im Fall der mit Ablauf dieses Tages erfolgten Versetzung in den Ruhestand gehabt hätte."

Der VfGH ging davon aus, daß den Beschwerden Prozeßhindernisse nicht entgegenstehen sowie daß er bei seiner Entscheidung über die Beschwerden §14 Abs1 PG 1965 anzuwenden hätte. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Bedenken verwies der VfGH auf das Erk. VfSlg. 8339/1978, in dem er ausgesprochen hatte, daß die in Prüfung gezogene Gesetzesvorschrift des §22 Abs1 GG nicht verfassungswidrig war, da sich die gegen §22 Abs1 GG geäußerten Bedenken nicht gegen diese Gesetzesstelle, sondern gegen §14 PG 1965, der nicht Gegenstand des Gesetzesprüfungsverfahrens war, richteten. Nach diesen Bedenken scheint die unterschiedliche Behandlung einer Witwe und eines Witwers im Hinblick auf den Anspruch auf Versorgungsgenuß (vgl. VfSlg. 3389/1958), wie sie dem §14 Abs1 PG 1965 zugrunde liege, gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot zu verstoßen.

3. Die Bundesregierung hat mitgeteilt, daß keine Äußerung erstattet wird. Für den Fall der Aufhebung der Bestimmung hat sie den Antrag gestellt, für das Außerkrafttreten der Bestimmung eine Frist von einem Jahr gemäß Art140 Abs5 B-VG festzusetzen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die in den Anlaßverfahren angefochtenen Bescheide beruhen in materieller Hinsicht auf dem in Prüfung gezogenen §14 Abs1 PG 1965. Diese Bestimmung wäre vom VfGH bei seiner Entscheidung über die Beschwerden, denen Prozeßhindernisse nicht entgegenstehen, anzuwenden. Auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen des eingeleiteten Normenprüfungsverfahrens liegen vor.

2. Der VfGH hat mit dem Erk. G102/84 vom 26. Juni 1984 die Bestimmung des §19 Abs1 PG 1965 als verfassungswidrig aufgehoben. Zur Darlegung der Gründe, aus denen die aufgehobene Gesetzesstelle dem Gleichheitsgebot widerspricht, verwies der VfGH auf das Erk. G77/83, 71/84 vom 14. März 1984, mit dem die Bestimmung des §19 Abs4 PG 1965 wegen Widerspruchs zum Gleichheitsgebot als verfassungswidrig aufgehoben wurde.

In diesem Erk. hat der VfGH zu §19 Abs4 PG 1965, der - ohne Rücksicht auf die Höhe eines Versorgungsbezuges - infolge der Beschränkung seines persönlichen Geltungsbereiches für die frühere Ehefrau eines verstorbenen Beamten einen Versorgungsbezug eines früheren Ehemannes einer verstorbenen Beamtin ausschließt, folgendes festgehalten:

"Nach der bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes über Änderungen des Ehegattenerbrechts, des Ehegüterrechts und des Ehescheidungsrechtes, BGBl. 280/1978, mit 1. Juli 1978 bestandenen Gesetzeslage war die Unterhaltspflicht der geschiedenen Frau sowohl im Fall der Scheidung wegen Verschuldens als auch in dem der Scheidung aus anderen Gründen gegenüber der des geschiedenen Mannes wesentlich eingeschränkt (siehe insbesondere §§66 und 69 EheG aF). Seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. 280/1978 besteht diese nach dem Geschlecht getroffene Differenzierung nicht mehr (siehe insbesondere §§66 und 69 EheG nF). Das diese Änderung der Gesetzeslage nicht bloß für erstrittene Unterhaltsansprüche geschiedener Ehegatten, sondern in der Regel auch fürvertraglich vereinbarte maßgebend ist, bedarf keiner weiteren Erörterung. Der Gesetzgeber des Pensionsrechtes für Beamte, der grundsätzlich den Entfall eines Unterhaltsanspruchs der geschiedenen Ehefrau infolge des Todes ihres früheren Ehemannes als Versorgungsfall anerkennt, ist nun keineswegs gehalten, der erwähnten Änderung der zivilrechtlichen Regelung sogleich Rechnung zu tragen. Er hat aber, wenn er rechtspolitisch auf der Linie der Versorgung solcher Fälle bleibt, seine Regelung den geänderten Verhältnissen allmählich anzupassen. Soweit nämlich - wie der VfGH in anderem Zusammenhang schon ausgesprochen hat (VfSlg. 8871/1980 S 592) - Änderungen im Bereich eines Rechtsgebietes die für ein anderes Rechtsgebiet maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse ändern, ist bei Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Regelung dieses anderen Rechtsgebietes auf die so geschaffenen Verhältnisse Bedacht zu nehmen. Der VfGH hält dafür, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt dieser Gesetzesprüfung, also nach mehr als fünf Jahren seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. 280/1978, die Anpassungspflicht des Pensionsgesetzgebers bereits entstanden ist. Es mag sein, daß die (statistisch wohl nicht feststellbaren) Fälle eines gedachten analogen Versorgungsanspruchs eines früheren Ehemannes einerverstorbenen Beamtin nicht sehr zahlreich sind. Doch geht es nicht an, solche Fälle als vom Regelfall abweichende Härtefälle zu werten, die ein Gesetz nicht gleichheitswidrig machen; es muß hier vielmehr - einem vom VfGH schon ausgesprochenen Grundgedanken folgend (siehe gleichfalls das bereits zitierte Erk. VfSlg. 8871/1980 S 593) - auch das Gewicht des eintretenden Rechtsnachteils berücksichtigt werden."

Die in §14 Abs1 PG 1965 enthaltene Differenzierung, wonach der Witwe nach einem Beamten ein Anspruch auf Versorgungsgenuß zusteht, wogegen der Witwer nach einer Beamtin vom Bezug eines Versorgungsgenusses ausgeschlossen ist, ist nicht anders zu beurteilen, als die dem §19 Abs4 PG 1965 zugrunde liegende ungleiche Behandlung der früheren Ehefrau eines Beamten und des früheren Ehemannes einer Beamtin.

Die Erwägungen, die für die Aufhebung des §19 Abs4 PG 1965 maßgeblich waren, treffen auch auf §14 Abs1 PG 1965 zu.

§14 Abs1 PG 1965 war sohin als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG (vgl. die Fristsetzung in den Erk. G77/83, 71/84 vom 14. März 1984 und G102/84 vom 26. Juni 1984).

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 B-VG.

Schlagworte

Dienstrecht, Ruhegenuß, Versorgungsgenuß, Pensionsrecht, Verweisung, Witwerpension, Ehe und Verwandtschaft, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:G103.1984

Dokumentnummer

JFT_10158996_84G00103_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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