TE Vwgh Erkenntnis 1990/2/20 89/01/0114

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Veröffentlicht am 20.02.1990
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §696;
AVG §13 Abs1;
AVG §56;
AVG §69 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;

Betreff

A gegen Bundesminister für Inneres vom 7. Februar 1989, Zl. 216.154/13-II/6/88, betreffend Wiederaufnahme

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.560,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, der schon im November 1979 in das Bundesgebiet einreiste und am 20. Dezember 1985 Asylantrag stellte, blieb mit diesem Antrag ohne Erfolg, weil die belangte Behörde mit Bescheid vom 15. Juli 1987 der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 11. Juni 1986 keine Folge gab und den angefochtenen Bescheid der ersten Instanz bestätigte. Mit diesem war gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126, über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 in der Fassung des Bundesgesetzes vom 27. November 1974, BGBl. Nr. 796, festgestellt worden, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes und daher gemäß § 7 Abs. 1 leg. cit. auch nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt ist. Die dagegen erhobene Beschwerde war mit hg. Erkenntnis vom 18. Mai 1988, Zl. 87/01/0223, als unbegründet abgewiesen worden.

Am 18. Mai 1988 richtete der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer eine Eingabe an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol, die er schon im Rubrum ausdrücklich als "Asylantrag und Eventualantrag" bezeichnete, und in der er unter Hinweis auf die Abweisung seines bereits gestellten Asylantrages folgendes vorbrachte:

Er habe nun ein überzeugendes Argument sowie Beweismittel in Händen, die geeignet seien, die österreichischen Behörden von seiner begründeten Furcht vor politischer Verfolgung zu überzeugen. In der in Europa am 9. Mai 1988 erschienen Zeitung "Hürriyet", Tageszeitung für Türken in Europa, seien 19 Türken aufgefordert worden, in ihre Heimat zurückzukehren. Darunter sei auch der Beschwerdeführer namentlich genannt worden. Diese Aufforderung zur Rückkehr sei nicht nur eine generelle Aufforderung, sondern werde diesen Türken auch die Ausbürgerung angedroht, wenn sie dieser Aufforderung nicht nachkämen. Der Text der Zeitung bedeute frei übersetzt: "Aufruf in die Heimat für 19 Geflüchtete". Der türkische Rundfunk habe einen Bericht über 19 geflüchtete Personen veröffentlicht, deren Personalien mitgeteilt worden seien, die aufgefordert würden, innerhalb von drei Monaten in die Heimat zurückzukehren, andernfalls sie ausgebürgert würden. Der Innenminister habe über das Fernsehen aufgerufen, daß 19 Geflüchtete innerhalb von drei Monaten in die Türkei zurückkehren und sich ergeben sollten; sie sollten sich zur zuständigen Behörde begeben. Unter diesen 19 Personen sei der Beschwerdeführer.

Der Beschwerdeführer habe auf Grund dieses Zeitungsartikels "Erhebungen" durchgeführt, die ergeben hätten, deß er nahezu in allen türkischen Zeitungen als geflüchtet aufscheine. In der Beilage befinde sich eine Kopie aus der Tageszeitung Günes mit nahezu demselben Text wie in der Tageszeitung Hürriyet. Eine weitere Kopie aus der Tageszeitung Cumhurriet habe denselben Aufruf veröffentlicht, aber deutlicher formuliert. Dort heiße es, daß der Aufruf an 19 Personen gerichtet sei, die im Ausland politisch aktiv seien und die die "in- und ausländische Sicherheit der Türkei gefährden". Außerdem sei das Geburtsdatum des Beschwerdeführers angegeben worden, um mögliche Verwechslungen auszuschließen.

Diese Veröffentlichungen seien keine generelle Aufforderung zur Rückkehr, es werde im Falle des Terminverlustes die Ausbürgerung angedroht, was jedenfalls die Beschlagnahme des Vermögens und den Verlust der Staatsbürgerschaft bedeute. Darüberhinaus könne man aber aus der Formulierung in der Veröffentlichung schließen, daß man den Antragsteller behördlich oder gerichtlich verfolgen wolle. Nicht umsonst werde die Formulierung "Kacak" verwendet, was "Geflüchteter" bedeute. Dieses Wort werde für Kriminelle und Verbrecher verwendet, die geflüchtet seien. Wenn man Flüchtlinge im Sinne von politischem Flüchtling verwenden wolle, verwende man das Wort "Mülteciye". Der Beschwerdeführer sei außerdem aufgefordert worden, "sich zu ergeben", was auch bedeute, daß er sich einer Behörde oder dem Gericht unterwerfen solle. Durch den Vorwurf, der Antragsteller gefährde die Sicherheit, weil er politisch aktiv sei, werde ihm nicht irgendein Vergehen oder ein Verbrechen gegen das Strafgesetz vorgeworfen, sondern die politische Betätigung. Daß dem Beschwerdeführer bei dem Versuch, seinen Reisepaß verlängern zu lassen, der Paß abgenommen worden sei, sei im Zusammenhang mit dem Aufruf zu sehen. Der Beschwerdeführer solle nicht gezwungen werden, zwecks Ableistung seines Militärdienstes zurückzukehren. Er habe nämlich nicht einmal einen Einberufungsbefehl erhalten, sondern er solle sich den türkischen Behörden wegen seiner politischen Tätigkeit stellen und ergeben. Daß sich unter den 19 zur Rückkehr aufgeforderten Personen auch Frauen befänden, beweise, daß es den türkischen Behörden nicht um die Militärdienstleistung ginge.

Die bisherige Aussicht der österreichischen Behörden, für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft seien nur jene Gründe maßgebend, die Ursache für die Flucht gewesen seien, sei insoferne unrichtig, weil sich aus § 5 Abs. 1 Asylgesetz ergebe, daß auch der Eintritt der Gefahr einer Verfolgung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen für die Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft heranzuziehen sei.

Der Beschwerdeführer beendete diese Eingabe schließlich wörtlich wie folgt:

"Die Furcht vor Verfolgung in der Türkei scheint nun begründet zu sein, weshalb neuerlich gestellt wird der

ANTRAG

auf Gewährung von politischem Asyl, bzw. auf Feststellung, daß es sich bei Selim Dönmez um einen Flüchtling im Sinne des § 1 Asylgesetz handelt.

Für den Fall, daß die österreichische Behörde die nun vorgelegten Beweismittel als Wiederaufnahmegrund wertet, wird unter Hinweis auf das im Verfahren FrA 1-5/86 Vorgebrachte gestellt der

EVENTUALANTRAG

auf Wiederaufnahme des Verfahren FrA 1-5/86, gemäß § 69 AVG."

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid fällte die belangte Behörde ausdrücklich "in Erledigung des am 18. Mai 1988 eingebrachten Wiederaufnahmeantrages "den Spruch, daß dem Antrag auf Wiederaufnehme keine Folge gegeben und der Antrag gemäß § 69 Abs. 1 und 4 AVG 1950 abgewiesen wird.

Sie begründete diesim wesentlichen damit, daß auf Grund des Naheverhältnisses des Beschwerdeführers zur Organisation "DevYol" mit Grund davon ausgegangen werden könne, allfällige Maßnahmen des türkischen Staates würden nicht wegen der politischen Überzeugung des Beschwerdeführers, sondern auf Grund krimineller Zielsetzungen im Rahmen der genannten Extremisten- organisation gesetzt. Dies gehe auch aus dem Antrag des Beschwerdeführers auf Grund der Zeitungsartikel hervor und stelle daher keinen Grund dar, ihn als Konventionsflüchtling anzuerkennen. Ähnliche Tatbestände wären auch in Österreich strafbar. Der vorliegende Sachverhalt würde auch voraussichtlich im Hauptinhalt des Spruches nichts ändern, weshalb der Antrag abzuweisen gewesen sei. Da keine Gründe für einen neuerlichen Asylantrag ersichtlich gewesen seien, sei der Antrag des Beschwerdeführers inhaltlich als Wiederaufnahmsantrag zu werten gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Asylgewährung verletzt und macht ausdrücklich geltend, daß die belangte Behörde zur Entscheidung über den Asylantrag unzuständig gewesen sei und dem Beschwerdeführer solcherart eine Instanz "abgeschnitten" habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126 (AsylG), ist die Feststellung, ob die nach § 1 maßgebenden Voraussetzungen gegeben sind, vom Landeshauptmann zu treffen. ....

Gemäß Art. II leg. cit. sind bis zum Inkrafttreten des in § 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. Nr. 142/1946 angekündigten Bundesverfassungsgesetzes die Aufgaben, die dem Landeshauptmann nach diesem Bundesgesetz zukommen, von der Sicherheitsdirektion zu besorgen.

Gemäß § 69 Abs. 4 AVG 1950 steht die Entscheidung über die Wiederaufnahme der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat.

Auszugehen ist davon, daß der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer ganz ausdrücklich primär einen "neuerlichen Asylantrag" gestellt und seinen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 AVG 1950 als "Eventualantrag" bezeichnet hat.

Ein sogenannter Eventualantrag ist im Verwaltungsverfahren nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes durchaus zulässig (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 11. Juni 1953, Zl. 1484/51 Slg. N.F. Nr. 3020/A, vom 9. Oktober 1969, Zl. 741/68, vom 23. Juni 1978, Zl. 1667/77 Slg. N.F. Nr. 9601/A und vom 25. September 1989, Zl. 88/10/0030, 0090). Das Wesen eines solchen Antrages liegt darin, daß er unter der aufschiebenden Bedingung gestellt wird, daß der Primärantrag erfolglos bleibt. Wird bereits dem Primärantrag stattgegeben, so wird der Eventualantrag gegenstandslos (vgl. dazu das zuletzt zitierte hg. Erkenntnis vom 25. September 1989, Zl. 88/10/0030, 0090).

Im vorliegenden Fall hat nun die belangte Behörde sofort den nur eventualiter gestellten Wiederaufnahmsantrag des Beschwerdeführers meritorisch behandelt und dabei außer Acht gelassen, daß ein Primärantrag des Beschwerdeführers auf Feststellung seiner Flüchtlingseigenschaft vorlag, für dessen Behandlung nach den oben dargestellten Vorschriften des Asylgesetzes die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol zuständig gewesen wäre.

Allein der Umstand, daß die belangte Behörde in der Sache fand, es seien "keine Gründe für einen neuerlichen Asylantrag ersichtlich", vermag den primär erhobenen neuerlichen Asylantrag noch nicht zu erledigen. Erst durch eine negative rechtskräftige Entscheidung über diesen Asylantrag durch die dafür zuständige Sicherheitsdirektion wäre jene aufschiebende Bedingung erfüllt worden, die im konkreten Fall die sachliche Kompetenz der belangten Behörde zur Entscheidung über den in eventu erhobenen Wiederaufnahmsantrag begründet hätte.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

Schlagworte

Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung konstitutive Bescheide Rechtsgrundsätze Auflagen und Bedingungen VwRallg6/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989010114.X00

Im RIS seit

07.02.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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