TE Vwgh Erkenntnis 1990/6/20 86/13/0168

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Veröffentlicht am 20.06.1990
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §148 Abs3 litb;
BAO §148 Abs3;
BAO §207 Abs2;
FinStrG §99 Abs2;

Betreff

S gegen Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 9. August 1985, Zl. 6/1-1309/84, betreffend Wiederaufnahme des Umsatzsteuer-, Einkommensteuer- und Gewerbesteuerverfahrens für die Jahre 1972 bis 1975, sowie Umsatzsteuer für die Jahre 1972 bis 1982, Einkommensteuer und Gewerbesteuer für die Jahre 1972 bis 1981

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin betrieb in den Streitjahren einen Korkwarenhandel. Seit 1. Jänner 1982 wird am selben Standort ein branchengleicher Betrieb von einer GmbH geführt. Die Umsatzsteuervoranmeldungen und Jahressteuererklärungen der Beschwerdeführerin wurden jahrelang von einem Finanzbeamten verfaßt, der gleichzeitig als Betriebsprüfer bei der Beschwerdeführerin abgabenrechtliche Prüfungen vornahm. Dieser Umstand führte nach seiner Aufdeckung zu einer Betriebsprüfung, die die Jahre 1972 bis 1981 umfaßte. Dabei traf der Prüfer u.a. folgende Feststellungen:

Es seien keine Buchhaltungsunterlagen vorgelegt worden. Die Beschwerdeführerin habe niederschriftlich erklärt, daß die Unterlagen anläßlich einer Geschäftsentrümpelung der Müllabfuhr übergeben worden seien. Für das Jahr 1981 seien von der Beschwerdeführerin keine Steuererklärungen mehr eingereicht worden. Bei den Geschäftsunterlagen der GmbH sei eine Aufstellung über offene Lieferantenverbindlichkeiten zum 31. Dezember 1981 in Höhe von S 3,236.598,92 (inklusive Umsatzsteuer) sichergestellt worden. Die dazugehörigen Eingangs- und Ausgangsfakturen seien vorhanden gewesen. Unter den von Finanzbeamten im Zuge einer Hausdurchsuchung sichergestellten Unterlagen habe sich ein Kalenderblatt mit folgenden Notizen befunden:

    "WARENLAGER      UMSATZ (NETTO) INVESTITIONEN:  BW 31.12

          S              S             S             S

1978   1,907.050,--  1,322.115,20   12.240,--       141.226,--

1979   2,083.420,--  1,282.187,38      0             87.621,--

1980   2.015.257,--  1,706.032,40      0             34.016,--

1981   2,081.310,--  1,563.174,40   74.780,--        96.370,--"

Im Hinblick auf das Fehlen von Buchhaltungsunterlagen seien die Abgabenbemessungsgrundlagen im Schätzungsweg zu ermitteln gewesen. Bezüglich des Wareneinkaufes sei Kontrollmaterial seitens des Korkgroßhandelsunternehmens X GmbH zur Verfügung gestanden. Außerdem habe die Beschwerdeführerin auch Eigenimporte durchgeführt. Dem ermittelten Wareneinsatz sei ein Sicherheitszuschlag von 10 % hinzugerechnet worden. Das voraussichtliche Schätzungsergebnis sei der Beschwerdeführerin und ihrem steuerlichen Vertreter mitgeteilt worden. Letzterer habe zugesagt, Inventurlisten und den daraus ermittelten Warenbestand zum 31. Dezember 1981 sowie Bankauszüge vorzulegen. Diese Zusage sei trotz telefonischer Rücksprache und Fristverlängerung nicht eingehalten worden.

Der Prüfer gelangte schließlich zu nachstehenden Umsätzen:

1972   S  5,140.000,--    (erklärt S   977.325,10)

1973   S  6,263.000,--    (erklärt S   995.250,40)

1974   S  7.710.000,--    (erklärt S 1,068.949,69)

1975   S  8,170.000,--    (erklärt S 1,075.085,12)

1976   S 12,019.000,--    (erklärt S 1,381.521,35)

1977   S 13,515.000,--    (erklärt S 1,568.755,36)

1978   S 10,259.000,--    (erklärt S 1,322.115,20)

1979   S  8,856.000,--    (erklärt S 1,282.187,38)

1980   S  9,850.000,--    (erklärt S 1,706.032,40)

1981   S 12,027.000,--    (erklärt S 1,563.174,30)

Den durchschnittlichen Rohaufschlag setzte der Prüfer mit 55 vH an und erhöhte die Gewinne der Streitjahre um die so ermittelten Rohgewinne.

Das Finanzamt folgte den Prüfungsfeststellungen und erließ

nachstehende Bescheide:

Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend

Umsatzsteuer 1972 bis 1980

Einkommensteuer 1972 bis 1980

Gewerbesteuer 1972 bis 1976

Abgabenbescheide betreffend

Umsatzsteuer 1972 bis 1982

Einkommensteuer 1972 bis 1981

Gewerbesteuer 1972 bis 1981,

wobei von den Gewerbesteuerbescheiden die für die Jahre 1977 bis 1980 als gemäß § 296 BAO geänderte Bescheide ergingen.

Mit Schreiben vom 30. August 1984 ersuchte der steuerliche Vertreter der Beschwerdeführerin um Verlängerung der Rechtsmittelfrist "für sämtliche nachstehenden Steuerbescheide ... bis 30. September 1984:

Umsatzsteuerbescheide 1972 bis 1982 Einkommensteuerbescheide 1972 bis 1981 Gewerbesteuerbescheide 1972 bis 1981."

Das Finanzamt gab dem Fristverlängerungsansuchen statt.

Mit Schreiben vom 28. September 1984 beantragte der steuerliche Vertreter der Beschwerdeführerin eine weitere Verlängerung der Rechtsmittelfrist. Der Antrag lautete:

"Mit Bescheid vom 4. September 1984 hat das Finanzamt unserem Antrag auf Verlängerung der Rechtsmittelfrist vom 30. August 1984 zur Einbringung einer Berufung betreffend Umsatzsteuerbescheide 1972 bis 1982, Einkommensteuerbescheide 1972 bis 1981 und Gewerbesteuerbescheide 1972 bis 1981 stattgegeben und die Frist bis 30. September 1984 verlängert. Wir beantragen eine abermalige Verlängerung der Rechtsmittelfrist in dieser Causa bis 30. November 1984."

Das Finanzamt wies den zweiten Antrag auf Fristverlängerung ab.

Daraufhin brachte der steuerliche Vertreter der Beschwerdeführerin am 10. Oktober 1981 innerhalb offener Frist (§ 245 Abs. 4 BAO) einen als Berufung bezeichneten Schriftsatz ein. Dieser lautet auszugsweise:

"... erheben wir nunmehr das Rechtsmittel der Berufung gegen sämtliche Steuerbescheide auf Grund der Betriebsprüfung über die Jahre 1972 bis 1982 und zwar:

Umsatzsteuerbescheide 1972 bis 1982 Einkommensteuerbescheide 1972 bis 1981 Gewerbesteuerbescheide 1972 bis 1981.

Für die Einbringung der Begründung zu dieser Berufung wird eine Frist bis 30. November 1984 beantragt. ..."

Das Finanzamt erließ einen Mängelbehebungsauftrag, den die Beschwerdeführerin damit beantwortete, daß sie als Berufungsbegehren den Wegfall des Sicherheitszuschlages und die Durchführung einer Reingewinnschätzung mit 5 % des Umsatzes bezeichnete. Begründet wurde das Berufungsbegehren damit, daß weder ein innerer noch ein äußerer Betriebsvergleich durchgeführt worden sei und die vom Betriebsprüfer vorgenommene Schätzung zu einem völlig irrealen Ergebnis geführt habe, nämlich zu einem Gesamtgewinn von ca. S 24,000.000,--. Derartige Gewinne hätten zu einem Vermögen von rund S 20,000.000,-- bis S 22,000.000,-- führen müssen, andernfalls angenommen werden müßte, daß dieser Betrag ausgegeben worden sei. Eine solche Annahme wäre aber unglaubwürdig. Ebenso sei es unglaubwürdig, daß ein solcher Betrag unverzinst angelegt worden sei. Es erscheine daher widersprüchlich und unlogisch, daß der Betriebsprüfer keine Zinsen angesetzt habe. Weiters spreche der Umstand, daß die Beschwerdeführerin im Prüfungszeitraum "häufig in Exekution war" gegen die Annahme derartiger Gewinne. Es werde daher "eine Neuschätzung beantragt", die branchenübliche Kennziffern und Vergleichsbetriebe berücksichtige. Schließlich wurde in Aussicht gestellt, "die erforderlichen Unterlagen für eine Glaubhaftmachung zu besorgen".

Mit Schreiben vom 31. Mai 1985 nahm die belangte Behörde Bezug auf eine weitere Zusage der Beschwerdeführerin vom 3. Mai 1985, diverse Unterlagen vorzulegen und forderte sie auf, dies innerhalb von zwei Wochen zu tun, widrigenfalls angenommen werden müßte, daß beweiskräftige und substantielle Unterlagen nicht vorhanden seien. Weiters wurde die Beschwerdeführerin ersucht, "für den Fall, daß höhere als bisher berücksichtigte Betriebsausgaben geltend gemacht werden, ... diese genau aufzugliedern und die Empfänger dieser Beträge gemäß § 162 BAO bekannt zu geben".

Den Verwaltungsakten kann weder eine Beantwortung dieses Schreibens noch die Vorlage entsprechender Unterlagen entnommen werden.

In der mündlichen Berufungsverhandlung stellte der Vorsitzende des Berufungssenates die Frage, ob "die Wiederaufnahme mit der Berufung angefochten" worden sei. Der Steuerberater der Beschwerdeführerin antwortete: "Nein, aber jetzt wird sie angefochten und innerhalb des offenen Rechtsmittelverfahrens."

Des weiteren brachte der Steuerberater der Beschwerdeführerin vor, daß der durchschnittliche Rohaufschlag nur 38 % betragen habe, und daß nach den nunmehr vorliegenden Unterlagen im Jahr 1980 eine Miete in Höhe von S 182.423,50 bezahlt worden sei.

Mit Schreiben vom 21. November 1985 beantragte der Steuerberater der Beschwerdeführerin folgende Berichtigungen der Niederschrift über die mündliche Berufungsverhandlung:

Die Frage des Vorsitzenden betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens sollte richtig lauten:

"Wurde die Wiederaufnahme der Berufung (gemeint ist wohl mit der Berufung) gesondert angefochten?"

Anwort des Steuerberaters:

"Nein, nicht gesondert, aber mit der Berufung angefochten und innerhalb des offenen Rechtsmittelverfahrens wurde die Berufung näher ausgeführt."

Auf die weitere Frage des Vorsitzenden, wieso die Lohnkosten bei der Beschwerdeführerin im Jahr 1980 etwa S 242.000,-- betragen hätten, während sie bei der Nachfolge-GmbH im Jahr 1982 mit S 1,175.000,-- ausgewiesen worden seien, sollte die Antwort des Steuerberaters richtig dahingehend lauten, daß er die in den Erklärungen der Beschwerdeführerin angegebenen Ziffern "für nicht richtig und nicht vergleichbar halte, dies aus dem Grund, weil erstens die Umsätze der Vorjahre niedriger aber auch die Kosten höher waren".

In der Niederschrift war demgegebenüber protokolliert worden, daß "auch die Kosten NIEDRIGER waren".

Die belangte Behörde teilte der Beschwerdeführerin mit, daß eine Änderung des Protokolles nicht beabsichtigt sei. Über die Berufung selbst werde wie folgt entschieden:

Die Berufung gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Umsatzsteuer, Einkommensteuer und Gewerbesteuer für die Jahre 1972 bis 1975 wurde als verspätet zurückgewiesen. Der Berufung gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1972 bis 1982, sowie gegen die Einkommensteuerbescheide und Gewerbesteuerbescheide 1972 bis 1981 wurde teilweise Folge gegeben, indem der durchschnittliche Rohaufschlag wie beantragt mit 38 vH angesetzt und der Sicherheitszuschlag auf den (geringfügigen) Umsatz von Handwaschpasta (hier allerdings im Ausmaß von 100 %) eingeschränkt wurde. Weiters wurde die in der mündlichen Berufungsverhandlung behauptete Mietzahlung als zusätzliche Betriebsausgabe berücksichtigt.

Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den VfGH erhoben. Der VfGH hat mit Beschluß vom 25. September 1986, B 860/85-12, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

Vor dem Verwaltungsgerichtshof werden Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. WIEDERAUFNAHME DES VERFAHRENS:

Auch ohne daß man die in der Niederschrift über die mündliche Berufungsverhandlung protokollierte Aussage des Steuerberaters der Beschwerdeführerin, wonach die Wiederaufnahme des Verfahrens erstmals in der mündlichen Berufungsverhandlung bekämpft wurde und deren Berichtigung vergeblich beantragt worden war, als Entscheidungsgrundlage heranzieht, erweist sich die Beschwerde in diesem Punkt als unbegründet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes ist ein Bescheid, mit dem die Wiederaufnahme eines Verfahrens verfügt wird, trotz seiner Verbindung mit der jeweiligen Sachentscheidung (§ 307 BAO) ein gesondert anfechtbarer und daher auch für den Fall, daß die Wiederaufnahme des Verfahrens bekämpft werden soll, ein gesondert anfechtungsbedürftiger Verwaltungsakt. Sowohl der Antrag auf Verlängerung der Rechtsmittelfrist als auch die in der Folge eingebrachte Berufung der Beschwerdeführerin bezogen sich eindeutig nur auf die Abgabenbescheide, die im einzelnen aufgezählt waren. Eine Anfechtung der Bescheide, mit denen die Wiederaufnahme der Verfahren verfügt worden war, läßt sich weder dem Wortlaut noch dem Inhalt der genannten Schriftsätze entnehmen. Damit war aber die Berufung gegen die Wiederaufnahme der Verfahren (gleichgültig welche Jahre sie betroffen haben mag) jedenfalls verspätet und aus diesem Grund gemäß § 273 BAO zurückzuweisen. Von einer "unklaren Aktenlage" betreffend den Anfechtungsgegenstand der fristgerecht erhobenen Berufungen, die, wie die Beschwerdeführerin meint, zu klären gewesen wäre, kann keine Rede sein. Die Frage des Vorsitzenden des Berufungssenates, ob auch die Bescheide betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens angefochten werden sollten, wurde offensichtlich im Hinblick auf ein in der mündlichen Berufungsverhandlung vorgelegtes Schreiben des Steuerberaters der Beschwerdeführerin gestellt, in dem erstmals auch die Frage der Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens angeschnitten worden war und diente wohl der Klärung, ob überhaupt eine (wegen Verspätung zurückzuweisende) Berufung gegen die Wiederaufnahme der Verfahren vorlag oder nicht.

Sämtliche Ausführungen in der Beschwerde, die sich mit der Unzulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens befassen, gehen somit ins Leere.

2. BEHAUPTETER VERSTOß GEGEN ART. 6 MRK:

Die Beschwerdeführerin erblickt in der ihr auferlegten Offenlegungs- und Wahrheitspflicht gemäß § 119 BAO einen Verstoß gegen Art. 6 MRK, weil sie mit einem Finanzstrafverfahren rechnen müsse und die Offenlegungspflicht in Widerspruch mit dem Verbot einer finanzstrafrechtlichen Selbstbeschuldigung stehe. Im oben zitierten Ablehnungsbeschluß hat der Verfassungsgerichtshof zu diesem Beschwerdepunkt folgende Aussage getroffen:

"Soweit die Beschwerde aber verfassungsrechtliche Fragen berührt (behauptete Verfassungswidrigkeit ... wegen Verstoßes gegen Art. 6 MRK und Art. 90 Abs. 2 B-VG), läßt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in Anbetracht der im konkreten Fall vorliegenden Sach- und Rechtslage als so wenig wahrscheinlich erkennen, daß sie - unter dem Blickwinkel der vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmenden Rechtsverletzungen - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat."

Soweit die Beschwerdeführerin verfassungsrechtliche Bedenken gegen die in der Bundesabgabenordnung normierte Offenlegungs- und Wahrheitspflicht vorbringt, genügt es darauf hinzuweisen, daß die vom Verfassungsgerichtshof abgelehnte Prüfung dieses Problemkreises gemäß Art. 133 Z. 1 B-VG von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist. Soweit sich hingegen die Beschwerde mit den Auswirkungen der mangelnden Mitwirkung der Beschwerdeführerin an der Ermittlung der Abgabenbemessungsgrundlagen auf Schätzungsmethode und Schätzungsergebnis befaßt, wird auf die Ausführungen unter Punkt 5 verwiesen.

3. DURCHFÜHRUNG EINER BETRIEBSPRÜFUNG FÜR BEREITS GEPRÜFTE

ZEITRÄUME:

Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, daß für Jahre, für die bereits eine abgabenrechtliche Prüfung vorgenommen worden war, keine weitere Betriebsprüfung mehr zulässig gewesen wäre. Dem ist die Bestimmung des § 148 Abs. 3 BAO entgegenzuhalten, wonach für einen Zeitraum, für den eine Buch- und Betriebsprüfung bereits vorgenommen worden ist, ein neuerlicher Prüfungsauftrag ohne Zustimmung des Abgabepflichtigen unter anderem erteilt werden darf zur Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegeben sind. Dies traf auf sämtliche bereits einmal geprüften Jahre zu. Wenn die Beschwerdeführerin meint, für die Zeiträume 1972 bis 1975 habe keine Aufbewahrungspflicht betreffend Geschäftsaufzeichnungen mehr bestanden, sodaß auch keine Wiederaufnahmsgründe feststellbar gewesen seien, so ist ihr zu entgegnen, daß als Wiederaufnahmsgründe alle neu hervorgekommenen Sachverhaltselemente in Betracht kommen, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht), geführt hätten, etwa auch Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften (vgl. Stoll, Bundesabgabenordnung, Seite 723). Ob und für welche Zeiträume solche Wiederaufnahmsgründe tatsächlich festgestellt werden konnten, ist im Beschwerdefall unerheblich, weil einerseits die Wiederaufnahme der Verfahren infolge verspätet eingebrachter Berufung nicht Gegenstand einer meritorischen Berufungserledigung war, und andererseits ein neuerlicher Prüfungsauftrag auch dann zulässig ist, wenn die gemäß § 148 Abs. 3 lit. b BAO vorzunehmende Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegeben sind, letztlich ergebnislos bleibt.

Schließlich ist noch darauf zu verweisen, daß die Verletzung des Verbotes der wiederholten Prüfung des gleichen Zeitraumes an sich sanktionslos ist (vgl. Stoll aaO, Seite 355 und die dort zitierte hg. Rechtsprechung) und lediglich bei der Ermessensübung, ob tatsächlich eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorgenommen werden soll, Berücksichtigung finden kann. Aus den unter Punkt 1 dargelegten Gründen hatte eine diesbezügliche Überprüfung des angefochtenen Bescheides jedoch zu unterbleiben.

4. VERJÄHRUNG:

Erstmals in der Beschwerde wird Bemessungsverjährung eingewendet. Die diesbezüglichen Ausführungen auf Seite 7 lauten:

"Die fünfjährige Bemessungsverjährung des § 207 Abs. 2 BAO begann gemäß § 288 Abs. 1 lit. a BAO für die Einkommensteuer mit Ende 1976, für die Umsatzsteuer mit Ende 1975."

Abgesehen davon, daß unklar bleibt, welche Abgabenermittlungszeiträume damit angesprochen werden, ist dieses Vorbringen schon deswegen unrichtig, weil sowohl die Umsatzsteuer als auch die Einkommensteuer für das Jahr 1972 - dieses ist das am weitesten zurückliegende Jahr - frühestens mit Ablauf des Jahres 1979 hätten verjährt sein können. Dies deshalb, weil die betreffenden erstinstanzlichen Abgabenbescheide mit verjährungsunterbrechender Wirkung im Juni 1974 erlassen worden waren, sodaß die fünfjährige Bemessungsverjährungsfrist gemäß § 209 Abs. 1 BAO mit Ablauf des Jahres 1974 neu zu laufen begonnen hatte.

Da die nächste aus den Verwaltungsakten ersichtliche Unterbrechungshandlung die im Jahr 1984 vorgenommene Betriebsprüfung war, ist die belangte Behörde offensichtlich von der für hinterzogene Abgaben geltenden zehnjährigen Bemessungsverjährungsfrist des § 207 Abs. 2 BAO ausgegangen.

Die Beschwerde enthält dazu lediglich folgende Feststellung:

"Die zehnjährige Frist für hinterzogene Abgaben kam wegen des äußeren Bildes des Prüfungsauftrages (nicht auf § 99 (2) FinStrG gegründet) und wegen seines Inhaltes (zunächst nur betreffend die Jahre 1979 bis 1981) nicht in Betracht."

Dieser Einwand ist unbegründet. Ob die für hinterzogene Abgaben vorgesehene zehnjährige Bemessungsverjährungsfrist zum Tragen kommt oder nicht, hängt nicht vom Prüfungsauftrag ab, insbesondere auch nicht davon, ob in diesem auf § 99 Abs. 2 FinStrG Bezug genommen wird. Maßgebend ist lediglich, ob der für die Abgabenfestsetzung relevante Sachverhalt es zuläßt, die Vorfrage, daß die festzusetzenden Abgaben hinterzogen wurden, rechtlich positiv zu beurteilen. Dies trifft im Beschwerdefall schon im Hinblick auf Art und Ausmaß der festgestellten und nicht bestrittenen Umsatzdifferenzen (jährlich zwischen vier und sieben Millionen Schilling) zu. Daran ändert es auch nichts, daß die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auf die Frage der Verjährung nicht eingegangen ist, weil, wie bereits erwähnt, im Berufungsverfahren keine diesbezüglichen Einwände erhoben worden waren. Vielmehr enthält die Berufung ausdrücklich den Antrag,

"1. aus der Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer der Jahre 1972 BIS 1982 jene Beträge auszuscheiden, die sich auf Grund des unter Tz 9 angeführten Sicherheitszuschlages bei der Kalkulation ergeben.

2. Die Betriebsergebnisse der Jahre 1972 bis 1981 mit 5 % vom Umsatz schätzungsweise festzustellen und auf dieser Grundlage die Gewerbesteuer sowie die Einkommensteuer 1972 BIS 1981 neu zu berechnen."

Die Beschwerde erweist sich daher auch in diesem Punkt als unbegründet.

5. SCHÄTZUNG:

Die Beschwerdeführerin erklärt sich in diesem Punkt nur insoweit beschwert, als die belangte Behörde keine ZUSÄTZLICHEN Betriebsausgaben ermittelt bzw. im Schätzungsweg berücksichtigt hat. Dadurch habe sie ihre amtswegige Ermittlungspflicht verletzt, zumal es "auf der Hand liegt", warum die Betriebsausgaben von der Beschwerdeführerin nicht in voller Höhe geltend gemacht worden seien. Als Grund dafür wird angegeben, daß die Beschwerdeführerin "die Umsätze (viel) niedriger ... als wirklich angegeben" habe, sodaß auch "die Aufwendungen niedriger als wirklich" angegeben worden seien, weil "es offenbar nicht plausibel gewesen wäre, für niedrige Umsätze offenbar übersteigende Kosten und Aufwände geltend zu machen. Wenn aber jetzt die richtige Umsatzhöhe durch Schätzung und zwar durch kalkulatorische Schätzung festgestellt wird, dann muß auch die wahre Höhe der Aufwandsposten berücksichtigt" werden.

Die Beschwerdeführerin übersieht, daß die belangte Behörde sie mit Schreiben vom 31. Mai 1985 aufgefordert hat, "für den Fall, daß höhere als bisher berücksichtigte Betriebsausgaben geltend gemacht werden, ... diese genau aufzugliedern und die Empfänger dieser Beträge gemäß § 162 BAO bekanntzugeben".

Die Beschwerdeführerin hat diese Aufforderung unbeantwortet gelassen. Die belangte Behörde konnte daher unbedenklich davon ausgehen, daß die Beschwerdeführerin keine weiteren Betriebsausgaben geltend machen wollte, bzw. daß keine weiteren Betriebsausgaben angefallen waren. Dieser Schluß ist keineswegs wirklichkeitsfremd. Es kann nämlich durchaus zutreffen, daß ein Abgabepflichtiger, der Umsatzverkürzungen vornimmt, nur den entsprechenden Wareneinsatz mindert (um auffallende Kalkulationsdifferenzen zu vermeiden), aber alle übrigen Betriebsausgaben in voller Höhe geltend macht. Der den geschätzten Umsätzen zugrunde liegende Wareneinsatz wurde aber von der belangten Behörde in voller Höhe als Aufwand berücksichtigt. Im übrigen ist auch darauf hinzuweisen, daß die erstmals in der Beschwerde enthaltenen Ausführungen über zusätzliche Betriebsausgaben unter das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot fallen.

Da die Beschwerde insgesamt keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzeigt, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1986130168.X00

Im RIS seit

20.06.1990
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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