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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
N gegen Bundesminister für Inneres vom 18. April 1989, Zl. 243.912/2-II/9/89 betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 21. November 1988 gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ab und sprach aus, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes ist.
In der Bescheidbegründung wurde im wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer sei türkischer Staatsangehöriger und am 10. Juni 1988 in das Bundesgebiet eingereist. Am 13. Juni 1988 habe er Asyl beantragt. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 26. August 1988 habe er angegeben, er sei Angehöriger der kurdischen Minderheit, hätte "daher in der Türkei keine Rechte" und werde "überall benachteiligt". Er hätte im Jahre 1987 mit Freunden in seinem Dorf den Verein "Kurt Dernegi" gegründet, der für die Rechte der Kurden eingetreten sei. Die Gründung wäre "inoffiziell" gewesen. Der Beschwerdeführer sei daher angezeigt worden. Mehrere seiner Freunde und Gesinnungsgenossen seien verhaftet worden. Der Beschwerdeführer hätte einer Verhaftung nur dadurch entgehen können, daß er die Türkei verlassen habe. Die verhafteten Freunde hätten bereits den Namen des Beschwerdeführers genannt. Der Beschwerdeführer sei nicht Mitglied anderer Organisationen und sei auch keinen konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen. Durch Bekannte hätte der Beschwerdeführer einen türkischen Fernfahrer kennengelernt, der ihn gegen Bezahlung von 250.000 türkiche Lira versteckt auf der Ladefläche eines Lkws von Istanbul nach Wien illegal mitgenommen hätte. Die Behörde erster Instanz sei zur Auffassung gelangt, daß der Beschwerdeführer keine Verfolgung im Sinne des Art. 1 der Konvention zu gewärtigen hätte. Gegen diesen Bescheid habe der Beschwerdeführer Berufung erhoben und auf die Situation der Kurden verwiesen, jedoch keine von seinem erstinstanzlichen Vorbringen abweichende Umstände vorgebracht.
Zur Beweiswürdigung führte die belangte Behörde aus, angesichts der gegenwärtig in der Türkei herrschenden politischen und wirtschaftlichen Umstände könne den Angaben des Beschwerdeführers kein Glaube geschenkt werden. Die Situation der Kurden in der Türkei sei bekannt. Diese stelle jedoch ein "allgemeines Problem" dar und könne nicht als individuelle und konkrete Verfolgungshandlung gegen die Person des Beschwerdeführers verstanden werden. Betreffend die wirtschaftlichen und politischen Möglichkeiten der Kurden in der Türkei könne von einer Diskriminierung allein auf Grund deren ethnischer Abstammung nicht gesprochen werden. Türken kurdischer Abstammung seien in höchsten Kreisen des wirtschaftlichen und politischen Lebens zu finden. Die Tatsache der Zugehörigkeit zur kurdischen Minderheit sei für die türkische Regierung kein Grund, den Beschwerdeführer irgendwelchen Benachteiligungen oder Verfolgungen auszusetzen. Im übrigen habe der Beschwerdeführer im Verfahren keine konkreten Umstände vorgebracht, aus denen ersichtlich werde, daß er tatsächlich verfolgt worden sei. Zu dem genannten Verein wurde ausgeführt, dieser sei nach den eigenen Angaben des Beschwerdeführers 1987 gegründet worden. Der Beschwerdeführer sei im Juni 1988 ausgereist. Es sei Tatsache, daß er nicht verhaftet worden sei, obwohl seine Freunde seinen Namen den Behörden angeblich bereits genannt hätten. Die Furcht des Beschwerdeführers vor einer möglicherweise einmal drohenden Verhaftung reiche "daher" nicht aus, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weil sie objektiv unbegründet sei. Es sei auch davon auszugehen, daß dem Beschwerdeführer allenfalls eine Bestrafung wegen illegaler Gründung eines Vereins drohe. Das seien aber "Gründe nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen im Verwaltungsrecht" und nicht im Sinne der Konvention.
Die belangte Behörde sei daher auf Grund der Bestimmungen des Asylgesetzes und der Flüchtlingskonvention zur Auffassung gelangt, daß der Beschwerdeführer seine Heimat vorwiegend aus anderen als aus Konventionsgründen verlassen habe. Der Hochkommissär der Vereinten Nationen für die Flüchtlinge sei gemäß § 9 Abs. 3 AsylG gehört worden und habe der in Aussicht genommenen Abweisung zugestimmt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126 (AsylG), in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 796/1974, über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen ist ein Fremder Flüchtling, wenn nach den Bestimmungen dieses Gesetzes festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F dieser Konvention vorliegt. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der bezeichneten Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Die belangte Behörde hat das Vorbringen des Beschwerdeführers angesichts der gegenwärtig in der Türkei herrschenden politischen und wirtschaftlichen Umstände als nicht glaubwürdig bezeichnet. Ihr sei die Situation der Kurden in der Türkei bekannt. Die belangte Behörde hat es aber unterlassen, den Beschwerdeführer hiezu zu hören.
Darüberhinaus hat sich die belangte Behörde mit den konkreten Angaben des Beschwerdeführers, er sei wegen der illegalen Gründung eines Vereins zum Schutze der Rechte der Kurden von den Behörden verfolgt worden, nicht hinreichend auseinandergesetzt. Weder aus der Angabe des Beschwerdeführers, der von ihm genannte Verein sei im Jahre 1987 gegründet worden, noch aus der Tatsache, daß der Beschwerdeführer erst im Juni 1988 aus der Türkei ausgereist ist, kann nämlich geschlossen werden, dem Beschwerdeführer drohe wegen dieser politischen Betätigung für die Rechte der Kurden keine Verfolgung durch die Behörden des Heimatstaates. Wann die nach Angaben des Beschwerdeführers wegen der Tatsache der Vereinsgründung verhafteten "Freunde und Gesinnungsgenossen" den Namen des Beschwerdeführers den türkischen Behörden genannt hätten und dieser davon Kenntnis erlangt hat, haben die Behörden des Verwaltungsverfahrens nicht festgestellt und diesbezüglich auch keine näheren Angaben des Beschwerdeführers verlangt. Daher kann nicht gesagt werden, die Furcht des Beschwerdeführers "vor einer möglicherweise einmal drohenden Verhaftung" reiche nicht aus, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Hat doch der Beschwerdeführer bei seiner ersten Vernehmung ausdrücklich diesen konkreten Umstand als Fluchtgrund angegeben. Warum die Furcht des Beschwerdeführers vor Verhaftung "objektiv unbegründet" sei, hat die belangte Behörde in diesem Zusammenhang nicht schlüssig dargelegt. Die Auffassung der belangten Behörde, die Bestrafung wegen einer illegalen Vereinsgründung "nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen im Verwaltungsrecht" könne keinen Fluchtgrund im Sinne der Konvention darstellen, ist nicht hinreichend begründet. Wäre der genannte Verein, wie der Beschwerdeführer bei seiner Vernehmung ausdrücklich vorgebracht hat, gegründet worden, um für die Rechte der ethnischen Minderheit, der der Beschwerdeführer angehört, einzutreten, dann könnte die Furcht des Beschwerdeführers vor Verhaftung wegen seiner Beteiligung an der Vereinsgründung als wohlbegründet angesehen werden. Hingegen darf darin nicht ohne weitere Erhebungen, insbesondere Befragung des Beschwerdeführers selbst, angenommen werden, der Beschwerdeführer sei bloß aus Furcht vor verwaltungsstrafrechtlicher Verfolgung wegen "illegaler Vereinsbildung" geflohen.
Der angefochtene Bescheid mußte daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufgehoben werden.
Der Kostenausspruch stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1989010250.X00Im RIS seit
07.02.1990Zuletzt aktualisiert am
01.06.2010