TE Vfgh Erkenntnis 2006/9/25 A11/06

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Veröffentlicht am 25.09.2006
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art137 / sonstige zulässige Klagen
B-VG Art137 / sonstige Klagen
AlVG §33, §36
NotstandshilfeV §6
Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19.12.78 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (Gleichbehandlungsrichtlinie bzw Gleichbehandlungs-Richtlinie)

Leitsatz

Abweisung einer Staatshaftungsklage wegen Verlustes der Notstandshilfe aufgrund Anrechnung des Partnereinkommens; kein qualifizierter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht, insbesondere nicht gegen die Gleichbehandlungsrichtlinie; keine Vorlagepflicht des Verwaltungsgerichtshofes infolge vertretbarer Rechtsauffassung

Spruch

Das Klagebegehren wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Klägerin begehrt unter dem Titel der sogenannten Staatshaftung, den Bund schuldig zu erkennen, ihr für den Verlust der Notstandshilfe und für die Kosten der anwaltlichen Vertretung sowie für sonstige Aufwendungen den Betrag von € 4.892,48 samt Zinsen zu bezahlen. Sie begründet ihr Begehren damit, dass der Verwaltungsgerichtshof mit seinen Erkenntnissen vom 18. Februar 2004, Zl. 2002/08/0276 und vom 24. Jänner 2006, Zl. 2006/08/0002-3, einen Schaden in dieser Höhe wegen eines hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht verursacht habe.

2. Die Klägerin führte in ihrer Klage aus, dass sie am 12. Juni 2002 beim Arbeitsmarktservice Linz die Gewährung der Notstandshilfe beantragt habe. Das Arbeitsmarktservice Linz habe diesem Antrag mangels Notlage mit Bescheid keine Folge gegeben. Die gegen diesen Bescheid von der Klägerin erhobene Berufung wies die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarkservice Oberösterreich (im Folgenden: AMS OÖ) mit Bescheid vom 16. Juli 2002 ab. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof habe die Klägerin damit begründet, dass sie in ihrem Recht auf Erhalt der Notstandshilfe ab 12. Juni 2006 gemäß §§33 ff Arbeitslosenversicherungsgesetz (im Folgenden: AlVG) verletzt worden sei. Die Anrechnung des Partnereinkommens aufgrund der überwiegenden Betroffenheit von arbeitslosen Frauen sei eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und somit ein Verstoß gegen Art3, 4 der Richtlinie 79/7/EWG. Zum gänzlichen Wegfall einer Versicherungsleistung infolge Anrechnung des Partnereinkommens gebe es keine vergleichbare Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: EuGH). Der Verwaltungsgerichtshof wies die Beschwerde mit Erkenntnis vom 18. Februar 2004, Zl. 2002/08/0276, als unbegründet ab. Dadurch habe der Verwaltungsgerichtshof seine Vorlageverpflichtung gemäß Art234 EG verletzt.

Die Klägerin habe - auf Grund des Urteils des Obersten Gerichtshofes (im Folgenden: OGH) 10 ObS 172/04y - einen Antrag auf Wiederaufnahme gemäß §69 Abs1 Z3 AVG beim AMS Linz-Land gestellt. In diesem Urteil führte der OGH aus, dass "der mit dem Verlust des Notstandshilfeanspruchs infolge Partnereinkommens verbundene Verlust von entsprechenden Ersatzzeiten [...] schon eine Folge der Anrechnungsvorschrift des §36 AlVG [ist], deren Anwendung durch das AMS nicht mehr im gerichtlichen Verfahren (über den Anspruch auf Anrechnung von Ersatzzeiten) dahin überprüft werden kann, ob die Versagung des Notstandshilfeanspruchs rechtmäßig erfolgt war oder nicht. Eine allfällige Gemeinschaftswidrigkeit müsste daher auch unter dem Gesichtspunkt des Verlustes von Ersatzzeiten im Verfahren über den Anspruch auf Notstandshilfe geltend gemacht werden; im gerichtlichen Verfahren kann diese Frage nicht mehr aufgerollt werden (ebenso 1 Ob 236/03t=ÖJZ-LSK 2004/55)".

Das AMS OÖ hat den Antrag mit Bescheid vom 4. Juli 2005 abgewiesen. Der dagegen erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof hat dieser mit Erkenntnis vom 19. Oktober 2005 Folge gegeben und den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben. Mit (Ersatz-)Bescheid vom 27. Dezember 2005 hat die Landesgeschäftsstelle des AMS OÖ den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zur Gewährung von Notstandshilfe neuerlich mit der Begründung, dass die vom OGH behandelte Frage des Verlustes von Ersatzzeiten in der Pensionsversicherung keine in einem Verfahren auf Zuerkennung der Notstandshilfe auftretenden Vorfrage darstelle, abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wies dieser mit Erkenntnis vom 24. Jänner 2006, Zl. 2006/08/0002, unter Verweis auf seine Erkenntnisse vom 14. September 2005, Zl. 2005/08/0148, und 14. Jänner 2004, Zl. 2003/08/0002, ab.

3. Der Bund erstattete eine Gegenschrift und beantragte, die Klage als unbegründet abzuweisen.

4. Mit Schreiben vom 3. August 2006 forderte der Verfassungsgerichthof die Klägerin auf mitzuteilen, inwieweit sich die Rechtslage geändert habe, wodurch das Verhalten des Verwaltungsgerichthofes anders als im Verfahren zu A5/04 zu bewerten sei. Die Klägerin teilte mit, dass sich zwar nicht das Gemeinschaftsrecht bzw. die Judikatur des EuGH, jedoch der Sachverhalt im gegenständlichen Verfahren - im Hinblick auf das Urteil des OGH (10 ObS 172/04y) - geändert habe. Wie in diesem Urteil ausgeführt worden sei, müsste eine allfällige Gemeinschaftsrechtswidrigkeit auch unter dem Gesichtspunkt des Verlustes von Ersatzzeiten im Verfahren über den Anspruch auf Notstandshilfe geltend gemacht werden. Die Klägerin erklärte weiters, dass die Führung eines weiteren Verfahrens über die Arbeits- und Sozialgerichte bis zum OGH auf Grund eines erheblichen Kostenaufwandes unzumutbar sei.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Klage erwogen:

1. Das Vorbringen der Klägerin, die Begründung, die Ausführungen zur behaupteten Verletzung des Gemeinschaftsrechts, die zitierten Urteile des EuGH, die rechtliche Würdigung sowie die an den EuGH zu stellenden Fragen sind - außer den individuellen Daten der Klägerin, dem Beruf des Ehegatten, der Höhe des geltend gemachten Schadens sowie dem Zitat eines Urteils des OGH auf Seite 3 der gegenständlichen Klage - völlig wortident zu der zu A5/04 protokollierten und beim Verfassungsgerichtshof am 25. Februar 2004 vom selben Klagsvertreter eingebrachten Klage, die der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 13. Oktober 2004 abgewiesen hat (VfSlg. 17.330/2004).

2. Der Verweis auf das von der Klägerin angeführte Urteil des OGH vom 8. März 2005, Zl. 10 ObS 172/04y, geht schon deshalb ins Leere, da - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits dargelegt hat - diesem Urteil ein Fall zu Grunde lag, bei dem der Klägerin bestimmte Zeiträume nicht als Ersatzzeiten in der Pensionsversicherung angerechnet wurden, weil sie infolge Anrechnung des Partnereinkommens in diesen Zeiten keinen Anspruch auf Notstandshilfe gehabt hatte. Im gegenständlichen Verfahren war jedoch ausschließlich die Frage, ob die Berücksichtigung des Partnereinkommens bei der Zuerkennung von Notstandshilfe zulässig ist, entscheidungsrelevant.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem abweisenden Erkenntnis vom 24. Jänner 2006 zutreffend ausgeführt hat, kommt der Frage, ob es gemeinschaftsrechtlich zulässig ist, dass eine Regelung des Pensionsrechts, nach welcher die Anrechnung von Ersatzzeiten bindend an den Notstandshilfebezug und nicht an das Bestehen von Arbeitslosigkeit anknüpft, keine Entscheidungserheblichkeit zu, weshalb er gar nicht befugt gewesen wäre, diese Frage gemäß Art234 EG dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Weiters gehöre die Frage, ob die Gewährung von Ersatzzeiten in der Pensionsversicherung von einem Leistungsbezug nach der Arbeitslosenversicherung abhängig gemacht werden kann, dem Leistungsrecht der Pensionsversicherung an und sei damit von den Arbeits- und Sozialgerichten im Zusammenhang mit der Pensionshöhe zu treffen. Die vom Verwaltungsgerichtshof zu beantwortende Frage und jene, die von den ordentlichen Gerichten zu beurteilen sei, stünde daher weder im Verhältnis der Vor- und Hauptfrage zueinander, noch folge auf andere Weise aus der Beantwortung der einen Frage auch schon die Beantwortung der anderen. Der Verwaltungsgerichtshof habe daher die leistungsrechtlichen Konsequenzen und deren gemeinschaftsrechtliche Beurteilung in seine Überlegungen nicht einzubeziehen gehabt.

3. Das von der Klägerin angeführte Urteil des OGH vom 8. März 2005, Zl. 10 ObS 172/04y, betraf daher eine andere als die im gegenständlichen Verfahren zu beurteilende Rechtsfrage. Der Verfassungsgerichtshof hat sich bereits im Erkenntnis VfSlg. 17.330/2004 ausführlich mit der entscheidungsrelevanten und im gegenständlichen Verfahren erneut vorgebrachten Frage der Zulässigkeit der Anrechnung des Partnereinkommens bei der Zuerkennung von Notstandshilfe bzw. mit dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Februar 2004, Zl. 2002/08/0276, auseinandergesetzt. Er ist in diesem Erkenntnis zum Ergebnis gelangt, dass dem Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf das Erkenntnis vom 18. Februar 2004, Zl. 2002/08/0276, jedenfalls kein qualifizierter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht vorgeworfen werden kann, wenn er ausspricht, dass die Regelung über die Anrechnung des Partnereinkommens bei der Zuerkennung von Notstandshilfe nicht gegen Gemeinschaftsrecht verstoße und diese Frage auch im Hinblick auf näher angeführte Judikatur des EuGH keiner Vorlage an diesen Gerichtshof bedürfe. Diese Überlegungen des Verwaltungsgerichtshofes erachtete der Verfassungsgerichtshof jedenfalls als vertretbar.

4. Da die von den individuellen Daten abgesehenen Ausführungen in der vorliegenden Klage - im Hinblick auf die Zulässigkeit der Berücksichtigung von Partnereinkommen im Zusammenhang mit der Zuerkennung von Notstandshilfe - den Verfassungsgerichtshof nicht zu einer Änderung seiner Rechtsauffassung veranlassen vermögen, kann auch dem Verwaltungsgerichtshof in gegenständlicher Angelegenheit kein qualifizierter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht vorgeworfen werden. Hinsichtlich detaillierter Ausführungen wird auf das Erkenntnis VfSlg. 17.330/2004 verwiesen.

III. 1. Die Klage war daher abzuweisen. Die beklagte Partei hat keinen Kostenersatz beantragt, weshalb auch keine Kosten zuzusprechen waren.

2. Da gegenständlicher Sachverhalt samt Argumentation identisch mit jenem ist, der der Rechtssache A5/04, in welcher derselbe Rechtsvertreter - wenngleich für eine andere klagende Partei - aufgetreten ist, zugrunde liegt und die Frage des Verfassungsgerichtshofes nach allfälligen Unterschieden lediglich mit dem Hinweis auf ein nicht einschlägiges Urteil des OGH beantwortet wurde, konnte von einer Verhandlung Abstand genommen werden.

Schlagworte

Arbeitslosenversicherung, EU-Recht Richtlinie, Gleichheit Frau-Mann, VfGH / Klagen, Staatshaftung, EU-Recht Vorabentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:A11.2006

Dokumentnummer

JFT_09939075_06A00011_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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