TE Vwgh Erkenntnis 1990/6/25 89/15/0100

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Veröffentlicht am 25.06.1990
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §20;
BAO §236 Abs1;
BAO §236 Abs2;
B-VG Art130 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Beachte

Besprechung in: ÖStZB 1990, 391;

Betreff

N gegen Finanzlandesdirektion für Kärnten vom 23. Juni 1989, Zl. 136-2/88, betreffend Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte die Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten in der Höhe von insgesamt S 49.068,--. Sie begründete dies mit ihrer "katastrophalen Vermögenslage". Sie habe sehr hohe Schulden (ca. S 746.000,--) bei einer Sparkasse, für deren Tilgung sie S 10.000,-- monatlich aufwenden müsse. Aus ihrem landwirtschaftlichen Pachtbetrieb könne sie keine nennenswerten Erträge erwirtschaften. Aus Holzbringung und Holzschleifen erzielte Nebeneinkünfte hätten im Jahr 1986 lediglich S 24.000,-- betragen. Sonst seien weder Einkünfte noch Vermögen vorhanden. Der Steuerrückstand sei "auf Schätzungen zurückzuführen". Die Schätzungen seien erfolgt, weil die Beschwerdeführerin nicht in der Lage gewesen wäre, die Steuererklärungen selbst zu erstellen und sich einen teuren Steuerberater nicht habe leisten können.

Das Finanzamt wies das Nachsichtansuchen der Beschwerdeführerin ab.

In der dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin - neben einer Wiederholung der Darstellung ihrer Einkommensverhältnisse - vor, die Sparkasse, der sie S 741.000,-- schulde, werde wahrscheinlich Versteigerungsmaßnahmen einleiten, wenn die Beschwerdeführerin Rückzahlungsverpflichtungen nicht nachkäme. In Anbetracht der gegebenen Verhältnisse wären Einbringungsmaßnahmen erfolglos.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Begründend führte sie aus, bei Bejahung der Unbilligkeit habe die Behörde nach freiem Ermessen zu entscheiden, ob und inwieweit Abgaben nachgesehen würden. Die Ursache für die Entstehung des Abgabenrückstandes liege im vorliegenden Fall im wesentlichen in der Veranlagung des Jahres 1985. Die Bemessungsgrundlagen hätten zunächst mangels Einreichung von Steuererklärungen geschätzt werden müssen; im Zuge des Nachsichtverfahrens habe die Beschwerdeführerin Abgabenerklärungen eingereicht. Durch die Wiederaufnahme des Verfahrens für die Jahre 1984 und 1985 gemäß § 303 Abs. 4 BAO habe sich der bereits bestehende Rückstand infolge der Berücksichtigung einer Umsatzsteuergutschrift für 1984 um S 32.800,-- verringert.

Die Beschwerdeführerin habe 1984 Einnahmen von S 60.436,66, 1985 von S 276.972,80 und 1986 von S 15.791,84 netto erzielt. Sie sei in der Lage, monatliche Rückzahlungen an andere Gläubiger in der Höhe von S 10.470,-- zu leisten, ohne daß dadurch der Nahrungsstand gefährdet werde. Im Rahmen des freien Ermessens sei daher der Zweckmäßigkeit der Vorrang gegenüber der Billigkeit einzuräumen, zumal der derzeitige Abgabenrückstand in der Höhe von rund S 60.000,-- nur einen geringeren Teil der anderen Verbindlichkeiten zwischen S 700.000,-- und S 800.000,-- ausmache. Es gehe nicht an, daß die wirtschaftliche Sanierung bzw. Teilsanierung der Beschwerdeführerin ausschließlich zu Lasten des Finanzamtes durchgeführt würde, zumal die Beschwerdeführerin in der Vergangenheit ihren steuerlichen Verpflichtungen nicht ordnungsgemäß nachgekommen sei. So hätten die Besteuerungsgrundlagen für 1984 und 1985 geschätzt werden müssen; eine Befreiung für die Kraftfahrzeugsteuer sei zu Unrecht in Anspruch genommen worden; seit mindestens 1. Jänner 1985 bestünden ständige Abgabenrückstände.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Nach dieser Gesetzesstelle hat die Abgabenbehörde im Falle eines Ansuchens um Nachsicht zuerst zu prüfen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der dem unbestimmten Gesetzesbegriff "Einhebung nach der Lage des Falles unbillig" entspricht. Verneint sie diese Frage, dann ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr; demnach ist der entsprechende Antrag abzuweisen. Bejaht die Abgabenbehörde hingegen das Vorliegen einer Unbilligkeit im Sinne des Gesetzes, hat sie im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden (vgl. Stoll, Bundesabgabenordnung - Handbuch 583). Nach übereinstimmender Ansicht von Lehre und Rechtsprechung (vgl. Reeger - Stoll, Kommentar zur Bundesabgabenordnung 781 und die dort angeführte hg. Rechtsprechung) bildet die Feststellung der Unbilligkeit zwar eine Voraussetzung für die positive Ausübung des eingeräumten Ermessens, doch darf die Behörde auch bei Anerkennung einer Unbilligkeit die Nachsicht ablehnen; allerdings darf sie sich dabei nicht von unsachlichen Erwägungen leiten lassen. Keinesfalls liegt eine Ermessensüberschreitung darin, daß die Behörde den Erwägungen der Zweckmäßigkeit gegenüber Erwägungen allgemeiner Billigkeit den Vorrang einräumt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 1. März 1989, Zl. 88/13/0179).

Wie sich aus der Begründung des angefochtenen Bescheides, der die bei der Ermessensübung nach Zweckmäßigkeit und Billigkeit berücksichtigten Umstände entnommen werden können, ergibt, hat die belangte Behörde die Rechtsfrage der Unbilligkeit der Einhebung im vorliegenden Fall bejaht; denn nur unter dieser Voraussetzung durfte sie zur Ermessensentscheidung schreiten. Soweit die Beschwerde daher versucht, die Unbilligkeit der Einhebung der Abgabenschuldigkeiten nachzuweisen, geht sie ins Leere. Im Zusammenhang mit dem rechtlich gebundenen Teil der Entscheidung ist nämlich nicht von Bedeutung, aus welchem Grund die Unbilligkeit der Einhebung angenommen wurde, weil insoweit nur entscheidend ist, daß der Ermessensentscheidung nicht das Fehlen der Unbilligkeit entgegensteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. November 1989, Zl. 89/14/0136).

Für den Beschwerdeerfolg ist daher nur die Prüfung der Ermessensentscheidung ausschlaggebend. Eine Ermessensentscheidung der Behörde darf der Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 130 Abs. 2 B-VG aber nur daraufhin untersuchen, ob die Behörde von ihrem freien Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat, ob der Behörde also im Rahmen dieser Entscheidung Ermessensüberschreitung oder Ermessensmißbrauch anzulasten ist.

Beides ist nicht ersichtlich. Die Beschwerde macht lediglich allgemein geltend, es hätte festgestellt werden müssen, daß der Vollzug der Abgabenschuld eine weitere bedrohliche Existenzgefährdung für die Beschwerdeführerin bedeute; bei Gegenüberstellung der zweifellos vorhandenen Billigkeitsgründe hätte die belangte Behörde zur Entscheidung kommen müssen, daß die Zweckmäßigkeitsgründe ein weitaus geringeres, die Billigkeitsgründe nicht überwiegendes Gewicht hätten. Diese Ausführungen sind aber nicht geeignet, Ermessensüberschreitung oder Ermessensmißbrauch aufzuzeigen.

Gemäß § 20 BAO müssen sich Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen.

Zu diesen Umständen zählen sowohl die Tatsache, daß die allfällige Nachsicht im Hinblick auf den Gesamtschuldenstand zu keiner wesentlichen Veränderung der wirtschaftlichen Lage der Beschwerdeführerin oder gar zu einer Sanierung führen würde, als auch die Tatsache, daß sich die Nachsicht ausschließlich zu Lasten der Finanzverwaltung und zugunsten anderer Gläubiger der Beschwerdeführerin auswirkte (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 1. März 1989, Zl. 88/13/0179, und vom 7. November 1989, Zl. 89/14/0136). Auch die Beschwerdeausführungen, wonach die Beschwerdeführerin nach wie vor mit einem Schuldenstand von mehr als S 600.000,-- belastet sei und lediglich über eine "Bauernpension" von S 3.337,20 netto monatlich und den Anspruch auf freie Station aus einem Übergabsvertrag verfüge, lassen erkennen, daß auch eine Abgabennachsicht im Hinblick auf den Gesamtschuldenstand zu keiner wesentlichen Veränderung der wirtschaftlichen Lage der Beschwerdeführerin oder gar zu einer Sanierung führen würde.

Es ist daher nicht ersichtlich, daß die belangte Behörde ihr Ermessen willkürlich gehandhabt hätte. Dies gilt umsomehr, als die Beschwerdeführerin nicht konkret dartut, inwieweit durch die Gewährung der begehrten Nachsicht eine tatsächlich fühlbare Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage herbeigeführt werden würde.

Die Beschwerde zeigt daher keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abgewiesen werden mußte.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

Schlagworte

Ermessen Verfahrensbestimmungen Ermessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989150100.X00

Im RIS seit

25.06.1990
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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