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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Mag. Kobzina und die Hofräte Dr. Weiss und Dr. Jakusch als Richter, im Beisein des Schriftführers Regierungskommissär Dr. Puntigam, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid des Landeshauptmann von Steiermark vom 30. Juni 1989, Zl. 04-25 Scha 46-87/8, betreffend Übertretung der Gewerbeordnung 1973, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird, soweit er über Strafart und Strafausmaß sowie die Kosten des Strafverfahrens abspricht, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.590,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 3. Juli 1987 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe, wie anläßlich einer Erhebung durch die Marktgemeinde X am 3. Februar 1987 um 15.44 Uhr festgestellt worden sei, von diesem Zeitpunkt bis zum heutigen Tage von 2 mit Waren gefüllten, beim Haus Nr. XY im Ortsgebiet von Z angebrachten Automaten aus, Kaugummikugeln, Schmuckstücke und Kleinspielzeug zum Verkauf angeboten, obwohl die Ausübung derartiger gewerblicher Tätigkeiten von der Marktgemeinde X untersagt sei. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 367 Z. 15 in Verbindung mit § 52 Abs. 4 GewO 1973 in Verbindung mit Punkt II
der Verordnung des Bürgermeisters der Marktgemeinde X vom 24. Juni 1982, Zl. 130-0/82, begangen, weshalb gemäß § 367 Z. 15 GewO 1973 über ihn eine Geldstrafe von S 2.000,-- (Ersatzarreststrafe 3 Tage) verhängt wurde.
Diesen Bescheid hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 20. September 1988, Zl. 88/04/0094, insoweit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben, als er über Strafart und Strafausmaß sowie die Kosten des Strafverfahrens absprach. Im übrigen ist die Beschwerde als unbegründet abgewiesen worden.
Mit dem nunmehr als Ersatzbescheid ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 30. Juni 1989 wurde der Beschwerdeführer neuerlich der in Rede stehenden Verwaltungsübertretung schuldig erkannt und über ihn, gestützt auf dieselben Rechtsquellen, die gleiche Geldstrafe wie im Bescheid vom 3. Juli 1987 verhängt. Zur Begründung der Höhe der über den Beschwerdeführer verhängten Geldstrafe führte der Landeshauptmann nach Darstellung des Inhaltes der Bestimmung des § 19 VStG 1950 aus, auch wenn keine konkreten nachteiligen Folgen durch das rechtswidrige Handeln des Beschwerdeführers aktenkundig seien, würden durch seine fortdauernde unbefugte Gewerbeausübung die öffentlichen Interessen wegen einer möglichen Beispielswirkung gefährdet. Die zitierte Verordnung diene dem Schutz der Minderjährigen, um diese vor unüberlegten Geldausgaben zu bewahren. Als erschwerend seien die lange Tatzeit, als mildernd nichts zu werten. Der Beschwerdeführer habe seine Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse nicht bekannt gegeben, jedoch erscheine die verhängte Geldstrafe aus general- und spezialpräventiven Überlegungen durchaus gerechtfertigt, zumal diese ohnehin im untersten Bereich des möglichen Strafrahmens nach § 367 Einleitungssatz der Gewerbeordnung 1973 gelegen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer nach seinem gesamten Vorbringen in dem Recht auf Verhängung einer den Strafzumessungsgründen des § 19 VStG 1950 entsprechenden Geldstrafe veletzt. In Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes bringt der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, es treffe nicht zu, daß er die Angaben bezüglich der Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse verweigert habe, weil weder seitens der Erst- noch der belangten Behörde diesbezügliche Erhebungen geführt worden seien. Selbst im Falle einer Verweigerung dieser Angaben hätte die belangte Behörde diese Verhältnisse nicht unberücksichtigt lassen dürfen, sondern eine Einschätzung vornehmen müssen. Die von der belangten Behörde als Strafzumessungsgrund herangezogenen "möglichen Beispielswirkungen", seien deshalb zu Unrecht berücksichtigt worden, weil nach § 19 Abs. 1 VStG 1950 Grundlage der Strafbemessung die mit der Tat verbundene Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung diene und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen habe, sei. Es könnten daher nur bereits eingetretene Schädigungen oder Gefährdungen oder sonst nachteilige Folgen, nicht jedoch denkmögliche, allenfalls in Zukunft eintretende Folgen der Bemessung zu Grunde gelegt werden. Auch verstoße die belangte Behörde mit der Bezugnahme auf die zitierte Verordnung gegen das sogenannte "Doppelverwertungsverbot", welches besage, daß Merkmale, die die Strafdrohung bestimmten bzw. Tatbestandsmerkmale seien, nicht noch zusätzlich als Strafzumessungsgründe berücksichtigt werden dürften. Es liege in der gegenständlichen Angelegenheit ein Dauerdelikt vor, weshalb der Erschwerungsgrund der langen Tatzeit hier nicht zum Tragen kommen könne. Im übrigen sei der in Rede stehende Tatzeitraum keineswegs als lange zu bezeichnen. Als mildernd hätte die belangte Behörde neben der Unbescholtenheit des Beschwerdeführers den Umstand werten müssen, daß der Automat durch die Erstbehörde ordnungsgemäß genehmigt worden und diese Genehmigung nicht widerrufen worden sei, sodaß der Tatvorwurf für den Beschwerdeführer überraschend gekommen sei, weshalb die Verwaltungsübertretung unter Umständen begangen worden sei, die einem Schuldausschließungs- oder Rechtfertigungsgrund nahe kämen bzw. einen die Schuld ausschließenden Rechtsirrtum bildeten. Es hätte auch berücksichtigt werden müssen, daß die Verwaltungsübertretung keinen Schaden (keine nachteiligen Folgen) herbeigeführt habe. Schließlich hätte auch berücksichtigt werden können, daß die Verwaltungsübertretung schon vor längerer Zeit begangen worden sei und sich der Beschwerdeführer seither wohl verhalten habe. Sofern sich die belangte Behörde auf general- und spezialpräventive Überlegungen beziehe, sei darauf hinzuweisen, daß diese Begründung lediglich schlagwortartig verwendet worden sei, ohne daß die getroffenen Überlegungen näher konkretisiert worden seien. Schließlich sei der Erwägung, die verhängte Strafe bewege sich ohnehin im untersten Bereich des möglichen Strafrahmens, zu entgegnen, nach dem zum Zeitpunkt der Verwaltungsübertretung maßgeblichen Einleitungssatz des § 367 GewO 1973 habe die Mindeststrafe S 0,--, die Höchststrafe S 20.000,-- betragen. Hieran gemessen sei nicht einsichtig, warum trotz der aufgezeigten Umstände sofort eine Strafe von 10 % der Höchststrafe verhängt worden sei, zumal auf Grund der aufgezeigten Umstände die belangte Behörde auch mit einer Ermahnung im Sinne des § 21 Abs. 1 VStG 1950 hätte vorgehen können und müssen.
Vorweg sei bemerkt, daß es dem Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf den vom Beschwerdeführer auf die Strafzumessung eingeschränkten Beschwerdepunkt verwehrt ist, die in dem Umstand, daß die belangte Behörde neuerlich über die Schuldfrage absprach, gelegene Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzugreifen.
Im übrigen erweist sich die Beschwerde als berechtigt.
Es trifft zwar zu, daß der Beschwerdeführer, wie die belangte Behörde annahm, seine Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse nicht bekannt gab; allerdings ist den dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Akten des Verwaltungsstrafverfahrens nicht zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer zur Bekanntgabe dieser Umstände jemals aufgefordert worden wäre. Eine Verpflichtung, diese Umstände von sich aus, also ohne Aufforderung durch die Verwaltungsstrafbehörde, bekannt zu geben, ist dem Gesetz aber nicht zu entnehmen. Es ist vielmehr entsprechend der im § 39 Abs. 1 AVG 1950 (§ 24 VStG 1950) festgelegten Offizialmaxime Sache der belangten Behörde, auch den für die Strafzumessung maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und entsprechende Sachverhaltsfeststellungen zu treffen. Erst im Rahmen dieser amtswegigen Ermittlungen hätte den Beschwerdeführer eine entsprechende Mitwirkungspflicht getroffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. März 1989, Zl. 88/04/0172.
In der Unterlassung entsprechender Ermittlungen über die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschwerdeführers liegt somit eine die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides begründende Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Der Verwaltungsgerichtshof vermag zwar die Ansicht des Beschwerdeführers, "mögliche Beispielswirkungen" könnten nicht unter die in § 19 Abs. 1 VStG 1950 genannten Strafzumessungsgründe der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, subsumiert werden, da solche Beispielswirkungen durchaus auch in der Vergangenheit aufgetreten sein können. Im konkreten Fall ist es dem Verwaltungsgerichtshof aber nicht möglich, zu beurteilen, ob die belangte Behörde solche mögliche Beispielswirkungen zurecht ihrer Strafbemsessung zu Grunde legte, weil jegliche sachverhaltsmäßige Feststellungen darüber fehlen, aus welchen Gründen im konkreten Fall die belangte Behörde den Eintritt solcher Beispielswirkungen als wahrscheinlich ansah.
Da den dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Akten über den Beschwerdeführer verhängte Vorstrafen nicht zu entnehmen sind, rügt der Beschwerdeführer zurecht auch, daß sich die belangte Behörde nicht damit auseinandersetzte, inwieweit dem Beschwerdeführer der Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit zugute kommt. Auch ist dem angefochtenen Bescheid - wie der Beschwerdeführer ferner rügt - nicht zu entnehmen, welchen konkreten Sachverhalt die belangte Behörde ihren general- und spezialpräventiven Überlegungen im vorliegenden Fall zu Grunde legte.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Vermeidung der genannten Verfahrensverstöße zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid schon aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
Schlagworte
Ermittlungsverfahren Allgemein Erschwerende und mildernde Umstände Allgemein Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1989040162.X00Im RIS seit
11.07.2001