TE Vfgh Erkenntnis 1987/11/26 B632/87

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Veröffentlicht am 26.11.1987
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
StGG Art13
DSt 1872 §2
MRK Art6 Abs1
MRK Art10
DSt 1872 §29 Abs3

Leitsatz

Überprüfung des bekämpften Bescheides der OBDK bloß auf grobe Fehlerhaftigkeit; vertretbare Annahme standeswidrigen Verhaltens (beleidigende Schreibweise); Einleitungsbeschluß ist schlichte Verfahrensandrohung - kein unmittelbarer Eingriff in Rechte des Bf.; allfällige unrichtige Zusammensetzung zu Behörde bei Form dieses Beschlussesbericht keine Verletzung des Bf. durch den angefochtenen Bescheid in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, jedenfalls auch nicht des Art6 MRK

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 18. April 1986, Z D 14/85, wurde der Bf. der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt, weil er als Rechtsvertreter in einer Berufungsschrift im Verfahren 3 Cg 272/83 des Kreisgerichtes Krems/Donau wörtlich vorgebracht habe:

"... Wenn das Erstgericht noch vermeint ausführen zu können, daß die Aussage des Zeugen H im übrigen geradezu eingelernt wirke, wobei dieser Zeuge Ausdrücke verwendet hätte, die ihm nach seiner Bildung und seiner sozialen Stellung nicht zuzumuten seien, so handelt es sich bei diesen Ausführungen wohl um eine Entgleisung des Erstrichters, der mein Rechtsvertreter noch nachzugehen haben wird."

Unter Bedachtnahme auf das Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 18. Jänner 1985, Zln. D 13/81, D 18/82 und D 191/84, das in seinem Strafausspruch durch das Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission (OBDK) vom 20. Jänner 1986, Z Bkd 76/85, bestätigt wurde, wurde in sinngemäßer Anwendung der §§31, 40 StGB von der Verhängung einer Zusatzdisziplinarstrafe abgesehen.

1.2. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der OBDK vom 6. April 1987, Z Bkd 5/87-11, keine Folge gegeben.

2.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf freie Meinungsäußerung gemäß Art13 StGG und Art19 (richtig: Art10) der MRK sowie auf ein faires Verfahren nach Art6 MRK geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

2.2. Die bel. Beh. hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.

3. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

3.1.1. Der Bf. meint zunächst, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt zu sein, weil ihm nicht verwehrt werden könne, einem - ihn betreffenden unbegründeten - Vorwurf, der sich in einem Urteil finde, in der Berufung entgegenzutreten. Aus dem Urteil des Erstgerichtes sei die Beschuldigung zu entnehmen, daß er einem Zeugen seine Aussage eingelernt habe. Das Urteil anders zu lesen, verstoße "gegen die Denkgesetze". Niemand könne sich selbst eine Aussage einlernen und dann bei Ablegung der selbst eingelernten Aussage Ausdrücke verwenden, die ihm nach seiner Bildung und sozialen Stellung nicht zuzumuten sind. Den Denkgesetzen widerspreche auch die Ansicht der bel. Beh., er habe durch den Gebrauch des Wortes "Entgleisung" ausfällig polemisiert. Als unbescholtener Staatsbürger, Familienvater, Reserveoffizier und Rechtsanwalt hätte er sich gegen den völlig aus der Luft gegriffenen Vorwurf, einen Zeugen zu einer falschen Beweisaussage vor Gericht angestiftet zu haben, mit der Äußerung, daß hier wohl eine Entgleisung vorliege, der er noch nachzugehen haben werde, äußerst zurückhaltend ausgedrückt.

3.1.2. Der angefochtene Bescheid ist im wesentlichen wie folgt begründet:

"... Der vom Richter ausgesprochene Verdacht, die Aussage habe geradezu eingelernt gewirkt, ist im Rahmen der Beweiswürdigung durchaus vertretbar. Nach dem Eindruck des Richters hat sich der genannte Zeuge nicht seiner Bildung und sozialen Stellung gemäß verhalten, als er seine Aussage ablegte. Ob er sich seine Aussage selbst eingelernt hat, oder dabei von anderen unterstützt wurde, bleibt völlig offen. Schon gar nicht ist hier ein Hinweis darauf zu erblicken, daß ein einschreitender Rechtsanwalt beim Einlernen der unrichtigen Aussage nachgeholfen hat, wie dies der Beschuldigte wahrhaben möchte. Ein Widerspruch zu Denkgesetzen ist daher nicht zu erkennen.

Eine Beweiswürdigung, die sich auf den nachteiligen Eindruck eines Zeugen beruft, kann als solche nicht schon als 'Entgleisung' eines Richters bezeichnet werden. Dieser Ausdruck unterstellt vielmehr ein unkorrektes Verhalten des Richters, das noch zusätzlich als solches durch die weitere Wendung unterstrichen wird, daß dieser 'Entgleisung' noch nachzugehen sein wird.

Mit dem Hinweis ... wurde der einem Anwalt gemäß §9 RAO zur Wahrnehmung der Verteidigerrechte verfügbare Freiraum eindeutig überschritten; hat der Beschuldigte doch damit einen Angriff mit einer beleidigenden Unterstellung gegen einen Richter unternommen, für den keine rechtfertigende Grundlage zu ersehen ist.

Diese Vorgangsweise war auch nicht geeignet, die gegen das Urteil vorgebrachten Berufungsargumente zu stärken. ..."

3.1.3. Der VfGH kann nicht finden, daß der bel. Beh. wegen dieser Begründung ein denkunmögliches und damit der Gesetzlosigkeit gleichzuhaltendes Vorgehen anzulasten wäre. Geht man davon aus, daß der Bf. in der Berufung die Wendung "Entgleisung (des Erstrichters), der noch nachzugehen sein wird", gebraucht, obwohl, wie die bel. Beh. - zu Recht - betont, die rechtfertigende Behauptung, das Erstgericht habe ihm eine Zeugenbeeinflussung unterstellt, keineswegs zutrifft, dann ist es jedenfalls nicht abwegig, daß die bel. Beh. in dem Vorwurf des Bf. gegen das Gericht ein standeswidriges Verhalten erblickte. Da über den Bf. wegen dieses Verhaltens nicht einmal eine Zusatzstrafe verhängt wurde, ist auch insoferne der angefochtene Bescheid jedenfalls vertretbar.

Eine weitergehende Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen zu diesem Punkt erachtet der VfGH für entbehrlich, weil er den bekämpften Bescheid nicht auf seine Richtigkeit, sondern bloß auf grobe Fehlerhaftigkeit zu prüfen hat (vgl. zB VfSlg. 10757/1986, 10065/1986).

3.2.1. In der Beschwerde wird weiters eine Verletzung des nach Art6 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein faires Verfahren geltend gemacht, "weil Herr Rechtsanwalt Dr. F Rechtsvertreter der Beklagten im Verfahren zu 3 Cg 272/83 des Kreisgerichtes Krems/Donau und an der Fassung des Beschlusses vom 26.6.1985 beteiligt war, mit dem das Disziplinarverfahren D 14/85 eingeleitet worden ist".

3.2.2. Mit diesen Ausführungen wird der Vorwurf erhoben, daß der Einleitungsbeschluß von einer Behörde gefaßt worden sei, die nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzt war. Bei einem Einleitungsbeschluß handelt es sich jedoch nach ständiger Rechtsprechung des VfGH (vgl. insbesondere die eingehende Begründung in VfSlg. 9425/1982, sowie weiters VfSlg. 10944/1986) um eine schlichte Verfahrensanordnung, durch die ein unmittelbarer Eingriff in Rechte nicht stattfindet. Seine rechtliche Bedeutung liegt allein darin, daß ein Disziplinarverfahren seinen Fortgang nimmt (VfSlg. 9425/1982). Entsprechend dem rechtlichen Charakter eines Einleitungsbeschlusses ist das Beschwerdevorbringen schon aus diesem Grunde keinesfalls geeignet nachzuweisen, daß der Bf. durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren nach Art6 MRK verletzt wurde. Damit kann auf sich beruhen, ob eine Anwendung des Art6 MRK im vorliegenden Fall überhaupt in Frage kommt (vgl. VfSlg. 11506/1987).

3.3. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Bf. in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen (zu §2 DSt vgl. insbesondere VfSlg. 7494/1975 und die dort angegebene Vorjudikatur, weiters 7262/1974, 9160/1981) ist es auch ausgeschlossen, daß er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Disziplinarrecht Rechtsanwälte, VfGH / Prüfungsmaßstab, Meinungsäußerungsfreiheit, Bescheidbegriff, Verfahrensanordnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B632.1987

Dokumentnummer

JFT_10128874_87B00632_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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