TE Vwgh Erkenntnis 1990/1/30 87/11/0009

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Veröffentlicht am 30.01.1990
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Index

L92054 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Oberösterreich;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);

Norm

ABGB §94 Abs2;
SHG OÖ 1973 §51;

Betreff

M gegen Oberösterreichische Landesregierung vom 19. November 1986, Zl. SH-31.240/6-1986/Ti, betreffend Ersatz von Sozialhilfekosten( mitbeteiligte Partei: Sozialhilfeverband Vöcklabruck )

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Hildegard M., die Ehegattin des Beschwerdeführers, lebte bis zum 22. Mai 1985 in der gemeinsamen Ehewohnung in B. Sie verließ diese am besagten Tag und bezog mit dem ehelichen Sohn Josef Peter M. eine Unterkunft in Linz. Ab dem 23.Mai 1985 erhielt sie für sich und das Kind Geldleistungen zur Sicherung des Lebensbedarfes, die ihr jeweils mit Bescheiden nach dem O.ö. Sozialhilfegesetz gewährt wurden.

Mit Eingabe vom 12. August 1985 an die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck stellte der mitbeteiligte Sozialhilfeverband als endgültig verpflichteter Sozialhilfeträger den "Antrag auf Entscheidung nach § 55 Abs. 2 des O.ö. Sozialhilfegesetzes". Er begehrte den Ersatz sämtlicher auf seine Kosten erbrachten Sozialhilfeleistungen für die Ehegattin des Beschwerdeführers und das eheliche Kind. Über diesen Antrag entschied die belangte Behörde mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid dahingehend, daß sie den Beschwerdeführer gemäß § 51 des

O.ö. Sozialhilfegesetzes in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 2/1984 (SHG) verpflichtete, "die vom Sozialhilfeverband Vöcklabruck an die Gattin Hildegard M. seit 23. Mai 1985 geleistete Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes in der Höhe von S 40.550,-- (bis einschließlich Dezember 1986) binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Bescheides, bei sonstiger Exekution, zu erstatten".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Dem angefochtenen Bescheid liegt der namens des mitbeteiligten Sozialhilfeverbandes gestellte und "Für den Bezirkshauptmann" gefertigte "Antrag auf Entschädigung nach § 55 Abs. 2" SHG vom 12. August 1985 zugrunde. Die Geltendmachung dieses Ersatzanspruches fällt gemäß § 62 SHG in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde und hat durch den Bezirkshauptmann als den zur Vertretung des antragstellenden Sozialhilfeverbandes nach außen berufenen Obmann des Verbandsausschusses zu erfolgen. Diese Organstellung des Bezirkshauptmannes ergibt sich aus § 26 Abs. 2 SHG. Der Verwaltungsgerichtshof hat aus Anlaß der vorliegenden Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, den § 62, in eventu den § 26 Abs. 2 SHG als verfassungswidrig aufzuheben. Mit seinem Erkenntnis vom 6. Oktober 1989, G 8/89, hat der Verfassungsgerichtshof diesem Antrag nicht Folge gegeben, sodaß der Verwaltungsgerichtshof von der Verfassungsmäßigkeit der genannten Gesetzesstellen auszugehen hat.

2. Gemäß § 51 SHG haben die gesetzlich zum Unterhalt verpflichteten Angehörigen des Hilfeempfängers im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht Kostenersatz zu leisten.

Die belangte Behörde ging in der Begründung des angefochtenen Bescheides davon aus, daß die Unterhaltsverpflichtung des Beschwerdeführers gegenüber Hildegard M. ungeachtet ihrer gesonderten Wohnungnahme voll aufrecht geblieben ist. Diese sei, wie sich aus dem Scheidungsurteil des Kreisgerichts Wels vom 15. Juli 1986 ergebe, begründet erfolgt und habe daher nicht zur Verwirkung des Unterhaltsanspruches geführt.

Der Beschwerdeführer bestreitet das Bestehen einer Unterhaltspflicht gegenüber seiner Ehegattin für die Zeit nach dem 22. Mai 1985 und bringt dazu vor, der Unterhaltsanspruch nach § 94 Abs. 2 zweiter Satz ABGB setze "Geltendmachung" voraus. Seine Ehegattin habe aber nach Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes weder gerichtlich noch außergerichtlich einen Unterhaltsanspruch geltend gemacht. Sie habe von der den Ehegatten eingeräumten privatautonomen Gestaltungsbefugnis dahin Gebrauch gemacht, daß sie seit der unbegründeten und ausschließlich auf ihrem eigenen Willen beruhenden Aufgabe der ehelichen Gemeinschaft durch Verlassen und Nicht-Mehr-Zurückkehren von der Geltendmachung eines Unterhaltsanspruches gemäß § 94 Abs. 2 zweiter Satz ABGB Abstand genommen habe. Die belangte Behörde habe die Vorfrage der Unterhaltspflicht des Beschwerdeführers gegenüber der Ehegattin unter Zugrundelegung des von ihm im Umfang des Verschuldensausspruches bekämpften Scheidungsurteils des KG Wels vom 15. Juli 1986 unrichtig gelöst. Dieses Urteil befasse sich nur mit den Scheidungsgründen und behandle nicht auch Unterhaltsfragen.

Der Verwaltungsgerichtshof hält zunächst die Ansicht des Beschwerdeführers für nicht zutreffend, die belangte Behörde hätte, weil "die Vorfrage wegen der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse sich der Beurteilung durch die Behörde völlig entzog", das Verfahren jedenfalls aussetzen müssen. Nach § 38 AVG 1950 ist die Behörde, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheide zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird. Da das O.ö. Sozialhilfegesetz insoweit nicht anderes bestimmt, wäre die belangte Behörde selbst bei Zutreffen der in dieser Gesetzesstelle normierten Voraussetzungen - deren Vorliegen wird freilich vom Beschwerdeführer selbst nicht behauptet - nicht zur Aussetzung des Verwaltungsverfahrens verpflichtet gewesen.

Ob in der vom angefochtenen Bescheid erfaßten Zeit eine Unterhaltsverpflichtung des Beschwerdeführers gegenüber seiner Ehegattin bestanden hat, ist für die Dauer des aufrechten Bestandes einer Ehe nach dem § 94 ABGB zu beurteilen. Gemäß dessen Abs. 1 haben die Ehegatten nach ihren Kräften und gemäß der Gestaltung ihrer ehelichen Lebensgemeinschaft zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse gemeinsam beizutragen. Nach dem Abs. 2 erster Satz leistet der Ehegatte, der den gemeinsamen Haushalt führt, dadurch seinen Beitrag im Sinn des Abs. 1; er hat an den anderen einen Anspruch auf Unterhalt, wobei eigene Einkünfte angemessen zu berücksichtigen sind. Nach dem Abs. 2 zweiter Satz gilt dies nach der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts zugunsten des bisher Unterhaltsberechtigten weiter, sofern nicht die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs, besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben, ein Mißbrauch des Rechtes wäre. Nach der ständigen Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte zu der zuletzt genannten Bestimmung tritt Unterhaltsverwirkung unter anderem ein bei Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft ohne zureichenden Grund bzw. bei grundlosem Verlassen des anderen Ehegatten (siehe die bei Dittrich-Tades, ABGB, MGA32, S. 61 f, unter E 84 und 98 angeführten Entscheidungen).

Der Verwaltungsgerichtshof vermag zunächst die Ansicht des Beschwerdeführers, der Unterhaltsanspruch nach § 94 Abs. 2 zweiter Satz ABGB setze "Geltendmachung" voraus, nicht zu teilen. Für diese Auffassung bietet das Gesetz keine Grundlage.

Mit seinen Ausführungen zum Nicht-Geltend-Machen ihres Unterhaltsanspruchs behauptet der Beschwerdeführer der Sache nach einen konkludenten Verzicht der Hildegard M. auf diesen Anspruch. Dem Beschwerdeführer ist auch insoweit nicht zu folgen. Ein konkludenter Unterhaltsverzicht ist nach der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte nur dann anzunehmen, wenn er sich zweifelsfrei und auf Grund aller Umstände ergibt (siehe die a.a.O., S. 69, unter E 203 angeführten Entscheidungen zu § 94 ABGB). Aus der Unterlassung der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs während längerer Zeit kann noch nicht auf einen Verzicht geschlossen werden (EFSlg. 43.476). Die Beschwerde führt als einziges Indiz für einen stillschweigenden Verzicht das Nicht-Geltend-Machen des Unterhaltsanspruchs ins Treffen. Dieser Umstand läßt aber noch nicht den Schluß auf einen Unterhaltsverzicht zu.

Die Rechtsansicht des Beschwerdeführers, Hildegard M. habe infolge unbegründeten Verlassens der gemeinsamen Ehewohnung ihren Unterhaltsanspruch verwirkt, hat die belangte Behörde unter Bezugnahme auf das Scheidungsurteil des KG Wels vom 15. Juli 1986 verneint. Nach wörtlicher Wiedergabe der von ihr als maßgeblich angesehenen Erwägungen des Gerichts heißt es im angefochtenen Bescheid, auf Grund dieses, wenn auch noch nicht rechtskräftigen Urteils, das das überwiegende Verschulden des Beschwerdeführers feststelle und unter anderem die gesonderte Wohnungnahme nicht als Rechtsmißbrauch, sondern als begründet ansehe, könne entgegen der Meinung des Beschwerdeführers von einer Unterhaltsverwirkung seiner Gattin infolge gesonderter Wohnungnahme nicht gesprochen werden; vielmehr sei, solange die Ehe nicht rechtskräftig geschieden sei, seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber Hildegard M. voll aufrecht.

Dazu ist festzuhalten, daß das besagte Urteil entgegen der Annahme der belangten Behörde nicht ausführt, die gesonderte Wohnungnahme durch Hildegard M. sei "nicht als Rechtsmißbrauch, sondern als begründet" anzusehen. Der (einzige) hier bedeutsame Satz lautet: "Auch der Auszug der (Hildegard M.) fällt infolge der zu diesem Zeitpunkt bereits eingetretenen unheilbaren Zerrüttung mangels gegebener ehezerstörender Wirkung nicht entscheidend ins Gewicht". In diesem Satz wird die gesonderte Wohnungnahme durch Hildegard M. allein unter dem Gesichtspunkt ihres Beitrages zur Zerrüttung der Ehe gewertet. Im übrigen befassen sich die von der belangten Behörde wörtlich wiedergegebenen rechtlichen Erwägungen dieses Urteils ausschließlich mit dem jeweiligen Verschulden der Ehegatten an der Zerrüttung ihrer Ehe. Zu den hier insbesondere maßgebenden "Gründen, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben", und deren Wertung im Lichte des § 94 Abs. 2 zweiter Satz ABGB finden sich darin keine Ausführungen. (Erwähnt sei, daß der Beschwerdeführer offenbar jegliches Verschulden seinerseits am Scheitern der Ehe bestritten hat, hat er doch laut Beschwerde das besagte Scheidungsurteil insoweit bekämpft, als die Ehe "nicht aus dem Alleinverschulden meiner Ehefrau" geschieden wurde.) Mangels Feststellungen und Erörterungen im angefochtenen Bescheid dazu, ob die Aufhebung des gemeinsamen Haushalts durch Hildegard M. aus einem zureichenden Grund erfolgt ist, ist der maßgebende Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben. Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Damit erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen. Für das fortzusetzende Verfahren sei jedoch darauf hingewiesen, daß laut Beschwerde das Scheidungsurteil des KG Wels vom 15. Juli 1986 vom Beschwerdeführer nur im Umfang des Verschuldensausspruches bekämpft wurde. Sollte seine Ehe bereits durch dieses Urteil rechtswirksam aufgelöst worden sein (siehe zur Möglichkeit der Teilrechtskraft eines Scheidungsurteils EFSlg. 43.644, 43.646, 43.814), wäre der Beschwerdeführer ab diesem Zeitpunkt infolge Auflösung des Ehebandes offenbar nicht mehr als "Angehöriger" der Hildegard M. anzusehen und daher insoweit jedenfalls nicht mehr verpflichtet, gemäß § 51 SHG Kostenersatz zu leisten.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1987110009.X00

Im RIS seit

13.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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