TE Vwgh Erkenntnis 1984/2/15 83/01/0399

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Veröffentlicht am 15.02.1984
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/05 Reisedokumente Sichtvermerke;

Norm

AVG §1;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
AVG §73 Abs2;
PaßG 1969 §29 Abs3;
Sichtvermerkszwang Aufhebung Türkei 1955 Art1 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Jurasek und die Hofräte Dr. Draxler, Dr. Großmann, Dr. Hoffmann und Dr. Herberth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberrat im Verwaltungsgerichtshof Dr. Feitzinger, über die Beschwerde 1. der EY, 2. des ÜY, 3. des SY und 4. der MY, die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer vertreten durch TY, in M, dieser und die Erstbeschwerdeführerin vertreten durch Dr. Gottfried Waibel, Rechtsanwalt in Dornbirn, Schulgasse 7/3, gegen den Bescheid der durch die Finanzprokuratur in Wien I, Singerstraße 17 - 19, vertretenen Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 29. September 1983, Zl. FrB- 4204/83, betreffend Sichtvermerke, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.400,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer sind türkische Staatsangehörige. Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin und gesetzliche Vertreter der minderjährigen Kinder - Zweit- bis Viertbeschwerdeführer - ersuchte bei der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch am 14. Dezember 1982 für die Beschwerdeführer um eine Bescheinigung zur sichtvermerksfreien Einreise nach Österreich für die Dauer von höchstens drei Monaten. Die Behörde stellte am Tag des Antrages die Bescheinigung befristet bis 31. Jänner 1983 für die Beschwerdeführer aus.

Am 27. Jänner 1983 beantragten die Beschwerdeführer, die Erteilung von bis 31. Dezember 1987 befristeten Wiedereinreisesichtvermerken. Zur Begründung des Antrages führten sie aus, sie seien zwar vorerst nur auf Besuch wieder in Österreich eingereist, doch hätten sie die Absicht, ständig in Österreich zu bleiben. Für die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung sprächen die persönlichen Interessen der Beschwerdeführer und das öffentliche Interesse an der Familienzusammenführung. Die Viertantragstellerin werde nach Österreich gebracht, wenn die beantragten Sichtvermerke ausgestellt würden.

Am 4. Juli 1983 richtete die genannte Behörde erster Instanz an den Rechtsvertreter der Beschwerdeführer ein Schreiben, in dem sie bekannt gab, dass die Antragsteller laut Auskunft des Gemeindeamtes M am 22. April 1983 wieder in die Türkei abgereist seien. Die Behörde vertrat auf Grund der Bestimmungen des Notenwechsels zwischen der österreichischen Gesandtschaft in der Türkei und dem türkischen Außenministerium über die Aufhebung des Sichtvermerkzwanges BGBl. Nr. 194/1955 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Paßgesetz die Auffassung, die Zuständigkeit der Behörde sei im Sinne des § 3 lit. c AVG 1950 nicht begründet, da die Fremden nicht mehr im Sprengel der inländischen Behörde wohnhaft seien, weshalb sich die Antragsteller an die zuständige österreichische Vertretungsbehörde in der Türkei um Ausstellung eines Sichtvermerkes zu wenden hätten.

Darauf antwortete der Vertreter der Einschreiter mit Eingabe vom 8. Juli 1983, seiner Auffassung nach sei maßgebend für die Zuständigkeit, ob die Einschreiter im Zeitpunkt der Antragstellung in Österreich gewohnt hätten. Durch die Ausreise der Antragsteller trete keine Änderung der Zuständigkeit ein. Nicht richtig sei, dass die Antragsteller nach Österreich mit der Absicht eingereist seien, mehr als drei Monate hier zu bleiben. Er ersuchte über den Antrag auf Aufenthaltsberechtigung bescheidmäßig zu erkennen.

Da die Behörde erster Instanz über den Antrag der Beschwerdeführer nicht innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 73 AVG 1950 entschied, brachte der Vertreter der Beschwerdeführer in deren Namen am 2. August 1983 bei der belangten Behörde einen Devolutionsantrag ein und machte gleichzeitig Schadenersatzansprüche geltend. Die belangte Behörde anerkannte dem Vertreter der Beschwerdeführer gegenüber mit Schreiben vom 13. September 1983, dass sie über den Devolutionsantrag zu entscheiden habe. Gleichzeitig hielt sie ihm vor, dass um die Zuständigkeit der österreichischen Behörden zu begründen, ein Nachweis jener Gründe erforderlich sei, auf Grund derer der Aufenthalt der Fremden verlängert werden müsse. Sie lud daher den Beschwerdeführervertreter ein, diese Gründe bei der belangten Behörde schriftlich bekannt zu geben. Darauf antwortete der Beschwerdeführervertreter mit Eingabe vom 15. September 1983, die Zuständigkeit der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch bzw. der belangten Behörde auf Grund des Devolutionsantrages stütze sich auf § 29 Abs. 3 PaßG. Demnach seien österreichische Behörden zur Entscheidung über die Erteilung von Sichtvermerken zuständig, wenn der Wohnsitz bzw. Aufenthalt im Bundesgebiet liege. Dies sei bei den Sichtvermerkswerbern, die anlässlich ihres Aufenthaltes in Österreich den Entschluss gefasst hätten, um einen Sichtvermerk anzusuchen, aus den im Antrag vom 27. Jänner 1983 angeführten Gründen der Fall.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf Erteilung bis zum 31. Dezember 1987 befristeter Wiedereinreisevermerke mangels Zuständigkeit zurück und stützte diesen Spruch auf die Bestimmungen des § 26 PaßG in Verbindung mit Punkt 1 des Notenwechsels zwischen der österreichischen Gesandtschaft in der Türkei und dem türkischen Außenministerium über die Aufhebung des Sichtvermerkszwanges, BGBl. Nr. 194/1955. Begründend führte sie nach Darstellung des Sachverhaltes und der anzuwendenden Rechtsnormen aus, sie vertrete die Ansicht, dass türkische Staatsangehörige, deren Wunsch es von vornherein sei, sich im Bundesgebiet für dauernd oder für längere Zeit niederzulassen, schon vor ihrer Einreise bei der diplomatischen oder konsularischen Vertretungsbehörde den erforderlichen Sichtvermerk beantragen müssten. Nur wenn nach der erfolgten Einreise zu einem drei Monate nicht übersteigenden Aufenthalt nachträglich triftige Gründe auftreten, die eine Verlängerung des Aufenthaltes im Bundesgebiet erforderlich machten, werde die Zuständigkeit der Behörde erster Instanz zur Erteilung von Sichtvermerken begründet. Die von den Einschreitern in der Eingabe vom 27. Jänner 1983 dargelegten Gründe für die Gewährung von Sichtvermerken bis 1987 seien nach Ansicht der Behörde bereits vor der Einreise in das Bundesgebiet gegeben gewesen. Trotz Aufforderung jene Gründe nachzuweisen, die eine Verlängerung des Aufenthaltes im Bundesgebiet erforderlich gemacht hätten, habe der Vertreter der Einschreiter lediglich mitgeteilt, die Fremden vertreten die Meinung, die Zuständigkeit sei auf Grund des Devolutionsantrages in Verbindung mit § 29 Abs. 3 des Paßgesetzes gegeben, eine Darlegung der Gründe, die eine Verlängerung des Aufenthaltes erforderlich gemacht hätten, sei dagegen nicht vorgenommen worden. Des weiteren hätten die Beschwerdeführer am 22. April 1983 nach dem im Akt befindlichen Meldezettel das Bundesgebiet wieder verlassen. Die im Antrag vom 27. Jänner 1983 dargelegten Gründe zur Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung hätten schon in der Türkei vor der Einreise nach Österreich bestanden und hätten somit gemäß dem zitierten zwischenstaatlichen Abkommen im Zug einer Antragstellung bei der zuständigen konsularischen Vertretungsbehörde geltend gemacht werden müssen. Da die Fremden wieder in ihr Heimatland zurückgekehrt seien, sei zur Erteilung von Sichtvermerken allein die österreichische Vertretungsbehörde zuständig.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes, allenfalls Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht und dessen Aufhebung beantragt wird. Die Beschwerdeführer erachten sich in ihrem Recht auf eine Sachentscheidung der gemäß § 29 Abs. 3 erster Satz PaßG zuständigen belangten Behörde verletzt.

Die belangte Behörde hat unter Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens eine Gegenschrift erstattet und Gegenanträge gestellt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Strittig ist im vorliegenden Fall ausschließlich die Frage der örtlichen Zuständigkeit der belangten Behörde zur Erteilung von Sichtvermerken. Ihre funktionelle Zuständigkeit ist durch den Übergang der Entscheidungspflicht gemäß § 73 Abs. 2 AVG 1950 über Antrag der Einschreiter bewirkt worden. Ein weiteres Rechtsmittel gegen den angefochtenen Bescheid ist gemäß § 28 PaßG unzulässig, da eine Berufung gegen die Versagung oder Ungültigerklärung eines Sichtvermerkes ausgeschlossen ist und auch verfahrensrechtliche Bescheide grundsätzlich denselben Vorschriften unterliegen, die für den Instanzenzug in der den Gegenstand des Verfahrens bildenden Angelegenheit maßgebend sind (vgl. Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. März 1950, Slg. N. F. Nr. 1286/A, und vom 7. Juli 1965, Slg. N. F. Nr. 6747/A; ebenso Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. März 1974, Slg. Nr. 7273). Hat die gemäß § 73 Abs. 2 AVG 1950 angerufene Oberbehörde an Stelle der ersten Instanz entschieden, so findet im Falle der gesetzlichen Anordnung der Abkürzung des Instanzenzuges ein weiterer Instanzenzug nicht statt (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. März 1976, Slg. Nr. 9020/A). Da § 28 PaßG ausdrücklich eine Abkürzung des Instanzenzuges vorschreibt, war im vorliegenden Fall der Instanzenzug erschöpft, die Beschwerde daher zulässig.

Die örtliche Zuständigkeit zur Erteilung von Sichtvermerken richtet sich gemäß § 29 Abs. 3 PaßG im Inland nach dem Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen nach dem Aufenthalt im Bundesgebiet oder wenn der Sichtvermerk durch eine Grenzkontrollstelle erteilt wird, nach dem Aufenthalt, im Ausland

a)

nach dem Aufenthalt,

b)

wenn der Sichtvermerk zum Zwecke der Ausübung einer Beschäftigung oder eines Studiums im Bundesgebiet erteilt werden soll, nach dem Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen nach dem Aufenthalt. Ein Wohnsitz im Inland steht der örtlichen Zuständigkeit der Grenzkontrollstellen oder der österreichischen Vertretungsbehörden nicht entgegen.

Gemäß § 23 Abs. 1 PaßG bedürfen Fremde zur Einreise in das Bundesgebiet außer einem gültigen Reisedokument (§ 22) eines österreichischen Sichtvermerkes, so weit nicht etwas anderes durch zwischenstaatliche Vereinbarungen bestimmt wird.

Nach der Bestimmung des Art. 1 Abs. 3 des Notenwechsels zwischen der österreichischen Gesandtschaft in der Türkei und dem türkischen Außenministerium über die Aufhebung des Sichtvermerkzwanges, BGBl. Nr. 194/1955, müssen die Staatsangehörigen jedes der beiden Staaten, welche wünschen, sich in der Türkei bzw. in Österreich niederzulassen, oder dort länger als drei Monate Aufenthalt zu nehmen, ebenso wie die im Art. 3 erwähnten Personen - das sind jene, die ein Gewerbe, einen Beruf oder eine andere auf Gewinn gerichtete Beschäftigung auszuüben wünschen - noch vor ihrer Einreise in das Land unbedingt von den türkischen oder österreichischen diplomatischen oder konsularischen Vertretungsbehörden den erforderlichen Sichtvermerk einholen.

Geht man von dieser Rechtslage aus, so war jedenfalls zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides ausschließlich die österreichische diplomatische oder konsularische Vertretungsbehörde zur Erlassung der gegenständlichen Sichtvermerke örtlich zuständig. Dies kann bei der Viertbeschwerdeführerin überhaupt nicht zweifelhaft sein, da diese noch nicht in das Bundesgebiet eingereist war, sondern ihren Wohnsitz oder Aufenthalt ständig im Ausland hatte. Aber auch hinsichtlich der Erst- bis Drittantragsteller steht unbekämpft fest, dass sie bereits am 22. April 1983 das Bundesgebiet wieder verlassen haben und in die Türkei zurückgekehrt sind.

Maßgebend für die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden ist aber, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt, allein die Zuständigkeit zur Zeit der Erlassung des Bescheides, da den Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 eine im zivilgerichtlichen Verfahren so genannte "perpetuatio fori" nicht zu entnehmen ist. Änderungen des die Zuständigkeit begründenden Sachverhaltes während des Verwaltungsverfahrens sind daher von der Behörde im Sinne der Bestimmung des § 6 Abs. 1 AVG 1950 wahrzunehmen und die Anbringen an die zuständige Stelle weiterzuleiten. Bei Änderung der für die Zuständigkeit maßgebenden Umstände ist das Verfahren von der nunmehr zuständigen Behörde fortzuführen (vgl. Walter-Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes, 2. Auflage, S. 26, und Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Dezember 1967, Zl. 940/67).

Im vorliegenden Fall kann eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aber auch darin nicht gelegen sein, dass die belangte Behörde die Behandlung des Antrages, für dessen Erledigung sie örtlich nicht zuständig war, nicht an die zuständige Stelle im Sinne des § 6 Abs. 1 AVG 1950 weitergeleitet hat, weil die Beschwerdeführer, obwohl ihr Vertreter an die zuständige Stelle verwiesen worden war, auf einer Zuständigkeitsentscheidung beharrt haben (vgl. HauerLeukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, S. 61 Anm. 2).

Geht man von dieser Sach- und Rechtslage aus, so erweist sich die Beschwerde als unbegründet, wobei die belangte Behörde ohne Verletzung von Verfahrensvorschriften von der Prüfung der materiellen Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten Sichtvermerke Abstand nehmen konnte. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über die Kosten stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 im Zusammenhalt mit den Bestimmungen der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981.

Wien, am 15. Februar 1984

Schlagworte

Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise Instanzenzug Zuständigkeit Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1984:1983010399.X00

Im RIS seit

26.04.2004

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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