Kommentar zum § 159 StGB

Dr. Marlon POSSARD am 22.10.2024

Bilanz- und Jahresabschlussdelikte iZm Gläubiger:innen-Interessen gem § 159 StGB

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§ 159 StGB schützt primär die Vermögensinteressen der Gläubiger:innen von Schuldner:innen. Vorrangige Ziele der gesetzlichen Bestimmungen des § 159 StGB sind der Schutz der Gläubiger:innen vor wirtschaftlichen Kalamitäten, die strafrechtliche Verfolgung von sorgfaltswidrigem Agieren von Schuldner:innen und die Vertrauensstärkung in eine ordnungsgemäß geführte Geschäftsführung.

Bezogen auf die objektive Tatseite ergeben sich folgende Konklusionen:

§ 159 StGB bezieht sich nicht nur auf Schuldner:innen im klassischen Sinne, sondern zudem auf alle Verantwortungsträger:innen in Unternehmen oder Organisationen (zB leitende Angestellte[1], Geschäftsführer:innen), die eine grob fahrlässige Schädigung von Gläubiger:innen ob ihres wirtschaftlichen Verhaltens herbeiführen. Das Subjekt des Tatbestands ist somit relativ breit gefasst und nimmt insb all jene Personen in die Pflicht, die für die wirtschaftliche Führung von Unternehmen bzw Organisationen verantwortlich sind.

Die praktische Relevanz des § 159 StGB ergibt sich va im Kontext von Insolvenzen und des damit verbundenen präventiven Charakters. Betrachtet man speziell Vorgänge iZm der Rechnungslegung, gesetzliche Verpflichtungen zur Offenlegung von Jahresabschlüssen und die Aufzeichnung von geschäftlichen Prozessen, so ist explizit § 159 Abs 5 Z 4 und 5 StGB von Bedeutung, da Z 4 (div Geschäftsaufzeichnungen) und Z 5 (Jahresabschluss) die Aufzeichnungs- und Offenlegungspflicht hinsichtlich wirtschaftlicher Vorgänge fordert. Die Intention der Bestimmungen von Z 4 und Z 5 ist es, dass sich externe Personen bzw Stellen, dh ua unabhängige Dritte, einen zeitnahen Überblick über die Lage des jeweiligen Unternehmens verschaffen können – insb in Bezug auf Vermögen, Finanzen und Erträge. Jedenfalls werden mit Abs 5 Z 5 jene Fälle erfasst, die sich auf die Pflicht zur Erstellung von Jahresabschlüssen (Bilanzen, Berichte, etc) beziehen.[2]

De lege lata ist es darüber hinaus notwendig, dass ein sog „kridaträchtiges Verhalten“ (Abs 5) seitens der Schädiger:innen vorliegt. Ein solches Verhalten wird dann angenommen, wenn trotz entsprechender Verpflichtung der Jahresabschluss nicht erstellt wird, dieser (inhaltlich oder formal) mangelhaft ist oder zeitlich derart verspätet erstellt wird, dass eine zeitnahe Übersicht deutlich erschwert wird.[3] Eine solche Verzögerung der geforderten Schaffung eines zeitnahen Überblicks liegt ua dann vor, wenn die für die Erstellung eines Jahresabschlusses notwendigen Belege bzw geschäftlichen Aufzeichnungen verspätet an externe Ersteller:innen übermittelt werden (bspw an Steuerberater:innen oder Buchhalter:innen).[4] Im Rahmen einer kridastrafrechtlichen Beurteilung ist primär die Möglichkeit der Schaffung eines zeitnahen Überblicks über die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage des Unternehmens entscheidend, dh, dass etwa in wirtschaftlichen Krisenzeiten ein Jahresabschluss auch dann als verspätet erstellt gilt, wenn sowohl die Bilanzierungspflichten als auch die zeitlichen Fristen eingehalten wurden.[5] Hierbei ist vorausschauendes wirtschaftliches Agieren notwendig.

Es geht demgemäß also nicht um die Frage, ob den gesetzlichen Verpflichtungen zur Aufstellung von Jahresabschlüssen nachgekommen wurde, sondern darum, ob das Verschaffen eines zeitnahen Überblicks – je nach unternehmerischer Situation und Umständen (zB in wirtschaftlich schwierigen Zeiten) – überhaupt möglich ist. Nicht unter kridaträchtige Handlungen sind zum Status quo hingegen Geschäftsgründungen oder Geschäftserweiterungen iZm unzureichendem Eigenkapital, Konkursverschleppungen oder unverhältnismäßige Verwendungen bzw Gewährungen von Krediten zu subsumieren.[6] Eine völlig unkontrollierte Aufnahme von Verbindlichkeiten kann hingegen (unter Beachtung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls) als eine kridaträchtige Handlung klassifiziert werden.

Folgt man Abs 3, so stellt die faktische Zahlungsunfähigkeit von Schuldner:innen den Erfolg der Tat dar. Eine solche Zahlungsunfähigkeit ist nach hM dann verwirklicht, wenn die Schuldner:innen aufgrund von kridaträchtigem Agieren iSd Abs 5 auf grob fahrlässige Art und Weise ihre wirtschaftliche Lage so beeinträchtigen, dass eine alsbaldige Illiquidität droht.[7]

In Hinblick auf die subjektive Tatseite sind folgende Aspekte von Bedeutung:

Verlangt wird grobe Fahrlässigkeit, dh, dass die Sorgfaltswidrigkeit der Täter:innen auffallend und ungewöhnlich sein muss und der Erfolgseintritt nicht nur möglich, sondern geradezu wahrscheinlich vorhersehbar war (siehe § 6 Abs 3 StGB). Um die innere Tatseite zu verwirklichen, muss es den Täter:innen zudem in allen drei Fällen des § 159 StGB (Abs 1, 2 und 3) möglich gewesen sein, sich aus objektiver Sicht sorgfaltsgemäß zu verhalten. Als ein solches Kriterium gilt bei Abs 1 die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit, bei Abs 2 die Benachteiligung von Gläubiger:innen (mind 1) und bei Abs 3 die Herbeiführung von kridaträchtigen Verhältnissen.[8] Die außergewöhnliche Sorglosigkeit ist in allen drei Fällen jedenfalls zentral und muss über die normale Fahrlässigkeit (§ 6 Abs 1 und 2 StGB) hinausgehen. Es muss sich demnach um eine Art von Agieren handeln, das andere ordentliche und gewissenhafte Personen in einer ähnlichen Situation so nicht durchgeführt oder ebensolche Handlungen nicht vorgenommen hätten.

Summa summarum kann festgehalten werden, dass die Bestimmungen des § 159 StGB nicht nur dem Schutz des Vertrauens in wirtschaftliche Transaktionen (va in wirtschaftlich und finanziell angespannten Zeiten) dienen, sondern letztlich auch der Stabilität des gesamten Marktes und dem Gläubiger:innenschutz. Die in § 159 StGB normierten Strafen (Abs 1 = max bis zu ein Jahr FS; Abs  4 = max bis zu zwei Jahren FS) erscheinen im Vergleich zu anderen ähnlichen Delikten recht milde und sind aufgrund der Strafandrohungen immer noch als Vergehen zu klassifizieren. Trotz der potenziellen negativen Auswirkungen, die mit einem Erfolgseintritt des § 159 StGB verbunden sein können, können die angedrohten Sanktionen als verhältnismäßig gering eingestuft werden.


[1] vgl Kirchbacher in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 159 Rz 58 (Stand 01.12.2018, rdb.at)

[2] vgl ebd, WK2 StGB § 159 Rz 58 (Stand 01.12.2018, rdb.at)

[3] vgl ebd, WK2 StGB § 159 Rz 58 (Stand 01.12.2018, rdb.at)

[4] vgl ebd, WK2 StGB § 159 Rz 58 (Stand 01.12.2018, rdb.at)

[5] vgl Kirchbacher in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 159 Rz 59 (Stand 01.12.2018, rdb.at)

[6] vgl Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 159 Rz 11 (Stand 10.03.2022, rdb.at)

[7] vgl Flora in Leukauf/Steininger, StGB4 § 159 Rz 33 (Stand 01.10.2016, rdb.at)

[8] vgl ebd, StGB4 § 159 Rz 41 (Stand 01.10.2016, rdb.at)

 

 

 


§ 159 StGB | 2. Version | 64 Aufrufe | 22.10.24
Informationen zum Autor/zur Autorin dieses Fachkommentars: Dr. Marlon POSSARD
Zitiervorschlag: Dr. Marlon POSSARD in jusline.at, StGB, § 159, 22.10.2024
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