Kommentar zum § 7 KartG 2005

Norbert Gugerbauer3 am 30.07.2014

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Fusionskontrolle als Marktstrukturkontrolle

1) Bei der Fusionskontrolle handelt es sich um eine Marktstrukturkontrolle, während Kartell- und Missbrauchsregeln das Marktverhalten kontrollieren (16 Ok 6/10). Das Wesen der Unternehmenskonzentration(Zusammenschluss) und gleichzeitig der entscheidende Unterschied zu Kartellen besteht gerade darin, das zwei oder mehr Unternehemn unter Aufgabe ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit in auf Dauer bezeichneter Weise unter einheitlicher wirtschaftlicher Leitung zusammengefasst werden. Während das Kartell eine Verhaltensbindung bewirkt, wird durch den Zusammenschluss die interne Unternehmensstruktur geändert (RIS-Justit RS0063572; 16 Ok 11/13; 16 Ok 6/10). Die Zielrichtung der Zusammenschlusskontrolle liegt darin, präventiv das Interesse der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung einer "österreichischen" Marktstruktur - mag sich diese auch etwa als Teil eines Weltmarktes präsentieren - zu gewährleisten, die einen funktionierenden Wettbewerb verspricht (16 Ok 49/05 u.a.). Dieser Aufgabe wird durch die Erhaltung einer möglichst großen Anzahl selbständiger Marktteilnehmer und das resultierende Potenzial zum Wettbewerb entsprochen (16 Ok 20/02).

 

Gemeinsame Kontrolle

2) Die Tatbestände des § 7 Abs 1 verlangen die Einflussnahme auf ein bereits bestehendes Unternehmen bzw im Rahmen des § 7 Abs 1 Z 1 eines wesentlichen Unternehmensteils. Demgegenüber erfasst der Tatbestand des § 7 Abs 2 nur originäre Neugründungen (16 Ok 12/08). § 7 Abs 2 setzt - im Gegenzug zu den Tatbeständen des § 7 Abs 1 - die Gründung eines neuen Marktteilnehmers voraus (16 Ok 9/02). Der Erwerb der gemeinsamen Kontrolle durch zwei Unternehmer an einem bereits operativ tätigen Zielunternehmen verwirklicht nicht den Zusammenschlusstatbestand des § 7 Abs 2, sondern jenen nach § 7 Abs 1 Z 3 oder nach § 7 Abs 1 Z 5 (16 Ok 12/08). Typischer Fall eines nach § 7 Abs 2 zu beurteilenden Vorgangs ist die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, das mit ausreichend finanziellen und personellen Ressourcen sowie mit materiellen und immateriellen Vermögenswerten ausgestattet wird, um ein (für die Gründer oft neues) Geschäftsfeld als neuer und aktiver Marktteilnehmer zu bearbeiten (16 Ok 11/13).

 

Vollfunktionseigenschaft

3) Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen den Tatbeständen des § 7 Abs 1 und § 7 Abs 2 betrifft die Vollfunktionseigenschaft. Diesem Kriterium kommt nur im Rahmen des § 7 Abs 2 eigenständige Bedeutung zu. Demgegenüber setzt § 7 Abs 1 in keinem seiner Tatbestände die Vollfunktionseigenschaft voraus, sondern stellt lediglich auf die Beteiligung oder Einflussnahme auf ein anderes Unternehmen ab (16 Ok 11/13). Dies zeigt schon der Wortlaut des § 7 Abs 1: Unter dem in dieser Bestimmung ausdrücklich angesprochenen "wesentlichen Teil" eines Unternehmens werden nach ganz herrschender Auffassung auch Kundenlisten, Geschäftsbereiche, Produktionsstandorte, Filialen, Markenrechte, Zeitschriftentitel, Patentrechte, eine Vertriebsmannschaft (vor allem in einem Markt, in dem persönliche Kundenbeziehungen wesentlich sind) oder auch eine ausreichend große Anzahl von Schlüsselarbeitskräften, die von einem Konkurrenten übernommen werden, angesehen. Selbst der Abschluss eines langfristigen, exklusiven Lizenzvertrages kann unter bestimmten Voraussetzungen vor allem bei Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts für einen längeren Zeitraum als Erwerb eines wesentlichen Unternehmensteils qualifiziert werden. In all diesen Fällen liegt aber naturgemäß kein Vollfunktions-Unternehmen vor (16 Ok 11/13).

4) Vor Inkrfttreten des Kartellgesetzes 2005 waren nur Vollfunktions-gemeinschaftsunternehmen von der Fusionskontrolle erfasst, während kooperative Vollfunktions-gemeinschaftsunternehmen nach den regeln über Kartelle zu beurteilen waren. Mit dem kartellgesetz 2005 hat der gesetzgeber kooperative Vollfunktions-gemeinschaftsunternehmen in das Fusionskontrollverfahren einbezogen und damit insoweit einen Gleichklang mit der europäischen Fusionskontrollverordnung (vgl Art 3 Abs 4 FKVO) hergestellt (16 Ok 11/13).

5) Werden (Teil-)Betriebe und damit eine bestehende Marktposition iS eines "wesentlichen Vermögensteils" von Muttergesellschaften auf ein Joint Venture übertragen und erwirtschaftet dieses Joint Venture einen wesentlichen Teil, z.B. 80 Prozent, seines Umsatzes mit dem Muttergesellschaften, wird mit dem Joint Venture kein Vollfunktions-Gemeinschaftsunternehmen (§ 7 Abs 2) gegründet, sondern liegt ein Zusammenschluss-Tatbestand nach § 7 Abs 1 vor. Die Vergemeinschaftung unternehmerischer Tätigkeiten (nach dem weiten, funktionalen Unternehmensbegriff des KartG) begründet einen Zusammenschluss: Die Einbringung der (Teil-)Betriebe der Muttergesellschaften in das Joint Venture bringt mit sich, dass der jeweils andere Partner gemeinsame Kontrolle an dem eingebrachten Unternehmensteil erhält. Das Joint Venture tritt mit Durchführung des Vorhabens in die Marktposition der Muttergesellschaften ein. Dies kann als wechselseitige Beteiligung an dem eingebrachten geschäftsbereich des jeweils anderen Grundungspartners nach § 7 Abs 1 Z 3 angesehen werden (16 Ok 11/13; 26 Kt 132/04; 26 Kt 167/04; 26 Kt 168/04).

 

Keine "doppelte Kontrolle" von Gemeinschaftsunternehmen

6) Wenngleich die Materialien zum Kartellgesetz (926 BlgNR 22. GP 6) davon sprechen, dass kooperative Gemeinschaftsunternehmen einer "doppelten Kontrolle" unterstellt sind, schließt nach einhelliger Auffassung die Prüfung eines Sachverhalts als Zusammenschluss die parallele Prüfung der für den Zusammenschluss tatbestandmäßigen Sachverhaltselemente als Kartell aus. Außerhalb des fusionskontrollrechtlichen Prüfungsgegenstands bleibt freilich die Anwendung von § 1 KartG möglich; die Prüfungskompetenz nach § 1 KartG umfasst nur, was nicht bereits im Fusionskontrollverfahren geprüft worden ist (16 Ok 11/13). Dagegen hatte der deutsche BGH in der Entscheidung vom 8.5.2002, KFR 12/99, ausgesprochen, dass derselbe Lebenssachverhalt, nämlich die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, unter unterschiedlichen Gesichtspunkten der Fusionskontrolle und der Kartellaufsicht unterliegen könne. Ausschlaggebend dafür sei, ob die Muttergesellschaft als aktuelle Wettbewerberi auf dem gleichen sachlichen und räumlichen Markt wie das Gemeinschaftsunternehmen tätig bleibe. In diesem Fall sei regelmäßig eine Beschränkung des Wettbewerbs auf Ebene der Muttergesellschaften zu erwarten. Es sei nämlich kaufmännisch vernünftig, wenn die Muttergesellschaften ihr eigenes Marktverhalten an den - gemeinsam festgelegten - Strategien des Gemeinschaftsunternehmens ausrichteten. Dieser "Gruppeneffekt" auf Ebene der Muttergesellschaften sei gesondert auf seine Vereinbarkeit mit § 1 dGWB zu prüfen (vgl dazu 16 Ok 11/13).

7) Nach Art 5 VO 1/2003 sind die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten nicht befugt, Feststellungen über die Nichtanwendbarkeit von Art 101 AEUV auf Absprachen zwischen Unternehmen zu treffen. Nach Art 3 Abs 3 VO 1/2003 gelten allerdings die Verpflichtung zur parallelen Anwendung (Art 3 Abs 1 VO 1/2003) sowie die Konvergenzregel des Art 3 Abs 2 VO 1/2003 - unbeschadet der allgemeinen Grundsätze und sonstigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts - nicht für den Bereich der einzelstaatlichen Fusionskontrolle. Diese "Vorrangregel" zu Gunsten von nationalem Fusionskontrollrecht ist vor allem für den Erwerb von Minderheitsbeteiligungen von zumindest 25% an Wettbewerbern von Relevanz, weil derartige Vorgänge nach nationalem Recht einen Zusammenschluss nach § 7 Abs1 Z 3 KartG begründen und nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl EuGH 17.11.1987, Rs 142 und 156/84 - Philip Morris / Rothmans, Slg 1987, I-4487) gleichzeitig unter Art 101 AEUV fallen können, wenn sie eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung zwischen Erwerber und Zielgesellschaft entfalten. Bedeutung kann der Vorrangregel aber auch bei der Gründung eines kooperativen Gemeinschaftsunternehmens zukommen, das gemäß § 7 Abs 2 KartG als Zusammenschluss anzumelden ist und zu einer Koordinierung der Gründergesellschaften führt (16 Ok 11/13).

8) Auch nach Art 21 Abs 1 FKVO ist ausdrücklich angeordnet, dass die Verordnung 1/2003 für Zusammenschlüsse im Sinne von Art 3 FKVO unabhängig davon nicht gilt, ob diese Zusammenschlüsse gemeinschaftsweite Bedeutung haben oder nicht. Art 3 Abs 1 lit b FKVO stimmt inhaltlich mit § 7 Abs 1 Z 1 KartG überein. Die Gegenausnahme in Art 21 Abs 1 FKVO für Gemeinschaftsunternehmen, die keine gemeinschaftsweite Bedeutung haben und die Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens unabhängig bleibender Unternehmen bezwecken oder bewirken, bezieht sich lediglich auf Fälle, in denen die Muttergesellschaften auf dem gleichen sachlich und räumlich relevanten Markt wie das Gemeinschaftsunternehmen tätig bleiben. Damit haben es die Mitgliedstaaten in der Hand, auch Fusionskontrolltatbestände vorzusehen, die sich nicht in der FKVO finden. Dadurch kann das Instrument der Fusionskontrolle eingesetzt werden, um Anliegen zu schützen, die über die Bewahrung eines effektiven Wettbewerbs hinausgehen. Ein Beispiel dafür bildet das Ziel der Aufrechterhaltung der Medienvielfalt gemäß § 13 KartG (16 Ok 11/13).

9) Im Rahmen der Entscheidung über die Untersagung bzw. Nichtuntersagung eines Zusammenschlusses sind auch allfällige kooperative Aspekte des Zusammenschlusses, soweit dadurch eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird, zu bewerten (16 Ok 11/13). Dies entspricht der Rechtslage nach Art 6 Abs 1 lit b FKVO. Demnach gelten durch eine Entscheidung, mit der ein Zusammenschluss genehmigt wird, auch die mit seiner Durchführung unmittelbar verbundenen und für sie notwendigen Einschränkungen des Wettbewerbs als genehmigt. Diese Auffassung lässt sich auf das nationale österreichische Kartellrecht übertragen. Alle Marktwirkungen, die sich wesensnotwendig aus dem Zusammenschluss ergeben, sind von der "Freistellungswirkung" der Fusionskontrollentscheidung erfasst. Dies betrifft etwa die Verpflichtung der Muttergesellschaften, dem Gemeinschaftsunternehmen in dessen Tätigkeitsbereich keine Konkurrenz zu machen und umgekehrt (vgl die Bekanntmachung der Kommission zu wettbewerbsbeschränkenden Nebenabreden, ABl 2005, C 56/24, Rz 36 ff), aber auch koordinierende Effekte, die sich daraus ergeben, dass die Muttergesellschaften zukünftig vom Joint Venture Waren oder Leistungen zu einheitlichen Kosten beziehen können (16 Ok 11/13).

10) Anders als im Fusionskontrollverfahren nach der FKVO (vgl Art 2 Abs 4 FKVO iVm Art 101 AEUV) ist im österreichischen Fusionskontrollverfahren eine Prüfung, ob in einer ex-ante Betrachtung eine Koordinierung der Gründer aufgrund der Gründung des Gemeinschaftsunternehmens wahrscheinlich und spürbar ist, ob also sog. Gruppeneffektezu befürchten sind, nicht nach Maßgabe des Kartellverbots (§ 1 KartG), sondern nur im Rahmen des Marktbeherrschungstests nach § 12 KartG möglich. Nur über Gruppeneffekte hinausgehende wettbewerbsbeschränkende Absprachen, die aber gerade kein marktstrukturproblem darstellen, sind nach §§ 1 f. KartG zu prüfen (16 Ok 11/13).

 

§ 7 Abs. 1 Z 3

11) Die Aufstockung der Gesellschaftsanteile an einem Zielunternehmen von mindestens 25 % aber weniger als 50 % auf zumindest 50 % unterliegt der gesetzlichen Anmeldepflicht des § 9 Abs 1 KartG, weshalb eine - mangels Anmeldung - verbotene Durchführung des Zusammenschlusses durch ein am Zusammenschluss beteiligtes Unternehmen den Geldbußentatbestand nach § 29 Z 1 lit a iVm § 17 Abs 1 KartG verwirklicht (16 Ok 2/11).


§ 7 KartG 2005 | 5. Version | 730 Aufrufe | 30.07.14
Informationen zum Autor/zur Autorin dieses Fachkommentars: Norbert Gugerbauer3
Zitiervorschlag: Norbert Gugerbauer3 in jusline.at, KartG 2005, § 7, 30.07.2014
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