Kommentar zum § 26 StVO 1960

Dr. Marlon POSSARD am 06.12.2023

Haftungskomplexitäten bei Verunfallung zwischen zwei oder mehreren Einsatzfahrzeugen

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Das Hauptaugenmerk dieses Kurzkommentares zu § 26 StVO liegt auf der Betrachtung der Haftungsherausforderungen bei Unfällen zwischen zwei oder mehreren Kraftfahrzeugen, die mit Blaulicht und Folgetonhorn (bspw. zwischen Rettungsfahrzeugen und Fahrzeugen der Exekutive) ausgestattet sind.

 

§ 26 StVO regelt das straßenverkehrsrechtliche Szenario hinsichtlich der Fahrt mit Sonderrechten für Einsatzfahrzeuge bei Gefahr in Verzug, die mit Folgetonhorn und Blaulichtsignal ausgestattet sind. Gemäß § 26 Abs. 4 Z 1 bis 4 StVO betrifft dies vorwiegend Fahrzeuge der in Österreich zugelassenen Rettungsdienstorganisationen, der Berufs- und Freiwilligenfeuerwehr, der Exekutive (Polizei) und andere Einsatzfahrzeuge (wie etwa in Wien die Funkwägen der Wiener Linien, die mit Sondersignal und Folgetonhorn ausgestattet sind, die Militärpolizei, die Justizwache oder die Finanzpolizei). Wie Halmich[1] bereits ausführt, gelten die auf den Einsatzfahrzeugen angebrachten Sondersignale (Blaulicht und Folgetonhorn) der frühzeitigen Erkennung des jeweiligen Einsatzfahrzeuges und der damit verbundenen rechtzeitigen Warnung der anderen Verkehrsteilnehmer:innen. Ziel einer Einsatzfahrt mit Sondersignal und Folgetonhorn ist es, so die Auffassung des Gesetzgebers, ein schnelleres Eintreffen der Einsatzkräfte am Einsatzort bzw. Berufungsort zu ermöglichen. In einem solchen Einsatzfall wird das Einsatzfahrzeug von den geltenden Verkehrsvorschriften der StVO gleichsam dispensiert, auch wenn aus Sicht der Bestimmungen der StVO auch im Falle eines Einsatzes nicht jegliche straßenverkehrsrechtlichen Normierungen missachtet werden dürfen. So regelt § 26 Abs. 2 StVO selbst im Einsatzfall ausdrücklich die Nichtgefährdung von Personen und Sachen durch das Einsatzfahrzeug.

 

Problematiken ergeben sich in der juristischen Praxis v. a. bei Unfällen i. Z. m. Einsatzfahrzeugen. Dies betrifft sowohl die Verunfallung zwischen regulären Verkehrsteilnehmer:innen mit einem Einsatzfahrzeug als auch die Kollision zwischen zwei oder mehreren Einsatzfahrzeugen. Die Abwägung, ob der gemeldete Notfall mit der Notwendigkeit verbunden ist, den Berufungsort/Einsatzort mit Sondersignal zu passieren, obliegt in allen Einsatzorganisationen sensu stricto den jeweiligen Einsatzlenker:innen. Hierbei unterliegen die Einsatzlenker:innen von Einsatzfahrzeugen einer substanziellen Sorgfaltspflicht, die z. B. im Bereich des Rettungsdienstes und des Feuerwehrwesens in Österreich einerseits hauptberufliche, andererseits auch freiwillige Mitarbeiter:innen betrifft. Folgt man dem Ansatz der Risikominimierung von Unfällen i. R. v. Einsatzfahrten, so kann bspw. nach Halmich[2] empfohlen werden, dass Einsatzlenker:innen in Notlagen bereits frühzeitig sondersignaltechnische Möglichkeiten aktivieren, um andere Verkehrsteilnehmer:innen rechtzeitig warnen und zu einem speziellen Agieren (z. B. Freimachen der Straße, Bildung der Rettungsgasse) auffordern zu können.

 

Ein Beispiel: Unter Bezugnahme auf einen Unfall zwischen einem Polizeiauto und einem Rettungswagen bspw. an einer Kreuzung muss zunächst festgestellt werden, ob die Kreuzung, an dieser der Unfall zustande gekommen ist, von den jeweiligen Einsatzlenker:innen unvorsichtig passiert wurde. Ein solches unvorsichtiges Passieren der Kreuzung durch den/die Einsatzlenker:in kann bspw. dann vorliegen, wenn die Bestimmung nach § 26 Abs. 3 1. Fall StVO, nämlich das vorherige Anhalten bei Kreuzungskonstellationen mit Rotsignal, nicht eingehalten wurde oder die Geschwindigkeit auffallend hoch war, sodass andere Verkehrsteilnehmer:innen in einem unzureichenden Maß durch das Lenken des Rettungswagens bzw. Polizeiautos geschützt worden sind. Eine bedeutende Rolle nimmt innerhalb der juristischen Analyse somit die Anpassung der Geschwindigkeit an die spezifischen Verkehrsbedingungen ein, wovon in weiterer Folge die Bewertung einer etwaigen leichten bzw. groben Fahrlässigkeit abgeleitet werden kann. Auch muss beurteilt werden, ob beiden Einsatzfahrzeugen, d. h. Rettung und Polizei, das Ampelsignal „Rot“, „Grün“ oder jeweils „Rot“ und „Grün“ zum Überqueren der Kreuzung angezeigt wurde. In solchen Fällen muss sowohl Verschulden als auch Kausalität unter Beachtung der Vorrangordnung von Einsatzwägen nach § 26 Abs. 4 StVO festgestellt werden (Rettungswagen è Feuerwehr è Polizei è andere Einsatzwägen). Letzteres betrifft u. a. die Bewertung einer möglichen zivilrechtlichen Haftung des/der Einsatzlenkers:in bzw. die Feststellung eines Mitverschuldens am Unfallhergang. Zudem muss eine etwaige Haftung nach dem EKHG, neben den zivil- und schadensersatzrechtlichen Normen des ABGB, berücksichtigt werden. Im Rahmen von Rettungsdienstorganisationen bspw. sind Sanitäter:innen und Einsatzlenker:innen als Erfüllungsgehilfen i. R. d. Diensterbringung zu subsumieren und etwaige Regressansprüche seitens der Rettungsdienstorganisation gegenüber dem bzw. der jeweiligen Mitarbeiter:in (= Einsatzlenker:in) in der Rechtspraxis nur schwierig durchsetzbar.[3] Aus Sicht des/der Unfalllenkers:in des Polizeiwagens ist rechtlich anzumerken, dass hier ferner auch eine Organ- bzw. Amtshaftung durch den Arbeitgeber, d. h. die Republik Österreich, bestehen kann, da Polizist:innen im Rahmen ihres Dienstes unter der Ausübung der Vollziehung der Gesetze agieren. Hierbei muss beurteilt werden, ob ein schuldhaftes und rechtswidriges Verhalten vorliegt (siehe § 1 Abs. 1 AHG). Regressansprüche der Republik Österreich gegenüber dem/der Unfalllenker:in/Polizist:in (siehe § 3 Abs. 1 ff. AHG) können nach den Bestimmungen der Organ- bzw. Amtshaftung durchaus bestehen und sind detailliert abzuklären.

 

Im Kontext einer möglichen strafrechtlichen Verantwortung kann attestiert werden, dass primär Fahrlässigkeitsdelikte des StGB zur Anwendung kommen, wie etwa die §§ 80, 81 und 88 StGB, wobei dies unter dem Gesichtspunkt der individuellen Gefährlichkeit im Detail- und Anlassfall dementsprechend zu evaluieren ist.

 



[1] vgl. Halmich, M. (2012), Recht für Sanitäter und Notärzte – Die Praxis der präklinischen Notfallversorgung, S. 106

[2] vgl. Halmich, M. (2013), Feuerwehr – Polizei – Rettung – Einsatzfahrten rechtlich betrachtet, S. 165

[3] Ähnlich argumentiert auch Halmich: vgl. Halmich, M. (2012), Recht für Sanitäter und Notärzte – Die Praxis der präklinischen Notfallversorgung, S. 116

 


§ 26 StVO 1960 | 1. Version | 465 Aufrufe | 06.12.23
Informationen zum Autor/zur Autorin dieses Fachkommentars: Dr. Marlon POSSARD
Zitiervorschlag: Dr. Marlon POSSARD in jusline.at, StVO 1960, § 26, 06.12.2023
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