Kommentar zum § 38a SPG

Dr. Marlon POSSARD am 03.07.2024

Betretungs- und Annäherungsverbot zum Schutz vor Gewalt unter Berücksichtigung der OGH-Entscheidung zu GZ 1 Ob 39/24b vom 27.05.2024

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§ 38a SPG zielt aus positivrechtlicher Sicht im Wesentlichen darauf ab, Gewalt im häuslichen bzw. familiären Bereich entgegenzuwirken und vorbeugend mit diesem Instrumentarium wirkungsvollen und raschen Schutz für Gefährdete gewährleisten zu können. Hierfür etablierte der österreichische Gesetzgeber bereits im Jahr 1997 ein erstes Gewaltschutzgesetz, das in den vergangenen Jahren in vielerlei Hinsicht sukzessive ausgebaut wurde. In Österreich lag im Jahr 2023 die Zahl der verhängten Betretungs- und Annäherungsverbote (BuAV) bei 15.115, im Jahr 2020 noch bei 11.652.[1]

Exekutivbeamt:innen können gem. § 38a Abs. 1 SPG gegenüber Gefährder:innen zum Zwecke des Schutzes vor Gewalt im Zuge der jeweiligen Amtshandlung ein BuAV aussprechen, sofern eine ernste Gefahr durch den/die Gefährder:in für andere Personen besteht. Ein solches Verbot kann lt RSp des LVwG NÖ auch gegenüber mehreren Gefährder:innen[2] ausgesprochen werden, die am gleichen Ort wohnhaft sind.[3] In der praktischen Anwendung zeigt sich ein häufiges Aussprechen eines BuAV dann, wenn durch den/die Gefährder:in bereits in der Vergangenheit ein gefährlicher Angriff ausgeführt bzw. versucht wurde. § 38a SPG stellt idZ explizit die Rechtsgüter Freiheit, Leib und Leben und Gesundheit unter einen rechtlichen Schutz. Wird dem/der Gefährder:in ein Betretungs- bzw. Annäherungsverbot polizeilich, dh durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, auferlegt, so ist es dem/der Gefährder:in untersagt, die unmittelbare Umgebung der geschützten Person(en) aufzusuchen. Somit darf ua die Wohnstätte des/der Betroffenen nicht betreten werden. Sollte es sich dabei um die gemeinsame Wohnung von Gefährder:in und der gefährdeten Person handeln, so ist es Aufgabe der exekutivdienstlichen Handlung, dem/der Gefährder:in den Zugang zu verunmöglichen. In der Praxis geschieht dies meist mit der Abnahme der Schlüssel für den Zugang zur Wohnstätte oder mit der Änderung des Pins oder der Löschung von Daten (zB Fingerabdruck) bei digitalen bzw. technisierten Zugangsmöglichkeiten.

Hinsichtlich der definitorischen Einordung von „Wohnstätte“ führen bspw Keplinger/Pühringer aus, dass nicht nur die Wohnung (zB der Wohnsitz des/der Gefährdeten) unter eine für § 38a SPG notwendige Wohnstätte zu subsumieren ist, sondern auch andere Orte, wo sich die gefährdete Person ansonsten aufhält (bspw ein Zimmer in einer Krankenanstalt oder auch in einem Hotelzimmer), wobei der bloße Aufenthalt des/der Gefährdeten an der jeweiligen Wohnstätte ausreicht. Eine Personenmeldung iSd Zentralen Melderegisters (ZMR) an dem besagten Ort ist nicht zwingend notwendig.[4] Im Übrigen muss der Befehl durch die Polizei der jeweiligen Sicherheitsbehörde (zB Bezirkshauptmannschaft) bekanntgegeben werden, die nach § 38a Abs. 7 SPG für die Überprüfung des Befehls und auch hinsichtlich einer etwaigen Aufhebung des Verbots zuständig ist. Ad § 38a Abs. 7 SPG: „Die Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots ist der Sicherheitsbehörde unverzüglich bekanntzugeben und von dieser binnen drei Tagen zu überprüfen.“ Betreffend die in § 38 Abs. 7 SPG angeführte „Unverzüglichkeit“ kann angenommen werden, dass diese jedenfalls dann erfüllt wird, wenn keine unnötige Verzögerung vorliegt und nach Protokollierung des Sachverhaltes an die Sicherheitsbehörde herangetragen wird, wobei hier die Umstände jedes einzelnen Falles berücksichtigt werden müssen. Eine exakte Legaldefinition betreffend die Unverzüglichkeit im Kontext des SPG fehlt zum Status quo.

Für die Anwendung des § 38a SPG, die iVm dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit[5] nach § 29 Abs. 1 und Abs. 2 SPG ausgelegt werden muss, ist es notwendig, dass eine Gefährdung bzw. ein gefährdendes Verhalten und/oder eine Vorbereitungshandlung für die Herbeiführung einer solchen Gefährdung vorliegt. § 16 Abs. 2 und 3 SPG normiert betreffend die Gefährlichkeit: (2) Ein gefährlicher Angriff ist die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen […] wird […]. (3) Ein gefährlicher Angriff ist auch ein Verhalten, das darauf abzielt und geeignet ist, eine solche Bedrohung (Abs. 2) vorzubereiten […].“ § 16 Abs. 3 SPG fordert im Hinblick auf die Vorbereitung einer in § 16 Abs. 2 SPG bestimmten Gefährdung außerdem einen sog. „zeitlichen Zusammenhang mit der angestrebten Tatbestandsverwirklichung.“ In Bezug auf die Ergreifung der Maßnahme eines BuAV (= hoheitliche Befehls- und Zwangsgewalt) reicht es nach h. M. bereits aus, dass eine nach § 16 Abs. 2 SPG definierte Gefahr erwartet werden kann.[6] Eine unmittelbare Gefährdung ist demnach nicht notwendig, die Verhängung eines BuAV kann bereits dann ausgesprochen werden, wenn Faktoren vorliegen, die den Eintritt eines gefährlichen Angriffes vermuten lassen (zB aggressives Verhalten oder einschlägige Vorstrafen im Rahmen des Strafregisters). Bei dem hoheitlichen Agieren durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes iZm der Anwendung eines BuAV sind nach Keplinger/Pühringer zunächst jedenfalls die Auferlegung gelinderer Mittel zu prüfen und ob die Gefahr auch mittels anderer Möglichkeiten verringert werden kann.[7] Sollte sich der/die Gefährder:in dem durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ausgesprochenen BuAV zum Schutz vor Gewalt widersetzen, so greift § 84 Abs. 1 Z 4 SPG, wonach der/die Gefährder:in mit einer Geldstrafe bis zu EUR 1.000,00 bestraft werden kann (im Wiederholungsfall bis zu EUR 4.600,00). Bei Nichterbringung der Geldstrafe kann eine Ersatzfreiheitsstrafe von bis zu vier Wochen verhängt werden. Ein Rechtsmittel gegen den ausgesprochenen Befehl durch den/die Gefährder:in aufgrund von (behaupteter) Rechtswidrigkeit ist zulässig, kann jedoch nur mittels einer Maßnahmenbeschwerde, gem. den Bestimmungen des Art. 132 Abs. 2 B-VG, gerichtet an das zuständige LVwG, erhoben werden. Ad Art. 132 Abs. 2 B-VG: Gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt kann wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch sie in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

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Bezugnehmend auf § 38a SPG ist die Entscheidung des OGH vom 27.05.2024 zu GZ 1 Ob 39/24b von Beachtung. Der OGH beschäftigte idZ sich mit der Haftung des Bundes im Hinblick auf unterlassene Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren und urteilte, dass ein schuldhaftes Unterlassen einer Anordnung nach § 38a SPG bei begründeten Gefahren mit der Möglichkeit einer Amtshaftung seitens der Republik Österreich (ua Schadenersatz, Schmerzengeld) verbunden sein kann. Durch das Aussprechen des Verbotes nach § 38a SPG kann nach höchstinstanzlicher Meinung nämlich zunächst angenommen werden, dass sich der/die Gefährder:in an den Befehl hält. Die Vorinstanzen verneinten das Klagsbegehren der Klägerin, der OGH gab der Revision der Klägerin jedoch Folge.[8] Der OGH argumentierte wie folgt: Die Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbots nach § 38a Absatz 1 Sicherheitspolizeigesetz bezweckt den (vorbeugenden) Schutz potentieller Gewaltopfer. Die Voraussetzungen für eine Anordnung lagen hier auch vor. Die Polizeibeamten wären daher zur Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbots verpflichtet gewesen. Dass diese an der Pflichtverletzung kein Verschulden träfe, ist nicht erkennbar. […]. In der gesetzlichen Ausgestaltung der behördlichen Schutzmaßnahme zur Gewaltprävention ist ihr Nutzen bereits „typisiert“. Damit berechtigt aber schon die Existenz der Regelung zur Annahme, dass sich ein Normunterworfener im Regelfall an die auf dieser Grundlage erlassenen – und durch begleitende Kontrollen und Androhung von Konsequenzen bei Missachtung abgesicherten – behördlichen Anordnungen hält. Der erste Anschein spricht hier daher dafür, dass der Täter ein Betretungs- und Annäherungsverbot befolgt hätte.“[9]

 



[1] Vgl Statista GmbH (2024): Anzahl der verhängten Betretungs- und Annäherungsverbote in Österreich von 2020 bis 2023. Online abrufbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1454400/umfrage/betretungs-und-annaeherungsverbote-in-oesterreich/ [zuletzt abgerufen am: 03.07.2024]

[2] „Bei einem auf § 38a Abs 1 SPG gestützten Betretungsverbot für eine Wohnung, mit dem Annäherungsverbote an mehrere dort wohnhafte Personen verbunden werden, handelt es sich nur um einen einzigen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (und nicht um mehrere solche Akte). Ungeachtet dessen scheint es naheliegend, dass in einem solchen Fall das Betretungsverbot und die damit verbundenen Annäherungsverbote hinsichtlich jeder dieser Personen einer gesonderten (Teil-)Entscheidung des Verwaltungsgerichts iSd (von ihm gemäß § 17 VwGVG anzuwendenden) § 59 Abs 1 letzter Satz AVG zugänglich ist.“ Siehe hierzu: LVwG NÖ (2024): SPG – Maßnahmenbeschwerde(n) bei Annäherungsverbot(en) gegenüber mehreren Personen; Stellungnahmemöglichkeit des Gefährders (LVwG-M-13/001-2023). Online abrufbar unter: https://lvwg.noel.gv.at/2024/03/21/spg-massnahmenbeschwerden-bei-annaeherungsverboten-gegenueber-mehreren-personen-stellungnahmemoeglichkeit-des-gefaehrders/ [zuletzt abgerufen am: 03.07.2024]

[3] Vgl LVwG NÖ (2024): SPG – Maßnahmenbeschwerde(n) bei Annäherungsverbot(en) gegenüber mehreren Personen; Stellungnahmemöglichkeit des Gefährders (LVwG-M-13/001-2023). Online abrufbar unter: https://lvwg.noel.gv.at/2024/03/21/spg-massnahmenbeschwerden-bei-annaeherungsverboten-gegenueber-mehreren-personen-stellungnahmemoeglichkeit-des-gefaehrders/ [zuletzt abgerufen am: 03.07.2024]

[4] Keplinger/Pühringer (2018), SPG-Praxiskommentar, § 38a SPG, Z 12-14

[5] „ISd RSp des VfGH gehört es zu der dem einschreitenden Organ zumutbaren Sorgfalt, einen mutmaßlichen Gefährder vor der Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbots mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen, auf die sich eine Gefährdungsprognose stützen kann, zu konfrontieren und ihm die Möglichkeit zu geben, sich in der gebotenen Kürze dazu zu äußern und seine allenfalls abweichende Darstellung nach Möglichkeit zu belegen. Erst wenn die Widerlegung jener Tatsachen, auf die sich die Gefährdungsprognose stützt, in der gebotenen Kürze nicht gelingt, darf ein Betretungs- und Annäherungsverbot verhängt werden […].“ Siehe hierzu: LVwG NÖ (2024): SPG – Maßnahmenbeschwerde(n) bei Annäherungsverbot(en) gegenüber mehreren Personen; Stellungnahmemöglichkeit des Gefährders (LVwG-M-13/001-2023). Online abrufbar unter: https://lvwg.noel.gv.at/2024/03/21/spg-massnahmenbeschwerden-bei-annaeherungsverboten-gegenueber-mehreren-personen-stellungnahmemoeglichkeit-des-gefaehrders/ [zuletzt abgerufen am: 03.07.2024]

[6] Ähnlich argumentiert auch der VwGH. Siehe hierzu: VwGH vom 24.02.2004 (GZ: 2002/01/0280)

[7] Keplinger/Pühringer (2018), SPG-Praxiskommentar, § 38a SPG, Z 3

[8] Vgl OGH (2024): Zur Haftung des Bundes für die Unterlassung von Maßnahmen zur Gefahrenabwehr (GZ 1 Ob 39/24b). Online abrufbar unter: https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/zur-haftung-des-bundes-fuer-die-unterlassung-von-massnahmen-zur-gefahrenabwehr/ [zuletzt abgerufen am: 03.07.2024]

 


§ 38a SPG | 2. Version | 371 Aufrufe | 03.07.24
Informationen zum Autor/zur Autorin dieses Fachkommentars: Dr. Marlon POSSARD
Zitiervorschlag: Dr. Marlon POSSARD in jusline.at, SPG, § 38a, 03.07.2024
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